Die weltweite Abgas-Krise hat Volkswagen in den vergangenen Monaten heftig durcheinander gewirbelt. Auf allen Ebenen des 600.000-Mitarbeiter-Konzerns ist die Nervosität spürbar – nicht nur am Band, wo Leiharbeiter um Jobs und Stammkräfte um die Zukunft bangen. Auch in den höchsten Etagen – Vorstand, Präsidium, Aufsichtsrat – haben die Diesel-Manipulationen Spuren hinterlassen.
Die über Jahre etablierten Machtverhältnisse sind aus den Fugen geraten. Denn die Zielsetzungen der wichtigsten Akteure sind nicht überall deckungsgleich: Während die einen um ihre Dividenden bangen, fürchten andere um Arbeitsplätze und ganze Werkstandorte.
Ein gutes Beispiel für die aktuell schwierige Gemengelage ist der VW-Großaktionär Katar. Seit 2009 ist das finanzkräftige Emirat drittgrößter Anteilseigner in Wolfsburg, nach den Inhaberfamilien Piëch und Porsche sowie dem Land Niedersachsen. Rund 17 Prozent von Volkswagen gehören den Scheichs, gebündelt wird das Investment in einer eigens gegründeten Holding. Dafür hat Katar zwei Plätze im 20-köpfigen Aufsichtsrat, der seit vergangenem Jahr vom ehemaligen Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch geleitet wird. So weit, so gut.
Was bei Volkswagen im April wichtig wird
VW ist seit Monaten auf der Suche nach einer technischen Umbaulösung für die manipulierten Dieselautos in den USA, die die US-Umweltbehörde EPA zufriedenstellt. Teil einer Einigung werden mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Rückkäufe. Die Frage ist: Wie viele der 580.000 manipulierten US-Diesel muss der Konzern zurücknehmen?
Müller sagte Anfang des Jahres in Detroit, der Rückkauf von 100.000 Autos wäre eine denkbare Option – es ist aber nicht ausgeschlossen, dass VW alle betroffenen Diesel in den USA zurückkaufen muss, weil es keine technische Lösung gibt, um die Abgasvorgaben einzuhalten. Setzt man in diesem Szenario zum Beispiel einen durchschnittlichen Wert von 20.000 Dollar an, ergäben sich Kosten von 11,6 Milliarden Dollar.
Die nächste hohe Zahlung droht VW durch eine Zivilklage, die das US-Justizministerium einreichte. Hier wäre eine Maximalstrafe von 45 Milliarden Dollar möglich – plus eine Summe, die das Gericht festlegt. In dieser Klage wird wohl auch die anfänglich genannte Maximalstrafe von 18 Milliarden Dollar aufgehen. Beides sind theoretische Werte, es gibt keine verlässlichen Schätzungen für die tatsächlichen Kosten. VW dürfte einen Vergleich anstreben.
Beim US-Bezirksrichter Breyer sind die Milliardenklage und auch alle anderen US-Zivilklagen von der Finanzaufsicht FTC, Bundesstaaten, VW-Besitzern und Autohäusern gebündelt. Er ist deshalb ein sehr wichtiger Mann in der Frage, wie teuer der Abgas-Skandal für VW wird. Breyer hat dem Konzern und den Behörden ein Ultimatum bis zum 21. April gesetzt, eine Lösung für die manipulierten Dieselautos zu finden. Ansonsten will er bereits im Sommer mit dem Prozess beginnen.
Spätestens bis zur Bilanz-Pressekonferenz am 28. April sollte VW Klarheit haben, wie viel Geld für drohende Strafen zurückgelegt werden muss. Davon hängt wiederum indirekt ab, wie hart die Wolfsburger sparen müssen und wie viele Stellen dies womöglich kostet. Auch die Dividende für Großaktionäre wie die Porsche SE, den Staatsfonds aus Katar und das Land Niedersachsen ist in Gefahr.
Anleger dürften diesmal neben Umsatz und Gewinn vor allem die Kapitalstärke im Auge haben. Wie viel Bargeld hat der Konzern, wie viel Cash fließt aus dem laufenden Geschäft nach Wolfsburg? Bei der Netto-Liquidität – also dem Bargeldbestand abzüglich Schulden – gelten 20 Milliarden Euro bei VW als magische Grenze, die nicht unterschritten werden sollte. Ansonsten könnte das Folgen für die Kreditwürdigkeit haben. Geld zu leihen, wäre für VW dann noch teurer.
Im April soll der Zwischenbericht zu den internen Ermittlungen im Abgas-Skandal vorgestellt werden. Die Kanzlei Jones Day hat bei VW Schriftstücke, Mails und Telefondaten ausgewertet sowie Mitarbeiter verhört. Die Frage, wer von den Manipulationen wusste, ist auch entscheidend für die Klagen gegen VW und für strafrechtliche Ermittlungen gegen Einzelpersonen.
Wenn die Ermittler keine Verantwortlichen auf der Ebene des Konzernvorstands finden, wäre das gut für VW. Andernfalls wäre es mit Blick auf alle möglichen Zivilklagen sehr ungünstig, weil das Handeln des Vorstands von Gerichten oft als Handeln des Unternehmens ausgelegt wird – und dann kann es teuer werden.
Die Klagen von Anlegern, die ihre Aktienkursverluste von VW ersetzt haben wollen, liegen beim Landgericht Braunschweig. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird bald eine Musterklage zugelassen, deren Urteil auf andere Fälle übertragen werden könnte. Anfang April lagen dem Landgericht zufolge über 80 einzelne Klagen vor.
