VW-Abgas-Skandal Dieselgate kommt Volkswagen teuer zu stehen

Entschädigungen, Rückkäufe, Strafzahlungen: Volkswagen hat sich in wichtigen Dieselgate-Fragen mit den US-Behörden geeinigt. Doch längst sind nicht alle Punkte vom Tisch. Was Sie jetzt über den Skandal wissen müssen.

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Dieselgate teuer für VW. Quelle: imago, Montage

Neun Monate ist es her, dass der Abgasskandal Volkswagen in die tiefste Krise der Unternehmensgeschichte gerissen hat. Der langjährige Chef, zahlreiche Entwicklungsverantwortliche bei den Konzernmarken und vor allem das Vertrauen der Kunden – alles weg.

Einen ersten Lichtblick gab es Ende April: In den USA, wo der Skandal ans Licht kam und auch wohl seinen Anfang nahm, hatte VW eine Grundsatzeinigung mit den Behörden erzielt. Die Detail-Ausarbeitung des außergerichtlichen Kompromisses liegt jetzt vor – und enthält für die Wolfsburger einige kostspielige Passagen.

Was steht in der Einigung?

Der Vergleich zwischen Volkswagen, dem US-Justizministerium (Department of Justice, DOJ) und dem Bundesstaat Kalifornien sowie der Federal Trade Commission (FTC) und privaten Klägern, die durch das Steuerungskomitee der Kläger (Plaintiffs‘ Steering Committee, PSC) vertreten werden, sieht drei Möglichkeiten für die 475.000 betroffenen Fahrzeuge in den USA (460.000 VWs und 15.000 Audis) vor: ein Rückkauf, Leasingrücknahmen oder "behördlich genehmigte technische Anpassungen" – sprich eine Reparatur.

Welche Modelle unter den Diesel-Vergleich fallen

Für den Ablauf bedeutet das:

  • Volkswagen wird einen eigenen Fonds zur Finanzierung des "2,0l-TDI-Vergleichsprogramms" einrichten. Die Einlage in diesen Fonds wird einen Betrag von maximal 10,033 Milliarden US-Dollar nicht überschreiten.
  • Kunden können wählen, ob sie ihr Fahrzeug an Volkswagen zurückverkaufen oder ihr Leasing ohne Sanktion beenden, oder, sofern technische Maßnahmen genehmigt sind, ihr Fahrzeug kostenfrei umrüsten lassen und es behalten. Zusätzlich zum angebotenen Rückkauf sollen die US-Kunden einen finanziellen Anreiz zwischen 5100 und 10.000 Dollar erhalten, der sich nach dem geschätzten Wert ihres Wagens bei Bekanntwerden der Manipulation im September richtet. Damit soll erreicht werden, dass möglichst viele Autobesitzer das Angebot annehmen. Denn die Kosten für den Umweltfonds steigen, wenn es VW nicht gelingt, mindestens 85 Prozent der manipulierten Wagen von der Straße zu holen.
  • Der Rückkauf-Wert eines in Frage kommenden Fahrzeugs wird auf dem "Clean Trade-In"-Wert basieren wie in der Ausgabe September 2015 des NADA "Used Car Guide" veröffentlicht, unter Berücksichtigung von möglichen Zusatzausstattungen und Meilenstand.

Zudem wird Volkswagen in Absprache mit den Behörden EPA und CARB zwei Umweltprogramme im Gesamtwert von 4,7 Milliarden Dollar über mehrere Jahre hinweg unterstützen. Mit der Umsetzung des Vergleichs rechnet Volkswagen nicht vor dem Herbst.

"Wir nehmen unseren selbst gesetzten Auftrag, das Richtige zu tun, sehr ernst und sehen in diesen Vereinbarungen einen wichtigen Schritt nach vorn", so VW-Chef Matthias Müller. "Wir sind uns bewusst, dass wir noch viel tun müssen, um das Vertrauen der Menschen in Amerika zurückzugewinnen. Dabei gilt unser Augenmerk der Lösung der noch offenen Fragen."

Wie teuer wird die Einigung?

