Die Aktie fällt, das Kundenvertrauen ist weg, das Image ist auf Talfahrt. Mit dem Bekanntwerden des Abgas-Skandals, auch als Dieselgate bekannt, ist der VW-Konzern in eine "existenzbedrohende Krise" geraten, wie es der designierte Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch am Wochenende formuliert hat. Die Aufklärung der Betrugs-Affäre – wer wann den Auftrag zum Einbau der Manipulationssoftware gegeben hatte – wird die Manager und Ingenieure der betroffenen Marken VW, Audi Seat und Skoda noch lange beschäftigen.
Doch auch ein Teil des Konzerns, der gar nichts mit den technischen Schummeleien zu tun hat, ist von dem Abgas-Skandal betroffen: die Banktochter Volkswagen Financial Services. Die wichtigsten Fragen rund um die VW-Bank:
Was hat eine Bank mit dem Abgas-Skandal zu schaffen?
Das liegt am Geschäftsmodell der Volkswagen Financial Services: Die Bank finanziert ein Großteil des Leasing-Geschäfts der Wolfsburger. "Die Bank ist stark abhängig vom Nettozinsertrag aus der Autofinanzierung", schreibt etwa die Rating-Agentur Moody's in einer aktuellen Studie. Soll heißen: Verkauft VW wegen des Vertrauensverlusts durch den Skandal weniger Autos, drückt das auch zwangsläufig die Gewinne der VW-Bank. Als "reine Vorsichtsmaßnahme" hat die Führungsebene der Bank bereits einen Einstellungsstopp verhängt.
Der VW-Abgas-Skandal im Überblick
Die US-Umweltbehörde EPA teilt in Washington mit, Volkswagen habe eine spezielle Software eingesetzt, um die Messung des Schadstoffausstoßes bei Abgastests zu manipulieren. In den Tagen darauf wird klar, dass weltweit Fahrzeuge von VW und der Töchter betroffen sind – darunter auch Audi und Porsche. Die VW-Aktie bricht ein.
VW-Chef Martin Winterkorn tritt nach einer Krisensitzung der obersten Aufseher zurück. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig prüft die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen VW. Anlass dafür seien auch eingegangene Strafanzeigen von Bürgern, heißt es.
Der VW-Aufsichtsrat tagt. Nach langer Sitzung beruft das Gremium Porsche-Chef Matthias Müller zum neuen Konzernchef und trifft einige weitere Personal- und Strukturentscheidungen. Verantwortliche Motorenentwickler werden beurlaubt.
Nach mehreren Strafanzeigen startet die Braunschweiger Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugsvorwürfen. Entgegen einer ersten Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Braunschweig gibt es keine Ermittlungen gegen Ex-Chef Martin Winterkorn persönlich.
Das Aufsichtsrats-Präsidium beschließt, Hans Dieter Pötsch per registergerichtlichen Anordnung in den Aufsichtsrat zu berufen. Das ist möglich, weil mehr als 25 Prozent der Aktionäre Pötsch favorisiert haben. Die Familien Porsche und Piëch, die Pötsch gegen die Bedenken des Landes Niedersachsens und der Arbeitnehmer durchgesetzt haben, halten über die Porsche SE rund 52 Prozent der VW-Anteile. Julia Kuhn-Piëch, die erst dieses Jahr nach dem Rücktritt von Ferdinand und Ursula Piëch in das Kontrollgremium aufgerückt war, verlässt den Aufsichtsrat wieder.
Es ist klar, dass die betroffenen VW-Fahrzeuge in die Werkstatt müssen, damit die Schummel-Software verschwindet. Bei einigen Motorenwerden die Techniker selbst Hand anlegen müssen. Eine Rückruf-Aktion, so wird es am nächsten Tag bekannt werden, soll 2016 starten. Die geschäftlichen und finanziellen Folgender Krise sind nicht absehbar. Die Kosten der Abgas-Affäre werden jedoch enorm sein. Der neue Chef muss sparen: "Deshalbstellen wir jetzt alle geplantenInvestitionen nochmal auf denPrüfstand", kündigt Müller an.
Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ordnet einen verpflichtenden Rückruf aller VW-Dieselautos mit der Betrugssoftware an. In ganz Europa müssen 8,5 Millionen, in Deutschland 2,4 Millionen Wagen in die Werkstatt. VW hatte eine freiwillige Lösung angestrebt.
Der Skandal beschert dem Konzern im dritten Quartal einen Milliardenverlust. Vor Zinsen und Steuern beläuft sich das Minus auf rund 3,5 Milliarden Euro.
Der Skandal erreicht eine neue Dimension. VW muss - nach weiteren Ermittlungen der US-Behörden - einräumen, dass es auch Unregelmäßigkeiten beim Kohlendioxid-Ausstoß (CO2) gibt. Rund 800.000 Fahrzeuge könnten betroffen sein. Die VW-Aktie geht erneut auf Talfahrt.
Der Diesel-Skandal in den USA weitet sich aus. Erneut. Es seien mehr Drei-Liter-Diesel der Marken Volkswagen und Audi betroffen, als bislang angenommen, erklärt die US-Umweltbehörde EPA. Die Autobauer bestreiten dies zunächst. Wenige Tage später, am 24. November, müssen sie allerdings einräumen, ein sogenanntes „Defeat Device“ nicht offengelegt zu haben. Die Software gilt in den USA als illegal.
Die Auswirkungen des Skandal zwingen VW zudem zum Sparen: VW fährt die Investitionen für das kommende Jahr runter. 2016 sollen die Sachinvestitionen um eine Milliarde Euro verringert werden. „Wir fahren in den kommenden Monaten auf Sicht“, sagt VW-Chef Müller. Weitere Ausgaben bleiben auf dem Prüfstand.
Neuer Ärger für Volkswagen: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt nun auch wegen mögliche Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit falschen CO2-Angaben. Die könnten dazu geführt haben, dass zu wenig Kfz-Steuer gezahlt wurde.
Zumindest etwas Positives für die Wolfsburger: Zur Nachrüstung der millionenfach manipulierten Dieselmotoren mit 1,6 Litern Hubraum in Europa reicht nach Angaben von Volkswagen ein zusätzliches, wenige Euro teures Bauteil aus. Bei den 2,0-Liter-Motoren genügt ein Software-Update. Das Kraftfahrtbundesamt genehmigt die Maßnahmen. Auch wenn VW keine Angaben zu den Kosten macht – es hätte schlimmer kommen können.
Wie groß ist die Volkswagen Financial Services?
12.800 der weltweit rund 600.000 Angestellten des Konzerns arbeiten in der Finanzsparte. Der Anteil am Konzerngewinn ist aber deutlich höher, als es die verhältnismäßig geringe Mitarbeiterzahl vermuten lässt. Mit einem operativen Ergebnis von 1,7 Milliarden Euro steuerte die Financial Services mehr bei (etwa ein Siebtel) als etwa die Nutzfahrzeugsparte. Mit einer Bilanzsumme von 114 Milliarden Euro ist das Institut größer als mehrere Großsparkassen. Dazu kommt: Die Volkswagen Financial Services steht unter der Beobachtung der neuen europäischen Bankenaufsicht. Mehr Großbank geht kaum.
Wer sind die Kunden der VW-Bank?
Den Großteil der Kredite vergibt die Bank an Privatkunden, Geschäftskunden greifen oft auf andere Leasing-Anbieter zurück – etwa den Flottenmanager LeasePlan, an dem VW erst in diesem Sommer seinen Anteil für rund 3,7 Milliarden Euro verkauft hat. Der damalige VW-Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch erklärte den Verkauf wie folgt: "Mit dem Ausbau des eigenen Flottenmanagements bei Volkswagen Financial Services ist nach unserer Meinung jetzt der geeignete Zeitpunkt gekommen, Leaseplan in neue Hände zu geben." 16 Prozent der Kredite hat die Bank an Autohändler vergeben. Auch hier schlägt das Risiko einer Absatzkrise voll durch: Verkaufen die Händler weniger Autos, muss die Bank unter Umständen Kredite abschreiben oder zumindest die Vorsorge für ausfallgefährdete Kredite aufstocken.
