VW-Marken-Chef Herbert Diess Martin Winterkorns Mann fürs Grobe

Der neue VW-Markenchef Herbert Diess tritt am Mittwoch seinen Job in Wolfsburg an. Er könnte es später sogar bis an die Konzernspitze schaffen, wenn er Kosten senkt und die Beschäftigten nicht verärgert.

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VW-Markenchef Herbert Diess ist Winterkorns Mann fürs Grobe Quelle: dpa, Montage

Es ist noch nicht lange her, dass Herbert Diess, gerade zum neuen VW-Markenchef ernannt worden, sich an einem Frühlingstag im Wolfsburger Stammwerk blicken lässt. Der ehemalige BMW-Manager schreitet durch die Produktionsstraßen und begutachtet neuestes Equipment, mit dem die VW-Arbeiter hier Golf, Tiguan und Touran fertigen. Viele teure Roboter stehen hier, sie sollen den Arbeitern ihr Werk erleichtern.

Diess aber, so heißt es später, habe sich gewundert: Warum haben die Roboter, die nun die Arbeit erledigen, nicht dazu geführt, dass weniger Menschen an den Fahrzeugen der Marke VW herumwerkeln? Oder, anders formuliert: Warum wird die Fertigung, trotz bester Technik, nicht günstiger?

Die neue VW-Konzernstruktur

Neben vielen offenen Fragen hinterlässt die Geschichte bei Diess auch ihr Gutes. Der Manager weiß nun, wo er sein Werk am besten beginnen sollte, wenn er nächste Woche auch offiziell sein Amt antritt: Er wird sich um die ausufernden Kosten bei der Kernmarke des größten deutschen Konzerns kümmern müssen. Was seine Arbeit erschwert: Er darf es sich im traditionell stark mitbestimmten Konzern nicht mit der Belegschaft verscherzen.

Als Markenchef kann sich Diess profilieren

Denn Diess, 56, werden größere Ambitionen im Konzern unterstellt, die ohne das Wohlwollen der Mitarbeiter und Manager nicht zu verwirklichen sein werden: Der bisherige Einkaufs- und Entwicklungsvorstand beim Münchner Wettbewerber BMW soll nicht nur, vielleicht schon von Oktober an, auch noch für die Massenmarken Skoda und Seat verantwortlich zeichnen und somit über rund 120 Milliarden Euro Umsatz und 250.000 Beschäftigte gebieten. Er wird von nun an auch noch kontinuierlich gegen die Frage anarbeiten: Befähigt der zweitwichtigste Posten im Konzern hinter Vorstandschef Martin Winterkorn Diess nicht zugleich, den 68-jährigen Vormann zu beerben?

Die Opfer des Ferdinand Piëch
Porsche-Miteigner und VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch Quelle: dapd
Audi Quelle: dpa
Franz-Josef Kortüm Quelle: obs
Herbert Demel Quelle: dpa
Franz-Josef Paefgen Quelle: AP
José Ignacio López Quelle: REUTERS
Bernd Pischetsrieder Quelle: dpa

Sollte Diess den Problemberg abtragen, der auf der Kernmarke lastet, darf er auf den obersten Chefposten hoffen. Er muss dazu beweisen, dass er den Rückhalt von Konzernspitze, Aufsichtsrat, Gewerkschaften und der Belegschaft zu erringen versteht, um vor allem die deutschen Standorte effizienter und günstiger zu machen. Die VW-Modellpalette vom VW up! über Golf und Passat bis zum Phaeton, die zurzeit nur 2,5 Prozent Gewinn vor Steuern vom Umsatz abwirft, soll absehbar acht Prozent Rendite einfahren. Das bedeutet jährlich Einsparungen von fünf Milliarden Euro. Die Messlatte ist Toyota. Die Japaner beschäftigten nur 340.000 Mitarbeiter gegenüber 600.000 Menschen bei VW, setzten 2014 aber nur 14 Milliarden Euro weniger um und machten gut fünf Milliarden Euro mehr Gewinn. Ob Maschinenbauer Diess diese Herausforderung ohne VW-Stallgeruch und internes Netzwerk bewältigen kann, bezweifeln Analysten, Berater und Auto-Manager.

Diess’ Weg wird also steinig und schwer. Einen Vorgeschmack, was auf die Mitarbeiter zukommt, liefert gerade sein Kollege Andreas Renschler. Der neue Nutzfahrzeugchef des Konzerns will bei der sanierungsbedürftigen Lkw-Tochter MAN 1800 Stellen streichen und die Lastwagenfertigung in Salzgitter einstellen.

