VW Die drei Probleme des Martin Winterkorn

Zum Halbjahr war Volkswagen erstmals der größte Autobauer der Welt. Doch die Krisen in China, Brasilien und Russland bringen die Probleme des größten deutschen Konzerns ans Licht: Schnell-Operationen reichen nicht aus.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
VW-Märkte in China, Russland und Brasilien Quelle: imago, Montage

Zu gewöhnlichen Zeiten lässt sich im Dresdner VW-Werk diese Szene dutzendfach beobachten: Der Lack schimmert tiefschwarz, die Sitze sind mit feinstem weißem Leder bezogen. Ein Mitarbeiter streicht mit der Hand über das Fahrzeug und sagt stolz: „Das geht nach China.“

Aber gewöhnliche Zeiten sind es nicht in diesen Monaten für Deutschlands größten Konzern. Und so hat der Satz inzwischen Seltenheitswert in der Gläsernen Manufaktur in Dresden, wo VW seit 2002 die Luxuslimousine Phaeton zusammenbaut. An immer mehr Tagen ruht an der Elbe die Montage. Bis zu 80 Prozent der Karossen gehen für gewöhnlich nach China. Seit Monaten kommen die Bestellungen von dort aber nur noch „tröpfchenweise“, sagt ein Konzerninsider. Das Gros der 500 Beschäftigten muss deshalb ins VW-Werk nach Mosel, westlich von Dresden, um bei der Produktion des VW Golf und Passat zu helfen.

Die Krisenszenarien der deutschen Autobauer

Es ist nicht nur Sachsens Hauptstadt, wo der weltgrößte Autohersteller ächzt, weil die Geschäfte in aussichtsreichen Märkten nicht mehr laufen wie bisher. Auch in den Krisenländern selbst gerät der Koloss mit 600.000 Mitarbeitern und 203 Milliarden Euro Umsatz ins Schleudern, wie dies vor Kurzem kaum möglich schien – ob in China, Brasilien oder Russland.

VW ist abhängig von wenigen Märkten

Die drei Märkte entscheiden über das Ach und Weh von VW. Auf ihnen verkauft der Konzern insgesamt 43 Prozent seiner Fahrzeuge und erzielte zuletzt ein Drittel seiner Gewinne. Dadurch bekommen die dortigen Probleme eine besondere Qualität. Der Düsseldorfer Waschmittel- und Klebstoffhersteller Henkel oder der Sportartikler Adidas etwa klagen auch, der eine über enttäuschte Erwartungen in China, der andere in Russland. Bei VW jedoch verdichten sich die über den Globus verteilten Krisen wie unterm Brennglas zu einem Brandherd, der den ganzen Konzern erfasst.

