Und so ist bei Volvo allen klar, dass Samuelssons Wende in der Praxis so radikal nicht funktionieren wird: „Volvo verkauft weiter Diesel, will nur keine neuen mehr entwickeln. Für alle Motoren, die im Markt sind, ist Volvo verantwortlich und muss auch weiter daran arbeiten, wenn sie Updates oder Reparaturen brauchen“, sagt ein Manager.
Fakten zum Volvo-Baukasten
Von 1999 bis 2010 gehörte Volvo zum Ford-Konzern. In dieser Zeit basierten die neuen Modelle der Schweden auf Plattformen der US-Mutter, etwa dem Ford Focus oder dem hierzulande nicht verkauften Ford Taurus. Als der chinesische Konzern Geely Volvo im Jahr 2010 übernahm, konnten sie die Ford-Technik nicht weiter nutzen, weshalb ein eigenes System entwickelt wurde.
Volvo nennt seinen Baukasten „skalierbare Produkt-Architektur“, kurz SPA. Auf dieser Architektur sollen künftig alle größeren Modelle ab der 60er Baureihe basieren. Sie teilen sich sämtliche Motoren (ausschließlich Vierzylinder mit zwei Litern Hubraum) und viele Teile des Fahrwerks. So sollen die Kosten bei Entwicklung und Produktion gesenkt werden und langfristig auch die Margen steigen.
Für die Entwicklung der Architektur und die Umrüstung der Produktionsanlagen auf die neue Technik hat Volvo insgesamt rund 75 Milliarden schwedische Kronen, rund acht Milliarden Euro, ausgegeben.
Nur ein Maß – der Abstand zwischen Vorderachse und A-Säule – ist festgelegt, alle anderen Maße sind flexibel. So können teure Bauteile wie die Motoren oder die Elektro-Einheit des Hybridantriebs in unterschiedlich großen Autos verwendet werden, von der Mittelklasse-Limousine S60 bis hin zum großen SUV XC90.
Der XC90 hat den Anfang gemacht, inzwischen ist die 90er-Baureihe komplett: Volvo bietet neben dem SUV XC90 auch die Limousine S90, den Kombi V90 und den Offroad-Kombi V90 Cross Country an. Die bisherigen Modelle S80 und V70 wurden durch die 90er-Modelle ersetzt. In der Mittelklasse hat ebenfalls das SUV den Anfang gemacht, der XC60. Die Limousine S60 und Kombi V60 folgen bald.
Grundsätzlich aber sind die Weichen gestellt, es geht weg vom Verbrenner. Damit reagiert Samuelsson auf eine Entwicklung, die vermutlich eh nicht aufzuhalten ist. In etlichen europäischen Metropolen von Oslo bis Athen werden derzeit Fahrverbote für Diesel diskutiert. Paris und Madrid lassen bei dicker Luft nur einen Teil der Autos in die Stadt, London und Stockholm erheben Einfahrgebühren. In chinesischen Metropolen wie Peking gehören Fahrverbote längst zum Alltag. Auf längere Sicht sollen dort Verbrenner aus Innenstädten ganz verschwinden.
Und doch droht Volvos Kampagne zum Bumerang zu werden: Kunden stürmen dieser Tage die Volvo-Dependancen und verlangen nach den neuen E-Modellen – die es nicht gibt. Schon riefen Händler verunsichert in der Zentrale an, berichteten von hysterischen Käufern und erbaten Auskunft.
Irgendwann sah sich die Volvo Deutschland gezwungen, das Ganze wieder einzufangen und ein Memo an die Händler zu verschicken. Volvo stellt darin klar, dass es keinesfalls darum gehe, vorzeitig Verbrennungsmotoren aus dem Markt zu nehmen. Man will nur keine völlig neue Motorenfamilie mehr entwickeln. Vielmehr werde man die aktuelle Generation, die noch bis mindestens 2025 weiterentwickelt wird, mit E-Motoren und Batteriespeichern ergänzen. Zusätzlich solle es fünf reine E-Modelle geben. Alle verkauften Volvo sollen dann entweder einen Hybridantrieb haben oder vollelektrisch fahren. Vorerst aber seien Verbrennungsmotoren und Hybride für die Kunden die bessere Wahl.
„Wir reden hier über eine tiefgehende Transformation unseres Unternehmens“, sagt Samuelsson. „Dabei müssen wir unsere Kunden mitnehmen.“
Er versteht seine Kommunikation denn auch nicht als PR-Coup, sondern als Weckruf für die Branche. Wenn sich bei Zulieferern und anderen Konzernen nichts tut, wird auch Volvos Strategie nicht aufgehen. Volvo ist darauf angewiesen, dass die Fertigung von Elektroautos insgesamt günstiger wird. Alleine sind die Volvo-Stückzahlen zu klein, um über Mengeneffekte Preise zu drücken. Nach seinem Manöver, so Samuelssons Hoffnung, werden Batteriehersteller, Zulieferer und Stromkonzerne aufwachen und endlich Ladesäulen aufbauen, günstige Stromspeicher entwickeln und preiswertere Getriebe anbieten. „Wir brauchen auf dem Weg zur Elektromobilität Unterstützung“, sagt der Volvo-Chef.
Damit meint er explizit auch seine Geschäftspartner. Denn: Entwickeln sollen Batterien, Getriebe und Ladesäulen bitte schön vor allem die Zulieferer. Volvo will in der neuen Propulsion genannten Einheit vor allem die Konzepte für die Mobilität der Zukunft entwerfen. Volvo brüllt also – und der restliche Zoo soll sich bewegen.
Wie dieser Plan intern wirkt, lässt sich im Stammwerk Torslanda beobachten. 6500 Mitarbeiter fertigen hier in drei Schichten nahezu alle Modelle des Konzerns. Auch der neue XC 60 rollt hier vom Band, hauptsächlich als Diesel, in geringeren Stückzahlen auch mit Hybridantrieb. An einer speziellen Station montieren Katarina Eriksson und ihr Team die Batterien für die Hybridversion in die rohen Fahrzeugchassis. Die junge Frau um die 30 trägt ein orangenes Shirt, die dunklen Haare sind zum Zopf gebunden. Noch ist ihre Truppe im Werk in der Minderheit. „Bald werden alle so arbeiten wie wir“, sagt Eriksson. „Ich finde das gut. Elektromobilität ist die Zukunft. Deshalb sollte Volvo das tun.“ Erikssons Arbeit ist eine sanfte Form des Übergangs.
Hybridmodelle erfordern im Werk eher mehr Arbeitsplätze als die reine Fertigung von Verbrennungsmotoren. Sollte irgendwann aber komplett auf E-Motoren umgestellt werden, ist auch Erikssons Job in Gefahr. Halten Experten E-Autos doch für weniger arbeitsintensiv.
So ist Samuelssons Plan vor allem auch ein Mittel des Zeitgewinns, um das Unternehmen umzubauen. Anders als große Premiumhersteller wie Daimler oder BMW können es sich die Schweden nicht leisten, mehrere Antriebe parallel zu entwickeln. Sie verkaufen nur etwas mehr als eine halbe Million Fahrzeuge im Jahr, haben sich in den vergangenen Jahren mühsam und mit drei neuen Werken in China aus der Krise gekämpft. Nun haben sie nur einen Versuch, das Unternehmen umzubauen.