Aber gewöhnliche Zeiten sind es nicht in diesen Monaten für Deutschlands größten Konzern. Und so hat der Satz inzwischen Seltenheitswert in der Gläsernen Manufaktur in Dresden, wo VW seit 2002 die Luxuslimousine Phaeton zusammenbaut. An immer mehr Tagen ruht an der Elbe die Montage. Bis zu 80 Prozent der Karossen gehen für gewöhnlich nach China. Seit Monaten kommen die Bestellungen von dort aber nur noch „tröpfchenweise“, sagt ein Konzerninsider. Das Gros der 500 Beschäftigten muss deshalb ins VW-Werk nach Mosel, westlich von Dresden, um bei der Produktion des VW Golf und Passat zu helfen.
Die Krisenszenarien der deutschen Autobauer
Eine globale Finanzkrise vergleichbar mit der Krise von 2008/2009 trifft die globalen Automobilhersteller. Innerhalb weniger Wochen brechen die Autoverkäufe auf den wichtigsten Automobilmärkten USA, Europa und China um etwa 20 Prozent ein. Dadurch verschärfen sich auch die Kreditbedingungen erheblich. Auch das folgende Jahr lässt zunächst keine Erholung erwarten.
Szenario: Globaler Absatzrückgang um 20 Prozent
- 2.000.000 verkaufte Fahrzeuge weniger weltweit
- 750.000 davon in Deutschland
- bis 50.000 betroffene Arbeitsplätze in Deutschland
Fazit: Sehr verletzlich
Quelle: Center of Automotive Management
Szenario: Globaler Absatzrückgang um 20 Prozent
- 400.000 verkaufte Fahrzeuge weniger weltweit
- 200.000 davon in Deutschland
- bis 15.000 betroffene Arbeitsplätze in Deutschland
Fazit: Verletzlich
Szenario: Globaler Absatzrückgang um 20 Prozent
- 430.000 verkaufte Fahrzeuge weniger weltweit
- 200.000 davon in Deutschland
- bis 12.000 betroffene Arbeitsplätze in Deutschland
Fazit: Weniger verletzlich
Der chinesische Pkw-Markt bricht in Folge von wirtschaftlichen Problemen – denkbare wäre das Platzen einer Immobilienblase – innerhalb eines Jahres um drastische 20 Prozent ein und bleibt ein volles Jahr 20 Prozent niedriger als im Vorjahr. Die Aussichten für das nächste Jahr lassen ebenfalls keine Erholung erwarten.
Szenario: Absatzrückgang um 20 Prozent in China
- 750.000 verkaufte Fahrzeuge weniger weltweit
- 650.000 weniger produzierte Autos in China
- bis 8.000 betroffene Arbeitsplätze in Deutschland
Fazit: Sehr verletzlich
Szenario: Absatzrückgang um 20 Prozent in China
- 60.000 verkaufte Fahrzeuge weniger weltweit
- 35.000 weniger produzierte Autos in China
- bis 1.500 betroffene Arbeitsplätze in Deutschland
Fazit: Weniger verletzlich
Szenario: Absatzrückgang um 20 Prozent in China
- 100.000 verkaufte Fahrzeuge weniger weltweit
- 60.000 weniger produzierte Autos in China
- bis 1.700 betroffene Arbeitsplätze in Deutschland
Fazit: Weinger verletzlich
Neue oder bisher branchefremde Unternehmen wie Tesla, Google oder Apple gewinnen im Zuge der schnellen Durchsetzung der Elektromobilität und des vernetzten sowie autonomen Fahrens an Bedeutung und bedrohen mit ihren Geschäftsmodellen die etablierten Hersteller.
- Mittel bis wenig innovativ mit Blick auf radikale Veränderungen
- Mittelgroße Kompetenz bei Elektro- und Hybridfahrzeugen
- Sehr hohe Kompetenz bei vernetztem Fahren
- Kaum Erfahrung mit Mobilitätskonzepten
Fazit: verletzlich
- Mittel innovativ mit Blick auf radikale Veränderungen
- Mittelgroße Kompetenz bei Elektro- und Hybridfahrzeugen
- Sehr hohe Kompetenz bei vernetztem Fahren
- Erste Erfahrung mit Mobilitätskonzepten (Car2Go, Moovel)
Fazit: Weniger verletzlich
- Mittel bis sehr innovativ mit Blick auf radikale Veränderungen
- Mittlere bis sehr große Kompetenz bei Elektro- und Hybridfahrzeugen
- Sehr hohe Kompetenz bei vernetztem Fahren
- Erste Erfahrung mit Mobilitätskonzepten (DriveNow)
Fazit: Kaum verletzlich
Es ist nicht nur Sachsens Hauptstadt, wo der weltgrößte Autohersteller ächzt, weil die Geschäfte in aussichtsreichen Märkten nicht mehr laufen wie bisher. Auch in den Krisenländern selbst gerät der Koloss mit 600.000 Mitarbeitern und 203 Milliarden Euro Umsatz ins Schleudern, wie dies vor Kurzem kaum möglich schien – ob in China, Brasilien oder Russland.
