Auf seinem ersten USA-Besuch im Abgas-Skandal wird es für den neuen VW-Chef Matthias Müller langsam ernst. Der Konzernboss sei noch am Montag von der Automesse in Detroit gen Ostküste geflogen, hieß es aus Unternehmenskreisen. Zunächst sei Müller bei Gesprächen in der US-Firmenzentrale. Am Mittwoch trifft er dann in Washington auf die Chefin der US-Umweltbehörde EPA, Gina McCarthy. Es ist das erste Spitzentreffen im Abgas-Skandal des VW-Konzerns.
Die EPA prüft die Vorschläge, mit denen VW Manipulationen bei etwa 580.000 Diesel-Autos in den USA beseitigen will. Wie das Lösungspaket genau aussieht, ist zwar noch unklar. Doch Müller zufolge ist es durchaus denkbar, dass der Konzern mehr als 100.000 Autos zurückkaufen muss.
Der Konzernboss sagte dem NDR-Hörfunk am Montag in Detroit, dass die Variante Rückkauf statt Rückruf für die zweite der insgesamt drei betroffenen Motorgenerationen infrage komme. Hintergrund sei der große Nachbesserungsaufwand. „Diese Generation Zwei reparaturmäßig zu beheben, wäre ein erheblicher Aufwand finanzieller Art, aber auch von der Zeitleiste her. Und da muss man sich dann die Frage stellen, ob es nicht Alternativlösungen gibt“, sagte Müller dem NDR wörtlich. Es gehe dabei um 103.000 Wagen.
Müller zeigt sich in Interview realitätsfern
Bei rund 430.000 Fahrzeugen soll hingegen eine technische Lösung möglich sein. Mit einem neuen Katalysator, den die Ingenieure in den vergangenen Monaten entwickelt haben, sollen die Fahrzeuge mit der ersten Generation des Dieselmotors EA189 nachgerüstet werden. Das hatte die „Bild am Sonntag“ ohne Angaben von Quellen berichtet. Eine mit der Angelegenheit vertraute Person sagte der Nachrichtenagentur Reuters, dass ein neuer Katalysator Teil der Lösung sei, die Volkswagen den US-Behörden vorschlagen will. Die EPA muss den Plänen zur Umrüstung aber noch zustimmen – Müller hat noch die Möglichkeit, bei dem Treffen für die Lösung zu werben.
Die Kritik an VW hatte zuletzt weiter zugenommen – die EPA und das US-Justizministerium werfen in ihrer Klageschrift dem Konzern vor, Dokumente zurückgehalten und Ermittlungen behindert zu haben. Müller ist nun gefordert, die verhärteten Fronten aufzuweichen und das Verhältnis zu den US-Behörden wieder zu reparieren.
Vermintes Gelände – Volkswagen und die USA
In China, dem wichtigsten Automarkt der Welt, stampft VW ein Werk nach dem anderen aus dem Boden. In den USA zählt Europas Branchenprimus erst eines, vieles läuft dort noch nicht rund. Eine Chronologie.
VW-Chef Martin Winterkorn spricht zur Automesse in Detroit erstmals von einem neuen SUV-Modell speziell für die USA.
Nach 31 Monaten auf steilem Expansionskurs muss Volkswagens Kernmarke für den April 2013 erstmals wieder rückläufige Verkäufe melden. Seitdem finden die Wolfsburger nicht in die Spur.
Im schwelenden Streit um einen Betriebsrat für das einzige US-Werk von Volkswagen in Chattanooga droht der mächtige Konzernbetriebsrat damit, weiteres Wachstum dort zu blockieren.
Michael Horn löst Jonathan Browning als Chef von Volkswagens US-Sparte ab. Medien spekulieren, Browning müsse wegen der Verkaufszahlen gehen. Volkswagen nennt „persönliche Gründe“.
Winterkorn kündigt das neue SUV-Modell für 2016 an. „Amerika ist der weltweit härteste Automarkt“, räumt er ein. Als mögliche Produktionsorte gehen Chattanooga und Mexiko ins Rennen.
Die VW-Mitarbeiter in Chattanooga votieren gegen den Vorschlag, sich von der US-Autogewerkschaft UAW vertreten zu lassen. Damit kann VW zumindest vorerst nicht die vom Betriebsrat geforderte Arbeitnehmervertretung nach deutschem Vorbild aufbauen.
Betriebsratschef Bernd Osterloh meldet sich zu Wort. Er könne sich „durchaus vorstellen“, dass ein weiterer Standort in den USA „nicht unbedingt wieder in den Süden gehen muss“.
VW teilt mit: Der Cross Blue geht nach Chattanooga.
VW zeigt auf der Messe in Detroit neben dem bereits bekannten großen Geländewagen Cross Blue eine Coupé-Variante. Martin Winterkorn verspricht, in den USA wieder in den Angriffsmodus zurückkehren zu wollen.
Die Verkäufe gerade der Marke VW fallen nach den beiden schlechten Jahren 2013 und 2014 in den USA noch einmal schlechter aus. Von Januar bis August verkaufte in den USA 238.100 Autos und damit 2,8 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum.
