Putin dreht den Zündschlüssel um - nichts passiert. Wieder und wieder würgt der russische Präsident den brandneuen Lada Togliati ab. Erst beim fünften Versuch springt der Wagen an. Diese peinliche Szene ereignete sich im Mai 2011. Putin versuchte die Situation mit einem flapsigen Spruch zu retten. Er habe nicht gewusst, dass es sich um ein elektronisches Gaspedal handle: "Ich hab einfach zu stark aufs Gas gedrückt, wie ich es gewohnt bin." Russlands Autoindustrie leidet unter mangelnder Qualität ihrer heimischen Hersteller - und einem Präsidenten, der Vollgas gibt und dabei riskiert, die Wirtschaft gegen die Wand zu fahren.
Die stärksten Marken auf Russlands Automarkt
Mit 456.309 verkauften Fahrzeugen ist Lada die stärkste Marke auf dem russischen Markt mit einem Anteil von über 20 Prozent. Die Marke des Herstellers AvtoVaz verliert allerdings seit Jahren an Bedeutung. Im Vergleich zu 2012 wurden 2013 gut 15 Prozent weniger Ladas verkauft.
Renault-Nissan hält über direkte und indirekte Beteiligungen fast 50 Prozent an Russlands größtem Autobauer AvtoVaz (Lada). Renault verkaufte im vergangenen Jahr 210.099 Modelle in Russland (+11%) und ist damit mit einem Marktanteil von gut 8 Prozent die zweitstärkste Marke. Durch seine enge Verflechtung mit dem Lada-Hersteller hat Renault einen sehr hohen Anteil von lokalen Zulieferern. Die so genannte Sourcing-Quote liegt bei 80 Prozent.
Die Koreaner haben derzeit rund 7 Prozent Marktanteil mit 198.018 verkauften Modellen. Sechs Prozent mehr als im Vorjahr.
Die Schwester-Marke von Kia kann sich ebenfalls gut behaupten. Sie verkaufte 1881.153 Autos in Russland – vier Prozent mehr als 2012.
Auch die Amerikaner machen in Russland gute Geschäfte - noch. Die Schwester-Marke von Opel verkaufte 2013 genau 174.649 Autos. 15 Prozent weniger als 2012. Mutterkonzern General-Motors hat entschieden, dass Chevrolet in Europa nur noch bis 2016 verkauft wird, dann soll Opel die Märkte übernehmen.
Für die deutschen Autobauer kann die Krise im Russland sehr unangenehm werden - für die russische Auto- und Zuliefererindustrie dramatisch. "Noch sind die Auswirkungen für die Deutschen beherrschbar", sagt Frank Schwope, Analyst der Nord LB und meint damit vor allem den Währungseffekt. Der russische Rubel hat seit Dezember2013 im Vergleich zum US-Dollar um zehn Prozent an Wert verloren. Das drückt die Gewinne der Hersteller. „Kurzfristig können wir darauf nur mit dem Preis reagieren. Langfristig geht es um einen höheren Lokalisierungsgrad“, sagte Ford-Deutschlandchef Bernhard Mattes.
Absatz deutscher Hersteller in Russland
Audi konnte den Absatz seiner Fahrzeuge in Russland im vergangenen Jahr um 7,9 Prozent auf 36.150 steigern.
BMW verkaufte 44.871 Fahrzeuge der BMW-Group im russischen Markt. 11,8 Prozent mehr als im Vorjahr.
Mercedes setzte 2013 in Russland 44.376 Autos ab. 19 Prozent mehr als im Vorjahr.
Die Wolfsburger verkauften 156.247 Fahrzeuge der Marke VW in Russland. Fünf Prozent weniger als 2012. VW ist damit aber immer noch die sechststärkste Marke auf dem russischen Markt.
Was aber die kommenden Monate bringen, weiß niemand zu sagen. Es ist diese Unsicherheit, die deutsche Autobauern zum Handeln zwingt. Noch müht man sich um Gelassenheit. Doch so kalt wie Winterkorn, Stadler, Neumann oder Mattes sich geben, kann die Automanager die Entwicklung in Russland nicht lassen. „Man muss kein Prophet sein um zu wissen: Jeder, der jetzt vor Investitionsentscheidungen steht, wird zögern“, ist sich Stefan Bratzel, Leiter des CAR Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach sicher.