VW ist abhängig von wenigen Märkten
Die drei Märkte entscheiden über das Ach und Weh von VW. Auf ihnen verkauft der Konzern insgesamt 43 Prozent seiner Fahrzeuge und erzielte zuletzt ein Drittel seiner Gewinne. Dadurch bekommen die dortigen Probleme eine besondere Qualität. Der Düsseldorfer Waschmittel- und Klebstoffhersteller Henkel oder der Sportartikler Adidas etwa klagen auch, der eine über enttäuschte Erwartungen in China, der andere in Russland. Bei VW jedoch verdichten sich die über den Globus verteilten Krisen wie unterm Brennglas zu einem Brandherd, der den ganzen Konzern erfasst.
Bis eben noch von zweistelligen Wachstumsraten und -aussichten kaschiert, gewinnen plötzlich jahrelange Versäumnisse an Gewicht und entfalten geballt ihre Wirkung: hier die unausgewogene Internationalisierung mit Schwerpunkt China und Schwachpunkt Südostasien; dort die verfehlte Modellpolitik, die die Bedürfnisse auf Riesenmärkten wie in den USA oder Brasilien ignorierte; schließlich die Missachtung der Konkurrenz, die erfolgreich angreift.
Wie ernst die Lage ist, zeigen die bisher wenig bekannten Schnelloperationen, zu denen VW in den Krisenregionen gerade gezwungen ist. So kämpft der Konzern im Reich der Mitte nach einem Plus von zehn Prozent bei der Kernmarke VW im vergangenen Jahr nun mit einem Absatzrückgang von fast sieben Prozent nach den ersten sechs Monaten gegenüber dem Vorjahreszeitraum.
Fahrzeugproduktion und -absatz in China seit 2008
Produktion: 6,74 Millionen Autos und 2,56 Millionen Nutzfahrzeuge
Absatz: 6,76 Millionen Autos und 2,63 Millionen Nutzfahrzeuge
Quelle: Statista.de
Produktion: 10,38 Millionen Autos und 3,41 Millionen Nutzfahrzeuge
Absatz: 10,33 Millionen Autos und 3,31 Millionen Nutzfahrzeuge
Produktion: 13,9 Millionen Autos und 4,37 Millionen Nutzfahrzeuge
Absatz: 13,76 Millionen Autos und 4,3 Millionen Nutzfahrzeuge
Produktion: 14,49 Millionen Autos und 3,93 Millionen Nutzfahrzeuge
Absatz: 14,47 Millionen Autos und 4,03 Millionen Nutzfahrzeuge
Produktion: 15,52 Millionen Autos und 3,75 Millionen Nutzfahrzeuge
Absatz: 15,5 Millionen Autos und 3,81 Millionen Nutzfahrzeuge
Produktion: 18,09 Millionen Autos und 4,03 Millionen Nutzfahrzeuge
Absatz: 17,93 Millionen Autos und 4,06 Millionen Nutzfahrzeuge
Produktion: 19,92 Millionen Autos und 3,8 Millionen Nutzfahrzeuge
Absatz: 19,7 Millionen Autos und 3,79 Millionen Nutzfahrzeuge
Produktion (Januar-März): 5,31 Millionen Autos und 0,89 Millionen Nutzfahrzeuge
Absatz (Januar-März): 5,31 Millionen Autos und 0,85 Millionen Nutzfahrzeuge
Laut Insidern reagiert VW auf den Einbruch, indem das Management die Produktion des Passat-Schwestermodells Magotan, des Golf und des Jetta-Imitats Lamando in den chinesischen Werken zurückfährt. Vom Magotan etwa habe die Monatsproduktion bisher im Schnitt rund 15.000 Fahrzeuge betragen, rechnet Autoexperte Jochen Siebert von der Unternehmensberatung JSC in Shanghai vor. Im März seien es nur noch 8600, im April sogar nur noch 5600 gewesen. Nach Sieberts Einschätzung reduzierte VW „die Produktion bestimmter Modelle, auf das ganze Jahr gerechnet, um 10 bis 20 Prozent“.