Was werfen die USA Volkswagen vor?
Die US-Regierung hat im Abgas-Skandal Klage gegen Volkswagen eingereicht. Dem Konzern werden der Einsatz von Betrugssoftware und Verstöße gegen das Luftreinhaltegesetz „Clean Air Act“ vorgeworfen, wie das Justizministerium mitteilte. Die in Detroit (US-Staat Michigan) eingereichte Klage richte sich neben VW auch gegen die ebenfalls vom Skandal betroffenen Konzerntöchter Audi und Porsche, heißt es in der Mitteilung. Die Hersteller hätten in fast 600.000 Dieselfahrzeugen eine illegale Software („Defeat Device“) eingesetzt, um bei Emissionstests zu betrügen. VW habe den US-Umweltbehörden EPA und CARB den Einbau der verbotenen Programme bei der Zulassung der Autos verschwiegen und damit gegen US-Gesetze verstoßen.
Die Nachricht aus den USA drückte die VW-Aktien zum Handelsstart in Frankfurt umgehend ins Minus. Die Titel verloren in der Spitze 3,5 Prozent auf 121,95 Euro und bildeten damit das Schlusslicht im Dax.
Die Abgas-Tests in Deutschland und Europa
Neue Modelle werden in Deutschland und der EU nach dem Modifizierten Neuen Fahrzyklus (MNEFZ) getestet. Die Tests laufen unter Laborbedingungen, das heißt auf einem Prüfstand mit Rollen. Dies soll die Ergebnisse vergleichbar machen. Der Test dauert etwa 20 Minuten und simuliert verschiedene Fahrsituationen wie Kaltstart, Beschleunigung oder Autobahn-Geschwindigkeiten.
Getestet wird von Organisationen wie dem TÜV oder der DEKRA unter Beteiligung des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA). Dieses untersteht wiederum dem Verkehrsministerium.
Die Prüfungen der neuen Modelle werden von ADAC und Umweltverbänden seit längerem als unrealistisch kritisiert. So kann etwa die Batterie beim Test entladen werden und muss nicht - mit entsprechendem Sprit-Verbrauch - wieder auf alten Stand gebracht werden. Der Reifendruck kann erhöht und die Spureinstellungen der Räder verändert werden. Vermutet wird, dass etwa der Spritverbrauch im Alltag so häufig um rund ein Fünftel höher ist als im Test.
Neben den Tests für neue Modelle gibt es laut ADAC zwei weitere Prüfvorgänge, die allerdings weitgehend in der Hand der Unternehmen selbst sind. So werde nach einigen Jahren der Test bei den Modellen wiederholt, um zu sehen, ob die Fahrzeuge noch so montiert werden, dass sie den bisherigen Angaben entsprechen, sagte ADAC-Experte Axel Knöfel. Zudem machten die Unternehmen auch Prüfungen von Gebrauchtwagen, sogenannte In-Use-Compliance. Die Tests liefen wieder unter den genannten Laborbedingungen. Die Ergebnisse würdem dann dem KBA mitgeteilt. Zur Kontrolle hatte dies der ADAC bei Autos bis 2012 auch selbst noch im Auftrag des Umweltbundesamtes gemacht, bis das Projekt eingestellt wurde. In Europa würden lediglich in Schweden von staatlicher Seite noch Gebrauchtwagen geprüft, sagte Knöfel.
Die EU hat auf die Kritik am bisherigen Verfahren reagiert und will ab 2017 ein neues, realistischeres Prüfszenario etablieren. Damit sollen auch wirklicher Verbrauch und Schadstoffausstoß gemessen werden ("Real Driving Emissions" - RDE). Strittig ist, inwiefern dafür die bisherigen Abgas-Höchstwerte angehoben werden, die sich noch auf den Rollen-Prüfstand beziehen.
