Es war mehr als heftiger Gegenwind, der den Damen und Herren auf dem Podium in der Halle 3 des Hannoveraner Messegeländes entgegenschlug. Die Stimmung auf der Hauptversammlung des Volkswagen-Konzerns 2016 war aggressiv, die Verbitterung und Enttäuschung über die millionenfache Abgas-Manipulation und das Verhalten des Managements groß. Sogar von krimineller Energie und Vollkasko-Mentalität war die Rede. „Es ist schon fast eine Binsenweisheit, dass die Führung von VW nicht den Standards einer guten Unternehmensführung entspricht“, schimpfte Markus Dufner, Geschäftsführer des Dachverbands der kritischen Aktionäre. „Das ist vor allem die Schuld des Aufsichtsrats. Herr Pötsch, einen Neuanfang kann es mit Ihnen nicht geben!“
Elf Monate später – die Hauptversammlung war im vergangenen Jahr wegen des Abgasskandals verschoben worden – steht Hans Dieter Pötsch wieder am Pult vor den versammelten Volkswagen-Aktionären. Die Kritik von damals ist weitestgehend abgeklungen – der mangelnde Aufklärungswille, die Boni-Debatte über das Vergütungssystem, die Milliarden-Verluste. Selbst vom britischen Hedgefonds TCI, der den Konzern im vergangenen Jahr scharf attackiert hatte, kommen inzwischen versöhnliche Töne.
Wie sich die Lage in den vergangenen elf Monaten geändert hat, lässt sich an einem Wort festmachen. Sprach Pötsch im Jahr 2016 immer von der „Dieselthematik“ – ein Begriff, den die VW-Hausjuristen erdacht haben –, wich er bei der Hauptversammlung 2017 vom Redemanuskript ab. Statt von der „Dieselthematik“ sprach Pötsch vor den Aktionären erstmals offen von der „Dieselkrise“.
Die wichtigsten Eckdaten aus der VW-Konzernbilanz 2016
2016: 217,3 Milliarden Euro
2015: 213,3 Milliarden Euro
2016: 5,1 Milliarden Euro
2015: -1,6 Milliarden Euro
2016: 7,1 Milliarden Euro
2015: -4,1 Milliarden Euro
2016: 14,6 Milliarden Euro
2015: 12,8 Milliarden Euro
2016: 10,39 Millionen Fahrzeuge
2015: 10,01 Millionen Fahrzeuge
2016: 626.715 Mitarbeiter
2015: 610.076 Mitarbeiter
Elf Mal habe der Aufsichtsrat 2016 getagt oder sich zu einer Telefonkonferenz zusammengefunden, berichtet Pötsch. „Das zeigt, wie ernst es der Aufsichtsrat mit der Aufklärung der Dieselkrise meint“, sagt der Vorsitzende. Das Aktionärsplenum bleibt still – im vergangenen Jahr hätte es hier noch Zwischenrufe gegeben. 2017 wird Pötsch in seiner Rede nur einmal unterbrochen: Als er rund 20 Minuten lang das komplexe System zur Vorstandsvergütung erklärt, ruft ein Anteilseigner laut: „Das versteht doch kein Mensch!“
Das operative Geschäft läuft wieder
Klar und deutlich wurde es an anderer Stelle. „Dem Aufsichtsrat ist bewusst, dass Volkswagen viele Kunden und Aktionäre enttäuscht hat“, sagt Pötsch. „Wir haben daraus gelernt und werden daraus lernen. Ich bin mir sicher, dass wir auf einem guten Weg sind.“
Ein Punkt, der Pötsch recht gibt: Trotz verschiedener Einbußen läuft das operative Geschäft. Im ersten Quartal verdiente der Konzern unterm Strich 3,4 Milliarden Euro. Aus VW-Sicht besonders positiv: In der Gewinnrechnung ist die Dieselaffäre abgegolten, VW hat im Auftaktquartal keinen einzigen Euro für Rechtsrisiken oder Strafzahlungen zurückgestellt. Für das Gesamtjahr 2015 musste der Konzern noch 16,2 Milliarden Euro zurückstellen, im vergangenen Jahr nochmals 6,4 Milliarden Euro. Wenn es gut läuft, reicht dieser Milliarden-Puffer für die noch offenen Prozesse und Zahlungen aus – und VW muss für 2017 keine weiteren Rückstellungen aufbauen.
