Am Anfang waren es 480.000 VW in den USA, schnell wurden daraus elf Millionen Autos weltweit: Der Skandal um die manipulierten Dieselmotoren hat Volkswagen in seinen Grundfesten erschüttert und die gesamte Autobranche in Aufruhr versetzt. Galten gerade noch der Abschwung in China, die mangelnde SUV-Strategie in den USA und die stotternde Einführung des Baukastensystems in den Werken als größte Baustellen der Wolfsburger, gibt es seit dem 18. September nur noch ein Thema – den intern als EA 189 bezeichneten Dieselmotor, in den Medien bereits "Höllenmaschine" getauft.
Mit der Manipulation der Stickoxidwerte auf den Prüfständen ist aber auch der Dieselmotor an sich in die Diskussion gekommen – was dann nicht nur den Volkswagen-Konzern, sondern alle Autobauer angeht. Die Aufklärung der Affäre und die politische Diskussion um Grenzwerte, Förderungen und Zulassungen wird noch Monate, wenn nicht Jahre dauern. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.
Welche Autos sind betroffen?
Die "Defeat Device" genannte Software, die den Skandal ausgelöst hatte, stellt fest, ob sich ein Auto in einem Abgastest befindet. Nur dann ist die aufwändige Reinigung der Abgase voll aktiv, im Normalbetrieb ist die Luftverschmutzung dagegen um ein Vielfaches höher.
Nach Angaben Müllers sind weltweit etwa 5 Millionen Autos der Kernmarke VW-Pkw, 2,1 Millionen Audis, 1,2 Millionen Skodas, 700.000 Seats sowie 1,8 Millionen leichte Nutzfahrzeuge betroffen. Letztere teilten am Sonntag mit, dass die aktuellen Modelle Amarok, Crafter und Transporter nicht die fragliche Software enthalten, aber die 1,6- und 2,0-Liter-TDI-Motoren des Caddy und der Amarok bis zum Jahr 2012. Die einzelnen Marken haben inzwischen Websites eingerichtet, über die der Kunde mittels der Fahrgestellnummer überprüfen kann, ob sein Auto betroffen ist.
Was sind die jüngsten Entwicklungen?
Am Dienstag verkündete Volkswagen, angesichts des Abgas-Skandals massiv die Investitionen in die Kernmarke VW zur kürzen - pro Jahr soll eine Milliarde Euro weniger als bisher geplant ausgegeben werden. Zudem will der Konzern die Diesel-Strategie neu ausrichten. Für Europa und Nordamerika wurde ein vollständiger Umstieg bei Diesel-Aggregaten auf die SCR- und AdBlue-Technologie "zum frühestmöglichen Zeitpunkt" beschlossen, teilte das Unternehmen mit: "Nur noch die umwelttechnisch besten Abgassysteme werden in den Diesel-Fahrzeugen zum Einsatz kommen". Der Einsatz der fortschrittlicheren Technologie dürfte allerdings auch steigende Kosten nach sich ziehen.
Zugleich verstärkt der Konzern seine Bemühungen, Fahrzeuge ohne Verbrennungsmotor zu bauen. Zur Entwicklung von Elektrofahrzeugen soll es einen neuen Standard-„Baukasten“ für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge geben. Die neue Version des Luxuswagens Phaeton soll elektrisch werden.
Was sind die nächsten Schritte?
Der neue Aufsichtsratsvorsitzende Hans Dieter Pötsch muss in Zusammenarbeit mit der US-Kanzlei Jones Day aufklären, wie es zu dem massenhaften Betrug kommen konnte. Matthias Müller als neuer Vorstandsboss muss hingegen mit seiner zum Teil neu formierten Führungsmannschaft den Konzern fit für die finanziellen Folgen des Skandals machen und den Rückruf der betroffenen Autos vorbereiten. Zahlreiche Investitionen werden auf den Prüfstand gestellt – von milliardenschweren Entwicklungsprojekten und Fabrikneubauten in China über Vorstandsflüge bis hin zum Sportengagement, wo dem Vernehmen nach das Sponsoring des DFB-Pokals (fünf Millionen Euro pro Jahr) nicht verlängert werden soll. Insidern zufolge wird der Skandal den Konzern für das Gesamtjahr 2015 in die roten Zahlen schicken.
