VW-Abgas-Skandal Wie Toyota vom Dieselgate profitieren kann

Im ersten Halbjahr hat VW erstmals mehr Autos als Toyota verkauft. Doch bereits im Juli lagen die Japaner wieder vorne. Die Dieselaffäre dürfte den Vorsprung größer werden lassen – auch wegen Toyotas Hybrid-Modellen.

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Toyota setzt mit Modellen wie dem Prius seit Jahren auf den Hybrid statt den Diesel – was sich in der Abgasaffäre auszahlen könnte. Quelle: AP

Ferdinand Piëch und Martin Winterkorn hatten ein gemeinsames Ziel: Bis 2018 wollten sie Toyota als Weltmarktführer ablösen. Das sollte in jeder Hinsicht gelten - bei Absatz, Profitabilität, Innovation, Kundenzufriedenheit. Drei Jahre vor dem Ziel liegen die Japaner nur noch beim operativen Gewinn mit über zehn Prozent Marge uneinholbar vorn.

Doch die Krone des globalen Verkaufskönigs war schon in diesem Jahr greifbar nahe, wofür Cheflenker Winterkorn mit einer Vertragsverlängerung bis Ende 2016 belohnt werden sollte: Denn im ersten Halbjahr hatte Volkswagen erstmals mehr Fahrzeuge als Toyota verkauft, zumindest wenn man die Schwerlaster von MAN und Scania mitrechnet. Damit war VW auf gutem Weg, die Spitze schon 2015 zu übernehmen. Daraus wird nun definitiv nichts. Toyota fährt aller Voraussicht nach das vierte Jahr in Folge vorneweg.

Der VW-Abgas-Skandal im Überblick

Vielleicht wäre es dazu möglicherweise auch ohne Dieselgate gekommen. Schon im Juli hatte Toyota die Wolfsburger beim Weltabsatz wieder knapp überholt. Im August bauten die Japaner ihren Vorsprung auf rund 50.000 Einheiten aus: Die Toyota-Gruppe produzierte in den ersten acht Monaten fast 6,6 Millionen Fahrzeuge. VW kam auf weltweit 6,55 Millionen Auslieferungen.

China-Schwäche lässt Absätze sinken

Denn der weltgrößte Automarkt China, wo Volkswagen fast 40 Prozent seiner Fahrzeuge verkauft, stagnierte bis August auf dem Niveau des Vorjahres. Zugleich nahmen einheimische Marken den ausländischen Herstellern und ihren chinesischen Partnern Marktanteile ab. Das hat die Verkäufe des Marktführers Volkswagen gedrückt. In den ersten sieben Monaten summierte sich das VW-Minus in China auf 7,7 Prozent. Jedoch wird ein neuer Steuernachlass für Autos mit kleinen Motoren diese Marktkrise abmildern.

Trotz China-Schwäche ist der VW-Weltabsatz bis August nur um 1,5 Prozent zum Vorjahr gesunken. Bei Toyota ging es um 3,3 Prozent und damit mehr als doppelt so schnell rückwärts. Daher hätte es in den nächsten Monaten eine gute Überholchance für die Deutschen gegeben. Aber der Abgas-Skandal hat sie nun zunichte gemacht. "Winterkorn war kurz davor, sich in der Herrlichkeit der Weltmarktführung sonnen", sagte Karl Brauer vom US-Online-Autoverkäufer Kelley Blue Book dem Finanzdienst Bloomberg. "Aber der weltweite Versuch, die Aufsichtsbehörden hinters Licht zu führen, deutet auf eine dunkle Seite des Wachstums von VW hin."

Toyota und Co. werden vom Abgas-Skandal profitieren

Nun muss VW bescheiden werden: Das beschädigte Vertrauen in die Marke werde den VW-Absatz in einem Jahr um ein bis vier Prozent drücken, schätzt Analyst Harald Hendrikse von Morgan Stanley. Das entspricht 100.000 bis 400.000 Fahrzeugen. Seine Prognose beruht auf einem Vergleich mit den Absatzeinbrüchen nach den Toyota-Rückrufen wegen klemmender Gaspedale 2009/10 und den Todesfällen bei General Motors wegen defekter Zündschlösser 2014/15.

