Wachstum bleibt aus Russlands Automarkt auf Schrumpfkurs

Russland ist Europas wichtigster Wachstumsmotor im Automarkt. Eigentlich. Die unsichere Lage lässt Investoren zögern. Schwerwiegende Folgen zeichnen sich ab. Der Markt wird nicht wachsen, sondern weiter schrumpfen.

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VW-Chef Martin Winterkorn und Russlands Präsident Wladimir Putin. Schon jetzt hat Putin dem russischen Automarkt beträchtlichen Schaden zugefügt. Quelle: dpa

Putin dreht den Zündschlüssel um - nichts passiert. Wieder und wieder würgt der russische Präsident den brandneuen Lada Togliati ab. Erst beim fünften Versuch springt der Wagen an. Diese peinliche Szene ereignete sich im Mai 2011. Putin versuchte die Situation mit einem flapsigen Spruch zu retten. Er habe nicht gewusst, dass es sich um ein elektronisches Gaspedal handle: "Ich hab einfach zu stark aufs Gas gedrückt, wie ich es gewohnt bin." Russlands Autoindustrie leidet unter mangelnder Qualität ihrer heimischen Hersteller - und einem Präsidenten, der Vollgas gibt und dabei riskiert, die Wirtschaft gegen die Wand zu fahren.

Die stärksten Marken auf Russlands Automarkt

Für die deutschen Autobauer kann die Krise im Russland sehr unangenehm werden - für die russische Auto- und Zuliefererindustrie dramatisch. "Noch sind die Auswirkungen für die Deutschen beherrschbar", sagt Frank Schwope, Analyst der Nord LB und meint damit vor allem den Währungseffekt. Der russische Rubel hat seit Dezember2013 im Vergleich zum US-Dollar um zehn Prozent an Wert verloren. Das drückt die Gewinne der Hersteller. „Kurzfristig können wir darauf nur mit dem Preis reagieren. Langfristig geht es um einen höheren Lokalisierungsgrad“, sagte Ford-Deutschlandchef Bernhard Mattes.

Absatz deutscher Hersteller in Russland

Was aber die kommenden Monate bringen, weiß niemand zu sagen. Es ist diese Unsicherheit, die deutsche Autobauern zum Handeln zwingt. Noch müht man sich um Gelassenheit. Doch so kalt wie Winterkorn, Stadler, Neumann oder Mattes sich geben, kann die Automanager die Entwicklung in Russland nicht lassen. „Man muss kein Prophet sein um zu wissen: Jeder, der jetzt vor Investitionsentscheidungen steht, wird zögern“, ist sich Stefan Bratzel, Leiter des CAR Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach sicher.

Bis zur Krim-Krise war Russland der Wachstumsmarkt der Automobilindustrie in Europa - immer kurz davor Deutschland als wichtigsten Markt zu überholen. Bratzel: „In West-Europa haben wir den Peak – die gerade einsetzende Erholung eingerechnet – erreicht“. Von den westeuropäischen Autonationen wird in den kommenden Jahren kein Wachstum mehr ausgehen. „Der Zukunftsmarkt ist Russland", sagt Bratzel. Doch der Markt ist schwierig. Schon vor der Krimkrise hatten es die westlichen Hersteller nicht leicht. Korruption ist an der Tagesordnung.  Ohne einen engen Draht zur Politik zögern sich Entscheidungen über Monate oder gar Jahre hinaus.

Trotzdem haben es die deutschen Hersteller geschafft, beachtliche Marktanteile zu gewinnen. Volkswagen verkaufte 2013 über 156.000 Autos in Russland. Die Wolfsburger sind damit der stärkste deutsche Hersteller vor Ort. In Kaluga, dem Detroit Russlands, produziert VW mit 5000-Mitarbeitern unter anderem den Tiguan - ein Verkaufsschlager bei den SUV-begeisterten Russen - den VW-Polo und Skoda Fabia. „Russland ist für den Volkswagen-Konzern der strategische Wachstumsmarkt Nummer eins in Europa“, sagte VW-Chef Martin Winterkorn erst im November 2013. 

