Herr Geißler, VW stand bislang für zuverlässige Qualität. Steht die Marke jetzt für zuverlässige Schummelei?
Holger Geißler: Seit dem Bekanntwerden der Abgas-Manipulationen hat sich das Bild von VW in Deutschland massiv verschlechtert. Im BrandIndex ist die Markenwahrnehmung von 36,7 auf 9,8 gefallen. Ein tiefer Sturz. Bis vor einer Woche war VW ein strahlender Stern, stand noch vor Audi an der Spitze. Jetzt spielt die Marke in einer Liga mit Mazda und Seat.
Das ist natürlich eine Folge der Medienberichte und Enthüllungen der vergangenen Tage. Der Buzz, der angibt wie negativ oder positiv eine Marke aktuell im Gespräch ist, ist im Keller. Er ist von 8,6 auf -65 abgestürzt.
VW hat auf die Krise mit personellen Konsequenzen reagiert. Martin Winterkorn ist zurückgetreten. Weitere Manager verlassen den Konzern. Ist das für das Image der richtige Schritt?
Diese personellen Konsequenzen sind ein Signal an die Öffentlichkeit und die Medien, dass entschieden vorgegangen wird. Bislang ist das Image von VW im freien Fall. Solch drastische Schritte helfen, zumindest ein Plateau zu erreichen. Sie sind aber nur dazu geeignet, die nächsten Wochen in den Griff zu bekommen. Danach wird sich der Konzern neu sortieren müssen.
Zum BrandIndex
Der YouGov BrandIndex gibt das Image bestimmter Marken bei den Konsumenten an. In Deutschland werden dazu täglich Verbraucher zur Wahrnehmung von hunderten Marken verschiedenster Branchen befragt.
Im Buzz wird gemessen, wie positiv oder negativ eine Marke im öffentlichen Gespräch wahrgenommen wird. Viele kritische Medienberichte lassen diesen Wert also fallen.
Inwiefern?
Bei jeder neuen Meldung zum Thema, jeder Klage und jeder Strafe die in Zukunft verhängt wird, dürfte das Image erneut leiden. Zudem muss der Konzern aufpassen, dass die Imagekrise der Marke nicht zu einer für das System VW wird. Die manipulierten Teile wurden schließlich auch bei Audi und Seat verbaut.
Der VW-Abgas-Skandal im Überblick
Die US-Umweltbehörde EPA teilt in Washington mit, Volkswagen habe eine spezielle Software eingesetzt, um die Messung des Schadstoffausstoßes bei Abgastests zu manipulieren. In den Tagen darauf wird klar, dass weltweit Fahrzeuge von VW und der Töchter betroffen sind – darunter auch Audi und Porsche. Die VW-Aktie bricht ein.
VW-Chef Martin Winterkorn tritt nach einer Krisensitzung der obersten Aufseher zurück. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig prüft die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen VW. Anlass dafür seien auch eingegangene Strafanzeigen von Bürgern, heißt es.
Der VW-Aufsichtsrat tagt. Nach langer Sitzung beruft das Gremium Porsche-Chef Matthias Müller zum neuen Konzernchef und trifft einige weitere Personal- und Strukturentscheidungen. Verantwortliche Motorenentwickler werden beurlaubt.
Nach mehreren Strafanzeigen startet die Braunschweiger Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugsvorwürfen. Entgegen einer ersten Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Braunschweig gibt es keine Ermittlungen gegen Ex-Chef Martin Winterkorn persönlich.
Das Aufsichtsrats-Präsidium beschließt, Hans Dieter Pötsch per registergerichtlichen Anordnung in den Aufsichtsrat zu berufen. Das ist möglich, weil mehr als 25 Prozent der Aktionäre Pötsch favorisiert haben. Die Familien Porsche und Piëch, die Pötsch gegen die Bedenken des Landes Niedersachsens und der Arbeitnehmer durchgesetzt haben, halten über die Porsche SE rund 52 Prozent der VW-Anteile. Julia Kuhn-Piëch, die erst dieses Jahr nach dem Rücktritt von Ferdinand und Ursula Piëch in das Kontrollgremium aufgerückt war, verlässt den Aufsichtsrat wieder.
