VW-Aufsichtsratssitzung In Europa will VW nicht manipuliert haben

Der VW-Aufsichtsrat berät die künftigen Investitionen des Konzerns, es geht um 100 Milliarden Euro. Vor allem der Abgasskandal und die damit verbundenen Kosten machen das Finden einer Investitionsstrategie schwierig.

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VW-Aufsichtsräte

In diesen Stunden tagt der VW-Aufsichtsrat in Wolfsburg und berät die künftigen Investitionen des Konzerns. Es geht dabei wahrlich um einen Haufen Geld: Über 100 Milliarden Euro wollen die Wolfsburger in den kommenden fünf Jahren in Produkte, Fabriken und neue Technologien stecken. Finale Entscheidungen soll es heute aber nicht geben – die sind erst für den 18. November vorgesehen.

Das passt gut, denn dann ist die US-Wahl vorbei und VW kann absehen, ob der Konzern seine in Mexiko gebauten Volkswagen weiterhin in den USA verkaufen darf oder ein künftiger Präsident Trump Amerika wieder „great“ machen will, indem sein neuer Todesstreifen am südlichem Ende der USA nicht nur Mexikaner stoppt, sondern auch die von ihnen gefertigten GM- und Ford-Konkurrenten namens Jetta, Golf und Beetle. Auch so etwas will bei der Finanzplanung gut bedacht sein.

Der entscheidende Grund dafür, dass der Aufsichtsrat sich dieses Mal zwei Tage lang mit dem Investitionsplan befasst, ist aber eher nicht das Horrorszenario eines Trump-Sieges. Der zusätzliche Beratungsbedarf entstand durch den Abgasskandal. Die Belastungen des Skandals von bislang absehbaren 30 Milliarden Euro machen die Investitionsstrategie zu einer verzwickten Angelegenheit.

Wo VW überall zur Kasse gebeten wird
Italien will bis zu fünf Millionen EuroVW muss in Italien wegen des Abgasskandals um Dieselfahrzeuge bis zu fünf Millionen Euro Strafe zahlen. Es gehe um Verkäufe von Autos auf dem italienischen Markt ab 2009, bei denen die Zulassung durch Softwaremanipulationen erreicht worden war, teilte die italienische Wettbewerbsbehörde mit. Es habe einen schweren Verstoß gegen die professionelle Sorgfalt gegeben und Kunden hätten mit den realen Daten womöglich eine andere Kaufentscheidung getroffen. Laut früheren Meldungen sind in Italien knapp 650.000 Volkswagen von dem Skandal betroffen. Quelle: dpa
Bayern will bis zu 700.000 Euro Quelle: dpa
Entschädigungen für Aktionäre und Anleger: 1 bis 8 Milliarden Euro Quelle: dpa
Kundenentschädigungen von bis zu 10 Milliarden Euro Quelle: dpa
Rückrufe und Entschädigungen in Europa und dem Rest der Welt: bis zu 4,5 Milliarden Euro Quelle: dpa
Rückrufe und Nachrüstung in Europa Quelle: dpa
Mögliche Wertminderung von VW-Fahrzeugen: 0,5 Milliarden EuroIst ein VW-Diesel-Fahrzeug nach der Umrüstung noch genauso viel wert wie vorher und erzielt es als Gebrauchtwagen denselben Preis wie vor dem Skandal? Diese Frage ist noch nicht abschließend geklärt, doch das Risiko, dass die VW-Fahrzeuge im Wert fallen, ist gegeben. Die VW-Tochter Financial Services, die für 1,2 Millionen Leasing-Fahrzeuge zuständig ist, hat vorsorglich die Rücklagen für mögliche Wertverluste nach oben korrigiert. Quelle: dpa

Wenn die Kontrolleure neben ihrer Finanzplanerei noch ein wenig Luft haben, und sei es nur in den Kaffeepausen, dann sollten sie sich aber unbedingt noch eines weiteren Themas annehmen: Des rechtlichen Umgangs mit dem Abgasskandal in Europa. Oder, wie VW sagen würde: „Abgasskandal“ mit Anführungszeichen.

