Der Autozulieferer Continental rechnet wegen der Affäre um manipulierte Abgassoftware bei Volkswagen mit dem Aussterben der Diesel-Technologie in den USA und Asien. "Es ist zu befürchten, dass die Vorgänge der vergangenen Wochen das Aus für den Pkw-Diesel in Märkten wie Nordamerika, Japan und China bedeuten werden", sagte Conti-Chef Elmar Degenhart der "Börsen-Zeitung" (Donnerstagausgabe). "Der Pkw-Diesel könnte aus diesem Märkten früher oder später verschwinden." Jedoch sei dort der Marktanteil des Diesels mit ein bis drei Prozent relativ gering.
In Europa, wo rund jedes zweite Auto einen Diesel-Antrieb hat, sei es noch zu früh, über den Verlust von Marktanteilen bei Diesel-Fahrzeugen zu sprechen. Hier seien Vorlaufzeiten von mehreren Wochen bei der Bestellung von Neuwagen üblich. Solle es beim Großkunden VW allerdings zu Einbußen kommen, gehe das auch an Continental nicht spurlos vorüber. "Es ist noch zu früh, um über Auswirkungen zu reden. Wir wären aber grundsätzlich betroffen, wenn Volkswagen Marktanteile verlieren würde", sagte Degenhart. Allerdings rechne Conti damit, mit anderen Kunden entsprechend stärker wachsen zu können.
Was bei der Rückruf-Aktion auf VW-Besitzer zukommen könnte
Das Kraftfahrtbundesamt hat angeordnet 2,4 Millionen VW-Diesel-Fahrzeuge in die Werkstätten zurückzurufen. Laut Plan sollen im Januar 2016 die ersten Autos in die Werkstätten. Bis zum Ende des kommenden Jahres könnten dann alle betroffenen Autos überholt sein. In einem Interview in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ hatte VW-Chef Matthias Müller aber zuvor auch nicht ausgeschlossen, manche Autos komplett auszutauschen, anstatt sie umzurüsten: „Das muss man im Einzelfall prüfen.“
Es geht bei den Nachbesserungen nicht nur um die Manipulations-Software. Für die meisten Motoren genüge es zwar, wenn ein neues Programm aufgespielt werde, sagte Müller. Manche Autos könnten aber auch neue Einspritzdüsen und Katalysatoren bekommen. Die Umrüstung ist auch deshalb kompliziert, weil der betroffene Motortyp EA 189 in zahlreichen Kombinationen und Ländervarianten verbaut ist. Motorenexperte Prof. Jörn Getzlaff von der Hochschule Zwickau hält es aber für möglich, dass Volkswagen keine komplett neue Technik entwickeln muss: „Es kann durchaus sein, dass VW auf eine Lösung zurückgreift, die der Konzern schon heute in seine neue Motorengeneration einbaut.“ Diese neuen Aggregate erfüllen die strengeren Umweltauflagen der Euro-6-Norm.
Das ist möglich. Durch die Umrüstung könnten sich die Leistung und der Spritverbrauch ändern, sagt Getzlaff. Es müsse aber nicht unbedingt so sein, dass das Auto dann langsamer wird und mehr verbraucht. VW-Chef Müller sagte, es sei wichtiger, „das CO2-Ziel zu halten und dafür vielleicht auf 3 bis 5 km/h Höchstgeschwindigkeit zu verzichten“.
Autokäufer müssten sich vermutlich zunächst mit dem Verkäufer des Autos streiten - in den meisten Fällen also mit dem Händler, nicht mit dem VW-Konzern, erklärt Thomas Rüfner, Rechtsprofessor an der Universität Trier. Es sei möglich, dass der Händler Autos zurücknehmen müsse. Dafür müssten aber einige Voraussetzungen erfüllt sein: erhebliche Mängel, also dass das Auto nach der Umrüstung zum Beispiel deutlich langsamer fährt oder viel mehr Sprit verbraucht. Der Kauf darf auch nicht länger als zwei Jahre zurückliegen. „Der Autokäufer würde vermutlich den kompletten Kaufpreis zurückbekommen, müsste aber wohl nachträglich für die Nutzung des Autos zahlen“, sagt Rüfner. Wenn sich die Fahreigenschaften des Autos nur in geringem Maße ändern, könne aber der Kaufpreis gemindert werden.
