VW-Abgas-Skandal „Mit Werbeslogans lässt sich die Krise nicht bewältigen“

Am 3. Mai beginnt die nächste Stufe der VW-Rückruf-Aktion in Deutschland. Damit werden die technischen Fehler behoben – der Schaden an der Marke bleibt. Wie VW den beheben kann, erklärt Markenexperte Jürgen Gietl.

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Matthias Müller, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG Quelle: dpa

WirtschaftsWoche: Bei Volkswagen beginnt das große Reinemachen, mit dem Golf wird die erste wichtige Baureihe zurückgerufen. In den USA erhalten betroffene Kunden zudem 5000 Dollar Schadensersatz – in Europa sollen sie leer ausgehen. Würde es der Marke VW helfen, den europäischen Kunden das gleiche anzubieten?

Jürgen Gietl: Die Kunden leben in einer transparenten Welt, also merken die Deutschen, dass sie schlechter behandelt werden als die Amerikaner. VW stärkt damit den Eindruck, dass es wichtiger ist, die eigene Haut zu retten, als die durch die Manipulation entstandenen Nachteile für die Käufer auszugleichen. Dass in den USA eine Entschädigung gezahlt wird, liegt allerdings eher an den rechtlichen Rahmenbedingungen dort, nicht an den Kunden. All das wird aus Kundensicht sicher nicht als integer wahrgenommen – und das ist problematisch.

Markenexperte Jürgen Gietl Quelle: Presse

Inwiefern?
Wenn es um das Thema Vertrauen und Reputation geht, ist Integrität für Marken eines der wichtigsten Kriterien. VW steht vor dem Problem, dass sie auf der einen Seite den finanziellen Schaden so gering wie möglich halten und auf der anderen die Reputation zurückgewinnen müssen. Von außen ist es schwer zu beurteilen, was in Anbetracht dessen finanziell und technisch notwendig ist, um den Konzern aus dieser schweren Lage zu befreien.

Wie kann VW zumindest die Reputation zurückgewinnen?
Als erstes muss die VW-Führung persönliche und unternehmerische Vorteile in den Hintergrund rücken und sich wieder auf den Kunden beziehen. Aktuell gewinnt man den Eindruck, Kunden spielen überhaupt keine Rolle mehr – Entscheidungen werden nur aus finanziellem Kalkül getroffen. Der Schaden an der Marke ist ohnehin schon enorm. In der aktuellen Situation am Kunden zu sparen, ist strategisch nicht sinnvoll. Noch wichtiger ist es aber, dass das, wofür Volkswagen steht, wieder  zum Auftritt der Konzern- und Markenführung passt. Die Marke muss das halten, was sie verspricht und wofür sie steht.

Wie VW die „Dieselgate“-Drahtzieher finden will

Und das wäre?
Die Marke VW steht für begehrliche Autos, die mit höchster Qualität, Innovationskraft und Wertbeständigkeit aufwarten.  Dabei bewegen sie sich in einer Preislage, die diese Vorteile vielen Kunden zugänglich macht. Jetzt gilt es, das gesamte Unternehmen wieder dementsprechend zu führen, um wieder glaubwürdig nach außen kommunizieren zu können.

"Profit wird VW daraus nicht schlagen können"

Diskussionen über die Höhe der Boni für den Vorstand sind da wohl wenig hilfreich.
Genauso wie die unterschiedlichen Kundenentschädigungen und die andauernde Unklarheit über die Mitwisserschaft von noch aktiven Managern.

Wie bewerten Sie in Anbetracht dessen Werbebotschaften wie: „Es geht um mehr als ein Auto, es geht darum Versprechen zu halten“, die VW nach Bekanntwerden des Skandals lancierte?
Solche Werbeslogans sind weiter nichts als ein Versprechen für die Zukunft – so wird die Krise nicht bewältigt. Vertrauen entsteht durch gehaltene und nicht durch abgegebene Versprechen.

Gibt es aus ihrer Sicht irgendwelche vergleichbaren Skandale, von denen VW lernen kann? Andere Autobauer haben mit Todesfällen zu kämpfen gehabt – ob defekter Airbags oder Bremsen.
Das sind jeweils völlig unterschiedliche Fälle. Dabei ging es um technisches Versagen – bei VW hat es eine andere Dimension, es geht um Vertrauensmissbrauch, um das Entkoppeln von Unternehmens- und Kundeninteressen. VW scheint sich aufgrund seiner Machtposition nicht mehr dem Kunden verpflichtet zu fühlen. Doch das ist das, was VW zu einem der erfolgreichsten Automobilkonzerne der Welt gemacht hat.

Nutzt es VW, dass nun bekannt wurde, dass auch andere deutsche Hersteller problematische Abgaswerte haben?
Das bezweifle ich. Die Probleme der anderen Hersteller machen die Krise für VW nicht schlimmer, beschädigen aber weiter die Marke „Made in Germany“. Profit wird VW daraus nicht schlagen können.

Was bei der Rückruf-Aktion auf VW-Besitzer zukommen könnte

Glauben Sie, die Marke VW wird noch einmal zu ihrem alten Glanz zurückfinden können?
Das glaube ich durchaus. Aber dafür muss das Management erst einmal verstehen, dass es nicht nur die Aufgabe der Kommunikationsabteilung ist, die Reputation wiederherzustellen. Slogans wie der von Ihnen zitierte helfen nicht. Die Glaubwürdigkeit kehrt nur zurück, wenn jeder im Unternehmen versteht, dass er eine Außenwirkung hat, dass er Teil des Marketings ist. Jeder Manager, jeder im Aufsichtsrat, jeder Mitarbeiter – egal ob er in der Produktion verantwortlich ist oder Finanzkennzahlen veröffentlicht. Sie alle müssen deutlich machen, dass der Kunde im Mittelpunkt des Handelns steht. Die Signale, die aktuell nach Außen gehen, sprechen nicht dafür.

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