Ein weiteres Indiz, dass ein ordentlicher Teil des Abgasskandals verdaut ist: Beim Umsatz konnte der Konzern im vergangenen Jahr um 1,9 Prozent auf 217 Milliarden Euro zulegen. Und trotz des angestoßenen Kulturwandels in Wolfsburg immer noch wichtig: Volkswagen konnte auch beim Absatz zulegen und mit 10,39 Millionen verkauften Fahrzeugen Toyota als weltgrößten Autobauer überholen. Ausgerechnet im Jahr 1 nach Dieselgate.
Grund genug für ein neues Selbstbewusstsein? Nicht mit Konzernchef Matthias Müller. „Nach meiner Überzeugung ist Größe niemals Selbstzweck“, gibt sich der Vorstandsvorsitzende vor den Aktionären demütig. „Sie ist allenfalls das Ergebnis guter Arbeit.“ Um die öffentlich vorgetragene Haltung und den Bruch mit der früheren Konzernkultur deutlich zu machen, schiebt Müller hinterher: „Wir werden nicht mehr von neuen Rekorden angetrieben. Uns geht es darum, unsere Produkte immer besser zu machen. Und damit die Zukunft unseres Unternehmens zu sichern.“
Ausgestanden ist der Abgasskandal lange nicht
Doch eines ist klar: Ausgestanden ist der Abgasskandal lange nicht. Er drückt zwar nicht mehr auf den Gewinn wie in den vergangenen beiden Jahren, aus der Bilanz ist er aber noch nicht getilgt. Denn VW hat zwar viel Geld zurückgestellt, gezahlt ist es aber noch nicht. Wie das „Handelsblatt“ schreibt, rechnet Arndt Ellinghorst von Evercore ISI für 2016 mit zwölf Milliarden Euro Cash-Abfluss. VW-Finanzvorstand Frank Witter spricht von „einem zweistelligen Milliardenbetrag“.
Zudem zeigt ein Blick in die Bilanz: Ende März lag die Netto-Liquidität im Auto-Bereich des Konzerns bei 23,6 Milliarden Euro. Das klingt nach viel Geld, heißt aber auch: Müssen die Dieselgate-Rückstellungen vollständig gezahlt werden (bislang liegt die Summe bei 22,6 Milliarden Euro), schrumpft die Finanzreserve fast komplett zusammen.
Noch ist nicht klar, wie viel Volkswagen in den USA wirklich zahlen muss. Teil der Einigung ist, dass die Kunden wählen können, ob der Konzern die betroffenen Autos zurückkaufen (was sehr teuer wäre) oder in einen gesetzeskonformen Zustand nachrüsten soll (was für VW deutlich günstiger wäre). Aber: In Europa laufen noch unzählige Anleger- und Verbraucherklagen, die bislang noch nicht eingepreist sind – und in der Summe teuer werden könnten. Bis die Kosten hier abschätzbar sind, wird es noch dauern: Zum Beispiel beginnt im Musterverfahren von VW-Aktionären vor dem Oberlandesgericht Braunschweig die mündliche Anhörung erst 2018.
Während der Ausgang der Gerichtsprozesse in den meisten Fällen noch offen ist, zeichnet sich in der Bilanz der Kapitalabfluss bereits ab. Im Gesamtjahr 2016 hat sich der Netto-Cashflow – also der Kapitalzufluss nach Abzug von Sachinvestitionen und Entwicklungskosten und nach dem Zufluss aus Desinvestitionen – in der Autosparte auf 4,3 Milliarden Euro halbiert. Im ersten Quartal, das wegen des Milliarden-Gewinns durchweg positiv aufgenommen wurde, ist der Rückgang noch stärker: Ein operativer Cashflow von knapp 300 Millionen Euro bedeutet einen Rückgang von 78 Prozent – obwohl der Gewinn um 40 Prozent gestiegen ist.
Zwar hat VW bereits vor Jahresfrist angekündigt, bei den Entwicklungsetats deutlich kürzen zu wollen. „In der Forschung und Entwicklung wollen wir bis 2020 um ein Drittel effizienter werden“, sagt Müller. „Nur so können wir das notwendige Geld für die Investitionen in Elektrifizierung, Digitalisierung und autonomes Fahren freispielen.“ In den vergangenen fünf Jahren habe man drei Milliarden Euro in elektrische Antriebe investiert. In den kommenden fünf Jahren soll dieser Betrag verdreifacht werden.