Wie viele der rund elf Millionen Autos mit der Schummel-Software werden über die Bank finanziert oder verleast?
Das ist noch unklar. Offen ist auch, was bei einem Wertverlust der verleasten Fahrzeuge wegen des Abgas-Skandals passiert. Diese Autos sind offiziell in Besitz des Instituts. Ein Wertverlust würde die Einnahmen beim Wiederverkauf drücken – und damit auch die Gewinnspanne der Bank. Ob es mittel- oder langfristig überhaupt zu einer nennenswerten Wertminderung kommt, ist jedoch offen.
Die Abgas-Tests in Deutschland und Europa
Neue Modelle werden in Deutschland und der EU nach dem Modifizierten Neuen Fahrzyklus (MNEFZ) getestet. Die Tests laufen unter Laborbedingungen, das heißt auf einem Prüfstand mit Rollen. Dies soll die Ergebnisse vergleichbar machen. Der Test dauert etwa 20 Minuten und simuliert verschiedene Fahrsituationen wie Kaltstart, Beschleunigung oder Autobahn-Geschwindigkeiten.
Getestet wird von Organisationen wie dem TÜV oder der DEKRA unter Beteiligung des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA). Dieses untersteht wiederum dem Verkehrsministerium.
Die Prüfungen der neuen Modelle werden von ADAC und Umweltverbänden seit längerem als unrealistisch kritisiert. So kann etwa die Batterie beim Test entladen werden und muss nicht - mit entsprechendem Sprit-Verbrauch - wieder auf alten Stand gebracht werden. Der Reifendruck kann erhöht und die Spureinstellungen der Räder verändert werden. Vermutet wird, dass etwa der Spritverbrauch im Alltag so häufig um rund ein Fünftel höher ist als im Test.
Neben den Tests für neue Modelle gibt es laut ADAC zwei weitere Prüfvorgänge, die allerdings weitgehend in der Hand der Unternehmen selbst sind. So werde nach einigen Jahren der Test bei den Modellen wiederholt, um zu sehen, ob die Fahrzeuge noch so montiert werden, dass sie den bisherigen Angaben entsprechen, sagte ADAC-Experte Axel Knöfel. Zudem machten die Unternehmen auch Prüfungen von Gebrauchtwagen, sogenannte In-Use-Compliance. Die Tests liefen wieder unter den genannten Laborbedingungen. Die Ergebnisse würdem dann dem KBA mitgeteilt. Zur Kontrolle hatte dies der ADAC bei Autos bis 2012 auch selbst noch im Auftrag des Umweltbundesamtes gemacht, bis das Projekt eingestellt wurde. In Europa würden lediglich in Schweden von staatlicher Seite noch Gebrauchtwagen geprüft, sagte Knöfel.
Die EU hat auf die Kritik am bisherigen Verfahren reagiert und will ab 2017 ein neues, realistischeres Prüfszenario etablieren. Damit sollen auch wirklicher Verbrauch und Schadstoffausstoß gemessen werden ("Real Driving Emissions" - RDE). Strittig ist, inwiefern dafür die bisherigen Abgas-Höchstwerte angehoben werden, die sich noch auf den Rollen-Prüfstand beziehen.
Können Kunden von Darlehens- oder Leasingverträgen zurücktreten?
Das ist ebenfalls noch unklar.
Wer leitet die Volkswagen Financial Services?
Aktuell ist der Posten vakant, denn der bisherige Chef Frank Witter wurde als Nachfolger von Hans Dieter Pötsch als neuer Finanzvorstand des Konzerns bestellt. Witter ist seit 1992 im Konzern und leitete unter anderem das Amerika-Geschäft. Seit 2008 war er an der Spitze der Finanzsparte, die unter ihm mehrere Rekordergebnisse erzielte. Ein Nachfolger Witters wurde noch nicht benannt.