VW-Aufsichtsrätin Ursula Piëch Die mächtigste Frau der deutschen Wirtschaft

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Alltagstauglichkeit im Selbsttest

So im Mai beim Empfang des VW-Aufsichtsrats im Neuen Rathaus von Hannover. Als Oberbürgermeister Stefan Schostok Piëch bat, sich ins Goldene Buch der Stadt einzutragen, ergriff seine Frau den Füller und schrieb: „Für ein glückliches Leben braucht man nicht viel. Gesundheit, Glück, Freude und stille Reserven.“ Gezeichnet: Ursula. Dem Ehemann blieb die Aufgabe, seinen Ferdinand danebenzusetzen. Kurz darauf stimmte Ursula Piëch auch noch das Lied Happy Birthday an, in das nach und nach der ganze VW-Vorstand und -Aufsichtsrat einfiel: zu Ehren des Oberbürgermeisters, der an diesem Tag seinen 50. Geburtstag feierte.

„Die Frau hat sich in den letzten zwei Jahren sensationell entwickelt“, schwärmt ein Wegbegleiter der Familie. „Sie hat mit niemandem eine gemeinsame Leiche im Keller“, sagt der Autoexperte eines Analysehauses, „und muss niemanden aus alter Verbundenheit heraus in ein Amt hieven. Das macht sie unabhängiger.“

Wie schwer es aber manchen Männern in der Autobranche immer noch fällt, Frauen in ihrer Mitte ernst zu nehmen, macht ein Aufsichtsrat – wenn auch eher ungewollt – deutlich. Nach eigenem Bekunden schätzt er Ursula Piëch sehr. Und überhaupt täten Frauen dem Unternehmen gut: „Sie können dazu beitragen, die Autos alltagstauglicher zu machen.“ So hätten sie etwa einen viel besseren Blick dafür, ob sich der Kinderwagen problemlos im Kofferraum verstauen lasse.

Für größere Handschuhfächer und einen zweiten Schminkspiegel

Was in den Ohren manch emanzipierter Frau wie Hohn und Spott klingt, regt Ursula Piëch kein bisschen auf. Wie ihr Mann schmunzelnd bestätigt, teste sie ausgiebig die Alltagstauglichkeit aller Neuwagen.

Bei Audi und VW sorgte Ursula Piëch für alltagstauglichere Autos Quelle: dpa

Auf diese Weise sorgte sie dafür, dass beim VW Golf das Handschuhfach vergrößert wurde, auch auf der Fahrerseite ein Schminkspiegel in der Sonnenblende zu finden ist – und dass in den Fahrzeugen die Lüftung für Fahrer und Beifahrer getrennt zu regeln ist. Ferdinand Piëch, der zugempfindlich ist und leicht friert, hatte seine Autos immer ohne Klimaanlage geordert – und seiner schwitzenden Frau das Tragen eines Bikinis empfohlen. Und während der Zeit bei Audi sorgte Ursula Piëch dafür, dass die ursprünglich viel zu hoch platzierten Pedale der Autos auch von Menschen bedient werden können, die wie sie Schuhgröße 42 haben. „Es gibt in der Tat viele Dinge an einem Auto, die Frauen anders sehen“, sagt sie.

Reicht das, um sich in der Autoindustrie Respekt zu verschaffen? Ursula Piëch hat das Zeug dazu. Sie besitzt nicht nur einen starken Charakter und tiefes Insiderwissen, sondern auch ein eigenes Aktiendepot. „Ich bin Kleinaktionärin“, verrät sie und lacht. Sie besitzt nicht nur 100 Audi-Aktien, die sie einst kaufte, um ihren Mann bei Hauptversammlungen erleben zu können, sondern mittlerweile auch Aktien von jedem anderen börsennotierten Fahrzeughersteller wie Toyota, BMW und Daimler. Der Grund: Über die Abteilung Investor Relations erhielt das Ehepaar vor Anbruch des Internet-Zeitalters so frühzeitig wichtige Informationen über die Geschäftsentwicklung konkurrierender Unternehmen.

Ursulas unklare Rolle

Insgesamt erscheint Ursula Piëch gut vorbereitet auf Führungsaufgaben, die nach dem Tod ihres Gatten im Aufsichtsrat des VW-Konzerns auf sie zukommen könnten. Ihre künftige Rolle ist allerdings längst nicht so klar geregelt, wie es im Herbst 2010 noch schien. Damals hatte Piëch in Österreich die beiden Privatstiftungen Ferdinand Karl Alpha und Ferdinand Karl Beta gegründet und darin sein Vermögen eingebracht – vor allem die Beteiligung an der Porsche SE. Diese hält 50,7 Prozent aller Aktien der Volkswagen AG.

Mit der Konstruktion sollte verhindert werden, dass die Anteile an VW und Porsche in familienfremde Hände geraten. Aktuell kontrolliert Ferdinand selbst die Stiftungen. Nach seinem Tod sollte Ehefrau Ursula als Co-Stifterin eine führende Rolle im Stiftungsrat übernehmen – und so die Visionen ihres Mannes fortführen.

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