Neue Organisation soll Hierarchien abschaffen

Der Manager verdankt den neuen Top-Job, den er auch antrat, weil er bei BMW das Rennen um die Nachfolge von Konzernchef Norbert Reithofer gegen Produktionsvorstand Harald Krüger verlor, seinem Ruf als Kostendrücker. Seiner Bestellung sollen mehrere persönliche Treffen mit Winterkorn und Ferdinand Piëch, bis April Aufsichtsratschef des Konzerns, vorangegangen sein.

Gut möglich, dass Diess den mittlerweile gefallenen VW-Übervater an seinen ehemaligen Einkaufschef José Ignacio López erinnerte. Der Spanier revolutionierte ab 1993 den VW-Einkauf, indem er die Zulieferer zu jährlichen Rabatten zwang und sich den Namen „Würger von Wolfsburg“ erwarb. Piëch soll sich von Diess ähnlich begeistert gezeigt haben wie einst von López.

Wer Winterkorn nachfolgen könnte

Die Strukturen im Wolfsburger Weltreich wuchern in der Tat üppig. Die Fertigungstiefe ist vergleichsweise hoch: VW produziert mehr selbst als die Konkurrenz, was das Kostensenken erschwert. Die Wolfsburger leisten sich eigene Komponentenwerke für Motoren und Getriebe. Andere Hersteller haben die Entwicklung und Produktion der Aggregate längst an Zulieferer ausgelagert, die sie gegeneinander ausspielen und so deren Preise drücken können.

Diess galt bei BMW als unerbittlich

Was hier zu tun ist, hat Diess bei BMW vorexerziert. Dort sparte er innerhalb von vier Jahren vier Milliarden Euro im Materialeinkauf. Damit trug er zu zwei Dritteln dazu bei, die konzernweit angepeilten Einsparungen zu erreichen. Besonders zu spüren bekamen dies die Zulieferer. Von ihnen forderte Diess, einen von BMW diktierten Preis zu erreichen, intern als „Best-Practice-Kalkulation“ schöngefärbt. Viele Stammlieferanten hatten das Nachsehen.

Diess galt als unerbittlich, Hauptsache, der Preis stimmte. „Den Qualitätsabfall, der mit der Umstellung auf billigere Zulieferer einherging, hat er in Kauf genommen“, sagt ein Lieferant. 2012 schloss BMW mit einem Konzernergebnis vor Steuern von 7,8 Milliarden Euro ab – fast vier Milliarden mehr als 2007, dem Jahr, in dem Reithofer das Programm Number One auflegte. Diess hatte beträchtlichen Anteil an der Steigerung, 2012 wechselte er auf den Posten des Vorstands für Entwicklung.

Aktienvergleich Volkswagen und Toyota

„Er hatte sich bei BMW einen Stab aus Vertrauten über alle Abteilungen hinweg zusammengestellt und die dann dort weggeholt“, sagt ein BMW-Mitarbeiter. In Wolfsburg dagegen tritt der Bayer ohne Verbündete an. Die Unterschiede zwischen München und Wolfsburg sind groß. „BMW steht für konsensorientiertes, sehr kreatives und eigenständiges Arbeiten“, sagt ein Personalberater, der das Innenleben beider Konzerne kennt. Als Paradebeispiel gelte die Entwicklung neuer Elektroautos mit einer Karosserie aus Karbonfasern, die BMW als i-Reihe auf den Markt brachte. „Ohne diese Projektteams wären i3 und i8 nie zustande gekommen“, sagt ein Zulieferer, der in die Entwicklung eingebunden war.

VW dagegen ist für seine Hierarchien bekannt. Geführt wird von oben, neue Ideen und zweite Meinungen haben weniger Raum. Das zieht Entscheidungen in die Länge, lähmt frisches Denken und macht die Organisation schwerfällig. „Bei VW herrscht Stillstand“, sagte Ernst Piëch, der Bruder des gefallenen Aufsichtsratschefs, dem „Handelsblatt“. Der Wolfsburger Fahrzeugbauer hinke fünf Jahre hinterher. Der 86-Jährige besitzt keine Anteile mehr an VW, fühlt sich dem Konzern aber noch verbunden.

