Dem größten Skandal eines deutschen Autobauers in den USA schien am Mittwoch die erste Spitze genommen. VW bekannte sich schuldig, mit seinen Angaben für Diesel-Abgase Behörden und Kunden betrogen, Umweltrecht verletzt und die Justiz behindert zu haben. 4,1 Milliarden Euro muss VW dafür an Strafe hinblättern. Insgesamt sieben VW-Manager werden wegen Betrugs in den USA angezeigt.
Ausgestanden ist die Causa Abgas-Betrug trotz des Vergleichs nicht. Zwar können die Vorstände in Wolfsburg aufatmen, weil sie vorerst verschont bleiben. Doch Sally Yates, die stellvertretende US-Generalstaatsanwältin, betonte am Mittwoch, dass die Ermittlungen trotz der Einigung noch nicht abgeschlossen sind. Besonders die Vernehmungen beschuldigter VW-Mitarbeiter werden schon bald zeigen, ob noch weitere Manager im Volkswagen-Konzern bangen müssen.
Der entscheidende Punkt: Von den bereits genannten Verstößen hat sich Volkswagen quasi freigekauft. Die persönlichen Vorwürfe gegen die sechs beschuldigten Manager, die bei der Entwicklung, Vermarktung der betroffenen Motoren und vor allem der Vertuschung vor den Behörden beteiligt gewesen sein sollen, werden jedoch nicht fallen gelassen.
FBI nimmt deutschen Manager fest
Es handelt sich um einen VW-Mitarbeiter, der nach Angaben der US-Behörden seit 1997 für den Konzern tätig ist. Von 2012 bis März 2015 soll er als führender Angestellter in den USA mit Umweltfragen betraut gewesen sein. Das US-Justizministerium wirft ihm eine Beteiligung beim massenhaften Abgasbetrug vor. VW hatte im September 2015 nach Vorwürfen der US-Umweltbehörden zugegeben, bei Hunderttausenden Dieselautos mit einer speziellen Software die Emissionswerte gefälscht zu haben.
Der VW-Manager war laut FBI-Angaben im Urlaub in Florida - was sich seit der Festnahme ereignete, gleicht einem Krimi: Der Beschuldigte landete bereits am Montag erstmals in Miami vor Gericht - er wurde dort laut US-Medien filmreif in Handschellen und Gefängnisuniform vorgeführt. Der Richter ordnete an, dass der Mann in Gewahrsam bleibt. Die in dem Verfahren zuständige Bundesanwaltschaft in Detroit drängt auf eine rasche Auslieferung - am Donnerstag schon soll der VW-Mitarbeiter in Michigan vor den Richter kommen.
In den Gerichtsdokumenten zur Strafanzeige werden heftige Vorwürfe gegen das Management erhoben. Demnach war die Konzernspitze nicht nur seit Juli 2015 in die Manipulationen eingeweiht, sie soll die zuständigen US-Mitarbeiter sogar autorisiert haben, den Betrug gegenüber den US-Behörden weiter zu leugnen. Solche Anschuldigungen sind zwar nicht gänzlich neu, doch diesmal stützt sich die US-Justiz auf die eidesstattliche Erklärung eines FBI-Agenten und Aussagen gleich mehrerer Konzern-Insider. Einer der Zeugen behauptet, er habe sich über die Vorgaben seiner Vorgesetzten hinweggesetzt, als er die Tricksereien letztlich gegenüber den US-Behörden einräumte.
Im September hatte sich bereits ein langjähriger VW-Ingenieur im Zuge einer ersten Strafanzeige schuldig im Abgas-Skandal erklärt und den Behörden im Rahmen eines Kronzeugen-Deals Kooperation zugesichert. In den USA können Beklagte ihr Strafmaß in Kriminalfällen deutlich senken, wenn mit ihren Aussagen zur Aufklärung beitragen. Laut Gerichtsdokumenten gibt es zwei weitere VW-Insider, die als Zeugen mit den Ermittlern zusammenarbeiten. Ihnen sei zugesichert worden, im Gegenzug nicht in den USA angeklagt zu werden. Möglicherweise hat die US-Justiz noch zusätzliche VW-Manager im Visier - bei Strafanzeigen ist es in den USA durchaus üblich, dass sie erst mit deutlichem Zeitverzug öffentlich gemacht werden.
Die Strafanzeige platzt mitten in die Verhandlungen zwischen VW und dem US-Justizministerium um einen Vergleich zur Beilegung strafrechtlicher Ermittlungen. Hierbei geht es allerdings um die Konzernebene und nicht um Anschuldigungen gegen in die Affäre verwickelte Personen. Laut US-Medien könnten VW und die US-Justiz bereits in dieser Woche einen Milliarden-Vergleich schließen, der auch noch weitere zivilrechtliche Bußgelder umfasst. Mit zahlreichen Dieselbesitzern, Autohändlern und US-Behörden hat der Konzern sich in einem zivilrechtlichen Mammut-Verfahren bereits auf außergerichtliche Kompromisse geeinigt, die über 17 Milliarden Dollar kosten könnten.
Abseits der milliardenschweren Kosten in den USA droht den Wolfsburgern auch in Europa weiter Ungemach. Angesichts der hohen Entschädigungszahlungen für Dieselbesitzer in den USA werden die Rufe der Verbraucherschützer nach Wiedergutmachung für europäische Kunden immer lauter. Hunderte Einzelklagen von Autobesitzern gegen VW oder Händler laufen allein in Deutschland - die Kläger könnten davon profitieren, dass die EU ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eröffnet hat. Volkswagen stellt sich bei der Frage nach Entschädigungen nach wie vor quer und argumentiert, die Betrugssoftware sei in Europa nicht gesetzeswidrig.
