VW Die Tage der Wahrheit für Volkswagen

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„Wir haben nicht gelogen“

Für US-Compliance-Experten steht fest: „Wenn es so weit gekommen ist wie bei VW, dann wollen die US-Behörden vor allem eines sehen, nämlich Reue. Die Manager müssen in Sack und Asche gehen, egal, ob sie selbst verantwortlich waren oder nicht.“ Nur dann würden die Amerikaner glauben, dass sie den Kurs grundlegend ändern. Doch bei VW-Chef Müller ist von Reue nicht viel zu spüren.

Obwohl Volkswagen über Jahre die Abgaswerte manipuliert hatte, entgegnete er kurz nach der Pressekonferenz in Wolfsburg auf der Autoshow in Detroit einem Radioreporter „Wir haben nicht gelogen.“ Ob Müller selbst, Chefkontrolleur Pötsch oder die Konzernkommunikation – offenbar hielt es niemand in Wolfsburg für nötig, das Topmanagement auf die Reue-Spur zu setzen. Bei Siemens dagegen wurden Vorstände von Anwälten trainiert, um den US-Behörden nicht neue Angriffsflächen zu liefern. Sie mussten Antworten auf 200 Fragen auswendig lernen, heißt es von einem Teilnehmer.

Die berühmten Ausrutscher der Manager
Matthias Müller Quelle: AP
Josef Ackermann Quelle: AP
Rolf Breuer Quelle: dpa
Jürgen Schrempp Quelle: dpa-dpaweb
Hartmut Mehdorn Quelle: dpa
Michael Meier Quelle: dpa
Hilmar Kopper Quelle: dpa

Eigentlich hätte Müller nach Meinung früherer Siemens-Berater gar nicht in die USA reisen dürfen. Denn die Behörden wollten erst eine gründliche Aufarbeitung und Neuausrichtung sehen. Danach könne ein in Ungnade gefallener Konzernchef auch mal in die USA fahren. Stattdessen habe Müller vorab verkündet, dass er nur fliegen werde, um quasi mit den Behörden „alles klar zu machen“. Das sei in den Augen der US-Behörden an Dreistigkeit kaum zu überbieten.

Schlecht beraten: VW-Chef Müller ist Informatiker, kein Jurist. Er muss nicht alles über Compliance wissen, doch dafür sorgen, dass ihn Experten vor Falschaussagen bewahren. Auch das ist bei VW nicht ausreichend geschehen. Als Journalisten fragten, warum VW so lange mit Ergebnissen der internen Ermittlungen hinterm Berg halte, sagte Müller: „Ist es denn so schwer, zu akzeptieren, dass wir nach Aktienrecht verpflichtet sind, zur Hauptversammlung am 21. April einen Bericht abzugeben, und dass es uns gar nicht möglich ist, vorher was zu sagen?“

Eine Fehleinschätzung. Unternehmen sind verpflichtet, potenziell kursbewegende Informationen sofort zu veröffentlichen. Auch VW scheint das erkannt zu haben: Obwohl die Hauptversammlung auf Juni verschoben wurde, soll der Bericht weiter im April veröffentlicht werden. Ob Müller sich gesetzeswidrig verhalten habe, wollte VW nicht kommentieren. Individuelles Fehlverhalten ermittle die beauftragte US-Kanzlei Jones Day.

Die Entscheidung um die Boni für die VW-Vorstände ist verschoben. Viel wichtiger wäre indes eine Einigung mit den US-Behörden. Erst dann kann sich der Konzern richtig an die Aufarbeitung des Dieselskandals machen.
von Christian Schnell

Keine Verantwortlichen benannt: In einem Fall hatte es Siemens-Aufsichtsratschef Cromme allerdings leichter als die heutigen VW-Kontrolleure: Er konnte die US-Börsenaufsicht SEC durch tiefe Einschnitte beim Führungspersonal gnädig stimmen. Lohn der Mühe: Zu Beginn der Affäre musste Siemens mit Strafen in drei- bis neunfacher Höhe aller beanstandeten verdächtigen Zahlungen in Höhe von rund 1,4 Milliarden Dollar rechnen. Dank Aufklärung und Neuanfang senkte die Behörde den Faktor auf 0,5.

von Melanie Bergermann, Martin Seiwert

Solche Milde ist für VW in weite Ferne gerückt. Denn vor einer gnädigen Strafe steht eine zusätzliche Hürde, die es zu Siemens’ Zeiten nicht gab: das Yates-Memorandum vom September 2015. Laut dieser Anweisung des US-Justizministeriums an die amerikanischen Strafverfolger, benannt nach der Vize-Justizministerin Sally Yates, können Unternehmen nur dann mit Strafmilderung rechnen, wenn sie den Behörden helfen, ihre Manager persönlich haftbar zu machen. Dahinter steht eine Erkenntnis aus der Finanzkrise, wo zwar Banken, aber keine Banker verurteilt wurden. „Diesem Anspruch der Behörde gerecht zu werden wird VW unglaublich schwerfallen, weil sie den Behörden dafür tiefe Einblicke ins Unternehmen gewähren müssen“, sagt ein US-Strafrechtsexperte. „Doch wenn VW diese Hürde nicht nimmt, war alles sonstige Bemühen umsonst, dann gibt es die Maximalstrafe.“

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