Ulrich Eichhorn hat einen herausragenden Job. Er soll bei Volkswagen die technische Entwicklung der Marken koordinieren und dabei die Einführung von Elektroautos beschleunigen. Dabei ist er direkt Konzernchef Matthias Müller unterstellt. Der Mann kennt sich aus, er hat früher schon einmal für VW gearbeitet.
Schönheitsfehler: Die vergangenen vier Jahre war er Geschäftsführer des Verbands der Automobilindustrie (VDA). Als Industrielobbyist musste er die hohen Stickoxidemissionen des Dieselmotors, die den Ausgangspunkt des VW-Skandal bildeten, kleinreden. Eichhorn arbeitete eifrig daran, den Autoherstellern gewisse Hintertürchen in den Umweltgesetzen offenzuhalten. Das geht aus Unterlagen hervor, die der WirtschaftsWoche vorliegen.
Ausgerechnet der ehemalige Dieselgesundbeter Eichhorn soll VW zum Vorzeige-Ökoautobauer machen? „Ein Witz“, lästert ein Berliner Lobbyistenkollege, der Eichhorn regelmäßig in Aktion erlebte.
Bei der Bewältigung des Dieselskandals lässt VW offenbar kaum einen Fettnapf aus. Dafür ist die Personalie Eichhorn nur ein Beleg. Statt glaubhaft um Vertrauen zu kämpfen, brachte VW im ersten halben Jahr nach dem Bekanntwerden des Skandals Kunden, US-Behörden und Öffentlichkeit gegen sich auf. Erst in den nächsten Wochen, sieben Monate nach Bekanntgabe der Abgasbetrügereien, will das Unternehmen einen Bericht über die internen Untersuchungen vorlegen, den die US-Kanzlei Jones Day verfasste. Dann wird sich zeigen, ob der Konzern es wirklich ernst meint mit der Aufklärung – und ob er in Zukunft seine Probleme in Sachen gesetzestreuer Unternehmensführung (Compliance) löst.
VW tut sich nach wie vor schwer
Die Debatten um die Ausschüttung der Vorstandsboni in der vergangenen Woche deuten darauf hin, wie schwer sich Volkswagen noch immer tut, Einsicht zu zeigen. Zum einen ist es zweifelhaft, Boni auf Basis von Gewinnen auszuschütten, die zum Teil auf Betrügereien basieren. Zum anderen dürfte eine Debatte um Bereicherung von Vorständen kaum geeignet sein, US-Behörden milde zu stimmen.
Was bei Volkswagen im April wichtig wird
VW ist seit Monaten auf der Suche nach einer technischen Umbaulösung für die manipulierten Dieselautos in den USA, die die US-Umweltbehörde EPA zufriedenstellt. Teil einer Einigung werden mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Rückkäufe. Die Frage ist: Wie viele der 580.000 manipulierten US-Diesel muss der Konzern zurücknehmen?
Müller sagte Anfang des Jahres in Detroit, der Rückkauf von 100.000 Autos wäre eine denkbare Option – es ist aber nicht ausgeschlossen, dass VW alle betroffenen Diesel in den USA zurückkaufen muss, weil es keine technische Lösung gibt, um die Abgasvorgaben einzuhalten. Setzt man in diesem Szenario zum Beispiel einen durchschnittlichen Wert von 20.000 Dollar an, ergäben sich Kosten von 11,6 Milliarden Dollar.
Die nächste hohe Zahlung droht VW durch eine Zivilklage, die das US-Justizministerium einreichte. Hier wäre eine Maximalstrafe von 45 Milliarden Dollar möglich – plus eine Summe, die das Gericht festlegt. In dieser Klage wird wohl auch die anfänglich genannte Maximalstrafe von 18 Milliarden Dollar aufgehen. Beides sind theoretische Werte, es gibt keine verlässlichen Schätzungen für die tatsächlichen Kosten. VW dürfte einen Vergleich anstreben.
Beim US-Bezirksrichter Breyer sind die Milliardenklage und auch alle anderen US-Zivilklagen von der Finanzaufsicht FTC, Bundesstaaten, VW-Besitzern und Autohäusern gebündelt. Er ist deshalb ein sehr wichtiger Mann in der Frage, wie teuer der Abgas-Skandal für VW wird. Breyer hat dem Konzern und den Behörden ein Ultimatum bis zum 21. April gesetzt, eine Lösung für die manipulierten Dieselautos zu finden. Ansonsten will er bereits im Sommer mit dem Prozess beginnen.
