Werkverträge in der Grauzone Welche Risiken drohen BMW und der Bundes-Tochter KBB?

Ein altes Problem der Wirtschaft ist und bleibt brisant: illegale Werkverträge. Aktuell ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen die Hofer Group, einem Dienstleister für BMW – was für den Autobauer brisant werden könnte.

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Chauffeurdienstleister Hofer soll Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen. Quelle: BMW

Die gemeinsamen Recherchen der WirtschaftsWoche und des ARD-Magazins Report München liefen über mehrere Wochen und zeigen, dass ein altes Problem der deutschen Wirtschaft nicht vollständig aufgearbeitet ist und brisant bleibt: die Anwendung illegaler Werkverträge im großen Stil. In diesem Fall geht es um Chauffeure und Hostessen, die bei mehreren Berlinalen, beim Filmfest München und bei weiteren glamourösen Anlässen Filmstars und anderen prominenten Gästen zu Diensten standen.

Im Fokus steht diesmal ein in der Event-Branche bekannter Dienstleister namens Hofer aus Berlin. Von Hofer fordert die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) hohe Nachzahlungen von Sozialversicherungsbeiträgen. Dass es sich um einen siebenstelligen Betrag handelt, bestreitet Hofer-Mitgeschäftsführer Oliver Vogel. Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Berlin, die Vogel bestätigt, laufen derzeit gegen insgesamt vier Geschäftsführer und Mitarbeiter des Dienstleisters.

Geprüft werden mögliche Verstöße gegen Paragraph 266 a des Strafgesetzbuchs (StGB), der unter anderem den Tatbestand des Sozialversicherungsbetrugs regelt. Geahndet wird das „in besonders schweren Fällen“ mit Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren.

Doch seit Hofer unfreiwillig ins Rampenlicht gerät, sind auch die Juristen bei namhaften Unternehmen alarmiert. Denn Risiken schlummern in dem Fall, über den die WirtschaftsWoche in ihrer Ausgabe vom 13. Januar berichtet und der nun Thema der Report-Sendung am Dienstagabend um 21:55 Uhr ist, auch für Hofers wichtigste Auftraggeber. Das ist vor allem der bayrische Premium-Autohersteller BMW. Dazu zählt aber auch eine Tochter des Bundes - die KBB (Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin GmbH), die unter anderem jedes Jahr das Filmfestival Berlinale veranstaltet und Silberne und Goldene Bären verleihen lässt. Unterstellt ist die KBB der Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU).

Dass Hofer-Auftraggeber in die juristische Aufarbeitung des Falles hinein gezogen werden könnten, ist für Experten wie den Arbeitsrechtler Professor Peter Schüren von der Universität Münster selbstverständlich. Denn wenn durch die laufenden Ermittlungen geklärt sei, ob die Hofer-Chauffeure eigentlich als abhängig beschäftigte Arbeitnehmer hätten angestellt und versichert werden müssen, dann stelle sich als zweite Frage, „ob sie tatsächlich legal im Rahmen eines Werkvertrags für die Hofer-Auftraggeber tätig wurden“. Schüren: „Ist das nicht der Fall, dann handelt es sich bei solchen Vertrags-Konstruktionen um illegale Arbeitnehmerüberlassung.“ Und an dieser wiederum wären die Hofer-Auftraggeber als Entleiher ebenso beteiligt wie Hofer als Verleiher.

Bei Daimler ging es um Testfahrer

Für die Beitrags-Nachzahlungen wären dann beide Unternehmen Gesamtschuldner. Die Rentenversicherung könnte sich also bei Hofer oder beim jeweiligen Auftraggeber den kompletten Betrag der entgangenen Sozialversicherungsbeiträge zurückholen. Ist der Entleiher zahlungsunfähig, würde die Forderung im vollen Umfang den Entleiher treffen, also den Auftraggeber. Noch schlimmer: Mögliche strafrechtliche Ermittlungen würden potentielle Entleiher wie BMW und KBB ebenso treffen wie Hofer selbst. „Vom kleinen Bußgeld wegen illegalem Entleih bis zur Gefängnisstrafe wegen Beitragshinterziehung großer Summen, da ist abhängig vom Schaden alles an Sanktionen denkbar“, sagt Schüren.

Der Dienstwagen-Dreikampf geht in die nächste Runde
BMW 5er Quelle: BMW
BMW 5er Quelle: BMW
BMW 5er
BMW 5er Quelle: BMW
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BMW 5er Quelle: BMW
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Viele namhafte Unternehmen standen schon in Folge falsch angewandter Werkvertragsverhältnisse im Fokus von Ermittlungen wegen illegaler Arbeitnehmerüberlassung. Bei Daimler zum Beispiel ging es um Testfahrer: Jahrelange strafrechtliche Ermittlungen gegen den Daimler-eigenen Dienstleister MB Tech stellte die Staatsanwaltschaft Stuttgart 2016 gegen Zahlung hoher Bußen ein. „Zur Abschöpfung des geschätzten wirtschaftlichen Schadens“ mussten Daimler und MB Tech 9,5 Millionen Euro an die Staatskasse zahlen, weil sie von falschen Werkverträgen profitiert hatten. Ebenso hoch waren die Nachzahlungen an die Rentenversicherung. Hinzu kamen die Lohnnachzahlungen an die nachträglich eingestellten Mitarbeiter. „Wir hatten Hausaufgaben zu erledigen“, räumte Daimler-Personalchef Wilfried Porth ein.