Schwierige Suche nach Mitstreitern

Diess verkörpert für Winterkorn den ersten Schritt hin zu einer neuen Firmenkultur: dezentraler, weniger hierarchisch und – so die große Hoffnung – direkter und schneller. Der gebürtige Münchner soll, da sind sich Ex-Kollegen und Geschäftspartner einig, die Projektkultur seines bisherigen Arbeitgebers bei VW etablieren.

Wie schwierig es ist, bei VW neue Verbündete zu finden, merkte zuletzt etwa Wolfgang Dürheimer. Dabei kam der, anders als Diess, aus dem Konzern, von einer anderen Tochter: Einst Porsche-Manager, war Dürheimer 2012 als Entwicklungsvorstand zu Audi gewechselt. Der Manager, der bei Porsche die Erfolgmodelle Cayenne, Panamera und 918 Spyder entwickelt hatte, stieß in Ingolstadt auf Ablehnung. Sein straffes Regime stieß bei den Audianern auf Ablehnung, nach zehn Monaten löste VW-Entwicklungschef Ulrich Hackenberg Dürheimer ab. Hackenberg kannte die verflochtenen Entscheidungslinien in Ingolstadt aus seiner Zeit als Chef der Konzeptentwicklung und Elektronik bei Audi.

Die Baustellen des VW-Konzerns
VW in den USA Quelle: dpa
Winterkorn mit dem Chinesischen Vize-Premier Ma Kai Quelle: obs
VW Quelle: dpa
MAN Quelle: dapd
Hauptwerk in Wolfsburg Quelle: dpa

Diess, sagen Kenner, wird dennoch wenig kompromissbereit zu Werke gehen: „Er wird die Probleme bei VW ohne Rücksicht auf Verluste anpacken, auch auf das Risiko hin, dass er selbst nach ein paar Monaten wieder rausgeworfen wird“, sagt ein ehemaliger BMW-Manager. In München war Diess als „harter Hund“ verschrien. „Er hat stark polarisiert“, sagt ein Weggefährte. Viele würden ihm „nicht nachtrauern“.

Mittelmäßigkeit akzeptiert Diess nicht

Dass eisiges Klima Diess wenig stört, ist vielfach überliefert. Gegenüber Zulieferern trat er mit einer solchen Härte auf, dass einige von ihnen die Zusammenarbeit beenden wollten. „Mancher hat mit Lieferstopp gedroht. Diess musste zurückrudern“, erinnert sich ein Kfz-Ausstatter. Die miese Stimmung bei den Lieferanten soll dazu beigetragen haben, dass der damalige BMW-Chef Reithofer Diess 2012 vom Einkaufsressort abzog.

Ex-Kollegen beschreiben Diess als Mann der Extreme. Bloßes Bemühen und Mittelmäßigkeit akzeptiere er nicht. Wer Leistung bringe, den fördere er. Diess sei ein Teamplayer, aber keiner mit ausgewiesener „sozialer Komponente“. Er sehe das Team als Ort des Wettbewerbs. Respekt verschaffen sich Mitarbeiter bei Diess offenbar, wenn sie ihre Meinung standhaft vertreten – selbst wenn sie nicht mit ihm übereinstimmen. „Klare Kante akzeptiert er. Gerät einer ins Wanken, nutzt er diese Schwäche und beginnt zu bohren“, sagt ein Ex-Mitarbeiter.

Rigorosität und Unnachgiebigkeit in der Sache sind, selbst wenn Diess den VW-Aufsichtsrat überzeugen sollte, kein Garant für den Erfolg. Er wird viel Zeit brauchen, um die VW-Unternehmenskultur zu ändern.

Trotzdem kann Diess hoffen, dass ihm das Schicksal seines Vorgängers Wolfgang Bernhard erspart bleibt. Der war 2005 von Daimler in Stuttgart nach Wolfsburg gewechselt. Ähnlich wie Diess sollte er die Verantwortung unter anderem für die Marken Volkswagen und Skoda übernehmen. Bernhard eckte mit seiner harten, aber geradlinigen Art im intrigengeplagten VW-Konzern extrem an. Trotz des Streits mit der IG Metall schaffte er es aber, Mitarbeiter und Manager hinter sich zu bringen. Dass es nach zwei Jahren zum Bruch kam und Bernhard heute wieder für Daimler arbeitet, lag daran, dass Bernhard Aufsichtsratschef Piëch zu mächtig geworden sein soll.

Inzwischen hat der Patriarch das Feld geräumt – und Diess einen machtbewussten und gefährlichen Aufpasser weniger.

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