VW-Abgas-Skandal Ein Jahr Dieselgate – und nun?

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Was wusste der damalige VW-Boss Martin Winterkorn?

Das müssen die Ermittlungen der Braunschweiger Staatsanwaltschaft oder die von der US-Kanzlei Jones Day durchgeführte interne Untersuchung erst noch genau feststellen. Winterkorn selbst wurde am 23. Mai 2014 über eine Studie der kalifornischen Umweltbehörde Carb informiert, die Hinweise auf falsche Abgaswerte bei VW geliefert hat. Eine Notiz hätte seiner „umfangreichen Wochenendpost“ beigelegen, erklärte der Konzern Anfang März dieses Jahres.

Laut einem Bericht der „Bild am Sonntag“ soll Winterkorn bereits im März 2015 mit dem damaligen Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch über die überhöhten Abgaswerte gesprochen haben. Piëch soll laut dem Bericht den Jones-Day-Ermittlern gesagt haben, bei dem Gespräch auf dem Genfer Autosalon habe Winterkorn ihm versichert, „er habe die Sache im Griff“. Ob Winterkorn damals nur von den überhöhten Abgaswerten wusste oder zu diesem Zeitpunkt bereits über die illegale Abschaltvorrichtung informiert war, ist aber nicht klar.

So könnte VW die "Dieselgate"-Kosten schultern

Bislang konnten die Ermittlungen von Jones Day offenbar keine konkreten Hinweise für die Verwicklung eines Vorstandsmitglieds liefern. Die Aussagen von Liang lassen aber auch an der offiziellen Version der kleinen Gruppe von Ingenieuren als Hauptverantwortliche Zweifel aufkommen. Die New Yorker Staatsanwaltschaft schreibt immer von „Liang und seine Mitverschwörer“ – viele zum Teil hochrangige Ingenieure sollen durch E-Mail-Ketten Bescheid gewusst haben.

Selbst ohne direkte Mitwisserschaft sieht es damit für Winterkorn nicht gut aus: Als langjähriger Vorstandsvorsitzender und VW-Markenchef hätte er schwere Fehler bei der Überwachung gemacht, wenn ihm ein solches kriminelles Netzwerk in seinem Verantwortungsbereich nicht aufgefallen wäre. Der Konzern prüft schon Haftungsansprüche gegen seinen Ex-Chef.

Wann kommt der Aufklärungsbericht?

Ursprünglich sollte der Bericht der Kanzlei Jones Day, die von dem neuen Aufsichtsratsvorsitzenden Hans Dieter Pötsch beauftragt worden war, bereits zur Hauptversammlung vorgelegt werden. Dieses Versprechen hatte der Konzern aber auf Anraten der Anwälte später wieder kassiert – vor der damals noch ausstehenden Einigung mit den Behörden wollte Volkswagen offenbar kein weiteres Öl ins Feuer gießen. Oder keine möglichen Mittäter warnen. Oder erst mehr der schier unfassbaren Datenmengen auswerten.

Die Begründungen sind vielfältig. Wenn der Bericht nach Freigabe durch das US-Justizministerium irgendwann im vierten Quartal diesen Jahres veröffentlicht wird, wird aber auch eines fehlen: Namen. Persönliche Schuld sollen die Gerichte klären, bei den internen Ermittlungen wird es mehr um das Systemversagen gehen. Vielleicht kommen die Veröffentlichungen rund um James Liang den Jones-Day-Aufklärern zuvor.

Wie teuer wird der Skandal für VW?

Analysten schätzen, dass der Skandal den Konzern am Ende zwischen 20 und 35 Milliarden Euro kosten wird. Vereinzelt ist noch von bis zu 50 Milliarden Euro die Rede – zwischenzeitlich diskutierte dreistellige Milliarden-Summen sind aber vom Tisch.

Der in den USA geschlossene Vergleich umfasst rund 15 Milliarden Dollar. Damit ist der Skandal aber noch nicht ausgestanden: Mit 44 US-Bundesstaaten hat sich Volkswagen auf einen separaten 600-Millionen-Dollar-Vergleich geeinigt, hinzu kommen noch potenzielle Ansprüche von Kunden und geschädigten Anlegern.

Auch die Umrüstaktion in Europa und nicht zuletzt die Kosten für die unzähligen Anwälte gehen in die Milliarden. Immerhin: Konzernchef Matthias Müller sieht inzwischen die Gefahr einer existenziellen Bedrohung für VW gebannt. „VW hat die Kunden enttäuscht und zahlt dafür am Ende einen hohen Preis. Aber das Unternehmen wird weiter bestehen, auch wenn die Belastung am Ende extrem ist“, sagte Müller in diesem September in einem Interview mit der „Bild am Sonntag“.

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