Insbesondere nach den Enthüllungen des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden im Sommer 2013 stehen US-Firmen unter dem Generalverdacht, eng mit den US-Geheimdiensten zu kooperieren. Da passt es gut, dass sich israelische IT-Sicherheitsfirmen als vertrauenswürdige Alternative anbieten. Denn den deutschen Sicherheitsfirmen fehlt oft die Expertise, gezielte Spionageangriffe aus dem Netz frühzeitig zu erkennen.
Einer der Spezialisten, die Primor den Vorständen gern präsentiert, ist Yuval Diskin, ehemaliger Chef des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, der Mann aus dem Treffen bei VW-Vormann Piëch. Diskin war 2011 im Streit mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu aus dem Amt geschieden. In der Folge gründete Diskin Firmen, wie die Diskin Advanced Technologies. Er hält aber auch enge Verbindungen zu vielen der rund 400 Cybersecurity-Firmen Israels.
Schon in den Jahren 2012 und 2013 stellte Primor den ehemaligen Geheimdienstchef auch deutschen Großkonzernen vor. Einer der Adressaten, natürlich: die Deutsche Telekom. Diskin präsentierte sein vergleichsweise breit gefächertes Portfolio aus intelligenten Cyberabwehrdienstleistungen. Doch überzeugen konnte er die Telekom-Spezialisten nicht. Eine Kooperation kam nicht zustande.
Spar- und Sanierungsprogramme bei Volkswagen
Im Jahr des Amtsantritts des späteren VW-Patriarchen Ferdinand Piëch als Vorstandschef steckt der Konzern in einer tiefen Krise. Er produziert im Vergleich mit der globalen Konkurrenz viel zu teuer, es droht die Entlassung von bis zu 30.000 Beschäftigten.
Peter Hartz, von Piëch eingestellter Personalvorstand und späterer Entwickler der Arbeitsmarktreformen der Regierung Schröder, kann den Kahlschlag abwenden. Er führt in enger Abstimmung mit dem Betriebsrat und der IG Metall unter anderem die Vier-Tage-Woche bei Volkswagen ein - eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich. Auch der umstrittene „Kostenkiller“ und Ex-General-Motors-Manager José Ignacio López bringt den verlustreichen Konzern finanziell wieder auf Kurs.
Die Hauptmarke Volkswagen-Pkw fährt chronisch niedrige Erträge ein - eine deutliche Parallele zur heutigen Lage. Nach monatelangen Verhandlungen zum neuen Haustarifvertrag bei VW einigen sich die Parteien auf eine Abkehr von der Vier-Tage-Woche. Als Gegenleistung für die wieder deutlich längeren Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich verlangt die IG Metall vom Unternehmen verbindliche Zusagen für die langfristige Zukunft der sechs westdeutschen Werke.
Nachdem Kernmarken-Chef Wolfgang Bernhard mit Stellenstreichungen und Produktionsverlagerungen gedroht hat, verlässt er den Konzern. VW kann dennoch die Kosten senken und die Wettbewerbsfähigkeit steigern.
Nach Jahren satter Gewinne dümpelt die Marke mit dem VW-Emblem - gemessen an der Marge (Anteil des Gewinns am Umsatz) - im Branchenvergleich erneut vor sich hin. Zugleich muss der Gesamtkonzern die Milliardenlasten des Abgas-Skandals verdauen und sich stärker auf die Zukunftsthemen der Branche konzentrieren.
Der „Zukunftspakt“ soll daher den Spardruck, den Umbau in Richtung E-Mobilität, Digitalisierung und Dienstleistungen sowie das Interesse der Belegschaft an sicheren Jobs und Standorten in die Balance bringen. Nach Monaten des Ringens steht fest: Dies wird nicht ohne Zugeständnisse bei den Jobs gehen. 30.000 Stellen sollen weltweit bis 2020 auslaufen, betriebsbedingte Kündigungen soll es nicht geben - stattdessen soll der Abbau etwa über Altersteilzeiten erreicht werden.