Eine VW-Kundin, die ihr Auto im Jahr 2010 gekauft hat, versucht das bereits. Sie hat eine Klage direkt gegen den VW-Konzern eingereicht, unter anderem wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung. Die Frau sehe sich in ihrer Erwartung enttäuscht, ökologisch unterwegs zu sein, teilte ihr Anwalt mit. Ein VW-Sprecher wollte sich zu der Klage zunächst nicht äußern, der Vorgang sei ihm nicht bekannt.
Dazu hat sich VW bislang nicht geäußert. Autohersteller sind dazu jedenfalls nicht gesetzlich verpflichtet, sagt Gabriele Emmrich von der Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt. Andere Autohersteller wie Toyota hatten einen solchen Service bei Rückrufen in der Vergangenheit schon angeboten, allerdings ging es da um weniger Autos als bei Volkswagen. Emmrich zufolge stellen Händler und Hersteller nur in Ausnahmefällen ein Leihauto zur Verfügung.
Degenhart bekräftigte, Continental habe keinem seiner Kunden Software zur Manipulation von Abgastestwerten geliefert. Der Konzern stehe auch nicht im Visier von Ermittlungen. Im September hatte die US-Umweltbehörde aufgedeckt, dass VW bei Millionen Diesel-Fahrzeugen eine illegale Software eingesetzt hatte, um Grenzwerte für Abgase im Testbetrieb zu senken.
Die Diesel-Affäre könne anderen Technologien wie etwa der Hybridisierung von Benzinern oder dem Erdgasantrieb einen Schub geben, sagte Degenhart. Zudem sei es nur eine Frage der Zeit, bis sich Elektromobilität beim Auto durchsetzen werde.
So könnte VW die "Dieselgate"-Kosten schultern
Der Abgas-Skandal kratzt nicht nur am Image des Volkswagen-Konzerns - er dürfte vor allem sehr teuer werden. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Kosten des Skandals und wie VW sie stemmen könnte.
Quelle: dpa
Darüber rätseln Beobachter derzeit. Bislang bekannt ist: Volkswagen hat 6,5 Milliarden Euro für Kosten aus dem Abgas-Skandal zurückgelegt. Das Geld ist aber wohl in erster Linie für eine technische Umrüstung der Autos mit Manipulations-Software bestimmt, wie Finanzchef Hans Dieter Pötsch laut dem Fachblatt „Automobilwoche“ kürzlich vor VW-Managern erklärte. Unklar ist, welche Strafzahlungen auf VW zukommen. Dazu dürften noch mindestens drei andere mögliche Kostenblöcke kommen: Strafzahlungen, Schadenersatzforderungen, Anwaltskosten. Wie hoch diese Ausgaben sein werden, lässt sich derzeit nur grob schätzen. Die Landesbank Baden-Württemberg rechnet derzeit mit einem Schaden von 47 Milliarden Euro für den Konzern. Ein möglicher Imageverlust und damit verbunden ein Rückgang der Autoverkäufe ist dabei noch nicht eingerechnet. Allerdings werden die Kosten wohl nicht auf einmal anfallen, sondern sich über Jahre verteilen.
