Wenn Daimler eine Gewinnwarnung ausspricht und für das Jahr 2012 „nur noch“ mit einem operativen Ergebnis von ungefähr acht Milliarden Euro rechnet, dann möchte man das zunächst für ein Luxusproblem halten. Offenbar ist es das nicht, denn der Konzern setzt unmittelbar den Rotstift an und will Milliarden einsparen. Denn es gilt, den Börsenwert zu halten und Aktionäre zu befriedigen.
Das geplante Spar- und Effizienzprogramm trägt den vielversprechenden Namen „Fit for Leadership“. Das klingt gut. Es klingt danach, als würde Daimler (wieder) die Führerschaft in der Automobilbranche übernehmen wollen. Doch Bodo Uebber, Finanzvorstand der Daimler AG, kündigt an, auch bei Forschung und Entwicklung sowie bei den Sachinvestitionen auf die Bremse zu treten. Das klingt nicht gut.
Am gleichen Tag meldet die Presse, dass Deutschland im Innovationsindikator 2012, veröffentlicht von Deutsche Telekom Stiftung und BDI, zwei Plätze auf Rang sechs abgerutscht sei. Wesentlicher Grund für den Rückstand auf die innovationsfähigsten Industrienationen ist die Schwäche unseres Bildungssystems. Und Klaus Kinkel, Vorsitzender der Stiftung ergänzt: Wichtigster Pfeiler der Innovationskraft blieben die Investitionen der Unternehmen in Forschung und Entwicklung. Das klingt nachvollziehbar.
Deutschland setzt seine Zukunft aufs Spiel
Wenn Unternehmen wie Daimler künftig ausgerechnet an Forschung und Entwicklung sparen, dann droht Deutschland in Punkto Innovationskraft weiter abzurutschen. Wir setzen unsere Zukunft aufs Spiel, nur um die Renditen des nächsten Quartals zu retten. Das ist nicht nur zu kurzfristig gedacht, sondern für unsere Wirtschaftskraft existentiell bedrohlich.
Wir haben es hier offenbar mit einem strukturellen Problem zu tun. Mit einem sehr typischen, deutschen Problem in der strukturellen Führung unserer technologischen Vorzeige-Unternehmen: Sie werden von ihren Finanzvorständen geführt, nicht von visionären Entwicklungschefs oder gar von ihren Marketingvorständen, deren Aufgabe es wäre, die Marke in die Zukunft zu führen. Denn - das sollte sich auch bei Daimler herumgesprochen haben - es ist die Marke, die das Rückgrat eines Unternehmens bildet.
Autos sind hochemotionale Produkte
So wundert es nicht, dass schon Journalisten den Daimler-Vorstandschef auf seine dringlichste Aufgabe aufmerksam machen müssen. Nikolaus Doll schreibt in der Welt: „Zetsche muss die Marke neu aufladen. Er muss erklären, wofür Mercedes heute steht, warum man eine A-, C- oder S-Klasse kaufen soll und eben nicht einen BMW oder Audi.“
Beiden Wettbewerbern geht es glänzend. Sie arbeiten wesentlich profitabler. Den Renditerückstand erklärt Daimler-Finanzvorstand Uebber mit dem Alter der eigenen Produktpalette und mit Lücken im Portfolio. Das, schreibt der Kommentator, weckt keine Begeisterung, weder bei der Belegschaft, noch beim Kunden. Das klingt tatsächlich alarmierend.
Es fehlt an Inspiration
Autos sind ist höchst emotionales Produkt, sie brauchen Visionen. Daimler fehlt es an einer Vision. Dieter Zetsche hat offenbar keine. Marken-Visionen von Finanzvorständen zu erwarten, ist heikel. Daimler wirkt, wie viele unserer Unternehmen, uninspiriert. Doch die Wettbewerber machen es vor. Man erkennt es am Umgang mit ihren Slogans: BMW verkündet „Freude am Fahren“ - seit 1965. Audi verspricht „Vorsprung durch Technik“ - seit 1971. Beide Slogans sind visionär und motivieren das eigene Unternehmen zu Höchstleistungen - und zum täglichen Erfüllen des eigenen Versprechens. Mercedes, aktuell „Das Beste oder nichts“, hat seinen Slogan dagegen seit 1988 viermal geändert.
Volkswagen, selbst von der aktuellen Autoflaute gebeutelt , besitzt nicht einmal einen Slogan, der Belegschaft und Kunden mitreißen könnte. Denn „Das Auto“ ist weder Slogan, noch Claim, sondern beschreibt schlichtweg das Produkt, das in Wolfsburg seit 1960 gebaut wird. „Das Auto“ ist in etwa so visionär wie „Der Pudding“, „Der Joghurt“ oder „Der Gerät“.
Visionen sind wichtiger als Quartalsergebnisse
Visionen sind ebenso unverzichtbar für Unternehmen wie für die Marken, die sie führen. So wie Marken das Rückgrat von Unternehmen darstellen, sind Visionen das Rückgrat der Marken.
Eine Vision ist nach Boston Consulting Group „Ein konkretes Zukunftsbild, nahe genug, dass wir die Realisierbarkeit noch sehen können, aber schon fern genug, um die Begeisterung der Organisation für eine neue Wirklichkeit zu wecken.“ Sie gibt Management und Mitarbeitern eine Orientierung für ihre Entscheidungen. Eine Vision legitimiert einerseits die unternehmerische Tätigkeit, andererseits will sie inspirieren und zur Kreativität anregen.
Ausgestattet mit einer Vision blicken Unternehmen nicht allein auf das operative Ergebnis des nächsten Quartals. Sie kürzen nicht Hals über Kopf ihre Forschungs- und Entwicklungskosten, sondern investieren in die Zukunft. Ihre Marketingchefs lenken das Unternehmen mit und blicken visionär nach vorn. Ihre Werbung ist ein Ausdruck ihrer Leitidee und ihres Glaubens an die Zukunft. Das gilt für unsere Automobilindustrie mehr denn je. So viel Marketing sollte selbst Börsianern und Investoren zu vermitteln sein.