Mehr Glück hatte Diskin beim Volkswagen-Konzern. Der ehemalige Geheimdienstchef war nach WirtschaftsWoche-Recherchen einer der beiden Security-Experten, die Primor im Februar 2015 zu einem Treffen mit VW-Patriarch Ferdinand Piëch begleiteten. Während dieses Besuchs, also ein halbes Jahr vor der offiziellen Bekanntgabe des Abgasskandals, soll Piëch die ersten Hinweise über Ermittlungen von US-Behörden zum Abgasskandal bekommen haben, so berichten „Süddeutsche Zeitung“, NDR und WDR. Primor habe bei einem Vier-Augen-Gespräch mit Piëch berichtet, es gebe in Amerika Probleme mit den Abgasen, VW habe geschummelt. Er soll dabei aus einem Papier zitiert haben, das er seinem Gegenüber jedoch nicht überließ.
„Ich habe ihm einen Gefallen getan“
Primor will sich zum VW-Skandal nicht äußern, bestätigt aber im Gespräch mit der WirtschaftsWoche, dass es ein Treffen bei VW gab, zu dem er mit zwei israelischen Sicherheitsexperten anreiste. Einer von ihnen sei Diskin gewesen: „Ich bin mit Yuval Diskin befreundet, und ich habe ihm einen Gefallen getan. Wir waren zusammen bei verschiedenen deutschen Unternehmen, unter anderem bei Volkswagen. Ich habe aber nur Kontakte hergestellt, wirtschaftlich bin ich an nichts beteiligt.“
Doch wie soll Primor in den Besitz von geheimen Dokumenten gekommen sein, aus denen der Dieselskandal hervorging? Deutsche Geheimdienstkreise haben dafür nur eine Erklärung: Die Informationen hat der israelische Geheimdienst von den US-Diensten bekommen. „Die israelischen Nachrichtendienste arbeiten mit ihren Pendants in den USA seit Langem sehr eng und freundschaftlich zusammen“, heißt es aus dem Umfeld des Bundesnachrichtendienstes. Wer geheime Kanäle anzapfen und frühzeitig Warnsignale aussenden kann, steht bei Piëch hoch im Kurs. So verwundert es kaum, dass anderthalb Jahre nach dem Treffen von Piëch, Primor und den Ex-Geheimdienstlern der VW-Konzern entschied, zusammen mit Diskin eine Sicherheitsfirma zu gründen.
Das Unternehmen heißt Cymotive Technologies, hat seinen Hauptsitz im israelischen Herzliya und soll vor allem die vielen Lücken in den Sicherheitssystemen vernetzter Autos schließen. Volkswagen ist über seine Tochter AutoVision zu 40 Prozent beteiligt. Den Rest besitzen Diskin und zwei alte Kameraden vom Geheimdienst. Angriffe auf Autos, bei denen Hacker über das Internet Kontrolle über Fahrzeuge erlangten, hatten zuvor den Konzern aufgeschreckt.
Avi Primor hat von solchen digitalen Sabotagemethoden im Netz kaum mehr Ahnung, als man das von einem 1935 geborenen Laien erwarten kann. Dafür aber kann man von ihm viel lernen über die Kunst der Vernetzung. Ferdinand Piëch freilich könnte dieses Netzwerk zwar frühes, aber auch teures Wissen über Dieselgate beschert haben. Sollte er mit den heißen Primor-Infos wirklich Ex-VW-Chef Martin Winterkorn vor dem sich anbahnenden Skandal gewarnt haben, dann drohen nicht nur Winterkorn Probleme, weil er sein mögliches Wissen zu lange verschwieg. Auch für Piëch und weitere Aufsichtsräte ist die Affäre längst nicht ausgestanden. Sie werden womöglich erklären müssen, warum sie auf die vermutlich frühen Hinweise aus israelischen Quellen nicht angemessen reagiert haben.
Nur einer hat nichts zu befürchten: Avi Primor.