Quelle: dpa, scc
Dabei könnte Müller selbst mit einem Radio-Interview in Detroit die Stimmung wieder verschlechtert haben. Während er in seiner Rede noch um Entschuldigung bat, war von der angekündigten Demut wenige Minuten später im Gespräch mit dem öffentlichen US-Sender NPR nichts mehr zu sehen. Statt die Bedeutung anzuerkennen, sagte Müller: „Ehrlich gesagt, war es ein technisches Problem.“ VW hatte „nicht die richtige Interpretation der amerikanischen Gesetze“. Die Ingenieure des Konzerns hätten lediglich „Lösungen gefunden, die mit den amerikanischen Gesetzen nicht kompatibel“ gewesen seien. Zudem sagte er: „Wir haben nicht gelogen. Wir haben zunächst die Frage nicht verstanden.“
Ex-FBI-Chef soll schlichten
Solche Aussagen dürften bei den US-Behörden nicht gut ankommen. Das scheint auch die VW-Pressestelle so zu sehen: Am Tag nach dem Interview rief ein Vertreter bei dem NPR-Reporter an – mit der Bitte, das Gespräch erneut zu führen. In dem zweiten Interview zeigte sich Müller einsichtig. „Ich muss mich für gestern entschuldigen“, sagte Müller. „Die Situation war etwas schwierig für mich, vor so vielen von Ihren Kollegen, jeder hat gerufen.“ Pflichtbewusst fügte er hinzu: „Zunächst einmal: Wir akzeptieren den Verstoß in vollem Maße. Da gibt es keinen Zweifel.“
Neben dem Rückruf und möglichen Rückkauf sieht sich der Wolfsburger Autobauer in den USA auch noch mit mehr als 500 Zivilklagen konfrontiert. Zwischen den Klägern und VW soll jetzt ein ehemaliger Leiter des FBI vermitteln. Der kalifornische Bezirksrichter Charles Breyer erklärte am Montag, er wolle Ex-FBI-Direktor Robert S. Mueller mit der Aufgabe betrauen, in den Klagen eine Einigung herbeizuführen. Der frühere Chef der US-Bundespolizei werde „in diesen komplexen Angelegenheiten“ dank seiner Erfahrung und seines Urteilsvermögens die Vergleichs-Diskussionen zwischen den diversen Parteien erleichtern.
Richter Breyer gab den Anwälten aller Beteiligten bis 15. Januar Zeit, potenzielle Einwände gegen Muellers Ernennung vorzubringen.
Auch in Schweden bahnt sich Ärger an: Die zuständige Antikorruptionsbehörde habe sich entschieden, vorläufige Ermittlungen wegen Betrugs und falscher Angaben gegen VW einzuleiten, teilte die Staatsanwaltschaft in Stockholm am Dienstag mit. "Wir werden sehen, ob es einen Anlass gibt, einen Prozess in Schweden einzuleiten“, sagte Oberstaatsanwalt Alf Johansson. VW könnte auch eine Strafe drohen. Auf wie viele Fahrzeuge sich die Manipulations-Vorwürfe beziehen, konnte Johansson nicht sagen. Die Autos seien zwischen 2009 und 2015 importiert und in Schweden verkauft worden.„Uns ist bewusst, dass sehr viele Untersuchungen in Deutschland stattfinden“, sagte Johansson. „Es könnte sein, dass wir den Fall letzten Endes fallen lassen, weil diese ausreichen.“
Die Folgen von Dieselgate
Die Entwicklung der Motorsteuergeräte-Software erfolgt in Zukunft unter strikter Einhaltung des Vier-Augen-Prinzips.
Emissionstests werden künftig grundsätzlich extern und unabhängig überprüft.
Die Prüfstandswerte sollen stichprobenartig mit Real-Life-Test zur Emissionseinhaltung auf der Straße überprüft werden.
Seit Beginn des Jahres 2015 sind 6 von 10 Vorstandsposten neu besetzt worden. Zudem wurden neue Posten außerhalb des Vorstands – etwa der des Chefstrategen oder Leiter der Digitalisierung – geschaffen.
Sieben von dreizehn Markenchefs inklusive der Konzernspitze wurden im Laufe des Jahres 2015 ausgetauscht.
Am 18. September hatte VW nach Vorwürfen der EPA eingeräumt, bereits seit 2009 mit einem „Defeat Device“ genannten Computer-Programm Abgas-Messwerte frisiert zu haben. Die Beseitigung der Betrugs-Software, durch die die Abgasreinigung nur im Testmodus voll aktiviert wird, dürfte sich schwierig gestalten. Neben hohen Kosten für Rückrufe und -käufe drohen dem Konzern wegen der Manipulationen Milliardenstrafen.
Die gesamte deutsche Autoindustrie kämpft auf dem wichtigen US-Markt mit den Auswirkungen des „Dieselgate“-Skandals von Volkswagen. Als Folge der Abgas-Manipulationen sei die Diesel-Strategie „erheblich beschädigt“, sagte der Präsident des Branchenverbandes VDA, Matthias Wissmann, in Detroit. Der VDA rechnet für dieses Jahr mit stagnierenden Absatzzahlen für die deutschen Hersteller in den USA.