Die Kernmarke soll stärker werden
Doch mit dem Verzicht auf aufwändige und entsprechend teure Konstruktionen wie die Luxuslimousine Phaeton oder das nie zur Serienreife entwickelte Doppelkupplungsgetriebe mit zehn Gängen ist es nicht getan. Wie die gesamte Branche steht Volkswagen vor kostspieligen Entwicklungen bei den Megatrends Elektroantriebe, autonomem Fahren und Digitalisierung – zuzüglich der Entwicklungskosten für Brot-und-Butter-Modelle wie Polo, Golf und Passat oder die Weiterentwicklung von Benzin- und Dieselmotoren. All das geht ins Geld – das man besser in Reserve haben sollte.
Aktionärsverteilung der Volkswagen AG
Die von den Familien Porsche und Piëch kontrollierte PSE hält 52,2 Prozent der Volkswagen-Stammaktien.
Quelle: Unternehmen, eigene Recherchen
Das Land Niedersachsen ist in Besitz von 20,0 Prozent der Stammaktien. Damit hat die Staatskanzlei bei wichtigen Entscheidungen – etwa einer Kapitalerhöhung – ein Vetorecht, da bei Volkswagen solche Entscheidungen mit 80 Prozent der Stimmen plus einer Aktie getroffen werden müssen. Weitere Vorzüge für das Land Niedersachsen wurden nach einem EuGH-Urteil 2007 gestrichen.
Die Kataris haben sich im Zuge der Porsche-Übernahme 2009 mit 17 Prozent der Stammaktien eingekauft. Den Anteil hält der Staatsfonds bis heute, es sitzen auch zwei Vertreter Katars im Aufsichtsrat.
10,8 Prozent der Stammaktien befinden sich in Streubesitz.
Das wissen natürlich auch die Manager in Wolfsburg und arbeiten an mehreren Fronten dagegen an. Mit dem viel zitierten „Zukunftspakt“ soll die notorisch renditeschwache Kernmarke VW Pkw wieder auf Kurs gebracht werden. Nach dem zwischenzeitlich in der Öffentlichkeit geführten Streit zwischen VW-Markenchef Herbert Diess und Betriebsratsboss Bernd Osterloh scheint sich der Konflikt zu entschärfen. In einem am Dienstag verbreiteten Schreiben von Diess und Osterloh an die Belegschaft heißt es, dass der Pakt immer mehr Wirkung entfalte und so langfristig die Arbeitsplätze sichere.
Die Entwicklung spricht in der Tat für den Plan des Markenchefs. Nach einer schwachen Marge von 1,8 Prozent im Gesamtjahr 2016 steigerte sich VW Pkw im Auftaktquartal immerhin auf 4,6 Prozent. „Jetzt gilt es, den eingeschlagenen Kurs konsequent zu halten“, schrieben Osterloh und Diess.
Wie VW im ersten Quartal abgeschnitten hat
Im Auftaktquartal 2017 hat Volkswagen 2,495 Millionen Fahrzeuge abgesetzt – zum ersten Quartal 2016 ein Rückgang von 0,5 Prozent (2,508 Millionen Fahrzeuge).
Im Vergleich zum schwachen Jahresauftakt 2016 konnte VW deutlich zulegen. Die Umsatzerlöse stiegen von 50,964 Milliarden Euro auf 56,197 Milliarden Euro – plus 10,3 Prozent.
Das operative Ergebnis (Ebit) stieg um 27 Prozent auf 4,37 Milliarden Euro – zum Jahresauftakt 2016 waren es noch 3,44 Milliarden Euro. Die operative Rendite stieg von 6,8 auf 7,8 Prozent.
Das Ergebnis nach Steuern legte deutlich zu – von 2,365 Milliarden Euro im Q1 2016 auf aktuell 3,403 Milliarden Euro. Das entspricht einem Zuwachs von 43,9 Prozent.
Zum Stichtag 31. März 2017 haben 632.800 Menschen für VW gearbeitet. Gegenüber dem Jahr 2016 sind das 1,0 Prozent mehr – damals waren es 626.700 Menschen.
Bei dem Pkw-Kerngeschäft der Marke Volkswagen ist es schwierig, die Daten mit dem Aftaktquartal 2016 zu vergleichen. Im Zuge der Neuausrichtung der Konzernstrukturen ist die Zuordnung von Gesellschaften zwischen der Marke Volkswagen Pkw und dem Konzern ab 2017 angepasst worden. Damit soll die Transparenz und Vergleichbarkeit erhöht werden. In den ersten drei Monaten 2017 gingen die Umsatzerlöse der Marke infolge der damit einhergehenden Veränderung im Konsolidierungskreis um 24 Prozent auf 19,0 Milliarden Euro zurück. Das Operative Ergebnis vor Sondereinflüssen verbesserte sich von 73 auf 869 Millionen Euro. Neben Volumen-, Mix- und Margeneffekten wirkten sich Wechselkurseffekte positiv aus.
