Der verschärfte Sparkurs bei Volkswagen treibt mitten in der Abgas-Krise einen Keil zwischen den mächtigen Betriebsrat und das Management. Die bereits seit Monaten andauernde Konfrontation mit dem Vorstand der VW-Kernmarke ist aus Sicht der Arbeitnehmervertreter an einem neuen Höhepunkt angelangt. Da ein „gravierendes Vertrauensproblem“ vorliege, ruft Betriebsratschef Bernd Osterloh nun zu Gesprächen über einen „Zukunftspakt“ an den Verhandlungstisch. Mit dieser Offensive steht dem Vorstand auch mit Blick auf das Diesel-Debakel eine Machtprobe ins Haus.
Es gebe keine Basis mehr für die bisherige Form der Zusammenarbeit, heißt es aus dem Betriebsrat. Diskussionen über einen „Zukunftspakt“ seien nötig, um die aktuellen Spekulationen zur Sicherheit von Jobs und Werken in Deutschland zu beenden. „Darin wollen wir feste Produkt-, Stückzahl- und Investitionszusagen für die nächsten Jahre festschreiben“, schrieb der Betriebsrat an die VW-Belegschaft. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Donnerstag von Vertrauensleuten der IG Metall. Der Brief ging unter anderem per E-Mail auf den Weg.
Der Vorstand der VW-Kernmarke zeigte sich bereit, rasch in Gespräche über mehr Planungssicherheit und Gewissheit für die künftigen Jobs einzusteigen. „Das Schreiben des Betriebsrats sehen wir als sehr gute Vorlage für die weitere Arbeit. Wir begrüßen ausdrücklich das Verhandlungsangebot für einen langfristigen Zukunftspakt“, sagte VW-Personalchef Karlheinz Blessing der Deutschen Presse-Agentur auf Anfrage. „Die Sicherung der Standorte liegt auch im Interesse des Vorstands. Die Gespräche werden wir zügig und konstruktiv führen.“
Der mit dem Schreiben in die Belegschaft getragene Konflikt markiert eine neue Qualität. Osterloh und VW-Markenchef Herbert Diess gerieten seit dem Ausbruch der Diesel-Krise schon mehrfach aneinander, es knallte heftig. Ein offener Bruch blieb aber aus. Das ist nun anders.
Der Vorwurf des Betriebsrates wiegt schwer: Er fürchtet, dass das Management angesichts der Abgas-Affäre den Renditedruck verschärft und die Lage bewusst ausnutzt, um gezielt auch die Axt an den Stellen anzusetzen. „So haben wir den Eindruck, dass der Diesel-Skandal hinterrücks dazu genutzt werden soll, personelle Einschnitte vorzunehmen, die bis vor wenigen Monaten kein Thema waren“, heißt es in dem Brief, den auch die Betriebsratschefs aus Emden, Hannover, Kassel, Salzgitter, Braunschweig und VW-Sachsen unterschrieben haben.
Großes Misstrauen gegen VW-Management
Einen Pakt für sichere Jobs gab es zuletzt vor zehn Jahren, als VW die Viertagewoche zu Grabe trug und Zugeständnisse mit Mehrarbeit ohne vollen Lohnausgleich errang. „Auch in der damaligen schwierigen Zeit ist es uns über verbindliche Vereinbarungen gelungen, die Zukunft für Unternehmen und Beschäftigte positiv zu gestalten. Dies ist auch heute unser Angebot an den Markenvorstand von Volkswagen“, heißt es in dem Brief. „Wir wollen ein Ende der Spekulationen über die Zukunft von Menschen und Standorten von Volkswagen!“
Die Mitbestimmung im VW-Konzern ist ungewöhnlich stark. Auch wegen historischer Wurzeln haben der Betriebsrat um die IG Metall und der Minderheitseigner Niedersachsen starke Positionen - die Nazis bauten das VW-Stammwerk mit enteignetem Gewerkschaftsvermögen. Abstriche bei der Mitbestimmung träfen das Grundverständnis von VW, in dem Beschäftigung und Wirtschaftlichkeit Ziele gleichen Ranges sind.
„Weder die gewachsenen Mitspracherechte der Menschen bei Volkswagen noch die Schutzregelungen des VW-Gesetzes für Standorte und Beschäftigung noch die Beteiligung des Landes Niedersachsen haben den Diesel-Skandal ausgelöst oder mitverschuldet“, heißt es in dem Brief.