Was bei der Rückruf-Aktion auf VW-Besitzer zukommen könnte
Das Kraftfahrtbundesamt hat angeordnet 2,4 Millionen VW-Diesel-Fahrzeuge in die Werkstätten zurückzurufen. Laut Plan sollen im Januar 2016 die ersten Autos in die Werkstätten. Bis zum Ende des kommenden Jahres könnten dann alle betroffenen Autos überholt sein. In einem Interview in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ hatte VW-Chef Matthias Müller aber zuvor auch nicht ausgeschlossen, manche Autos komplett auszutauschen, anstatt sie umzurüsten: „Das muss man im Einzelfall prüfen.“
Es geht bei den Nachbesserungen nicht nur um die Manipulations-Software. Für die meisten Motoren genüge es zwar, wenn ein neues Programm aufgespielt werde, sagte Müller. Manche Autos könnten aber auch neue Einspritzdüsen und Katalysatoren bekommen. Die Umrüstung ist auch deshalb kompliziert, weil der betroffene Motortyp EA 189 in zahlreichen Kombinationen und Ländervarianten verbaut ist. Motorenexperte Prof. Jörn Getzlaff von der Hochschule Zwickau hält es aber für möglich, dass Volkswagen keine komplett neue Technik entwickeln muss: „Es kann durchaus sein, dass VW auf eine Lösung zurückgreift, die der Konzern schon heute in seine neue Motorengeneration einbaut.“ Diese neuen Aggregate erfüllen die strengeren Umweltauflagen der Euro-6-Norm.
Das ist möglich. Durch die Umrüstung könnten sich die Leistung und der Spritverbrauch ändern, sagt Getzlaff. Es müsse aber nicht unbedingt so sein, dass das Auto dann langsamer wird und mehr verbraucht. VW-Chef Müller sagte, es sei wichtiger, „das CO2-Ziel zu halten und dafür vielleicht auf 3 bis 5 km/h Höchstgeschwindigkeit zu verzichten“.
Autokäufer müssten sich vermutlich zunächst mit dem Verkäufer des Autos streiten - in den meisten Fällen also mit dem Händler, nicht mit dem VW-Konzern, erklärt Thomas Rüfner, Rechtsprofessor an der Universität Trier. Es sei möglich, dass der Händler Autos zurücknehmen müsse. Dafür müssten aber einige Voraussetzungen erfüllt sein: erhebliche Mängel, also dass das Auto nach der Umrüstung zum Beispiel deutlich langsamer fährt oder viel mehr Sprit verbraucht. Der Kauf darf auch nicht länger als zwei Jahre zurückliegen. „Der Autokäufer würde vermutlich den kompletten Kaufpreis zurückbekommen, müsste aber wohl nachträglich für die Nutzung des Autos zahlen“, sagt Rüfner. Wenn sich die Fahreigenschaften des Autos nur in geringem Maße ändern, könne aber der Kaufpreis gemindert werden.
Eine VW-Kundin, die ihr Auto im Jahr 2010 gekauft hat, versucht das bereits. Sie hat eine Klage direkt gegen den VW-Konzern eingereicht, unter anderem wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung. Die Frau sehe sich in ihrer Erwartung enttäuscht, ökologisch unterwegs zu sein, teilte ihr Anwalt mit. Ein VW-Sprecher wollte sich zu der Klage zunächst nicht äußern, der Vorgang sei ihm nicht bekannt.
Dazu hat sich VW bislang nicht geäußert. Autohersteller sind dazu jedenfalls nicht gesetzlich verpflichtet, sagt Gabriele Emmrich von der Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt. Andere Autohersteller wie Toyota hatten einen solchen Service bei Rückrufen in der Vergangenheit schon angeboten, allerdings ging es da um weniger Autos als bei Volkswagen. Emmrich zufolge stellen Händler und Hersteller nur in Ausnahmefällen ein Leihauto zur Verfügung.
Bei der Vorbereitung des Rückrufs drängt die Zeit: Das Kraftfahrtbundesamt prüft derzeit den von VW eingereichten Maßnahmenplan. Wird dieser durchgewunken, kann die eigentliche Vorbereitung beginnen: Die neue Software muss entwickelt und getestet werden. Da bei einigen Varianten des EA189-Motors ein reines Software-Update nach Aussage von Müller nicht ausreicht, müssen auch die entsprechenden Ersatzteile bestellt und produziert werden. Auch deshalb wird sich der Rückruf, der im Januar beginnen soll, laut Müller bis zum Ende des Jahres 2016 hinziehen.
Zudem will auch die Politik zufrieden gestellt werden, nicht nur in Deutschland. Die Chefin der kalifornischen Umweltbehörde (CARB), Mary Nichols, sagte dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland", VW habe bis zum 20. November Zeit, um einen Plan zur Nachrüstung der von Manipulationen betroffenen Diesel-Autos vorzustellen. Sie erwägt offenbar, notfalls Fahrzeuge der Wolfsburger aus dem Verkehr zu ziehen: "Wenn es keine technische Lösung gibt, drohen die Stilllegung und zivilrechtliche Auseinandersetzungen mit Kunden."
Auch wenn es Volkswagen gelingt, die zu erwartenden Strafen zu drücken und die wahrscheinlich anstehenden Zivilprozesse mit überschaubaren Zahlungen zu überstehen: Alleine die Kürzung der Investitionen dürfte den Konzern in der Entwicklung um einige Jahre zurückwerfen. Wie schwerwiegend, das ist natürlich kaum zu beziffern. Dennoch schwebt ein Fragezeichen über der zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit des Konzerns. Wenn die Konkurrenz ungehindert in neue Technologien investiert, könnten die Wolfsburger in einigen Bereichen den Anschluss verlieren.