Mit 1,2 Milliarden Euro hat Audi das operative Ergebnis vor Sondereinflüssen des Vorjahres knapp verpasst – damals waren es noch 1,3 Milliarden Euro.
Bei Skoda stieg das operative Ergebnis aufgrund positiver Mixeffekte und geringerer Materialkosten um gut 32 Prozent auf 415 (315) Millionen Euro.
Seat verbesserte sein Operatives Ergebnis minimal von 54 auf 56 Millionen Euro.
Die Umsatzerlöse von Porsche Automobile lagen wie im Vorjahr bei 5,0 Milliarden Euro. Mixverbesserungen und positive Wechselkurseffekte sorgten für einen Anstieg des Operativen Ergebnisses von Porsche Automobile auf 932 (855) Millionen Euro. Neu ist, dass das Finanzdienstleistungsgeschäft von Porsche wird ab Januar 2017 als Teil der Volkswagen Finanzdienstleistungen berichtet.
Wie schon im ersten Quartal 2016 muss Bentley rote Zahlen ausgeben. Lag im Vorjahreszeitraum das Minus noch bei 54 Millionen Euro, waren es in diesem Jahr minus 30 Millionen Euro. Im Gesamtjahr 2016 war Bentley hingegen profitabel.
Aufgrund der hohen Nachfrage nach den Modellen Multivan/Transporter und Caddy stiegen in den ersten drei Monaten weltweit Absatz und Umsatz von Volkswagen Nutzfahrzeuge. Das Operative Ergebnis verbesserte sich um 44,5 Prozent auf 205 Millionen Euro. Bei der Marke Scania fiel in den ersten drei Monaten das Operative Ergebnis mit 324 Millionen Euro um 80 Millionen besser aus als ein Jahr zuvor. Bei MAN Nutzfahrzeuge übertraf das Operative Ergebnis vor Sondereinflüssen mit 93 (65) Millionen Euro das Niveau des Vorjahres. Der Anstieg resultierte im Wesentlichen aus dem höheren Volumen und Kosteneinsparungen. Bei MAN Power Engineering belief sich das Operative Ergebnis auf 26 (48) Millionen Euro.
Die Volkswagen Finanzdienstleistungen konnten ihr Operatives Ergebnis um 12,2 Prozent auf 551 Millionen Euro steigern, was – neben der erstmaligen Einbeziehung der Porsche Finanzdienstleistungen - vor allem auf das Geschäftswachstum zurückzuführen ist.
Für VW Pkw mag das reichen, im Gesamtkonzern sind auch radikalere Schritte denkbar, um die Cash-Reserven zu steigern: der Verkauf einzelner Marken. Im Falle der Audi-Tochter Ducati, einst auf Wunsch des VW-Übervaters Ferdinand Piëch in das Markenportfolio aufgenommen, hat der Konzern eine Investmentbank mit der Käufersuche beauftragt. Andere Randbereiche ohne große Synergien zum Autobau könnten folgen – etwa die Maschinenbau-Sparte von MAN. Aber auch ein teilweiser Börsengang der ausgelagerten Lkw-Holding gilt als denkbar.
Während ihren Reden auf der Hauptversammlung äußerten sich weder Pötsch noch Müller zu diesen Gerüchten. Doch das Bild, das Müller von der Zukunft zeichnet, lässt Rückschlüsse zu. 2025 will VW weiterhin einer der größten Autohersteller der Welt sein. Und Nummer eins in der Elektromobilität. Und ein Vorbild bei Umwelt sowie Sicherheit. Keine Attribute, die auf eine Motorradmarke zutreffen.
Für einen Autokonzern ist es aber eine anspruchsvolle Vision. Die große Aufgabe für Müller und den Vorstand wird es sein, diese Vision im Alltag zu etablieren. Einem Alltag, in dem die Dieselkrise, wie man neuerdings in Wolfsburg sagt, immer noch eine große Rolle spielen wird. Denn bald zieht Larry Thompson in der Konzernzentrale ein. Also jener US-Aufseher, der ein weiteres Dieselgate verhindern soll. Allein seine Anwesenheit wird tagtäglich eine Erinnerung an den Abgasskandal sein.