VW-Abgas-Skandal Warum Ferdinand Piëch wieder im Fokus steht

Zuletzt ging es um die Rolle Martin Winterkorns im Abgasskandal bei VW. Seit dem Wochenende steht aber wieder Ferdinand Piëch mit seiner Aussage vor der Staatsanwaltschaft im Fokus. Die wichtigsten Fakten im Überblick.

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Ex-VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch Quelle: dpa

So schnell kann sich das Blatt wenden: Der VW-Großaktionär und frühere Firmenpatriarch Ferdinand Piëch muss sich unter Umständen auf Schadenersatzforderungen des Konzerns einstellen. Noch am Freitag lag der Fokus auf den Versäumnissen Martin Winterkorns – erneut angefeuert durch eine Aussage Piëchs. Nur zwei Tage später steht aber der frühere Aufsichtsratsvorsitzende in der Kritik. Die wichtigsten Antworten im Überblick.

Warum steht jetzt Ferdinand Piëch am Pranger?

Piëch hatte gegenüber der Staatsanwaltschaft Braunschweig ausgesagt, dass er den damaligen Vorstandschef Martin Winterkorn früher als bisher zugegeben über die Manipulation der Diesel-Motoren unterrichtet habe. Träfe die Aussage zu, dann stelle sich die Frage, "ob Professor Piëch seine Pflichten als damaliger Aufsichtsratsvorsitzender erfüllt hat", sagte Hofmann der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Dann seien mögliche Haftungsansprüche zu prüfen. Sprich: Wenn Piëch über die Manipulationen sowie deren mögliche wirtschaftliche Auswirkungen informiert war und untätig blieb, könnte er seine Aufsichtspflicht verletzt haben.

Was hat Piëch der Staatsanwaltschaft gesagt?

Das ist nicht genau überliefert, sämtliche Informationen darüber beziehen sich auf einen Bericht des "Spiegel" vom Freitag. Piëch habe in einer ausführlichen Aussage bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig erklärt, Winterkorn habe früher als bislang eingeräumt von dem Dieselbetrug erfahren, so das Magazin. Demnach soll der später im Groll bei VW ausgeschiedene Piëch Ende Februar 2015 von einem Informanten den Hinweis erhalten haben, dass VW ein großes Problem in den USA habe, weil das Unternehmen mit einer Software die Abgaswerte manipuliere. Hinweise darauf hätten die US-Behörden bereits an VW weitergeleitet.

Piëch sagte offenbar bereits im Dezember vor der Staatsanwaltschaft aus, er habe Winterkorn damals auf seine Informationen angesprochen. Doch habe der ihm versichert, ein solches Papier aus den USA mit Hinweisen auf die Manipulation existiere nicht.

Wie ist Winterkorns Darstellung?

Winterkorn hat mehrfach beteuert, erst im September 2015 von den millionenfachen Abgasmanipulationen erfahren zu haben. Im Januar hatte Winterkorn noch vor dem Abgas-Untersuchungsausschuss des Bundestages seine Unschuld beteuert. "Ich hätte den Betrug nie für möglich gehalten und bin tief bestürzt", sagte Winterkorn laut Zuhörern vor dem Ausschuss. "Es ist nicht zu verstehen, warum ich nicht frühzeitig und eindeutig informiert wurde. Auch ich selbst suche nach befriedigenden Antworten."

Zu dem aktuellen Bericht erklärte Winterkorns Anwalt, sein Mandant habe "erst vor wenigen Tagen von der Existenz einer weitergehenden Aussage des ehemaligen Aufsichtsratsvorsitzenden, Prof. Dr. F. Piëch, erfahren". Einzelheiten dieser Aussage kenne Winterkorn nicht. Er werde sich äußern, sobald er Akteneinsicht habe.

Wie hängen die aktuellen Entwicklungen mit dem Machtkampf im Frühjahr 2015 zusammen?

Das lässt sich nicht mit Gewissheit sagen, da sich weder Winterkorn noch Piëch zu den Gründen des Machtkampfs geäußert haben. Der damalige Aufsichtsratschef hatte im April 2015 gegenüber dem "Spiegel" gesagt, er sei "auf Distanz zu Winterkorn". Damit durchkreuzte Piëch Winterkorns Hoffnung, ihn als Aufsichtsratschef beerben zu können.

