Nur wenige Tage nachdem das Oberlandesgericht Stuttgart dem Porsche-Aufsichtsrat und -Großaktionär Ferdinand Piech attestierte, dass er seine Aufsichtspflichten bei Porsche sträflich vernachlässigt habe, erhebt die Stuttgarter Staatsanwaltschaft Anklage gegen den früheren Porsche-Finanzvorstand Holger Härter und zwei weitere Porsche-Finanzmanager. Den drei Managern wirft die Staatsanwaltschaft Kreditbetrug vor. Porsche, Piech und Härter weisen sämtliche Vorwürfe zurück.
In beiden Fällen geht es um die Übernahmeschlacht zwischen Porsche und Volkswagen in den Jahren 2005 bis 2009. Mit einem hoch riskanten Manöver, das auf dem verdeckten Erwerb von Aktienoptionen basierte, hatten Ex-Porsche-Chef Wendelin Wiedeking und sein Finanzvorstand Härter versucht, den VW-Konzern zu übernehmen, waren aber gescheitert. Am Ende blieben Milliardenschulden – und die Frage, ob bei dem Übernahmeversuch alles mit rechten Dingen zuging.
VW und Porsche FAQ
Die beiden Seiten wollen einen „integrierten Automobilkonzern“ formen, mit Porsche als zehnter Marke unter dem Volkswagen-Dach. VW ist Europas größter Autobauer. Die Partner erhoffen sich von ihrem Zusammengehen 700 Millionen Euro Einsparungen pro Jahr.
Porsche hatte noch vor der Wirtschaftskrise den Plan gefasst, den viel größeren VW-Konzern zu übernehmen. Die Schlacht war lang und schmutzig - und im Sommer 2009 hatte Porsche den ungleichen Kampf verloren. Die Schwaben hatten sich mit ihren ambitionierten Plänen verhoben, die Dachgesellschaft Porsche Automobil Holding SE stand mit 11,4 Milliarden Euro Schulden da. Ex-Porsche-Chef Wendelin Wiedeking und sein Finanzvorstand Holger Härter nahmen ihren Hut. VW drehte den Spieß um - Porsche soll nun unter das Dach von VW schlüpfen.
Die misslungene Übernahme hat gehörige Altlasten hinterlassen: So dauern juristische Streitigkeiten an. Kläger sind etwa verschiedene Fondsgesellschaften. Ihre milliardenschweren Forderungen laufen in zwei getrennten Fällen: Auf bundesstaatlicher Ebene in den USA wird darum gerungen, ob die US-Gerichte überhaupt zuständig sind. Ebene zwei ist ein Verfahren in New York, wo es auch um Zuständigkeitsfragen geht.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt seit 2009. Wiedeking und Härter wird zum einen Marktmanipulation vorgeworfen. Sie sollen zwischen 2007 und 2009 im Zuge der geplanten VW-Übernahme die Öffentlichkeit teilweise gar nicht und in anderen Fällen nur unzureichend über ihre Pläne informiert haben. Zudem besteht gegen die beiden Ex-Porsche-Manager Untreueverdacht. Hintergrund: Die ehemaligen Vorstände könnten für die geplante Übernahme mit Aktienkurssicherungsgeschäften existenzgefährdende Risiken für Porsche eingegangen sein.
Außerdem wurde gegen Härter und zwei weitere Verantwortliche des Porsche-Finanzbereichs ein Verfahren wegen des Verdachts auf Kreditbetrug eingeleitet. Sie werden verdächtigt, bei Verhandlungen über die Refinanzierung von Krediten der Porsche-Dachgesellschaft falsche oder unvollständige Angaben gemacht haben. Die weiteren Ermittlungen sind nach Angaben der Staatsanwaltschaft „äußerst aufwendig und zeitintensiv“ und werden nicht mehr 2011 abgeschlossen. Dem Vernehmen nach könnten sie sich bis weit ins nächste Jahr hineinziehen.
Die ursprünglich für 2011 geplante Verschmelzung der VW AG und der Dachgesellschaft Porsche SE ist geplatzt. Dies war die Wunschlösung. Unter dem Dach der Porsche Holding sind die Mehrheit der Anteile am Porsche-Sportwagengeschäft (Porsche AG) gebündelt und die mehr als 50 Prozent, die die Stuttgarter an VW halten. Die Grundlagen für die Verschmelzung hatten die beiden Autobauer bereits im Sommer 2009 vereinbart. Grund für das Scheitern: VW sieht in den ungelösten juristischen Auseinandersetzungen der Stuttgarter ein unkalkulierbares Risiko - das wollen sie sich nicht ins Haus holen.