Masataka Kunigimoto vom japanischen Analysehaus Nomura rechnet mit steigenden Marktanteilen für japanische Hersteller zu Lasten von Volkswagen in Europa und China. Das Geschäft von Toyota & Co. werde davon profitieren, dass sich die Autokäufer vom Diesel abwenden und vermehrt für Hybridmotoren entscheiden. "Der Skandal könnte Hybrid-Herstellern wie Toyota Rückenwind verleihen, weil sie einen Rivalen weniger haben", meinte auch Masayuki Kubota, Chefstratege vom japanischen Brokerhaus Rakuten. Rund 14 Prozent der Toyota-Modelle werden mit einem Benzin-Elektro-Motor verkauft, nur zwölf Prozent haben einen Dieselmotor. Bei Volkswagen ist der Dieselanteil doppelt so hoch und der Hybridanteil winzig.

Konkurrenz mit Toyota war Ursache für Manipulationen

Der neue VW-Chef Matthias Müller hat die "Strategie 2018" seiner Vorgänger Winterkorn und Piëch bisher nicht erwähnt. Doch das bedingungslose Streben, die weltweite Nummer 1 zu werden, war die eigentliche Ursache für die Entscheidung, die Software für die Dieselabgas-Kontrolle zu manipulieren. Vor rund zehn Jahren kam man in Wolfsburg zu der Einschätzung, dass sich Toyota nur überholen ließe, wenn Volkswagen der Durchbruch auf dem US-Markt gelingen würde. Dann wurde beschlossen, die sparsamen, aber langweiligen Hybridmotoren von Toyota mit "sauberen", leistungsfreudigen Diesel-Modellen auszustechen.

Stimmen zum Abgas-Skandal bei VW

Bei VW verachtet man die japanischen Hybriden bis heute. "Warum zwei Motoren benutzen, wo einer reicht?", hört man von VW-Ingenieuren. Doch die besonders scharfen US-Grenzwerte für Dieselabgase hätte VW nur mit höherem Verbrauch, weniger Fahrfreude, für die Kunden lästigen Werkstattbesuchen und hohen Kosten einhalten können. Das hätte den VW-Diesel weniger attraktiv als die Toyota-Hybridautos gemacht. Daher wurde die täuschende Software entwickelt. Der Wachstumsdruck von oben hatte die Ingenieure kriminell werden lassen.

Will Müller Volkswagen wirklich reformieren, müsste also auch die "Strategie 2018" als Wurzel des Übels auf den Prüfstand. Vielleicht geschieht das eher beiläufig: Dem Konzern könnte wegen der hohen Folgekosten des Abgasskandals schlicht das Kapital für seine Investitionsvorhaben fehlen. 86 Milliarden Euro an Kapitalausgaben sollten eigentlich von 2015 bis 2019 fließen, um Toyota auf den zweiten Platz zu verweisen. Diese ehrgeizigen Wachstumspläne werden womöglich noch aus einem zweiten Grund storniert.

Der globale Autoabsatz hat den Zenit überschritten. Selbst Toyota wird die Marke von 10 Millionen Verkäufen 2015 wohl verfehlen. "Der Skandal könnte Volkswagen dazu bewegen, sein weltweites Verkaufsziel zu überdenken", schätzt Analyst Takeshi Miyao vom Branchenbeobachter Carnorama in Tokio. Das Vorbild für VW wäre ausgerechnet der schärfste Rivale: Toyota verzichtet demonstrativ auf numerische Verkaufsziele und versucht so langsam und sparsam zu wachsen, dass man sogar in einer Weltwirtschaftskrise Geld verdienen kann.

Würde VW den Tanz um das goldene Wachstumskalb beenden, dann hörten wohl auch die kolportierten Manipulationen an den eigenen Verkaufszahlen in China auf. "Der China-Absatz wurde offenbar um 60.000 bis 100.000 Stück pro Jahr aufgeblasen", berichtet VW-Kenner Bertel Schmitt vom Online-Blog DailyKanban. Dafür benutze man in Wolfsburg die interne Abkürzung UBAR, erzählt Schmitt unter Berufung auf den VW-Flurfunk. UBAR stehe für "Unverkauft, aber als Auslieferung an Kunden berichtet" – eine weitere Mogelei, mit der ein geläuterter Konzern Volkswagen Schluss machen könnte.

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