Das müssen die Ermittlungen der Braunschweiger Staatsanwaltschaft oder die von der US-Kanzlei Jones Day durchgeführte interne Untersuchung erst noch genau feststellen. Winterkorn selbst wurde am 23. Mai 2014 über eine Studie der kalifornischen Umweltbehörde Carb informiert, die Hinweise auf falsche Abgaswerte bei VW geliefert hat. Eine Notiz hätte seiner „umfangreichen Wochenendpost“ beigelegen, erklärte der Konzern Anfang März dieses Jahres.
Laut einem Bericht der „Bild am Sonntag“ soll Winterkorn bereits im März 2015 mit dem damaligen Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch über die überhöhten Abgaswerte gesprochen haben. Piëch soll laut dem Bericht den Jones-Day-Ermittlern gesagt haben, bei dem Gespräch auf dem Genfer Autosalon habe Winterkorn ihm versichert, „er habe die Sache im Griff“. Ob Winterkorn damals nur von den überhöhten Abgaswerten wusste oder zu diesem Zeitpunkt bereits über die illegale Abschaltvorrichtung informiert war, ist aber nicht klar.
So könnte VW die "Dieselgate"-Kosten schultern
Der Abgas-Skandal kratzt nicht nur am Image des Volkswagen-Konzerns - er dürfte vor allem sehr teuer werden. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Kosten des Skandals und wie VW sie stemmen könnte.
Quelle: dpa
Darüber rätseln Beobachter derzeit. Bislang bekannt ist: Volkswagen hat 6,5 Milliarden Euro für Kosten aus dem Abgas-Skandal zurückgelegt. Das Geld ist aber wohl in erster Linie für eine technische Umrüstung der Autos mit Manipulations-Software bestimmt, wie Finanzchef Hans Dieter Pötsch laut dem Fachblatt „Automobilwoche“ kürzlich vor VW-Managern erklärte. Unklar ist, welche Strafzahlungen auf VW zukommen. Dazu dürften noch mindestens drei andere mögliche Kostenblöcke kommen: Strafzahlungen, Schadenersatzforderungen, Anwaltskosten. Wie hoch diese Ausgaben sein werden, lässt sich derzeit nur grob schätzen. Die Landesbank Baden-Württemberg rechnet derzeit mit einem Schaden von 47 Milliarden Euro für den Konzern. Ein möglicher Imageverlust und damit verbunden ein Rückgang der Autoverkäufe ist dabei noch nicht eingerechnet. Allerdings werden die Kosten wohl nicht auf einmal anfallen, sondern sich über Jahre verteilen.
Vergleichsweise viel. VW hat sich in den vergangenen Jahren ein stattliches Kapitalpolster zugelegt. Zur Jahresmitte hatte der Konzern rund 18 Milliarden Euro Bargeld auf dem Konto. Das ist mehr als ganze Dax-Konzerne wie Adidas oder Lufthansa einzeln an der Börse wert sind. „Über den Daumen gepeilt kann VW davon die Hälfte verwenden, um mögliche Kosten zu begleichen“, sagt Nord-LB-Analyst Frank Schwope. Dazu kommen bei VW noch schnell veräußerbare Wertpapiere über 15 Milliarden Euro und Schätzungen zufolge mindestens 5 Milliarden Euro aus dem Verkauf der Beteiligungen am ehemaligen Partner Suzuki und an einer niederländischen Leasingfirma.
Das ist sehr unwahrscheinlich. VW könnte sich über Anleihen und Kredite Geld leihen, auch wenn einige Ratingagenturen ihre Bewertungen der Kreditwürdigkeit des Konzerns zuletzt angepasst hatten. Wenn es irgendwann hart auf hart käme, könnte Volkswagen immer noch sein Tafelsilber verkaufen. Am einfachsten ließen sich wohl die Luxusmarken Bentley, Bugatti und Lamborghini aus dem Konzern herausnehmen. Nord-LB-Analyst Schwope schätzt den möglichen Verkaufserlös für die drei Marken und den Motorradhersteller Ducati auf 5 bis 10 Milliarden Euro. Durch einen Verkauf der Lastwagenbauer MAN und Scania ließen sich nach seinen Berechnungen sogar 30 bis 35 Milliarden Euro erzielen. Das wertvollste Juwel in der Sammlung, den Sportwagenbauer Porsche, dürften die VW-Anteilseigner kaum abgeben wollen.