Es ist klar, dass die betroffenen VW-Fahrzeuge in die Werkstatt müssen, damit die Schummel-Software verschwindet. Bei einigen Motorenwerden die Techniker selbst Hand anlegen müssen. Eine Rückruf-Aktion, so wird es am nächsten Tag bekannt werden, soll 2016 starten. Die geschäftlichen und finanziellen Folgender Krise sind nicht absehbar. Die Kosten der Abgas-Affäre werden jedoch enorm sein. Der neue Chef muss sparen: "Deshalbstellen wir jetzt alle geplantenInvestitionen nochmal auf denPrüfstand", kündigt Müller an.
Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ordnet einen verpflichtenden Rückruf aller VW-Dieselautos mit der Betrugssoftware an. In ganz Europa müssen 8,5 Millionen, in Deutschland 2,4 Millionen Wagen in die Werkstatt. VW hatte eine freiwillige Lösung angestrebt.
Der Skandal beschert dem Konzern im dritten Quartal einen Milliardenverlust. Vor Zinsen und Steuern beläuft sich das Minus auf rund 3,5 Milliarden Euro.
Der Skandal erreicht eine neue Dimension. VW muss - nach weiteren Ermittlungen der US-Behörden - einräumen, dass es auch Unregelmäßigkeiten beim Kohlendioxid-Ausstoß (CO2) gibt. Rund 800.000 Fahrzeuge könnten betroffen sein. Die VW-Aktie geht erneut auf Talfahrt.
Der Diesel-Skandal in den USA weitet sich aus. Erneut. Es seien mehr Drei-Liter-Diesel der Marken Volkswagen und Audi betroffen, als bislang angenommen, erklärt die US-Umweltbehörde EPA. Die Autobauer bestreiten dies zunächst. Wenige Tage später, am 24. November, müssen sie allerdings einräumen, ein sogenanntes „Defeat Device“ nicht offengelegt zu haben. Die Software gilt in den USA als illegal.
Die Auswirkungen des Skandal zwingen VW zudem zum Sparen: VW fährt die Investitionen für das kommende Jahr runter. 2016 sollen die Sachinvestitionen um eine Milliarde Euro verringert werden. „Wir fahren in den kommenden Monaten auf Sicht“, sagt VW-Chef Müller. Weitere Ausgaben bleiben auf dem Prüfstand.
Neuer Ärger für Volkswagen: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt nun auch wegen mögliche Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit falschen CO2-Angaben. Die könnten dazu geführt haben, dass zu wenig Kfz-Steuer gezahlt wurde.
Zumindest etwas Positives für die Wolfsburger: Zur Nachrüstung der millionenfach manipulierten Dieselmotoren mit 1,6 Litern Hubraum in Europa reicht nach Angaben von Volkswagen ein zusätzliches, wenige Euro teures Bauteil aus. Bei den 2,0-Liter-Motoren genügt ein Software-Update. Das Kraftfahrtbundesamt genehmigt die Maßnahmen. Auch wenn VW keine Angaben zu den Kosten macht – es hätte schlimmer kommen können.
Von dem Skandal sind auch Millionen deutsche Autofahrer betroffen, weil sie in einem Auto mit Schummel-Motor sitzen. Wie sehr belastet dies das Image des Konzerns?
Natürlich bleibt das hängen. Ich glaube nicht, dass jetzt viele Verbraucher VW wegen der Probleme verklagen. Beim nächsten Autokauf werden einige allerdings nochmal überlegen, ob sie wirklich einen Volkswagen wollen.
Wie lange wird VW mit dem Negativ-Image klarkommen müssen?
Kommen jetzt nicht neue Manipulationen und Vorwürfe ans Licht, kann das Ansehen schon in zwei Monaten wieder steigen. In einem Jahr könnte VW beim Image wieder an der Spitze der Autobauer stehen.
So schnell?
VW ist eines der Deutschen liebsten Kinder. Bei einer Umfrage im vergangenen Jahr haben wir nach dem typischen Symbol für Deutschland gefragt. VW kam auf den ersten Platz – vor Johann Wolfgang von Goethe und Angela Merkel. Das erklärt einerseits den tiefen Fall. Anderseits sind wir Deutschen deshalb aber auch bereit, schneller über die Probleme hinwegzusehen. In anderen Ländern wird es wohl weniger glimpflich ablaufen.
Wie steht VW derzeit in den USA da?
Im BrandIndex ist die Marke von 16,8 auf -4,1 abgestürzt. Kein Autobauer hat derzeit ein schlechteres Image.