Die Gesamtsumme des Vergleichs mit der US-Umweltbehörde EPA und den klagenden Besitzern von Diesel-Autos beläuft sich auf 14,733 Milliarden Dollar, wie aus Gerichtsdokumenten hervorgeht. Davon sind gut zehn Milliarden Dollar für den Rückkauf von fast einer halben Million manipulierter Dieselautos mit 2,0-Liter-Motoren vorgesehen. Zudem hat sich Volkswagen mit 44 Bundesstaaten auf einen separaten Vergleich geeinigt, der den Konzern mindestens 603 Millionen Dollar kosten wird.

Wie teuer es am Ende wird, lässt sich aber noch nicht genau abschätzen. Die Einigung sieht vor, dass ein Teil der betroffenen US-Kunden die Wahl hat, ob er eine Entschädigung annimmt und VW das Auto umrüstet oder ob die Wolfsburger das Auto zurückkaufen sollen – was deutlich teurer als die Reparatur wäre. Solange unklar ist, wie viele Kunden sich für den Rückkauf entscheiden, lassen sich die Gesamtkosten nur schwer beziffern. Die bislang genannte Summe basiert auf einer Teilnahmequote von 100 Prozent "sowie der Annahme, dass sich 100 Prozent der in Frage kommenden Kunden entweder für einen Rückkauf oder eine vorzeitige Leasingrücknahme entscheiden", so der Konzern.

Wie VW im ersten Quartal abgeschnitten hat

Als sicher gilt, dass nicht alle Autos in einen gesetzeskonformen Zustand umgerüstet werden können. Es gibt drei verschiedene Generationen des Motors auf dem US-Markt, eine davon schafft die Grenzwerte wohl auch mit Reparatur nicht. Diese Autos muss VW sicher zurückkaufen.

Autobesitzer, die ihren Wagen von VW zurückkaufen lassen möchten, bekommen demnach den Preis erstattet, der vor Bekanntwerden des Skandals am 18. September 2015 galt. Der Durchschnittswert für einen VW-Diesel ist seit Beginn der Affäre dem um 19 Prozent gesunken.

Insgesamt liegt die Summe nahe dem, was Volkswagen bislang in der Bilanz 2015 zurückgestellt hat: Vorerst wurden gut 16 Milliarden Euro für die Folgekosten der Abgas-Manipulationen zurückgelegt. Dabei geht es aber nicht nur um die Probleme in den USA, weltweit sind elf Millionen Wagen betroffen. Möglich also, dass VW bei einem teureren Vergleich noch mehr aufwenden müsste.

Wie es in den USA weiter geht

Was hat VW bislang veranschlagt?

Der sich anbahnende Vergleich in den USA könnte den VW-Konzern einen Großteil seiner bisher erfolgten Rückstellungen kosten. Der bislang aufgebaute Puffer von 16,2 Milliarden Euro wäre mit dem Deal schon zu 80 Prozent aufgebraucht. Allerdings: Die gut 13 Milliarden Euro dort sind ein Maximalszenario.

So entschuldigen sich Unternehmen bei der Öffentlichkeit
Abgas-Skandal VW Quelle: Handelsblatt Online
Abgas-Skandal-VW Quelle: AP
Tepco und die Fukushima-Katastrophe Quelle: AP/dapd
Tepco Fukushima-Katastrophe Quelle: AP/dapd
Bilanzskandal bei Toshiba Quelle: REUTERS
Bilanzskandal bei Toshiba Quelle: REUTERS
Schmiergeldskandal bei Siemens Quelle: AP

"Die heutige Bekanntgabe bewegt sich im Rahmen unserer bereits veröffentlichten Rückstellungen und sonstigen finanziellen Verpflichtungen", sagt Finanzvorstand Frank Witter. "Wir sind in der Lage, die Konsequenzen zu beherrschen. Die Bekanntgabe bedeutet für unsere US-Kunden und -Händler sowie auch für unsere Anteilseigner mehr Klarheit. Vergleichslösungen in dieser Größenordnung belasten uns ohne Zweifel erheblich."

War es das jetzt für VW in den USA?