Nur begrenzt. Eine Kapitalerhöhung - also die Ausgabe neuer Aktien - ist bei VW nicht so leicht wie in anderen Konzernen. Damit die Familien Porsche und Piëch sowie das Land Niedersachsen als Anteilseigner ihre Macht im Konzern nicht verlieren, darf sich deren jeweiliger Anteil an den Stammaktien nicht stark verringern. Vor allem Niedersachsen dürfte aber derzeit kaum ein Interesse daran haben, weitere Stammaktien zu kaufen und Geld in den VW-Konzern zu stecken. VW könnte deshalb wohl höchstens neue Vorzugsaktien ausgeben, das sind Aktien ohne Stimmrecht auf der Hauptversammlung des Konzerns. Laut Aktiengesetz darf die Zahl dieser Vorzugsaktien die Zahl der Stammaktien allerdings nicht übersteigen. VW könnte deshalb höchstens rund 114 Millionen neue Aktien ausgeben und damit auf Basis derzeitiger Kurse rund 11 Milliarden Euro einsammeln.
In der Regel setzen Sparmaßnahmen bei großen Konzernen zuerst bei den Mitarbeitern an: Weniger Gehalt, Einstellungsstopps, bis hin zu Stellenstreichungen und Entlassungen. Bei Volkswagen wäre das allerdings nicht so einfach. Die Arbeitnehmervertreter haben in Wolfsburg deutlich mehr Macht als in anderen Konzernen. Einfacher wäre die Kürzung geplanter Investitionen. Hier hatte Volkswagen angepeilt, bis 2019 eine Summe von mehr als 100 Milliarden Euro in Standorte, Modelle und Technologien zu stecken. Laut Experte Schwope könnte VW hier den Rotstift ansetzen und so 2 Milliarden Euro jährlich sparen, vor allem bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Nur: Dann besteht die Gefahr, von der Konkurrenz abgehängt zu werden. Der Zeitpunkt wäre denkbar ungünstig - die Autoindustrie steht durch Digitalisierung und Elektroantriebe vor einem Umbruch.
Bislang konnten die Ermittlungen von Jones Day offenbar keine konkreten Hinweise für die Verwicklung eines Vorstandsmitglieds liefern. Die Aussagen von Liang lassen aber auch an der offiziellen Version der kleinen Gruppe von Ingenieuren als Hauptverantwortliche Zweifel aufkommen. Die New Yorker Staatsanwaltschaft schreibt immer von „Liang und seine Mitverschwörer“ – viele zum Teil hochrangige Ingenieure sollen durch E-Mail-Ketten Bescheid gewusst haben.
Selbst ohne direkte Mitwisserschaft sieht es damit für Winterkorn nicht gut aus: Als langjähriger Vorstandsvorsitzender und VW-Markenchef hätte er schwere Fehler bei der Überwachung gemacht, wenn ihm ein solches kriminelles Netzwerk in seinem Verantwortungsbereich nicht aufgefallen wäre. Der Konzern prüft schon Haftungsansprüche gegen seinen Ex-Chef.
Wann kommt der Aufklärungsbericht?
Ursprünglich sollte der Bericht der Kanzlei Jones Day, die von dem neuen Aufsichtsratsvorsitzenden Hans Dieter Pötsch beauftragt worden war, bereits zur Hauptversammlung vorgelegt werden. Dieses Versprechen hatte der Konzern aber auf Anraten der Anwälte später wieder kassiert – vor der damals noch ausstehenden Einigung mit den Behörden wollte Volkswagen offenbar kein weiteres Öl ins Feuer gießen. Oder keine möglichen Mittäter warnen. Oder erst mehr der schier unfassbaren Datenmengen auswerten.
Die Begründungen sind vielfältig. Wenn der Bericht nach Freigabe durch das US-Justizministerium irgendwann im vierten Quartal diesen Jahres veröffentlicht wird, wird aber auch eines fehlen: Namen. Persönliche Schuld sollen die Gerichte klären, bei den internen Ermittlungen wird es mehr um das Systemversagen gehen. Vielleicht kommen die Veröffentlichungen rund um James Liang den Jones-Day-Aufklärern zuvor.
Wie teuer wird der Skandal für VW?
Analysten schätzen, dass der Skandal den Konzern am Ende zwischen 20 und 35 Milliarden Euro kosten wird. Vereinzelt ist noch von bis zu 50 Milliarden Euro die Rede – zwischenzeitlich diskutierte dreistellige Milliarden-Summen sind aber vom Tisch.
Der in den USA geschlossene Vergleich umfasst rund 15 Milliarden Dollar. Damit ist der Skandal aber noch nicht ausgestanden: Mit 44 US-Bundesstaaten hat sich Volkswagen auf einen separaten 600-Millionen-Dollar-Vergleich geeinigt, hinzu kommen noch potenzielle Ansprüche von Kunden und geschädigten Anlegern.
Auch die Umrüstaktion in Europa und nicht zuletzt die Kosten für die unzähligen Anwälte gehen in die Milliarden. Immerhin: Konzernchef Matthias Müller sieht inzwischen die Gefahr einer existenziellen Bedrohung für VW gebannt. „VW hat die Kunden enttäuscht und zahlt dafür am Ende einen hohen Preis. Aber das Unternehmen wird weiter bestehen, auch wenn die Belastung am Ende extrem ist“, sagte Müller in diesem September in einem Interview mit der „Bild am Sonntag“.