Doch im übergeordneten Präsidium sind die Katarer außen vor. Tonangebend sind – wie im gesamten Aufsichtsrat – die Vertreter von Land und Arbeitnehmerseite sowie natürlich des Porsche/Piëch-Clans. Während sich das Emirat bislang gut damit arrangieren konnte, kommen im Zuge der Krise aber wieder alte Begehrlichkeiten hoch.
Katar will offenbar einen Platz im Präsidium
Die Katarer fordern mehr Einfluss, pochen angeblich gar auf einen Platz im sechsköpfigen Präsidium. Damit nicht genug: In den letzten Wochen häuften sich Berichte, wonach der Großaktionär mächtig sauer ist. Die Aussicht auf Milliardenstrafen und einen drohenden Ausfall der begehrten Dividende hat die Stimmung nicht gerade verbessert. Offizielles dazu ist von den Katarern auf Anfrage zunächst nicht zu hören.
Aktionärsverteilung der Volkswagen AG
Die von den Familien Porsche und Piëch kontrollierte PSE hält 52,2 Prozent der Volkswagen-Stammaktien.
Quelle: Unternehmen, eigene Recherchen
Das Land Niedersachsen ist in Besitz von 20,0 Prozent der Stammaktien. Damit hat die Staatskanzlei bei wichtigen Entscheidungen – etwa einer Kapitalerhöhung – ein Vetorecht, da bei Volkswagen solche Entscheidungen mit 80 Prozent der Stimmen plus einer Aktie getroffen werden müssen. Weitere Vorzüge für das Land Niedersachsen wurden nach einem EuGH-Urteil 2007 gestrichen.
Die Kataris haben sich im Zuge der Porsche-Übernahme 2009 mit 17 Prozent der Stammaktien eingekauft. Den Anteil hält der Staatsfonds bis heute, es sitzen auch zwei Vertreter Katars im Aufsichtsrat.
10,8 Prozent der Stammaktien befinden sich in Streubesitz.
Ein Dividendenausfall wäre ein Novum in der Beziehung von Volkswagen und Katar. 2014 flossen noch 241 Millionen Euro in den Nahen Osten. Im Aufsichtsrat werden mögliche Drohgebärden aber gelassen gesehen. „Die wollten schon immer mehr Macht“, fasst eines der Mitglieder die Situation dieser Tage zusammen. Solche Aussagen sind keine Seltenheit. Und etwas spöttisch wird dann angefügt: „Vielleicht bauen die auch nur eine Drohkulisse auf, weil der Emir gemerkt hat, wie selten seine Vertreter bei den Sitzungen präsent sind.“
Muss eines der bisherigen VW-Präsidiumsmitglieder bangen?
Schon 2009 beim Einstieg sei ein Präsidiumsplatz in Aussicht gestellt worden, erklärt ein damals mit den Verhandlungen Betrauter. Angesichts des Besitzes von über 50 Millionen stimmberechtigten Stammaktien erscheint das Ansinnen im Sinne der Machtbalance durchaus legitim – das Land Niedersachsen hat mit rund 20 Prozent Stammaktien einen Sitz inne. Warum sollen die Katarer also darauf verzichten?
Technisch wäre die Umsetzung der Forderung einfach, der Aufsichtsrat selbst entscheidet über die Zusammensetzungen der Gremien. Aber müsste dann eines der bisherigen Präsidiumsmitglieder um seinen Platz bangen? Oder soll das Gremium auf acht Köpfe aufgebläht werden? Denn für einen weiteren Vertreter der Kapitalseite müsste in jedem Fall auch ein weiterer Vertreter der Arbeitnehmerseite aufgenommen werden.
Im Sinne der Machtarchitektur sehen die meisten Mitglieder keinen dringenden Handlungsbedarf. „Derzeit haben wir genügend andere Baustellen. Die Zusammensetzung der Gremien zählt sicher nicht dazu“, sagt einer der Aufseher.
Die Katarer gelten als loyale Verbündete des Vorstands. Für die Führungsriege um Konzernchef Matthias Müller dürfte mehr Einfluss aus Doha also kein Problem sein, wenn es etwa um die neue „Strategie 2025“ geht. Neben einer neuen, offeneren Konzernkultur stehen dabei auch mehr Eigenständigkeiten der Marken nach dem Vorbild von Porsche sowie mehr Effizienz und Verschlankungen von Abläufen im Blickpunkt.
Bis zum Sommer soll die Strategie vorliegen, die laut „Handelsblatt“ schmerzhafte Einsparungen umfassen dürfte. Werksschließungen oder der Wegfall von Arbeitsplätzen seien dabei nicht ausgeschlossen - Katar wolle dies unterstützen. Das Land Niederachsen und die Arbeitnehmerseite dürften das anders sehen, offiziell kommentieren will das aber derzeit niemand. Sicher ist, dass in dem SPD-regierten Bundesland und im Betriebsrat die Warnlampen längst an sind.
„Einzig die Familie (Porsche/Piëch) pflegt einen wirklich engen Kontakt zu den Kataris“, berichtet ein Aufsichtsrat. Natürlich gebe es da die latente Sorge, dass das Emirat sich von der Familie instrumentalisieren lasse. Ihre Entscheidungen würden die Katarer aber weder an emotionalen Kriterien - wie der Lage der VW-Belegschaft - noch an persönlichen Beziehungen fest machen. „Es geht denen zwar nicht nur darum, Kasse zu machen“, berichtet ein Insider. „Aber die Dividende ist der Kitt, der die langfristige Partnerschaft von Anfang an möglich gemacht hat und nun auch über die Krise zusammenhält.“