Die Verschmelzung ist nicht komplett vom Tisch, sie könnte auch noch später durchgezogen werden. Allerdings müssten dafür neue Verträge abgeschlossen werden, die alten wären nicht mehr gültig. Außerdem haben sich die Autobauer bereits vor zwei Jahren einen Plan B zurechtgelegt. Von Mitte November 2012 bis Ende Januar 2015 gibt es vier vertraglich festgelegte Zeitfenster, in denen VW das Porsche-Sportwagengeschäft für den Preis von 3,9 Milliarden Euro komplett übernehmen kann. Bisher halten die Wolfsburger 49,9 Prozent.
Volkswagen könnte sich das komplette operative Porsche-Sportwagengeschäft sichern, ohne die ungelösten Probleme der Porsche SE am Hals zu haben. Der Nachteil: Diese Variante wäre aus gesetzlichen Gründen erst ab Mitte 2014 steuerfrei. In den nächsten Wochen wollen beide Unternehmen nach alternativen Wegen suchen. Wie diese aussehen könnten, ließen sie zunächst offen.
Ob Härter dabei Kreditbetrug beging, ist eher nebensächlich. Viel wichtiger ist die Frage, der die Staatsanwaltschaft ebenfalls nachgeht: Ob Härter und Wiedeking während des Übernahmeversuchs VW-Aktionäre mit falschen Informationen bewusst in die Irre führten. Diese mögliche Marktmanipulation soll zu Milliardenschäden bei Investoren geführt haben.
Ein Verfahren mit Strahlkraft
Die Investoren fordern vor deutschen und amerikanischen Gerichten Schadenersatz von über fünf Milliarden Euro. Die Stuttgarter Staatsanwälte hatten zuletzt mitgeteilt, der Verdacht der Marktmanipulation habe sich erhärtet und es müsse noch weiter ermittelt werden. Vor Mitte dieses Jahres werden sie nicht entscheiden, ob sie Anklage gegen Wiedeking und Härter erheben. Porsche weist den Vorwurf der Marktmanipulation zurück.
Zahlreiche Aktienrechtler in Deutschland wünschen sich das Verfahren gegen die Ex-Porsche-Manager, weil dadurch geklärt werden könnte, inwieweit Unternehmen bei solchen Übernahmeschlachten Öffentlichkeit und Aktienmarkt im Unklaren über ihre wahren Absicht lassen dürfen. Auch würde ein Prozess wohl Klarheit über eine unter Aktienrechtlern kontrovers diskutierte Frage bringen: Sind Aktienoptionen, die nicht pure Geldanlage sind, sondern auf den späteren Erwerb der Aktien zielen, dem Aktienbesitz zuzurechnen?
Niemand verstand mehr, was bei Porsche lief
Das Piech-Urteil des Stuttgarter Oberlandesgerichts streift die zweite Kernfrage der Übernahmeschlacht: Wie war dabei um die Corporate Governance bestellt? Dass es Wiedeking schon vor der versuchten Übernahme nicht so genau nahm mit der Transparenz gegenüber Aktionären und Kapitalmarkt ist bekannt. Doch offenbar trieb er das Spiel in den Jahren nach 2005 auf die Spitze. Sein ebenso geheimes wie hoch kompliziertes Aktienoptionsmodell führte dazu, dass fast niemand mehr verstand, was bei Porsche lief.
Horrorkonstellation für Corporate-Governance-Verfechter
Noch origineller wurde das Geheimkommando dadurch, dass der Angreifer (Porsche) sich im Besitz jener Familie befand, die mit Piech auch den Aufsichtsratschef beim angegriffenen Unternehmen (Volkswagen) stellte - eine Horrorkonstellation für Corporate-Governance-Verfechter. Sie führte womöglich dazu, dass Porsche elf Milliarden Euro Schulden anhäufen konnte, bevor der Porsche-Aufsichtsrat einschritt. Vielleicht führte sie auch dazu, dass ausgerechnet VW bereitstand, Porsche einen Rettungskredit zu gewähren, als die Banken nicht mehr mitspielten. Und dass am Ende VW Porsche durch die Kauf vor der Insolvenz bewahrte.
Warum ließ VW - wie sonst in solchen Fällen üblich - Porsche nicht in die Insolvenz gehen, um den Sportwagenbauer dann für einen Bruchteil des Preises aufzukaufen? Vielleicht weil an der Spitze des VW-Aufsichtsrats der wichtigste Porsche-Großaktionär stand? Und wusste man bei VW wirklich nicht, dass Porsche mit falschen Informationen über die Übernahmepläne den Aktienmarkt manipulierte? Piech hatte schon 2005 zusammen mit den anderen Porsche-Großaktionären Wiedeking und Härter grünes Licht für die Übernahmestrategie gegeben. Warum sah VW dann der möglichen Marktmanipulation tatenlos zu? Vielleicht, weil es der einflussreiche VW-Aufsichtsratschef so wollte?
Die gescheiterte VW-Übernahme ist rechtlich noch längst nicht aufgearbeitet. Aber das wird sie wohl, wie die jüngsten Entscheidungen in Stuttgart zeigen.