Besonders brisant für VW: In der Klageschrift heißt es, der Konzern habe die Ermittlungen durch irreführende Angaben und das Vorenthalten von Material behindert. Die Wolfsburger hatten immer wieder betont, vollumfänglich mit den US-Behörden zu kooperieren. Am 18. September hatten EPA und CARB ihre Vorwürfe öffentlich gemacht. Zunächst war es nur um Manipulationen von kleineren 2,0-Liter-Dieselmotoren gegangen. Später wurde bekannt, dass auch in größeren, von Audi entwickelten 3,0-Litermotoren Software installiert wurde, die unter US-Recht verboten ist, und den Behörden nicht ordnungsgemäß offengelegt wurde.
Die von der US-Regierung eingereichte Klage ist allerdings auch eine Zivilklage – eventuelle strafrechtliche Folgen sind damit noch nicht vom Tisch. Hat die Zivilklage Erfolg, drohen dem Wolfsburger Konzern laut Berechnungen der Nachrichtenagentur Reuters Strafzahlungen in Höhe von bis zu 90 Milliarden Dollar. Andere Experten gehen eher von einem niedrigen zweistelligen Milliardenbetrag aus. Der Konzern hat für die Aufarbeitung der Abgasaffäre bislang 6,7 Milliarden Euro zurückgestellt.
Wie kommt die Summe von 90 Milliarden Dollar zusammen?
Laut der Klageschrift können bis zu 37.500 Dollar Strafzahlung pro Fahrzeug und Gesetzesverstoß verhängt werden. Bei den 600.000 Fahrzeugen, bei denen Volkswagen Manipulationen eingeräumt hat, ergeben sich so 22,5 Milliarden Dollar. Das Justizministerium wirft dem Autobauer aber vor, gegen vier Paragraphen verstoßen zu haben. Wird Volkswagen in jedem Punkt schuldig gesprochen und der Richter schöpft das Strafmaß voll aus, summiert sich das auf maximal 90 Milliarden Dollar. Bei der Summe handelt es sich jedoch um ein theoretisches Höchstmaß.
Was ist stattdessen ein realistisches Strafmaß?
Equinet-Analyst Holger Schmidt geht davon aus, dass die Strafzahlung für Volkswagen am Ende weit unter den im Raum stehenden 90 Milliarden Dollar liegen dürfte. „Letztlich kann man über die tatsächliche Höhe möglicher Strafzahlungen derzeit aber nur spekulieren“, meint der Equinet-Experte. Klar scheine aus seiner Sicht allerdings, dass die USA entschlossen sind, aus dem Fehlverhalten von VW ihren Nutzen zu ziehen und die Position des Konzerns in Amerika weiter zu schwächen.
Die Reuters-Hochrechnung von 37.500 Dollar pro Fahrzeug bei vier Gesetzesverstößen greift zu kurz. Zum einen ist die Dauer und der Zeitpunkt des Betrugs entscheidend für die mögliche Strafhöhe. Zum anderen ist bei einem Vorwurf ein viel geringeres Strafmaß vorgesehen. Die vier Vorwürfe sind im Einzelnen:
- Der Verkauf von Neuwagen, die nicht den Gesetzen entsprechen. Das maximale Strafmaß liegt bei 32.500 Dollar pro Fahrzeug, die vor dem 13. Januar 2009 verkauft wurden. Danach sind es maximal 37.500 Dollar.
- Der Einbau und Verkauf der „Defeat Device“. Das maximale Strafmaß liegt bei 32.500 Dollar pro Fahrzeug, die vor dem 13. Januar 2009 verkauft wurden. Danach sind es maximal 37.500 Dollar.
- Die Manipulation selbst. Hierfür sieht die Klageschrift maximal 2750 Dollar pro Fahrzeug vor, die vor dem 13. Januar 2009 verkauft wurden. Danach sind es maximal 3750 Dollar.
- Das Vertuschen der Manipulation beziehungsweise die Verstöße gegen die Reportpflicht. Hier sieht die Klageschrift 32.500 Dollar pro Tag vor dem 13. Januar 2009 vor, danach sind es maximal 37.500 Dollar pro Tag.
Das Höchststrafmaß liegt bei dieser Rechnung zwischen 40 und 50 Milliarden Dollar.