Bis zur Krim-Krise war Russland der Wachstumsmarkt der Automobilindustrie in Europa - immer kurz davor Deutschland als wichtigsten Markt zu überholen. Bratzel: „In West-Europa haben wir den Peak – die gerade einsetzende Erholung eingerechnet – erreicht“. Von den westeuropäischen Autonationen wird in den kommenden Jahren kein Wachstum mehr ausgehen. „Der Zukunftsmarkt ist Russland", sagt Bratzel. Doch der Markt ist schwierig. Schon vor der Krimkrise hatten es die westlichen Hersteller nicht leicht. Korruption ist an der Tagesordnung. Ohne einen engen Draht zur Politik zögern sich Entscheidungen über Monate oder gar Jahre hinaus.
Trotzdem haben es die deutschen Hersteller geschafft, beachtliche Marktanteile zu gewinnen. Volkswagen verkaufte 2013 über 156.000 Autos in Russland. Die Wolfsburger sind damit der stärkste deutsche Hersteller vor Ort. In Kaluga, dem Detroit Russlands, produziert VW mit 5000-Mitarbeitern unter anderem den Tiguan - ein Verkaufsschlager bei den SUV-begeisterten Russen - den VW-Polo und Skoda Fabia. „Russland ist für den Volkswagen-Konzern der strategische Wachstumsmarkt Nummer eins in Europa“, sagte VW-Chef Martin Winterkorn erst im November 2013.
Sieben Prozent weniger Absatz
Bis Ende 2018 wollen die Wolfsburger 1,2 Milliarden Euro in Russland investieren – für ein neues Motorenwerk in Kaluga und ein Logistikzentrum in der Nähe von Moskau. Man werde diese Investitionen nicht stoppen, sagte Winterkorn vor wenigen Tagen. Auch Zulieferer Continental hält an seinen zig-Millionen Euro schweren Plänen fest.
Noch in diesem Jahr geht ein Werk zur Produktion von Motorsteuergeräten und Kraftstofffördereinheiten ans Netz, in wenigen Wochen läuft die Serienproduktion von Klimaleitungen im ContiTech-Werk in Kaluga an. Insgesamt arbeiten 1100 Menschen für Conti in Russland. Noch. Im Falle einer Eskalation der Krise ist alles möglich – ausgedehnte Sanktionen der EU gegen Russland, russische Importzölle auf europäische Produkte bis hin zur Enteignung ausländischer Konzerne in Russland. Ein Schreckensszenario, bei dem beide Seiten verlieren würden. „Auch Russland hat ein Interesse daran, dass die Produktion in den Werken deutscher Hersteller weiterläuft. Daran hängen schließlich mehrere tausend Arbeitsplätze", gibt Analyst Schwope zu bedenken.
Schon jetzt hat Putin mit der Besetzung der Krim die Auto-Industrie nachhaltig ausgebremst. Das Beratungshaus PriceWaterhouseCoopers PwC prognostiziert in einer Analyse, die WirtschaftsWoche Online exklusiv vorliegt, dass der russische Automarkt in diesem Jahr um mehr als sieben Prozent auf dann nur noch 2,58 Millionen Fahrzeuge schrumpfen wird.
PwC-Prognose für den russischen Markt
Das Analysehaus PriceWaterhouseCoopers geht für das Jahr 2014 von einem schrumpfenden russischen Markt aus. Die Verkäufe werden um 7,1 Prozentpunkte von 2,77 Millionen auf 2,58 Millionen Einheiten fallen. Bereits in den ersten beiden Monaten des Jahres sind die Verkäufe im Vergleich zum Vorjahr um 3,6 Prozent zurückgegangen.
PwC geht für 2014 von einem rückläufigen Produktionsvolumen im Pkw-Markt aus. Der Output wird von 2,01 Millionen Einheiten auf 1,88 Millionen zurückgehen.
Bis zum Jahr 2020, so prognostiziert PwC, wird das Produktionsvolumen im Vergleich zu 2013 um gut 5 Prozent auf 2,85 Millionen Einheiten ansteigen.