Strafrechtlich ermittelt wird aber in Deutschland gegen VW-Angestellte und Manager, unter anderem wegen der Software-Manipulationen. Anklage wurde aber noch nicht erhoben. Weltweit sind rund elf Millionen Wagen von der „Dieselgate“-Affäre betroffen. Die Ermittler gehen daneben dem Verdacht nach, dass unter anderem Ex-Konzernchef Martin Winterkorn und der jetzige Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch den Finanzmarkt zu spät über den aufgeflogenen Skandal ins Bild gesetzt haben.
Einer der betroffenen Männer, der eher dem mittleren Management zugeordnet werden kann, war am Samstag vom FBI in Miami festgenommen worden. Er war von 2012 bis Februar 2015 in Volkswagens „Engineering and Environmental Office“ in den USA tätig. Die anderen Beschuldigten halten sich laut der US-Justiz vermutlich in Deutschland auf.
Weitere „Mit-Verschwörer“ werden noch gesucht
Die Anzeige schlüsselt detailliert den Ursprung des „Defeat Device“ auf, wann und wie die Software entworfen, weiterentwickelt und vertuscht wurde. Dabei zitieren die Ermittler auch aus internen E-Mails. So soll laut dem Schriftverkehr eines der Beschuldigten ein Manager ihm gegenüber telefonisch erklärt haben, „warum ein anderer Angestellter nicht mehr an künftigen CARB-Treffen teilnehmen soll – damit er nicht mehr andauernd lügen muss“. CARB ist die kalifornische Umweltbehörde California Air Resources Board.
In der 39-seitigen Strafanzeige ist jedoch durchgängig von den sechs Männern „und ihren Mit-Verschwörern“ die Rede – sollten sich im Laufe der Ermittlungen noch neue Verdachtsmomente ergeben, könnte also die Anzeige um weitere Verdächtige erweitert werden.
Ein mit dem Fall vertrauter Strafrechtsexperte äußerte sich gegenüber der WirtschaftsWoche über das Prozedere der Einvernahmen in den USA, die nun stattfinden: „Für gewöhnlich zeigt in solchen Fällen jeder mit dem Finger auf andere und versucht, die eigene Schuld möglichst auf andere abzuwälzen. Und natürlich versuchen Angeklagte in solchen Fällen, Deals mit den Anklägern zu schließen.“ Wie weit diese Schuldzuweisungen reichen und ob sie dem VW-Vorstand noch gefährlich werden könnten, ist noch nicht abzuschätzen.
Warum die Beschuldigten in Deutschland bleiben sollten
Einen Zeitrahmen für die kommenden Entwicklungen in der Abgas-Affäre könnte der Fall des VW-Kronzeugen James L. bieten – des einzigen VW-Vertreters, der neben den sechs Beschuldigten bislang von der US-Justiz angeklagt wurde. Der deutsche Staatsbürger L. arbeitete im US-Testcenter von Volkswagen im kalifornischen Oxnard und bekannte sich schuldig, die Abschaltvorrichtung für die betroffenen Dieselmotoren mit entwickelt zu haben. Im Juni vergangenen Jahres wurde er festgenommen und im September angeklagt. Bereits Mitte Januar war ein Urteil gegen James L. erwartet worden. Dies dürfte sich nun um einige Monate verschieben. Der Anwalt von James L., der Frankfurter Strafverteidiger Gero von Pelchrzim, war für eine Auskunft nicht zu erreichen. Seine Kanzlei teilte mit, dass von Pelchrzim für ein Mandat in den USA weilt.
Das Urteil gegen James L. dürfte auch ein Indikator dafür sein, wie die US-Justiz mit den Angeklagten im VW-Fall umgeht. Mit einem harten Urteil könnte die Justiz die Aussagebereitschaft der anderen Angeklagten möglicherweise zu erhöhen versuchen.
Unabhängig von der strafrechtlichen Aufarbeitung gegen einzelne Manager und Ingenieure hat VW mit dem aktuellen Milliardenvergleich eine Baustelle in den USA geschlossen. Neben den 4,1 Milliarden Euro Strafzahlung hatte Volkswagen sich bereits bei Hunderten US-Zivilklagen von Kunden, Autohändlern und Behörden auf Vergleiche geeinigt, die über 17 Milliarden Dollar kosten könnten. Im September 2015 hatte der Konzern eingeräumt, die Emissionswerte Hunderttausender Dieselwagen in den USA gefälscht zu haben. Dies stürzte Volkswagen in eine tiefe Krise.
Trotz des Vergleichs zwischen VW und dem US-Justizministerium raten namhafte Strafverteidiger VW-Vorständen jedenfalls nicht zu Reisen in die USA. Die Gefahr, dass die Behörden sie festhalten könnten, sei nach wie vor nicht gebannt, sagten mehrere Juristen gegenüber der WirtschaftsWoche.
Das gilt auch für die fünf derzeit noch freien Beschuldigten: Deutschland liefert zwar keine Bundesbürger an Länder außerhalb der EU aus, doch die USA können einen internationalen Haftbefehl beantragen – damit könnten die Beschuldigten festgesetzt werden, wenn sie Deutschland verlassen.
„Wir raten Klienten, gegen die im Ausland ermittelt wird, immer, das deutsche Staatsgebiet nicht zu verlassen“, sagte der Bonner Anwalt Heiko Lesch der Nachrichtenagentur „Bloomberg“. „Das gilt für jede Untersuchung im Ausland, zumindest wenn wir über ernste Vergehen sprechen.“