So titulieren VW-Anwälte den Sachverhalt in ihren Schriftsätzen, um klar zu machen, dass es sich hier nicht um einen wirklichen Skandal handele. Denn es seien in Europa, so sieht es VW inzwischen, keine Gesetze verletzt worden. Die elektronischen Abschalteinrichtungen, die in USA unstreitig illegal sind, seien mit europäischem Recht konform.

Die Milliarden-Buße für VW im Überblick

Es gibt nach VW-Sicht also keinen Abgasskandal, lediglich eine „Abgasthematik“. Schön für VW, dass das Landgericht Braunschweig hier bereits Folge leistet: Auch das Gericht spricht in seinen offiziellen Schreiben durchweg von einer „Abgasthematik“. Schade nur, dass andere Verdächtigte so ein Privileg nicht genießen. Auf nette Umschreibungen wie „Verletzungsthematik“ (bei Mordverdacht) oder „Finanzthematik“ (bei Korruptionsverdacht) dürfen sie wohl nicht hoffen.

Leugnung der Straftat

Bei der „Abgasthematik“ geht es nach VW-Sicht also nicht um etwas Illegales und es geht – folgt man der Logik neuer Schriftsätze, die VW bei Gericht eingereicht hat – auch nicht um Schadstoffe und Gesundheit. Stickoxid-Emissionen seien, sagt VW, nicht eindeutig gesundheitsschädlich. Wenn dem tatsächlich so wäre, dann wäre die Abgasthematik noch nicht einmal eine Abgasthematik. Sie wäre überhaupt kein Thema. Rechtlich alles koscher, gesundheitlich alles unbedenklich.

Der Weg ist frei für den größten Vergleich der Autogeschichte: US-Richter Breyer hat seine finale Zustimmung zum Milliarden-Vergleich mit den US-Klägern gegeben. Ausgestanden ist der Skandal aber damit noch lange nicht.
von Sebastian Schaal

Dumm nur, dass die EU-Kommission, die Bundesregierung, das Kraftfahrbundesamt, das Umweltbundesamt und Organisationen wie VDA, ADAC oder TÜV das ganz anders sehen. Und selbst der Konzern sah es ja anders – oder warum rief er aus eigenem Antrieb Millionen Autos zurück? Wo der Aufsichtsrat gerade so schön über den Investitionen brütet: Warum nicht gleich mal diese Milliarden-Verschwendung stoppen?

VW hat fast zwei Jahre lang in den USA die Tricksereien geleugnet und die Behörden belogen. Das war der erste Fehler, denn das machte die Behörden erst so richtig wütend und die Quittung dafür war saftig. Dann hat VW explizit den Betrug als Straftat eingeräumt, ohne vorab zu klären, wer eigentlich im Konzern was zu verantworten hatte. Fehler Nummer zwei. Denn das ersparte den US-Behörden gründliche Ermittlungen. Die Straftat war eingeräumt, sie mussten nur noch eine Rechnung schreiben.

Nachdem die Amerikaner bei der Strafe schön zulangt haben, hat VW hochgerechnet: Eine ähnliche Strafe und ähnlicher Schadenersatz pro Auto auch in Europa, wo 15 Mal so viele Autos betroffen sind, wäre das Ende von VW. Was nicht sein kann, darf nicht sein – also begeht der Konzern den nächsten Fehler, leugnet Straftaten und Folgen für Gesundheit und Umwelt in Europa.

Wenn VW so klamm ist, dass dem Management nur diese Augen-zu-und-durch-Nummer einfällt, dann hat der Aufsichtsrat in der Tat viel zu diskutieren. Dann reichen vielleicht auch zwei Sitzungstage nicht.



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