Der Machtkampf bei VW ist vorerst entschieden. Der „Göttervater“, wie ein Aktionär Ferdinand Piëch einst bezeichnete, hat eine herbe Niederlage kassiert. Vorstandschef Martin Winterkorn bleibt, sein Vertrag soll sogar über 2016 hinaus verlängert werden. Doch aufgeschoben ist in der Wolfsburger Führungskrise nicht aufgehoben: Selbst Winterkorn wir nicht ewig VW-Boss bleiben, schließlich ist der Schwabe bereits 67 Jahre alt.
Für einige hochrangige Mitarbeiter die beste Zeit, sich zu positionieren. Dass ein externer Manager das Ruder in Wolfsburg übernimmt, gilt als äußerst unwahrscheinlich. Nicht nur die bei Volkswagen mächtige Arbeitnehmerseite favorisiert einen Vorstandsvorsitzenden aus den eigenen Reihen. Zumal es im Konzern mehr als genügend fähige Manager gibt, die als potenzielle Kronprinzen in Betracht kommen.
Seit VW-Patriarch Piëch seinen einstigen Ziehsohn Winterkorn öffentlich angezählt hatte, geisterten die verschiedensten Namen durch die Medien – dieses Magazin nicht ausgenommen. Ein Name fiel immer wieder: Matthias Müller, Porsche-Chef.
Müller will nicht, würde aber
Müller brächte zahlreiche Qualitäten mit, zweifelsohne. Er gilt als äußerst loyal, gab ohne Murren seinen Posten als oberster VW-Produktstratege auf, um den eigenwilligen Sportwagenbauer Porsche nach der Übernahmeschlacht in den VW-Konzern zu integrieren. Eine Aufgabe, die Müller mit Bravour meisterte – was ihm in Wolfsburg und Salzburg großen Respekt einbrachte. Wegen seiner Loyalität würde er wohl auch zusagen, wenn er gebeten würde.
Doch Müller selbst legt auf den Chefsessel bei Europas größtem Autobauer gar keinen Wert. Noch auf dem Genfer Autosalon Anfang März hatte er sich offen dagegen ausgesprochen. „Wenn man über einen Generationswechsel spricht, dann denke ich nicht, dass ich dafür dann noch der richtige Mann bin“, sagte Müller im Interview mit der WirtschaftsWoche. Was gegen den Porsche-Chef spricht: Müller ist schon 61 Jahre alt. Wenn Winterkorns bis 2016 laufender Vertrag wie angekündigt verlängert wird, geht Müller ebenfalls auf das Rentenalter zu. Ob er dann noch für eine ähnlich lange Amtszeit wie Winterkorn, der VW dann über zehn Jahre führen würde, in Frage kommt, darf stark bezweifelt werden.
Piëch und seine Figuren
Auf dem Weg des Ferdinand Piëch vom Audi-Manager auf den Aufsichtsratschefsessel des größten Autokonzerns Europas, blieb so mancher Top-Manager auf der Strecke. Die wichtigsten Stationen zusammengefasst.
Nach fünf Jahren als Vize übernimmt Piëch bei Audi den Chefsessel von Wolfgang Habbel und baut die Marke mit den vier Ringen zur Premiummarke um. In die Ära des Vollblutingenieurs fällt die Entwicklung des Super-Diesels TDI sowie des Allradantriebs Quattro.
Als neuer VW-Chef wirbt Piëch den Einkaufschef José Ignacio López vom Konkurrenten General Motors (GM) ab, der die Preise der Zulieferer drücken soll. Wegen des Verdachts, GM-Betriebsgeheimnisse an VW verraten zu haben, muss Piëch 1996 López fallen lassen.
Piëch heuert das IG-Metall- und SPD-Mitglied Peter Hartz als VW-Personalchef an. Der führt die Vier-Tage-Woche ein und spart so 500 Millionen Euro Lohnkosten. Nachdem auffliegt, dass VW unter ihm Luxusreisen und Bordellbesuche für Betriebsräte finanzierte, muss Hartz gehen.