Warum Piëch von Winterkorn abrückte, blieb im Dunkeln. Spekuliert wurde über eine Unzufriedenheit Piëchs über die konstant hohen Produktionskosten und die damit verbundene Ertragsschwäche der Marke VW sowie den jahrelangen Misserfolg in den USA. Dabei soll es aber laut den Gerüchten aus dem Jahr 2015 nicht um Diesel-Manipulationen, sondern um die verfehlte Modellpolitik in den USA gegangen sein.

Fakt ist: Winterkorn überstand den Machtkampf gegen seinen einstigen Ziehvater – Piëch und seine Gattin Ursula zogen sich daraufhin von allen aktiven Posten im Konzern zurück und sind seitdem über die Porsche SE noch Anteilseigner von Volkswagen.

Wie waren die Abläufe im Frühjahr 2015?

Stand Piëch auch während des Machtkampfs in der Kritik?

Ja. Piëch hatte im Kern der ihm zugeschriebenen Kritik – die Renditeschwäche und die verfehlte US-Modellpolitik – Recht. Doch in zwei Punkten wurden bereits damals Gegenstimmen laut: Wenn Volkswagen über Jahre solche Probleme angehäuft habe, hätte er das als Vorsitzender des Aufsichtsrats früher erkennen und intern ansprechen müssen – dazu ist ein Aufsichtsrat da. Und wenn diese Sachkritik zuträfe, hätte Winterkorn nicht zum bestbezahlten Manager der Republik aufsteigen dürfen: Seine Ziele erreichte er zu weit über 90 Prozent und kassierte entsprechende Millionen-Boni. Wenn es wirklich so schlimm um die Zukunftsfähigkeit des Konzerns gestanden wäre, hätte das vom Aufsichtsrat etablierte Vergütungsmodell versagt.

Wie waren die Abläufe im Frühjahr 2015?

Mit der Aussage Piëchs ist die Rekonstruktion der Ereignisse nochmals komplexer geworden. Fakt ist: Die US-Ermittler waren der Abgas-Manipulation schon damals auf der Spur, auch wenn es anfangs nur darum ging, die Abweichungen zwischen Prüfstands- und Straßentest zu erklären. Laut den Dokumenten, welche die US-Ermittler mithilfe des FBI und der internen Aufklärung von Volkswagen zusammengetragen haben, waren zu dieser Zeit hochrangige VW-Manager damit beschäftigt, die Manipulation geheim zu halten und den Betrug vor den Behörden zu vertuschen. Der hochrangigste Manager war der damalige Entwicklungschef der Marke VW Heinz-Jakob Neußer – im Markenvorstand unterstand er Winterkorn direkt.

Ob Winterkorn im Februar 2015, also zu jenem Zeitpunkt, zu dem Piëch nach seiner Aussage informiert wurde, ebenfalls in vollem Ausmaß über den Skandal im Bilde war, lässt sich noch nicht belegen. Fakt aber ist, dass weder Winterkorn noch Piëch etwas unternommen haben.

Im April erfolgte dann das legendäre Zitat Piëchs, mit dem der Aufsichtsratsvorsitzende den Machtkampf in die Öffentlichkeit brachte. In den zahlreichen Sondersitzungen des Aufsichtsrats und des Aufsichtsratspräsidiums, die sich bis in den Juni hineinzogen, war aber nie vom Diesel die Rede – zumindest ist das nicht bis an die Öffentlichkeit durchgedrungen, andere Details aber schon.

Was sich inzwischen kaum noch bestreiten lässt, sind die Geschehnisse am 27. Juni 2015: Bei einer VW-intern "Schadenstisch" genannten Sitzung wurde unter Anwesenheit von Winterkorn auch über den Diesel-Skandal und die manipulative Abgas-Software gesprochen. Es sind auch von Teilnehmern des Meetings Zitate von Winterkorn überliefert.

Wie ist der Stand der Ermittlungen?

Die Braunschweiger Staatsanwaltschaft hatte vor einer Woche erst die Ermittlungen gegen Winterkorn auf den Betrugsverdacht ausgeweitet. Laut den Strafverfolgern hatten sich "zureichende tatsächliche Anhaltspunkte" ergeben, dass der ehemalige Konzernchef früher als von ihm öffentlich behauptet von der Betrugssoftware und ihrer Wirkung gewusst haben könnte.

Dabei berief sich die Ermittlungsbehörde auf eigene Vernehmungen von Zeugen und die Auswertung beschlagnahmter Dateien. Sollte sich herausstellen, dass er früher davon wusste, hätten Anleger Argumente, um Schadensersatz für erlittene Kursverluste ihrer VW-Aktien zu fordern.

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