Sieben Prozent weniger Absatz


Wie es jetzt auf der Krim weitergeht
Ist die Versorgung der Krim gefährdet?Strom und vor allem Wasser erhält die Krim hauptsächlich vom ukrainischen Festland. Zwar schließt die Regierung in Kiew bisher aus, die Versorgung zu unterbrechen. Doch fehlt ein Notfallplan. Die moskautreue Führung der Halbinsel hat wichtige Unternehmen wie den Gasversorger Tschernomorneftegas verstaatlicht. Als wahrscheinlich gilt, das russische Staatskonzerne wie der Monopolist Gazprom die Firmen übernehmen. Die Zugänge zur Halbinsel sind erschwert: Autos und Züge werden kontrolliert. Flüge gibt es fast nur noch von Moskau. Im Eiltempo treibt Russland nun Planungen für eine Brücke über die vier Kilometer lange Meerenge von Kertsch zum Osten der Krim voran. Quelle: dpa
Wie läuft die Währungsumstellung von Griwna auf Rubel?Beide Währungen sollen bis Ende 2015 gleichberechtigt genutzt werden dürfen. Berichten zufolge werden aber Banken schon nicht mehr mit ukrainischer Griwna beliefert, und Russische Rubel sind noch nicht ausreichend im Umlauf. Geldautomaten geben nur geringe Summen aus. Alle Verträge mit ukrainischen Lieferanten sind in Griwna gemacht. Unklar ist die Rechtslage bei Zoll und Steuern. Kremlchef Wladimir Putin verlangt, dass die Renten schon bald dem russischen Niveau angeglichen werden - das bedeutet mindestens eine Verdoppelung. Quelle: dpa
Was passiert mit den ukrainischen Soldaten auf der Krim?Auch der ukrainische Präsidentschaftskandidat Vitali Klitschko fordert nun den kompletten Abzug der Truppen von der Krim - „um Leben zu retten“. Fast alle ukrainischen Militäreinrichtungen sind von Uniformierten umstellt, vermutlich russischen Soldaten. Mehrere Stützpunkte sind bereits in der Hand prorussischer Kräfte, darunter das Hauptquartier der Marine. Zur Selbstverteidigung hatte das Verteidigungsministerium in Kiew zwar den Einsatz von Schusswaffen erlaubt, aber Schüsse fielen nicht. Vielmehr häufen sich jetzt Berichte, dass immer mehr Soldaten die Basen freiwillig verlassen. Quelle: AP
Was geschieht mit der Minderheit der Tataren?Die moskautreue Führung der Krim macht dem Turkvolk, das etwa zwölf Prozent der zwei Millionen Einwohner ausmacht, weitreichende Angebote. So sollen Tataren ein Fünftel aller öffentlichen Ämter erhalten, Krimtatarisch wird Amtssprache. Hinzu kommen massive Finanzhilfen. Zugleich steigt der Druck auf die Minderheit, die einen Anschluss an Russland zum Großteil bisher ablehnt. Vizeregierungschef Rustam Temirgalijew fordert, die Tataren müssten illegal besetzte Grundstücke räumen - angeblich im Austausch gegen neue Ländereien. Das weckt alte Ängste: Vor 70 Jahren ließ Sowjetdiktator Josef Stalin die Tataren als angebliche Verbündete Nazi-Deutschlands deportieren. Quelle: dpa
Was unternimmt die neue ukrainische Regierung?Die Führung in Kiew wirkt machtlos und ist tatenlos. Zwar ist eine Teilmobilisierung verkündet, etwa 20 000 Reservisten sollen bis Ende April einberufen werden. Aber Regierungschef Arseni Jazenjuk (im Bild) und Interimspräsident Alexander Turtschinow schließen einen Krieg um die Krim bisher aus. Eine Reise von Kabinettsvertretern auf die Krim zu einer „Regulierung des Konflikts“ lehnt die dortige moskautreue Regierung ab. Beide Seiten erkennen sich gegenseitig bisher nicht an. Zugleich treibt Kiew den Westkurs voran. So will Jazenjuk noch diese Woche den politischen Teil des Partnerschaftsabkommens mit der EU unterzeichnen. Quelle: dpa
Was machen politische Schwergewichte wie Timoschenko und Klitschko?Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko, die sich zuletzt in Berlin behandeln ließ, verurteilt das russische Vorgehen und fordert internationale Unterstützung. Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko besucht demonstrativ Stützpunkte der Grenztruppen und des Militärs. Zudem spendet er 25 Prozent seines Abgeordnetengehalts für die Armee und wirbt für Sanktionen gegen Russland. Da ihre Parteien aber die Koalition in Kiew stützen, halten sich die wahrscheinlichen Präsidentschaftskandidaten mit offener Kritik zurück. Quelle: dpa

Bis Ende 2018 wollen die Wolfsburger 1,2 Milliarden Euro in Russland investieren – für ein neues Motorenwerk in Kaluga und ein Logistikzentrum in der Nähe von Moskau. Man werde diese Investitionen nicht stoppen, sagte Winterkorn vor wenigen Tagen. Auch Zulieferer Continental hält an seinen zig-Millionen Euro schweren Plänen fest.