Was bei der Rückruf-Aktion auf VW-Besitzer zukommen könnte
Das Kraftfahrtbundesamt hat angeordnet 2,4 Millionen VW-Diesel-Fahrzeuge in die Werkstätten zurückzurufen. Laut Plan sollen im Januar 2016 die ersten Autos in die Werkstätten. Bis zum Ende des kommenden Jahres könnten dann alle betroffenen Autos überholt sein. In einem Interview in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ hatte VW-Chef Matthias Müller aber zuvor auch nicht ausgeschlossen, manche Autos komplett auszutauschen, anstatt sie umzurüsten: „Das muss man im Einzelfall prüfen.“
Es geht bei den Nachbesserungen nicht nur um die Manipulations-Software. Für die meisten Motoren genüge es zwar, wenn ein neues Programm aufgespielt werde, sagte Müller. Manche Autos könnten aber auch neue Einspritzdüsen und Katalysatoren bekommen. Die Umrüstung ist auch deshalb kompliziert, weil der betroffene Motortyp EA 189 in zahlreichen Kombinationen und Ländervarianten verbaut ist. Motorenexperte Prof. Jörn Getzlaff von der Hochschule Zwickau hält es aber für möglich, dass Volkswagen keine komplett neue Technik entwickeln muss: „Es kann durchaus sein, dass VW auf eine Lösung zurückgreift, die der Konzern schon heute in seine neue Motorengeneration einbaut.“ Diese neuen Aggregate erfüllen die strengeren Umweltauflagen der Euro-6-Norm.
Das ist möglich. Durch die Umrüstung könnten sich die Leistung und der Spritverbrauch ändern, sagt Getzlaff. Es müsse aber nicht unbedingt so sein, dass das Auto dann langsamer wird und mehr verbraucht. VW-Chef Müller sagte, es sei wichtiger, „das CO2-Ziel zu halten und dafür vielleicht auf 3 bis 5 km/h Höchstgeschwindigkeit zu verzichten“.
Autokäufer müssten sich vermutlich zunächst mit dem Verkäufer des Autos streiten - in den meisten Fällen also mit dem Händler, nicht mit dem VW-Konzern, erklärt Thomas Rüfner, Rechtsprofessor an der Universität Trier. Es sei möglich, dass der Händler Autos zurücknehmen müsse. Dafür müssten aber einige Voraussetzungen erfüllt sein: erhebliche Mängel, also dass das Auto nach der Umrüstung zum Beispiel deutlich langsamer fährt oder viel mehr Sprit verbraucht. Der Kauf darf auch nicht länger als zwei Jahre zurückliegen. „Der Autokäufer würde vermutlich den kompletten Kaufpreis zurückbekommen, müsste aber wohl nachträglich für die Nutzung des Autos zahlen“, sagt Rüfner. Wenn sich die Fahreigenschaften des Autos nur in geringem Maße ändern, könne aber der Kaufpreis gemindert werden.
Eine VW-Kundin, die ihr Auto im Jahr 2010 gekauft hat, versucht das bereits. Sie hat eine Klage direkt gegen den VW-Konzern eingereicht, unter anderem wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung. Die Frau sehe sich in ihrer Erwartung enttäuscht, ökologisch unterwegs zu sein, teilte ihr Anwalt mit. Ein VW-Sprecher wollte sich zu der Klage zunächst nicht äußern, der Vorgang sei ihm nicht bekannt.
Dazu hat sich VW bislang nicht geäußert. Autohersteller sind dazu jedenfalls nicht gesetzlich verpflichtet, sagt Gabriele Emmrich von der Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt. Andere Autohersteller wie Toyota hatten einen solchen Service bei Rückrufen in der Vergangenheit schon angeboten, allerdings ging es da um weniger Autos als bei Volkswagen. Emmrich zufolge stellen Händler und Hersteller nur in Ausnahmefällen ein Leihauto zur Verfügung.
Osterlohs Team hegt offenbar großes Misstrauen. So spricht es dem Markenvorstand die sprichwörtliche „Handschlag-Qualität“ ab: „Ständige wechselnde Zielvorgaben, das Fehlen einer verlässlichen, langfristigen Strategie für die Marke Volkswagen oder pauschale, nicht zu Ende gedachte Sparvorgaben sind hierfür nur einige Beispiele.“ Nötig sei deswegen ein „klarer Richtungswechsel“.
„Der Grundsatz, dass Wirtschaftlichkeit und Beschäftigung gleichrangige Unternehmensziele sind, muss seine Gültigkeit behalten.“ Dies gelte „selbstverständlich“ auch für die Leiharbeit. Dabei ließ VW zuletzt - nach Jahren der Übernahmepraxis - gut tausend Verträge auslaufen. Der Brief fordert: „Ziel darf es nicht sein, möglichst viele Leiharbeitnehmer schnellstmöglich abzumelden.“
Osterlohs Leute spielen mit dem „Zukunftspakt“ auf Angriff. Sie fordern mit den festen Zusagen für Jobs, Produkte und Stückzahlen auch ein strategisches Gesamtkonzept ein. „Dies gilt beispielsweise für unsere Motoren- und Getriebestandorte, die durch den Einzug von Elektromobilität betroffen sein werden, für unsere fahrzeugbauenden Werke und auch für die indirekten Bereiche.“
Mit Letzterem sind in der Branche Jobs fern der Produktion gemeint, also etwa in der Verwaltung. Dort will das VW-Management mehr als 3000 Stellen abbauen, worin der Betriebsrat eine blinde Sparwut nach der „Rasenmäher-Methode“ sieht. Die aktuelle Beschäftigungssicherung für die 120.000 Mitarbeiter im VW-Haustarif schließt Stellenstreichungen nicht aus. Diese könnten über weniger Neueinstellungen oder Zuweisen neuer Aufgaben laufen.