Schon 2013 waren die Verkäufe in Russland um fünf Prozent gefallen. Abwrackgebühren, Anti-Dumping-Zölle, eine Steuer auf Luxusautos und die Zurückhaltung der Bürger beim Konsum ließen die Lust auf neue Autos schwinden. Ein ursprünglich bis 2014 geplantes Förderprogramm, bei dem die Regierung Autokredite bezuschusste, setzte Putin vorzeitig zum 31.Dezember 2013 ab – als Teil von Konsolidierungsmaßnahmen für den Staatshaushalt. Neue Impulse zur Verkaufsförderung von Autos sind daher auch nicht zu erwarten. Im Gegenteil.
Der schwache Rubel führt zu höheren Autopreisen und zu höheren Zinsen für Autokredite. Warum sollte ein Russe jetzt ein Auto kaufen? Die Stimmung ist angstbehaftet. Und nicht nur russische Privatleute schieben Investitionen auf. Auch kleine und mittelgroße Autozulieferer werden abwarten, davon geht PwC aus. „Das wird mittelfristig zu einem Mangel an lokalen Lieferanten führen - mit negativen Auswirkungen für die gesamte Automobilindustrie in Russland“, warnt Christoph Stürmer, Analyst bei PwC Autofacts.
Damit würgt Putin den kaum warm gelaufenen Motor in der Autoindustrie ab. „Eine Struktur mit mittelständischen Zulieferer-Betrieben wie hier in Deutschland, entsteht gerade erst", weiß Branchen-Experte Bratzel. Investitionen wären dringend nötig, um Anzahl und Qualität der Betriebe zu erhöhen. Bratzel: „Die wirtschaftliche Dimension der Krise, ist jetzt schon tragisch für Russland.“
Russische Zulieferer zu schlecht
Die mangelhafte Qualität der russischen Zulieferer ist auch der Grund für die geringe lokale Fertigungstiefe vieler ausländischer Hersteller. „Für die Premiumhersteller gibt es vor Ort keine Alternative“, erklärt Bratzel. Die Deutschen haben ihre Zulieferer einfach mitgebracht – die meisten haben sich in der Autostadt Kaluga angesiedelt. Oder sie fertigen wie BMW im Completely-Knocked-Down-Verfahren. Setzen also vorher komplett in ihre Einzelteile zerlegte Autos in Russland wieder zusammen, ohne dort Teile zu produzieren.
Sollte der Rubel weiter fallen, werden die deutschen Hersteller die Währungseffekte also nicht so einfach abfedern können, indem sie die lokale Fertigung ausweiten. Nur der französische Hersteller Renault verfügt dank seiner Partnerschaft mit dem größten russischen Hersteller AvtoVaz über eine lokale Zuliefererquote von 80 Prozent. Alle anderen müssen die Währungseffekte zwangsläufig durch höhere Preise auffangen. Da aber mit einem schwächeren Absatz zu rechnen ist, werden die Gewinne aus Russland zwangsläufig schrumpfen.
Sollte sich die Krise verschärfen und die Absätze der deutschen Hersteller bröckeln, können Mercedes, BMW, Audi und auch Volkswagen aber immer noch ruhig durchatmen. Nur etwa vier Prozent der gesamten deutschen Autoproduktion geht nach Russland. Die „paar tausend Stück“ kompensieren die Hersteller recht schnell mit Verkäufen in den USA oder China. Dort konnten BMW, Audi und Mercedes im vergangenen Jahr zweistellig wachsen. Ein deutscher Autobauer würde aber extrem unter Sanktionen auf dem russischen Markt leiden. „Opel könnte einen solchen Verlust nicht ausgleichen“, mahnt Bratzel.
Die US-Mutter General Motors hat den Aktionsradius der Deutschen auf Europa beschränkt. Daher spielt Russland für Opel-Chef Karl-Thomas Neumann eine herausragende Rolle im Sanierungskonzept, der unter die Räder gekommenen Marke. Für ihn ist das Potenzial des russischen Marktes umso größer, wenn nur erst die Schwester-Marke Chevrolet aus Europa abgezogen wird. 2016 ist es soweit. Chevrolet verkauft in Russland zuletzt fast 175.000 Autos – Opel nur gut 81.000. Kein Wunder also, dass Neumann Durchhalteparolen ausgibt: „Russland wird 2020 der größte Automarkt Europas sein. Und die Entwicklung bis dahin wird wie bei einem Marathon verlaufen - es wird Höhen und Tiefen geben.“ CAR-Leiter Bratzel ist dagegen sicher: „Russland wird langfristig schwierig bleiben.“