Journalisten, die Volkswagen in der chinesischen Einöde besuchen wollen, versucht der Konzern abzuwimmeln: Es gebe dort noch nicht viel zu sehen, die Produktion sei gerade erst angelaufen. Das abweisende Verhalten hat aber noch andere Gründe. Denn das Joint Venture, das VW hier mit seinem bewährten Partner Shanghai Automotive Industry Corporation (SAIC), eingegangen ist, lässt sich allein aus betriebswirtschaftlichen Gründen kaum erklären, eher schon mit den industrie- und bevölkerungspolitischen Zielen der Regierung und den langfristigen Interessen des Konzerns in China. „Wir haben hier auch eine gesellschaftliche Aufgabe, die wir gerne wahrnehmen“, sagt ein hochrangiger VW-Manager. Immerhin sitze VW-Chef Martin Winterkorn im Global CEO Advisory Council von Ministerpräsident Li Keqiang.
Dafür schlucken die Wolfsburger auch schon einmal Staub. Die Provinz mit ihren 22 Millionen Einwohnern gehört zu den ärmsten Chinas. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liegt bei umgerechnet rund 4.000 Euro. Asphaltierte Straßen existieren außerhalb der Stadt Urumqi kaum. Zulieferbetriebe gibt es nicht. Von allen Auslandsinvestitionen, die 2010 nach China flossen, gingen gerade einmal 0,15 Prozent in die autonome Region Xinjiang.
Vor allem aber ist Xinjiang für notorische ethnische Unruhen bekannt. Jahrhundertelang war die Provinz – von der Fläche so groß wie Westeuropa – von Uiguren bewohnt. Die moslemische Bevölkerungsgruppe ist ein Turkvolk und hat mit der chinesischen Kultur wenig gemeinsam. Doch Peking versucht seit Jahrzehnten, die angestammte Bevölkerung durch Zuwanderer zu minorisieren. Seit Gründung der Volksrepublik siedeln sich immer mehr Han-Chinesen an, ihr Anteil in Xinjiang stieg von 1949 bis 2008 von 6,7 Prozent auf 40 Prozent. In Urumqi stehen bereits 1,75 Millionen Han-Chinesen 300.000 Uiguren gegenüber.
Dass das Werk in Urumqi kein vollwertiger Produktionsstandort für VW ist, zeigt die Konzeption der Fabrik als „Semi-Knocked-Down“-Montage. Das heißt, alle Teile werden aus anderen Werken im entwickelten Ostchina angeliefert und dann hier zusammengeschraubt. „Die Teile von Shanghai ins 3.000 Kilometer entfernte Urumqi zu bringen, um sie dort zusammenschrauben, ergibt betriebswirtschaftlich überhaupt keinen Sinn“, sagt JSC-Berater Siebert. Ein Semi-Knocked-Down-Werk könne zwar schon ab 20.000 Fahrzeugen sinnvoll sein, wenn die Logistik kein großes Problem darstellt und wenn der Absatz dieser Fahrzeuge als relativ sicher gelten kann. Beides sei hier mehr als fraglich.
Auf sich allein gestellt
„Das ist ein völlig absurdes Unterfangen, zu dem Volkswagen von der Regierung gezwungen wurde“, sagt Berater Siebert. Offiziell verkaufe der Konzern den Gang nach Urumqi als „Go-West-Strategie“. In der Praxis höre in China die Autoproduktion aber in Chengdu in der Provinz Sichuan auf, 2.000 Kilometer östlich von Urumqi.
So ist denn VW in der entlegenen Region auch ziemlich auf sich allein gestellt. Viele Zulieferer hofften angeblich mit Erfolg darauf, VW nicht nach Urumqi folgen zu müssen. Zu abgelegen, unterentwickelt und unruhig sei die Region.