VW-Chef Matthias Müller "Mehr Demut steht uns gut"

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"Jede Schätzung wäre zu vage"

Der Volkswagen-Konzern hat bislang 6,7 Milliarden Euro für Belastungen durch die Abgasaffäre zurückgestellt. Bleibt es dabei, obwohl der Aufwand für die technischen Maßnahmen geringer ausfällt?
Richtig ist, dass die Lösungen für Europa weniger aufwändig sind, als zunächst befürchtet. Aber diese Summe haben wir ja für den weltweiten Rückruf zurückgestellt.

Hinzu kommen doch aber sicher noch Strafzahlungen und Bußgelder durch die US-Behörden. Womit rechnen Sie hier?
Das lässt sich noch nicht seriös absehen. Jede Schätzung wäre zu vage.

Wie viele Kunden haben VW denn inzwischen auf Schadenersatz verklagt?
In den USA gibt es derzeit rund 650 Sammelklagen. In den anderen Ländern lässt sich das noch nicht genau beziffern.

Vermintes Gelände – Volkswagen und die USA

Wie lang werden Sie dulden müssen, dass US-Anwälte VW intern auf den Zahn fühlen?
Das liegt nicht in unserer Hand.

Das wird sicher auch davon abhängen, wie schnell die Aufklärung vorangeht. Haben Sie denn wenigstens schon eine Ahnung, wie es zu der größten Krise in der Volkswagen-Geschichte kommen konnte?
Wir sehen da inzwischen klarer. Aber noch läuft der Prozess der Aufklärung. Ich verstehe die Ungeduld: Aber gerade, weil es hier auch um Menschen geht, und weil eine saubere Aufarbeitung für die Zukunft des Konzerns so wichtig ist, muss Sorgfalt das höchste Gebot sein.

Steht inzwischen fest, wer an den Vergehen alles mitgewirkt hat?
Nein, mit Sicherheit noch nicht. Denn noch längst sind nicht alle Daten ausgewertet. Das wird sich noch mindestens bis in das erste Quartal 2016 hinziehen. Wir gehen weiterhin von einer überschaubaren Zahl von Mitarbeitern aus. Wir wollen aber nicht nur die Schuldigen finden, sondern vor allem auch die Schwächen in den Abläufen identifizieren und diese schnellstmöglich abstellen. Das macht die Sache so komplex.

Nach allem, was man bis heute weiß, war der Ausgangspunkt der Affäre die Entscheidung des VW-Konzernvorstands, in den USA eine Dieseloffensive mit einem Motor zu starten, der drehfreudig, aber auch besonders sparsam und emissionsarm sein sollte.
Das stimmt wohl und war ja nicht verkehrt...

… doch dann ging den Entwicklern erst das Geld aus, dann lief ihnen die Zeit davon und den Ingenieuren fehlte der Mut, den Vorgesetzten von den Problemen zu berichten. Geben wir das richtig wieder?
Ich denke ja. Aber es kam eben auch der Ehrgeiz der Ingenieure dazu, besonders innovative Lösungen zu finden. Dabei fehlte einigen Wenigen offenbar leider das Gespür für Recht und Gesetz. Auf ihre vermeintliche Lösung des Problems waren sie möglicherweise sogar noch stolz. Deshalb gab es für sie auch keinen Grund, Vorgesetzte zu informieren. Dass die Lösung gesetzeswidrig sein könnte, kam ihnen vielleicht gar nicht in den Sinn. Aber all das ist Gegenstand der laufenden Untersuchungen. Und damit das ganz klar ist: für mich ist ein solches Verhalten nicht tolerabel.

Sie selbst waren 2005 Chefkoordinator der Audi-Gruppe, später steuerten Sie die Produktstrategie des VW-Konzerns. Da wollen Sie nichts von diesem Kampf der Motorenentwickler gegen zu hohe Emissionswerten mitbekommen haben?
Ich verstehe, dass das für manche vielleicht schwer nachvollziehbar ist. Aber so funktionieren große Automobilunternehmen nicht. Meine Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten erstreckten sich auf die übergeordnete Planung von Fahrzeug-Zyklen. Ich wurde zum ersten Mal mit der Abgasthematik konfrontiert, als die EU 2008 die neuen CO2-Grenzwerte für Autos beschloss. Wir haben damals lediglich erörtert, wie anspruchsvoll diese neuen Grenzwerte sind. Das war aber eine allgemeine Diskussion, es ging nicht um technische Details.

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