Noch in diesem Jahr geht ein Werk zur Produktion von Motorsteuergeräten und Kraftstofffördereinheiten ans Netz, in wenigen Wochen läuft die Serienproduktion von Klimaleitungen im ContiTech-Werk in Kaluga an. Insgesamt arbeiten 1100 Menschen für Conti in Russland. Noch. Im Falle einer Eskalation der Krise ist alles möglich – ausgedehnte Sanktionen der EU gegen Russland, russische Importzölle auf europäische Produkte bis hin zur Enteignung ausländischer Konzerne in Russland. Ein Schreckensszenario, bei dem beide Seiten verlieren würden. „Auch Russland hat ein Interesse daran, dass die Produktion in den Werken deutscher Hersteller weiterläuft. Daran hängen schließlich mehrere tausend Arbeitsplätze", gibt Analyst Schwope zu bedenken.

Schon jetzt hat Putin mit der Besetzung der Krim die Auto-Industrie nachhaltig ausgebremst. Das Beratungshaus PriceWaterhouseCoopers PwC prognostiziert in einer Analyse, die WirtschaftsWoche Online exklusiv vorliegt, dass der russische Automarkt in diesem Jahr um mehr als sieben Prozent auf dann nur noch 2,58 Millionen Fahrzeuge schrumpfen wird.

PwC-Prognose für den russischen Markt

Schon 2013 waren die Verkäufe in Russland um fünf Prozent gefallen. Abwrackgebühren, Anti-Dumping-Zölle, eine Steuer auf Luxusautos und die Zurückhaltung der Bürger beim Konsum ließen die Lust auf neue Autos schwinden. Ein ursprünglich bis 2014 geplantes Förderprogramm, bei dem die Regierung Autokredite bezuschusste, setzte Putin vorzeitig zum 31.Dezember 2013 ab – als Teil von Konsolidierungsmaßnahmen für den Staatshaushalt. Neue Impulse zur Verkaufsförderung von Autos sind daher auch nicht zu erwarten. Im Gegenteil.

Der schwache Rubel führt zu höheren Autopreisen und zu höheren Zinsen für Autokredite. Warum sollte ein Russe jetzt ein Auto kaufen? Die Stimmung ist angstbehaftet. Und nicht nur russische Privatleute schieben Investitionen auf. Auch kleine und mittelgroße Autozulieferer werden abwarten, davon geht PwC aus. „Das wird mittelfristig zu einem Mangel an lokalen Lieferanten führen - mit negativen Auswirkungen für die gesamte Automobilindustrie in Russland“, warnt Christoph Stürmer, Analyst bei PwC Autofacts.

Damit würgt Putin den kaum warm gelaufenen Motor in der Autoindustrie ab. „Eine Struktur mit mittelständischen Zulieferer-Betrieben wie hier in Deutschland, entsteht gerade erst", weiß Branchen-Experte Bratzel. Investitionen wären dringend nötig, um Anzahl und Qualität der Betriebe zu erhöhen. Bratzel: „Die wirtschaftliche Dimension der Krise, ist jetzt schon tragisch für Russland.“