Als Piëch 2002 VW-Aufsichtsratschef wird, installiert er Ex-BMW-Chef Bernd Pischetsrieder als VW-Lenker. Der agiert eigenständig, macht Piëch-Ideen rückgängig. Fünf Jahre später schweigt Piëch demonstrativ, als er gefragt wird, ob Pischetsrieder im Amt bleibt. Kurz darauf holt er Winterkorn.
Jahrelang versuchte Porsche-Chef Wendelin Wiedeking unter der Aufsicht von Piëch VW zu übernehmen. Als dies scheitert, sagt Piëch auf die Frage von Journalisten, ob Wiedeking sein Vertrauen genieße: „Zurzeit noch. Das ,Noch‘ können Sie streichen.“ Wiedeking muss gehen.
Die Bühne ist also für die jüngeren Spitzenkräfte bei Volkswagen geebnet. Herbert Diess ist einer von ihnen – oder besser gesagt wird einer von ihnen: Denn der ehemalige Entwicklungsvorstand von BMW muss erst einmal seinen Dienst in Wolfsburg antreten.
Diess muss die Kernmarke reformieren
Als das Duell um die Nachfolge von Norbert Reithofer als BMW-Boss für den Produktionsvorstand Harald Krüger und gegen Diess ausging, setzte sich dieser zu Volkswagen ab. Im Juli 2015 – früher erlaubt es die Kündigungsfrist nicht – übernimmt er den Vorstand der Marke Volkswagen von Martin Winterkorn, der sich dann voll auf die Leitung des Konzerns konzentrieren kann.
Zu den Projekten, die Diess in München bis zuletzt betreute, gehört unter anderem der 2er Active Tourer. Mit einem Van, Fronttriebler und Dreizylinder-Motor betrat BMW in gleich drei Gebieten Neuland. Besonders bei den Fahreigenschaften und dem Motor bekam der B-Klasse-Konkurrent von der Fachpresse ausgesprochen gute Noten.
Auch bei der Entwicklung der skalierbaren BMW-Architektur – ähnlich den VW-Baukästen – war der studierte Fahrzeugtechniker und Maschinenbauer federführend. Gerade bei der Einführung des Baukasten-Systems hatte es bei VW immer wieder gehakt – unter anderem deswegen musste im August 2014 der damalige Produktionsvorstand Michael Macht seinen Schreibtisch in Wolfsburg räumen –, während bei BMW die Umstellung weitgehend reibungslos vonstatten ging.
Dazu kommt: Zulieferer fürchten den gebürtigen Münchner, Diess gilt als rücksichtsloser Kostenkiller – ein Ruf, den auch Ferdinand Piëch in seiner Zeit als VW-Chef hatte.
Was Renschler und Neußer auszeichnet
Geht es nach einigen Branchenexperten, spielt die aktuelle Konstellation Diess in die Karten: Winterkorn bleibt noch bis 2017 oder 2018, in dieser Zeit kann der Ex-BMW-Manager sich bei Volkswagen einleben und sich den notwendigen Respekt im Haus verschaffen. Indem er zum Beispiel das schleppende US-Geschäft auf Vordermann bringt oder die schwache Rendite der Marke VW deutlich verbessert. Eben jene Punkte, die Winterkorn negativ angekreidet wurden.
Was für Diess gilt, trifft auch auf Andreas Renschler zu. Im Machtkampf bei einem deutschen Autobauer unterlegen, exzellenter Ruf in der Branche und als Vorstand nach Wolfsburg geflüchtet. Renschler ist nur ein Jahr älter als Diess, die Konstellation ist ähnlich: Kann sich der gebürtige Stuttgarter bei seinen Aufgaben im VW-Konzern beweisen und die hausinternen Sporen verdienen, sind seine Chancen auf den Vorstandsvorsitz gut.
Renschler soll die „Truck AG“ zum Marktführer machen
Dazu muss er allerdings eine weitere Baustelle lösen, die in der aktuellen Diskussion um Winterkorn, das US-Geschäft und die Renditeschwäche der Kernmarke in den Hintergrund gerückt ist: die lahmende Nutzfahrzeugsparte.
Die leichten Nutzfahrzeuge sind dabei weniger das Problem. Die fünfte Generation des „Bulli“ verkauft sich nach wie vor blendend, der Nachfolger T6 steht bereits in den Startlöchern. Anders sieht es bei den schweren Lastern aus.