Vergleichsweise viel. VW hat sich in den vergangenen Jahren ein stattliches Kapitalpolster zugelegt. Zur Jahresmitte hatte der Konzern rund 18 Milliarden Euro Bargeld auf dem Konto. Das ist mehr als ganze Dax-Konzerne wie Adidas oder Lufthansa einzeln an der Börse wert sind. „Über den Daumen gepeilt kann VW davon die Hälfte verwenden, um mögliche Kosten zu begleichen“, sagt Nord-LB-Analyst Frank Schwope. Dazu kommen bei VW noch schnell veräußerbare Wertpapiere über 15 Milliarden Euro und Schätzungen zufolge mindestens 5 Milliarden Euro aus dem Verkauf der Beteiligungen am ehemaligen Partner Suzuki und an einer niederländischen Leasingfirma.
Das ist sehr unwahrscheinlich. VW könnte sich über Anleihen und Kredite Geld leihen, auch wenn einige Ratingagenturen ihre Bewertungen der Kreditwürdigkeit des Konzerns zuletzt angepasst hatten. Wenn es irgendwann hart auf hart käme, könnte Volkswagen immer noch sein Tafelsilber verkaufen. Am einfachsten ließen sich wohl die Luxusmarken Bentley, Bugatti und Lamborghini aus dem Konzern herausnehmen. Nord-LB-Analyst Schwope schätzt den möglichen Verkaufserlös für die drei Marken und den Motorradhersteller Ducati auf 5 bis 10 Milliarden Euro. Durch einen Verkauf der Lastwagenbauer MAN und Scania ließen sich nach seinen Berechnungen sogar 30 bis 35 Milliarden Euro erzielen. Das wertvollste Juwel in der Sammlung, den Sportwagenbauer Porsche, dürften die VW-Anteilseigner kaum abgeben wollen.
Nur begrenzt. Eine Kapitalerhöhung - also die Ausgabe neuer Aktien - ist bei VW nicht so leicht wie in anderen Konzernen. Damit die Familien Porsche und Piëch sowie das Land Niedersachsen als Anteilseigner ihre Macht im Konzern nicht verlieren, darf sich deren jeweiliger Anteil an den Stammaktien nicht stark verringern. Vor allem Niedersachsen dürfte aber derzeit kaum ein Interesse daran haben, weitere Stammaktien zu kaufen und Geld in den VW-Konzern zu stecken. VW könnte deshalb wohl höchstens neue Vorzugsaktien ausgeben, das sind Aktien ohne Stimmrecht auf der Hauptversammlung des Konzerns. Laut Aktiengesetz darf die Zahl dieser Vorzugsaktien die Zahl der Stammaktien allerdings nicht übersteigen. VW könnte deshalb höchstens rund 114 Millionen neue Aktien ausgeben und damit auf Basis derzeitiger Kurse rund 11 Milliarden Euro einsammeln.
In der Regel setzen Sparmaßnahmen bei großen Konzernen zuerst bei den Mitarbeitern an: Weniger Gehalt, Einstellungsstopps, bis hin zu Stellenstreichungen und Entlassungen. Bei Volkswagen wäre das allerdings nicht so einfach. Die Arbeitnehmervertreter haben in Wolfsburg deutlich mehr Macht als in anderen Konzernen. Einfacher wäre die Kürzung geplanter Investitionen. Hier hatte Volkswagen angepeilt, bis 2019 eine Summe von mehr als 100 Milliarden Euro in Standorte, Modelle und Technologien zu stecken. Laut Experte Schwope könnte VW hier den Rotstift ansetzen und so 2 Milliarden Euro jährlich sparen, vor allem bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Nur: Dann besteht die Gefahr, von der Konkurrenz abgehängt zu werden. Der Zeitpunkt wäre denkbar ungünstig - die Autoindustrie steht durch Digitalisierung und Elektroantriebe vor einem Umbruch.
Degenhart stellte kleinere Akquisitionen im Servicebereich und eine höhere Dividende für die Aktionäre in Aussicht. "Wir bewegen uns mit unserer Ausschüttungsquote in einem Korridor zwischen 15 und 30 Prozent. Ich schließe nicht aus, dass wir diesen Korridor in den nächsten Jahren nach oben erweitern", sagte Degenhart.