Dieselgate, das als bislang größter Skandal der Autobranche weltweit in die Geschichte eingeht, sei das Werk einiger weniger Ingenieure gewesen. An dieser Darstellung hält der Konzern bis heute fest. Der Betrug, der Volkswagen mehr als 20 Milliarden Dollar alleine in den USA kosten wird, ist das eine – die jahrelange Vertuschung eine andere.
Der Ursprung des Betrugs selbst gilt inzwischen als gesichert: Als der Vorstand beschloss, den US-Markt mit einem sparsamen Dieselmotor zu erobern, standen die Techniker vor einem großen Problem. Sie konnten die strengen Stickoxid-Vorschriften nicht einhalten, ohne dass die Kosten explodierten.
Unter der Aufsicht zweier leitender Ingenieure, die ebenfalls von der Strafanzeige in den USA betroffen sind, entwickelten die Mitarbeiter die Schummelsoftware, also jenes „Defeat Device“, das dem Motor EA189 verhalf, auf dem Prüfstand die Grenzwerte einzuhalten, auf der Straße aber nicht.
Zwei Ingenieure und ihr Team, hier trägt die These von der kleinen Gruppe an Verantwortlichen noch.
Die Entwicklung und der Einbau der manipulierenden Abgas-Software, die Zertifizierung der betroffenen Autos in den USA und letztlich deren Verkauf sind durch den aktuellen Vergleich in Höhe von 4,3 Milliarden Dollar mit dem US-Justizministerium weitestgehend abgegolten. Nicht aber die persönliche Verantwortung, die einige Ingenieure und Manager in den Folgejahren wegen der Vertuschung des Betrugs zu tragen haben.
Wie ernst es die US-Justiz bei der Aufklärung der Vertuschung meint, ist spätestens seit Donnerstagabend klar: Da gaben die US-Behörden bekannt, dem am vergangenen Wochenende in Florida festgenommenen Oliver Schmidt nicht auf Kaution freizulassen. Ihm drohen bis zu 169 Jahre Freiheitsstrafe – und das, obwohl Schmidt erst seit 2012 (also Jahre nach dem ursprünglichen Betrug) VW-intern mit dem Fall befasst war. Aber laut der gegen ihn und fünf weitere Manager erhobenen Strafanzeige spielte Schmidt eine entscheidende Rolle bei der Geheimhaltung der Software.
FBI nimmt deutschen Manager fest
Es handelt sich um einen VW-Mitarbeiter, der nach Angaben der US-Behörden seit 1997 für den Konzern tätig ist. Von 2012 bis März 2015 soll er als führender Angestellter in den USA mit Umweltfragen betraut gewesen sein. Das US-Justizministerium wirft ihm eine Beteiligung beim massenhaften Abgasbetrug vor. VW hatte im September 2015 nach Vorwürfen der US-Umweltbehörden zugegeben, bei Hunderttausenden Dieselautos mit einer speziellen Software die Emissionswerte gefälscht zu haben.
Der VW-Manager war laut FBI-Angaben im Urlaub in Florida - was sich seit der Festnahme ereignete, gleicht einem Krimi: Der Beschuldigte landete bereits am Montag erstmals in Miami vor Gericht - er wurde dort laut US-Medien filmreif in Handschellen und Gefängnisuniform vorgeführt. Der Richter ordnete an, dass der Mann in Gewahrsam bleibt. Die in dem Verfahren zuständige Bundesanwaltschaft in Detroit drängt auf eine rasche Auslieferung - am Donnerstag schon soll der VW-Mitarbeiter in Michigan vor den Richter kommen.
In den Gerichtsdokumenten zur Strafanzeige werden heftige Vorwürfe gegen das Management erhoben. Demnach war die Konzernspitze nicht nur seit Juli 2015 in die Manipulationen eingeweiht, sie soll die zuständigen US-Mitarbeiter sogar autorisiert haben, den Betrug gegenüber den US-Behörden weiter zu leugnen. Solche Anschuldigungen sind zwar nicht gänzlich neu, doch diesmal stützt sich die US-Justiz auf die eidesstattliche Erklärung eines FBI-Agenten und Aussagen gleich mehrerer Konzern-Insider. Einer der Zeugen behauptet, er habe sich über die Vorgaben seiner Vorgesetzten hinweggesetzt, als er die Tricksereien letztlich gegenüber den US-Behörden einräumte.
Im September hatte sich bereits ein langjähriger VW-Ingenieur im Zuge einer ersten Strafanzeige schuldig im Abgas-Skandal erklärt und den Behörden im Rahmen eines Kronzeugen-Deals Kooperation zugesichert. In den USA können Beklagte ihr Strafmaß in Kriminalfällen deutlich senken, wenn mit ihren Aussagen zur Aufklärung beitragen. Laut Gerichtsdokumenten gibt es zwei weitere VW-Insider, die als Zeugen mit den Ermittlern zusammenarbeiten. Ihnen sei zugesichert worden, im Gegenzug nicht in den USA angeklagt zu werden. Möglicherweise hat die US-Justiz noch zusätzliche VW-Manager im Visier - bei Strafanzeigen ist es in den USA durchaus üblich, dass sie erst mit deutlichem Zeitverzug öffentlich gemacht werden.
Die Strafanzeige platzt mitten in die Verhandlungen zwischen VW und dem US-Justizministerium um einen Vergleich zur Beilegung strafrechtlicher Ermittlungen. Hierbei geht es allerdings um die Konzernebene und nicht um Anschuldigungen gegen in die Affäre verwickelte Personen. Laut US-Medien könnten VW und die US-Justiz bereits in dieser Woche einen Milliarden-Vergleich schließen, der auch noch weitere zivilrechtliche Bußgelder umfasst. Mit zahlreichen Dieselbesitzern, Autohändlern und US-Behörden hat der Konzern sich in einem zivilrechtlichen Mammut-Verfahren bereits auf außergerichtliche Kompromisse geeinigt, die über 17 Milliarden Dollar kosten könnten.
Abseits der milliardenschweren Kosten in den USA droht den Wolfsburgern auch in Europa weiter Ungemach. Angesichts der hohen Entschädigungszahlungen für Dieselbesitzer in den USA werden die Rufe der Verbraucherschützer nach Wiedergutmachung für europäische Kunden immer lauter. Hunderte Einzelklagen von Autobesitzern gegen VW oder Händler laufen allein in Deutschland - die Kläger könnten davon profitieren, dass die EU ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eröffnet hat. Volkswagen stellt sich bei der Frage nach Entschädigungen nach wie vor quer und argumentiert, die Betrugssoftware sei in Europa nicht gesetzeswidrig.
Strafrechtlich ermittelt wird aber in Deutschland gegen VW-Angestellte und Manager, unter anderem wegen der Software-Manipulationen. Anklage wurde aber noch nicht erhoben. Weltweit sind rund elf Millionen Wagen von der „Dieselgate“-Affäre betroffen. Die Ermittler gehen daneben dem Verdacht nach, dass unter anderem Ex-Konzernchef Martin Winterkorn und der jetzige Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch den Finanzmarkt zu spät über den aufgeflogenen Skandal ins Bild gesetzt haben.
Doch der Reihe nach: Aus der 39-seitigen Strafanzeige und der „Darstellung der Fakten“, die das Justizministerium auf Basis der Ermittlungen des Ministeriums, des FBI und der VW-internen Ermittler der Kanzlei Jones Day veröffentlicht hat, lässt sich in der frühen Entwicklungsphase des EA189 und während des Verkaufs der ersten Generation des Motors von 2007 bis 2011 keine Verwicklung hoher Manager oder gar Vorstände nachweisen.