Was VW 2014 in den USA verkauft hat
29.182 verkaufte Fahrzeuge im Jahr 2014
Quelle: CAR-Institut der Universität Duisburg-Essen
9.995 verkaufte Fahrzeuge im Jahr 2014
3.411 verkaufte Fahrzeuge im Jahr 2014
33.675 verkaufte Fahrzeuge im Jahr 2014
160.873 verkaufte Fahrzeuge im Jahr 2014
96.649 verkaufte Fahrzeuge im Jahr 2014
1.103 verkaufte Fahrzeuge im Jahr 2014
25.121 verkaufte Fahrzeuge im Jahr 2014
6.961 verkaufte Fahrzeuge im Jahr 2014
In der „Truck AG“ soll Renschler die beiden VW-Töchter MAN und Scania zu einem schlagkräftigen Brummi-Bauer formieren. Der Anspruch über allem ist bei VW die Weltmarktführerschaft, so auch bei den Lkw. Einfach ist das nicht: Ein Baukastensystem soll, analog zu den Pkw, die Entwicklungskosten senken und die Produktion flexibler machen. Besonders die Schweden von Scania stellen sich aber noch quer, gilt ihre technische Eigenständigkeit doch als großes Alleinstellungsmerkmal der Premium-Lkw. Hier ist der bei Daimler als durchsetzungsstark bekannt gewordene Renschler gefordert.
Neußer fehlt die Erfahrung im Vorstand
Mit 55 Jahren fällt Hans-Jakob Neußer ebenfalls in die Altersklasse von Diess und Renschler. Als Chefentwickler der Marke Volkswagen gehört er zwar bislang nicht dem Konzernvorstand an – das Ressort Forschung & Entwicklung wird im Vorstand von Winterkorn vertreten –, trägt aber de facto die Verantwortung für die wichtige Entwicklung sämtlicher VW-Modelle.
Als oberster Motorenentwickler bei Porsche (seit 2001) und Volkswagen (seit 2012) hat sich Neußer bei den mächtigen Familien Porsche und Piëch Ansehen verdient. Da ihm aber die Vorstandserfahrung fehlt, gilt er nicht als Favorit. Die von Ferdinand Piëch stets geforderte Kernkompetenz eines VW-Chefs, ein versierter Techniker zu sein, hat er hingegen schon.
Letzteres trifft auch auf Ulrich Hackenberg zu. Der Entwicklungsvorstand der VW-Tochter Audi gilt als einer der besten Techniker im ganzen Konzern. Aus diesem Grund nahm Winterkorn seinen Vertrauten Hackenberg einst auch von Audi mit nach Wolfsburg – und schickte ihn auch genau aus diesem Grund nach Ingolstadt zurück, als nach den glücklosen Michael Dick und Wolfgang Dürheimer der Audi-Slogan „Vorsprung durch Technik“ zu einem leeren Versprechen zu verkommen drohte.
Viele schätzen auch die besonnene und unauffällige Art des promovierten Fahrzeugtechnikers. Ernste Diskussionen und Konflikte trägt er lieber im kleinen Kreis hinter verschlossenen Türen als in der Öffentlichkeit aus. Sein Faible für Innovationen und Qualität sind intern geschätzt wie gefürchtet.
Doch ein Detail streicht Hackenberg von der Liste der möglichen Kronprinzen: Am 12. Mai feiert er seinen 65. Geburtstag. Dass er 2018 nochmals nach Wolfsburg umzieht, gilt als ausgeschlossen.
Wobei: Bis Freitag hätte auch kaum jemand für möglich gehalten, dass Ferdinand Piëch eine derartige Niederlage einstecken muss.
Wenn Winterkorns Vertrag 2016 wirklich verlängert wird – was bislang nur angekündigt, aber noch lange nicht unterschrieben ist –, hat das Trio Diess, Renschler und Neußer noch etwas Zeit, sich für höhere Aufgaben im Konzern zu empfehlen. Ob sie dann von einem Aufsichtsratschef namens Piëch oder doch Winterkorn auf den Vorstandsvorsitz berufen werden, steht aber auf einem anderen Blatt Papier.