Nein, VW muss mindestens bis zum 26. Juli weiter bangen. Bis dahin will US-Richter Charles Breyer die eingereichten Dokumente prüfen und entscheiden, ob er dem Vergleich zustimmt. Lehnt er ab, könnte er einen Prozess eröffnen. VW will das unbedingt vermeiden. So war zumindest der ursprüngliche Zeitplan – laut diesem sollten die Dokumente aber bereits am 21. Juni eingereicht worden sein. Diese Frist hatte Breyer kurzfristig um eine Woche verlängert, wohl auf Bitte der US-Behörden. Ob er jetzt auch die Bekanntgabe seiner Entscheidung um eine Woche verschiebt, ist noch unklar.

Aktionärsverteilung der Volkswagen AG

Betroffene Autobesitzer haben aber auch das Recht, die VW-Offerte auszuschlagen und den Konzern auf eigene Faust zu verklagen.

Hinzu kommt, dass die Einigung nur für rund 475.000 Autos mit dem Zwei-Liter-Diesel gilt. Für die ebenfalls mit einer Art "Schummel-Vorrichtung" versehenen V6-Diesel mit drei Litern Hubraum, die unter anderem im VW Touareg, Porsche Cayenne und Audi A8 eingebaut wurden, gilt die Einigung nicht.

Was ist der Stand bei den Drei-Liter-Dieseln?

Hier ist offiziell Audi als Entwickler und Produzent der Motoren verantwortlich – Porsche und Volkswagen haben die Aggregate lediglich verbaut. Insgesamt sind in den USA rund 110.000 Fahrzeuge mit besagten Motoren betroffen. Inzwischen ist klar, dass zwei Generationen des Drei-Liter-Aggregats über eine Funktion verfügen, die laut US-Recht illegal sind. Laut Konzernkreisen reicht bei einer Generation ein Software-Update aus, während bei der anderen auch neue Teile eingebaut werden müssen.

Eine Einigung mit den Behörden samt Rückrufplan steht noch aus. Volkswagen wird "weiterhin zügig daran arbeiten, für betroffene Fahrzeuge mit 3,0l-TDI-V6-Dieselmotor eine einvernehmliche Lösung zu erreichen".

Das Problem ist aber anders gelagert als bei den Zwei-Liter-Motoren und am Ende wohl einfacher zu lösen. Kosten dürfte die Lösung dennoch verursachen – unklar ist, in welcher Höhe.

Die Lage in Deutschland

Was bekommen europäische Kunden?

Hierzu hat sich der Konzern noch nicht offiziell geäußert. Es wird aber regelmäßig darauf verwiesen, dass die Lage sowohl in Sachen Verbraucherschutz als auch bei der Schwere der Manipulation anders sei. Die Politik lässt sich damit nicht abspeisen. "Volkswagen sollte europäischen Fahrzeugbesitzern freiwillig eine Kompensation zahlen, die vergleichbar mit der ist, die den US-Konsumenten gezahlt wird", sagte EU-Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska der "Welt am Sonntag".

VW argumentiert damit, dass die betroffenen Fahrzeuge nach der Umrüstung dem technischen Stand entsprechen und weitere Forderungen unbegründet seien. Auch sei die Rechtslage in den USA, wo der Dieselskandal aufgedeckt wurde, eine andere. "Es ist unfair, wenn sich Volkswagen hinter diesen rechtlichen Erwägungen versteckt", sagt Bienkowska. "Es ist nicht meine Rolle, Volkswagen Ratschläge zu erteilen. Aber die Konsumenten in Europa anders zu behandeln als die US-Konsumenten ist kein Weg, das Vertrauen wiederzuerlangen."

Wie steht es mit Klagen in Deutschland?

Die Finanzaufsicht BaFin hat laut Medienberichten den gesamten VW-Vorstand verklagt. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt allerdings nur gegen zwei Beschuldigte wegen des Verdachts der Marktmanipulation: Ex-Vorstandschef Martin Winterkorn und den aktuellen Markenvorstand Herbert Diess.

