Nein, in Katar ist man keineswegs erfreut über den Abgasskandal bei Volkswagen. Die Kataris sorgen sich dabei weniger um die Umwelt oder die künftigen Absatzmöglichkeiten für ihr Öl, sondern vielmehr um ein Milliarden-Investment. Der Staatsfonds Qatar Investment Authority (QIA) ist der drittgrößte VW-Aktionär. Als die Aktie im Zuge von Dieselgate abstürzte, machte sich das in den Büchern des Golfstaats nicht gut.
Am Wochenende musste die neue VW-Führung um Konzernchef Matthias Müller nach Katar reisen, um die Wogen zu glätten und den verschnupften Großaktionär zu beruhigen.
Was ist am Wochenende geschehen?
Inmitten der VW-Abgasaffäre ist der neue Konzernchef Matthias Müller in das arabische Emirat Katar gereist, um sich einem seiner wichtigsten Aktionäre vorzustellen. "Es handelt sich um einen Antrittsbesuch der neuen Konzernführung, der dem Austausch mit einem wichtigen Partner des Unternehmens dient", sagte ein Firmensprecher am Sonntag. Laut einem Bericht der "Bild am Sonntag" sind mit Müller auch Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch und mit Wolfgang Porsche und Hans Michel Piëch auch zwei Vertreter der VW-Eigentümerfamilien an den Persischen Golf geflogen.
Worüber wurde gesprochen?
Angaben zum Inhalt der Gespräche gibt es offiziell nicht. Dem Vernehmen nach sollen die Kataris aber nicht nur über das Milliarden-Loch in ihrer Kasse entzürnt sein. Laut "Bild am Sonntag" wollte Katar bei dem Treffen am Sonntag auch strukturelle Veränderungen bei Volkswagen fordern. So solle der Einfluss des VW-Betriebsrats auf unternehmerische Entscheidungen zurückgedrängt werden. In den USA werde von VW eine milliardenschwere "Investitionsoffensive E-Mobilität" verlangt. Bei Volkswagen hieß es dazu, das Thema Mitbestimmung und Betriebsrat habe bei den Gesprächen nicht auf der Agenda gestanden. Bei der Qatar Investment Authority war dazu am Sonntag kein Kommentar zu erhalten.
Welchen Einfluss hat Katar in Wolfsburg?
Dem Staatsfonds QIA gehören 17 Prozent der VW-Stammaktien mit Stimmrecht. Zudem hält der Staatsfonds einen großen Teil der Vorzugsaktien. Diese haben im Gegensatz zu den Stammaktien keine Stimmrechte, dafür entfällt auf die Vorzugsaktien eine höhere Dividende. Damit ist der Staatsfonds der drittgrößte Einzelaktionär bei den Stammaktien: Die von den Familien Porsche und Piëch kontrollierte Porsche Automobil Holding PSE hält 50,73 Prozent, das Land Niedersachsen 20,0 Prozent und nach den 17 Prozent von QIA befinden sich 12,27 Prozent in Streubesitz. Katar hatte 2009 im Zuge der Übernahme von Porsche seinen Anteil auf 17 Prozent erhöht. Zudem sitzen zwei Vertreter des Emirats im 20-köpfigen Aufsichtsrat von Volkswagen. In dem Machtkampf Piëch-Winterkorn im Frühjahr hatte sich die QIA neutral verhalten – man hielt Winterkorn nicht mehr für tragbar, rügte aber auch den unabgestimmten Alleingang Piëchs. Auf der Hauptversammlung im Mai hat das Emirat zudem eines seiner Aufsichtsratsmitglieder ausgetauscht.
Mit 17 Prozent liegt Katar nahe dem 20-Prozent-Anteil von Niedersachsen. Wollen die Kataris ihren Anteil erhöhen?
Eher nicht. Im Oktober kamen zwar entsprechende Gerüchte auf, das Emirat kaufe heimlich Aktien zu. Als Indiz dafür galt, dass sich die Stammaktien deutlich schneller von dem Kursrutsch erholten als die Vorzugsaktien – eigentlich ein Indiz für einen laufenden Übernahmeversuch. Andere Gerüchte besagten jedoch, die Porsche Holding habe ihre Anteile weiter aufgestockt. Bis heute ist aber keine Änderung der Aktionärsverteilung publik geworden.
Aktionärsverteilung der Volkswagen AG
Die von den Familien Porsche und Piëch kontrollierte PSE hält 52,2 Prozent der Volkswagen-Stammaktien.
Quelle: Unternehmen, eigene Recherchen
Das Land Niedersachsen ist in Besitz von 20,0 Prozent der Stammaktien. Damit hat die Staatskanzlei bei wichtigen Entscheidungen – etwa einer Kapitalerhöhung – ein Vetorecht, da bei Volkswagen solche Entscheidungen mit 80 Prozent der Stimmen plus einer Aktie getroffen werden müssen. Weitere Vorzüge für das Land Niedersachsen wurden nach einem EuGH-Urteil 2007 gestrichen.
Die Kataris haben sich im Zuge der Porsche-Übernahme 2009 mit 17 Prozent der Stammaktien eingekauft. Den Anteil hält der Staatsfonds bis heute, es sitzen auch zwei Vertreter Katars im Aufsichtsrat.
10,8 Prozent der Stammaktien befinden sich in Streubesitz.
Als wahrscheinlicher gilt, dass der massive Kursanstieg durch Short-Seller ausgelöst wurde, die auf weiter fallende Kurse bei VW gesetzt hatten. Da der VW-Kurs nun aber über Tage stieg, waren sie gezwungen, ihre Positionen glatt zu stellen. Das ist jedoch schwierig, da die Stammaktien – im Gegensatz zu den stimmrechtslosen Vorzugsaktien – kaum gehandelt werden.
Was passiert, wenn Katar doch auf 20 Prozent erhöht?
Dann hätte das Emirat de facto eine Sperrminorität und damit die gleichen Rechte wie das Land Niedersachsen. Laut dem VW-Gesetz müssen wichtige Entscheidungen auf der Hauptversammlung mit vier Fünfteln der Stimmen plus eine Aktie getroffen werden müssen. Jeder, der exakt 20,00 Prozent der Stammaktien hält, könnte also so Entscheidungen wie eine Kapitalerhöhung blockieren. Das würde dann auch für die Vertreter des Emirates gelten. Zwei wichtige Sonderregelungen für das Land Niedersachsen – der Bund und Niedersachsen konnten je zwei Vertreter im Aufsichtsrat von Volkswagen stellen, die Stimmrechte der Aktionäre waren unabhängig von ihrem Aktienanteil auf 20 Prozent begrenzt – waren nach dem EuGH-Urteil 2007 aus dem VW-Gesetz gestrichen worden.
Wie sind die Kataris finanziell von Dieselgate betroffen?
Auch wenn sich die Papiere in den vergangenen Tagen wieder etwas erholt haben, sollen die Scheichs nach früheren Informationen aus VW-Konzernkreisen schwer verärgert sein, denn der Kurssturz infolge des Abgasskandals hat zu einem Buchverlust in Milliardenhöhe geführt. Zudem würden sinkende Gewinne bei Volkswagen wohl auch niedrigere Dividendenzahlungen bedeuten.