Russische Zulieferer zu schlecht


Wo deutsche Unternehmen in Russland aktiv sind
E.On-Fahnen Quelle: REUTERS
Dimitri Medwedew und Peter Löscher Quelle: dpa
Dem Autobauer bröckelt in Russland die Nachfrage weg. Noch geht es ihm besser als der Konkurrenz. Martin Winterkorn hat einige Klimmzüge machen müssen - aber theoretisch ist das Ziel erreicht: Volkswagen könnte in Russland 300.000 Autos lokal fertigen lassen. Den Großteil stellen die Wolfsburger in ihrem eigenen Werk her, das 170 Kilometer südwestlich von Moskau in Kaluga liegt. Vor gut einem Jahr startete zudem die Lohnfertigung in Nischni Nowgorod östlich Moskau, wo der einstige Wolga-Hersteller GAZ dem deutschen Autoriesen als Lohnfertiger zu Diensten steht. Somit erfüllt Volkswagen alle Forderungen der russischen Regierung: Die zwingt den Autobauer per Dekret dazu, im Inland Kapazitäten aufzubauen und einen Großteil der Zulieferteile aus russischen Werken zu beziehen. Andernfalls könnten die Behörden Zollvorteile auf jene teuren Teile streichen, die weiterhin importiert werden. Der Kreml will damit ausländische Hersteller zur Wertschöpfung vor Ort zwingen und nimmt sich so China zum Vorbild, das mit dieser Politik schon in den Achtzigerjahren begonnen hat. Die Sache hat nur einen Haken: Die Nachfrage in Russland bricht gerade weg - nicht im Traum kann Volkswagen die opulenten Kapazitäten auslasten. 2013 gingen die Verkäufe der Marke VW um etwa fünf Prozent auf 156.000 Fahrzeuge zurück. Wobei die Konkurrenz stärker im Minus war. Hinzu kommt jetzt die Sorge um die Entwicklungen auf der Krim. VW-Chef Martin Winterkorn sagte der WirtschaftsWoche: "Als großer Handelspartner blicekn wir mit Sorge in die Ukraine und nach Russland." Er verwies dabei nicht nur auf das VW-Werk in Kaluga, sondern auch auf die Nutzfahrzeugtochter MAN, die in St. Petersburg derzeit ein eigenes Werk hochfährt. Der Lkw-Markt ist von der Rezession betroffen, da die Baukonjunktur schwächelt. Quelle: dpa

Die mangelhafte Qualität der russischen Zulieferer ist auch der Grund für die geringe lokale Fertigungstiefe vieler ausländischer Hersteller. „Für die Premiumhersteller gibt es vor Ort keine Alternative“, erklärt Bratzel. Die Deutschen haben ihre Zulieferer einfach mitgebracht – die meisten haben sich in der Autostadt Kaluga angesiedelt. Oder sie fertigen wie BMW im Completely-Knocked-Down-Verfahren. Setzen also vorher komplett in ihre Einzelteile zerlegte Autos in Russland wieder zusammen, ohne dort Teile zu produzieren.

Sollte der Rubel weiter fallen, werden die deutschen Hersteller die Währungseffekte also nicht so einfach abfedern können, indem sie die lokale Fertigung ausweiten. Nur der französische Hersteller Renault verfügt dank seiner Partnerschaft mit dem größten russischen Hersteller AvtoVaz über eine lokale Zuliefererquote von 80 Prozent. Alle anderen müssen die Währungseffekte zwangsläufig durch höhere Preise auffangen. Da aber mit einem schwächeren Absatz zu rechnen ist, werden die Gewinne aus Russland zwangsläufig schrumpfen.

Sollte sich die Krise verschärfen und die Absätze der deutschen Hersteller bröckeln, können Mercedes, BMW, Audi und auch Volkswagen aber immer noch ruhig durchatmen. Nur etwa vier Prozent der gesamten deutschen Autoproduktion geht nach Russland. Die „paar tausend Stück“ kompensieren die Hersteller recht schnell mit Verkäufen in den USA oder China. Dort konnten BMW, Audi und Mercedes im vergangenen Jahr zweistellig wachsen. Ein deutscher Autobauer würde aber extrem unter Sanktionen auf dem russischen Markt leiden. „Opel könnte einen solchen Verlust nicht ausgleichen“, mahnt Bratzel.

Die US-Mutter General Motors hat den Aktionsradius der Deutschen auf Europa beschränkt. Daher spielt Russland für Opel-Chef Karl-Thomas Neumann eine herausragende Rolle im Sanierungskonzept, der unter die Räder gekommenen Marke. Für ihn ist das Potenzial des russischen Marktes umso größer, wenn nur erst die Schwester-Marke Chevrolet aus Europa abgezogen wird. 2016 ist es soweit. Chevrolet verkauft in Russland zuletzt fast 175.000 Autos – Opel nur gut 81.000. Kein Wunder also, dass Neumann Durchhalteparolen ausgibt: „Russland wird 2020 der größte Automarkt Europas sein. Und die Entwicklung bis dahin wird wie bei einem Marathon verlaufen - es wird Höhen und Tiefen geben.“ CAR-Leiter Bratzel ist dagegen sicher: „Russland wird langfristig schwierig bleiben.“

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