Der Vorwurf: VW hat am 22. September mitgeteilt, dass der Konzern Unregelmäßigkeiten bei „einer verwendeten Software bei Dieselmotoren“ untersucht. Die US-Umweltbehörde EPA hatte den Konzern aber bereits am 18. September öffentlich beschuldigt, Schadstoffwerte manipuliert zu haben – gegenüber der EPA hatte Volkswagen sogar schon am 3. September den Einbau der Schummelsoftware zugegeben. Die BaFin kam in ihren eigenen Ermittlungen offenbar zu dem Schluss, dass VW Informationen, die für die Bewertung einer Aktie wichtig sind, nicht rechtzeitig veröffentlicht hat – wozu der Konzern laut Wertpapierhandelsgesetz gezwungen ist.

Matthias Müller über...

Bereits durch die EPA-Ankündigung hatte der Kurs der VW-Vorzugsaktien am 18. September zweistellig nachgegeben. Als Volkswagen dann fünf Tage später seine Erklärung veröffentlichte, rutschte die Aktie erneut kräftig ins Minus.

Noch sind es lediglich Ermittlungen der Staatsanwaltschaft – ob diese Ermittlungen in einer Klage münden, ist offen. Und selbst bei einer Anklage ist nicht gesichert, dass auch ein Strafprozess eröffnet wird.

Was ist mit den Schadensersatzklagen in Deutschland?

Hier sind einige Klagen beim Landgericht Braunschweig anhängig, etwa von der Kanzlei Quinn Emanuel, die mehrere US-Fonds und den norwegischen Staatsfonds vertritt, sowie von Rechtsanwalt Andreas Tilp, der im Namen von 278 institutionellen Investoren und 1129 Kleinanlegern Schadensersatz von VW fordert.

Einen möglichen Strafprozess gegen VW-Manager sehen die Anleger-Anwälte aber kritisch. „Strafprozesse sind für uns eher schädlich, weil dann meist der Eifer des Zivilgerichts erlahmt“, sagt Tilp. Grundsätzlich hält er seine Klage für aussichtsreicher: Denn anders als die Staatsanwälte müsse er der VW-Führung keinen Vorsatz nachweisen. Auch Nadine Herrmann von der Kanzlei Quinn Emanuel, die für US-Fonds klagt, sieht nur begrenzten Zusammenhang: „Vielleicht liefert das Verfahren neue Erkenntnisse, mehr nicht.“ Sie erwartet, dass sich das Verfahren, wenn es überhaupt eröffnet wird, bis zu zehn Jahre hinziehen wird.

Warum es keine Neuigkeiten bei der Aufklärung gibt

Was sind die nächsten wichtigen Termine?

Bereits am Mittwoch müssen sich VW-Vorstandschef Matthias Müller und der Aufsichtsratsvorsitzende Hans Dieter Pötsch bei der Hauptversammlung der Konzernmutter Porsche SE direkt den Aktionären stellen – sprich den Familien Porsche und Piëch. Bei der Hauptversammlung von Volkswagen in der vergangenen Woche hatten sich die Familien hinter Vorstand und Aufsichtsrat gestellt.

von Florian Willershausen, Lea Deuber, Rebecca Eisert, Karin Finkenzeller, Martin Fritz, Tim Rahmann, Martin Seiwert

Die nächsten wichtigen Termine im Finanzkalender stehen erst Ende Juli an: Am 26. Juli der Gerichtstermin bei Richter Charles Breyer und am 29. Juli will VW über das zweite Geschäftsquartal 2016 Bericht anlegen.

Was ist der Stand der Aufklärung?

Hier gibt es seit Ende April keine Neuigkeiten. Damals hatte der Konzern nicht nur den Rekordverlust für 2015, sondern auch die Grundsatz-Einigung in den USA verkündet. Um die Verhandlungen nicht zu gefährden, hat Volkswagen auf anraten der Anwälte den angekündigten Zwischenbericht der mit der Aufarbeitung beauftragten Kanzlei Jones Day nicht veröffentlicht. Bei der Hauptversammlung vergangene Woche beteuerten Müller und Pötsch erneut, dass sie gerne Ergebnisse präsentieren würden – dies aus verhandlungstaktischen Gründen aber nicht können.

Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass in den kommenden Wochen neue Details über die Verursacher des Skandals bekannt werden. Wenn etwas bei Volkswagen in den vergangenen Monaten funktioniert hat, dann war es der selbst auferlegte Maulkorb. Der Bericht wird jetzt für das letzte Quartal dieses Jahres erwartet.

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