Spätestens bis zur Bilanz-Pressekonferenz am 28. April sollte VW Klarheit haben, wie viel Geld für drohende Strafen zurückgelegt werden muss. Davon hängt wiederum indirekt ab, wie hart die Wolfsburger sparen müssen und wie viele Stellen dies womöglich kostet. Auch die Dividende für Großaktionäre wie die Porsche SE, den Staatsfonds aus Katar und das Land Niedersachsen ist in Gefahr.
Anleger dürften diesmal neben Umsatz und Gewinn vor allem die Kapitalstärke im Auge haben. Wie viel Bargeld hat der Konzern, wie viel Cash fließt aus dem laufenden Geschäft nach Wolfsburg? Bei der Netto-Liquidität – also dem Bargeldbestand abzüglich Schulden – gelten 20 Milliarden Euro bei VW als magische Grenze, die nicht unterschritten werden sollte. Ansonsten könnte das Folgen für die Kreditwürdigkeit haben. Geld zu leihen, wäre für VW dann noch teurer.
Im April soll der Zwischenbericht zu den internen Ermittlungen im Abgas-Skandal vorgestellt werden. Die Kanzlei Jones Day hat bei VW Schriftstücke, Mails und Telefondaten ausgewertet sowie Mitarbeiter verhört. Die Frage, wer von den Manipulationen wusste, ist auch entscheidend für die Klagen gegen VW und für strafrechtliche Ermittlungen gegen Einzelpersonen.
Wenn die Ermittler keine Verantwortlichen auf der Ebene des Konzernvorstands finden, wäre das gut für VW. Andernfalls wäre es mit Blick auf alle möglichen Zivilklagen sehr ungünstig, weil das Handeln des Vorstands von Gerichten oft als Handeln des Unternehmens ausgelegt wird – und dann kann es teuer werden.
Die Klagen von Anlegern, die ihre Aktienkursverluste von VW ersetzt haben wollen, liegen beim Landgericht Braunschweig. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird bald eine Musterklage zugelassen, deren Urteil auf andere Fälle übertragen werden könnte. Anfang April lagen dem Landgericht zufolge über 80 einzelne Klagen vor.
Fest steht schon jetzt: Die VW-Oberen haben offenbar kaum Konsequenzen aus den Auseinandersetzungen gezogen, die andere deutsche Konzerne mit US-Behörden hatten. Als Vorzeigefall gilt Siemens: Vor zehn Jahren musste Aufsichtsratschef Gerhard Cromme den von einer Schmiergeldaffäre gebeutelten Konzern auf amerikanischen Druck hin tief greifend verändern. Nur so kam Siemens mit einer Strafe von rund 800 Millionen Dollar in den USA vergleichsweise glimpflich davon.
Zwar soll Volkswagen sich bei Siemens erkundigt haben, offenbar aber ohne Konsequenzen daraus zu ziehen. „VW hat daraus nichts gelernt“, sagt einer der Anwälte, die damals Siemens monatelang intern durchleuchteten. Weder die deutschen noch die amerikanischen Anwälte wollen mit Namen genannt werden. In Gesprächen aber zeigen sie sich bestürzt, wie wenig Lehren VW aus dem Fall Siemens gezogen hat.
Auf bis zu 100 Milliarden Dollar könnten sich die Strafen von US-Behörden für VW addieren, hat der Augsburger Wirtschaftsrechtsprofessor Thomas Möllers berechnet. Der Spielraum der Behörden ist enorm. Ob VW am Ende fünf oder 100 Milliarden Dollar berappen muss, entscheidet sich vor allem daran, wie vertrauenswürdig der Konzern aus Sicht der US-Behörden mit dem Skandal umgeht.
„Und so wie es im Moment aussieht“, sagt ein Anwalt, der Siemens gegenüber den US-Behörden vertrat, „steuert VW eher auf das obere als das untere Ende zu.“ Was aber hat Siemens besser gemacht, was hat VW versäumt?
Falscher Aufklärer: Oberster Aufklärer im VW-Dieselskandal ist der heutige Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch, der zwölf Jahre für die Finanzen verantwortlich war, davon fast neun als engster Vertrauter an der Seite von Chef Martin Winterkorn. „Allein, dass Pötsch die Aufklärung von Vorgängen steuert, die allesamt in seiner Zeit als mächtiger Finanzvorstand passierten, kann in den Augen der US-Behörden die ganze Aufklärung unglaubwürdig machen“, sagt ein Rechtsanwalt, der bei der Aufklärung des Siemens-Skandals eine tragende Rolle hatte. Anders bei Siemens: Dort musste der damalige Chefaufseher Heinrich von Pierer fünf Monate nach dem Auffliegen des Skandals weichen, weil die Schmiergelder in der Zeit gezahlt worden waren, in der er Konzernchef war.