Diese Autos kaufen Chinesen am liebsten
Platz 10: VW PassatEin Passat „nur“ auf dem zehnten Platz in der Zulassungsstatistik – in Deutschland undenkbar. Dennoch kann sich der Erfolg der NMS-Version des Passats (New Midsize Sedan), die in den USA und China verkauft wird, sehen lassen: Im ersten Halbjahr kam der Passat in China auf  135.954 Neuzulassungen. Zum Vergleich: In Deutschland kam der Passat, trotz oder wegen des anstehenden Modellwechsels ,in der Statistik von Januar bis Juni hinter dem Golf auf den zweiten Platz – allerdings reichen dafür hierzulande gerade einmal 35.533 Neuzulassungen. Quelle: Presse
Platz 9: Great Wall Haval H6Great Wall Motors gehört zu den größten SUV-Herstellern Chinas. Sein Bestseller ist der Haval H6, teilweise auch Hover H6 genannt. Das Kompakt-SUV ist mit 4,64 Metern etwa so groß wie ein Audi Q5. Mit  143.119 Zulassungen ist der H6 das beliebteste SUV Chinas im ersten Halbjahr 2014. Quelle: Presse
Platz 8: Nissan SylphyAb jetzt folgen nur noch die in China gefragteste Karosserieform – viertürige Stufenheck-Limousinen in allen erdenklichen Größen. Den Anfang macht auf dem achten Rang der Nissan Sylphy, der als Kompakt-Limousine für chinesische Verhältnisse geradezu klein ist. Mit 4,61 Metern ist er in etwa so lang wie hierzulande ein Golf Kombi. Im ersten Halbjahr konnte Nissan 145.214 Sylphys verkaufen. Quelle: Presse
Platz 7: Buick Excelle XTIhnen kommt der Buick Excelle XT irgendwie bekannt vor? Kein Wunder, schließlich ist es ein Opel Astra. Lediglich die Logos außen und innen wurden getauscht, ebenso der verchromte Kühlergrill – Badge-Engineering vom Feinsten. Mit dieser wohl einfachsten Art der „Modellentwicklung“ bringt es die GM-Tochter immerhin auf 147.404 Neuzulassungen. Quelle: Presse
Platz 6: VW JettaJetzt wird es etwas kompliziert: 152.621 Neuzulassungen in China gab es für den VW Jetta. Unter diesem Namen wurde auch in Deutschland jahrelang die viertürige Limousine auf Basis des Golf verkauft. Auf den aktuellen Jetta trifft das nur noch in Teilen zu. Um den Ansprüchen der amerikanischen und chinesischen Kunden zu entsprechen, übernimmt der Jetta von der Plattform des Golf VI zwar zahlreiche Teile, ist aber deutlich länger. Der Jetta wird in China allerdings auch noch unter anderen Modellbezeichnungen verkauft. Quelle: Presse
Platz 5: VW SagitarEin Beispiel dafür ist der VW Sagitar. Er entspricht zwar technisch und weitestgehend auch optisch dem Schwestermodell Jetta, wird aber nicht von VW selbst, sondern von dem Joint Venture FAW-VW zusammen mit First Automotive Works - gebaut. Und dieses formell eigenständige Unternehmen nennt seinen Jetta eben anders. Am Verkaufserfolg ändert sich wenig, der Sagitar kam im ersten Halbjahr auf 155.393 Neuzulassungen. Quelle: Presse
Platz 4: VW SantanaDer seit 2013 gebaute Santana ist eine Eigenentwicklung von Shanghai Volkswagen, speziell für den chinesischen Markt. Damit ist der Santana eines der wenigen VW-Modelle in China, das nicht auf einem bestehenden Fahrzeug basiert. Mit einer Länge von 4,47 Metern gehört der Santana zu den kleineren Limousinen. Er brachte es im ersten Halbjahr auf 161.957 Neuzulassungen. Shanghai Volkswagen ist übrigens ein weiteres VW-Joint Venture aus der Shanghai Automotive Industry Corporation und eben Volkswagen. Quelle: Presse

Bis eben noch von zweistelligen Wachstumsraten und -aussichten kaschiert, gewinnen plötzlich jahrelange Versäumnisse an Gewicht und entfalten geballt ihre Wirkung: hier die unausgewogene Internationalisierung mit Schwerpunkt China und Schwachpunkt Südostasien; dort die verfehlte Modellpolitik, die die Bedürfnisse auf Riesenmärkten wie in den USA oder Brasilien ignorierte; schließlich die Missachtung der Konkurrenz, die erfolgreich angreift.

Wie ernst die Lage ist, zeigen die bisher wenig bekannten Schnelloperationen, zu denen VW in den Krisenregionen gerade gezwungen ist. So kämpft der Konzern im Reich der Mitte nach einem Plus von zehn Prozent bei der Kernmarke VW im vergangenen Jahr nun mit einem Absatzrückgang von fast sieben Prozent nach den ersten sechs Monaten gegenüber dem Vorjahreszeitraum.

Fahrzeugproduktion und -absatz in China seit 2008

Laut Insidern reagiert VW auf den Einbruch, indem das Management die Produktion des Passat-Schwestermodells Magotan, des Golf und des Jetta-Imitats Lamando in den chinesischen Werken zurückfährt. Vom Magotan etwa habe die Monatsproduktion bisher im Schnitt rund 15.000 Fahrzeuge betragen, rechnet Autoexperte Jochen Siebert von der Unternehmensberatung JSC in Shanghai vor. Im März seien es nur noch 8600, im April sogar nur noch 5600 gewesen. Nach Sieberts Einschätzung reduzierte VW „die Produktion bestimmter Modelle, auf das ganze Jahr gerechnet, um 10 bis 20 Prozent“.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%