Ermittelt hatte die Staatsanwaltschaft gegen weitere Dienstleister, die für Daimler über Jahre hinweg Autos testeten. Allein der Stuttgarter Arbeitsrechtler Stefan Nägele, der auch für namhafte Arbeitgeber vor Gericht zieht, erstritt für rund 50 Mandanten, die bei Daimler-Werkvertragspartnern arbeiteten, „Gehaltsnachzahlungen von 100 bis 1000 Euro pro Monat, die für die Dauer von drei Jahren rückwirkend geltend gemacht werden“. Daimler stellte die ehemals externen Testfahrer ein. Ursprünglich erhielten sie zwischen 3,50 und 7 Euro Stundenlohn, nun dürften sie nicht unter 12 Euro pro Stunde tätig sein.

Bei Hofer aber soll es um Hunderte von Ex-Chauffeuren gehen – eine noch größere Dimension.

Wegen Schein-Werkverträgen in einem Logistikzentrum musste die zur Schwarz-Gruppe (Lidl) gehörende SB-Warenhauskette Kaufland 2013 nach einem Vergleich mit den Stuttgarter Staatsanwälten sechs Millionen Euro an die Staatskasse überweisen – plus drei Millionen Euro Nachzahlungen an die Rentenversicherung. Auch die Bertelsmann-Tochter Arvato Systems unterlag 2013 im Rechtsstreit um einen Werkverträgler, den nach dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm dessen Arbeitgeber – die Düsseldorfer Gebäudereinigungsfirma Klüh - illegal an Arvato überlassen hatte.

Ein Riesenproblem?

Seit Jahren versuchen Unternehmen, Werkverträge aus der Grauzone zu holen. Fachmann Nägele aber hält die meisten dieser Maßnahmen für „kosmetische Operationen“. „Die überwiegende Zahl der Werkverträge ist nach wie vor nicht korrekt“, warnt der Arbeitsrechtler. Den politischen Versuch von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), Werkverträge weitgehend zu beschneiden, stutzte der Widerstand der Unionsparteien und der Arbeitgeberverbände zu einer erweiterten Informationspflicht der Unternehmen zusammen. Denn das Instrument Werkvertrag dient der Flexibilisierung, es spart kosten und gilt in vielen Branchen als unverzichtbar. Allein in den Leipziger Werken von BMW und Porsche arbeiten 20 Prozent der 18.500 Menschen, die morgens durchs Werkstor gehen, als Werkvertragskräfte im Auftrag anderer Arbeitgeber oder als Selbständige.

BMW verdonnert seine Auftragnehmer seit Jahren dazu, „nur mit vorheriger schriftlicher Zustimmung von BMW Unteraufträge“ zu erteilen. „Von Hofer eingesetzte Chauffeure wurden nicht an die BMW Group überlassen“, konstatiert der Konzern: „Hofer hat in freier Verantwortung vertraglich vereinbarte Dienstleistungen erbracht.“ Und an die Hofer-Tochter Hofer Experience, die keine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung besitzt, habe die BMW Group „keine Aufträge vergeben“. Aber ob bei den Berliner Ermittlungen Scheinselbständigkeit festgestellt wird, das kann BMW nicht beeinflussen. Sollte es so kommen, dann, so Professor Schüren, hätte BMW trotz der Vorsichtsmaßnahmen „ein Riesenproblem“. Die Scheinwerkverträgler könnten sich womöglich wie die Daimler-Testfahrer als Mitarbeiter einklagen. BMW müsste – wie Daimler - Lohndifferenzen und Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen.

Um legale von illegalen Vertragsverhältnissen zu unterscheiden, müssen die Berliner Staatsanwälte nun herausfinden, wer den Dienstleistern Weisungen erteilt hat und ob sie eigenständig und mit eigenen Fahrzeugen ihre Einsätze erledigt haben. Bei Werkverträgen darf der Auftraggeber einem Arbeitnehmer keine direkten Anweisungen geben, andernfalls gilt dies eben als unerlaubte Leiharbeit. Aber selbständiges Arbeiten der Werkverträgler lassen die tatsächlichen Arbeitsumstände oft nicht zu. Je enger Werkvertragskräfte in den Arbeitsablauf eingebunden sind, desto größer ist also das Risiko der Auftraggeber.

Hofers angeblich selbständige Fahrer etwa fuhren Autos, die BMW oder andere Hersteller zur Verfügung stellten. Und sie folgten nach Darstellung von Betroffenen vielfältigen Anweisungen, wie es Arbeitnehmer tun würden. Einer der ehemaligen Hofer-Chauffeure, mit denen Report und WirtschaftsWoche gesprochen haben, berichtet etwa, kontrolliert worden sei, ob er „eine halbe Stunde nach der Abholung den Gast an der Location abgesetzt hat“.

BMW erklärte 2013 bei Recherchen zum selben Thema, es sei „ausgeschlossen, dass ein Mitarbeiter eines Werkvertragspartners unzulässige Anweisungen von einer BMW-Führungskraft erhält“. Damals ging es darum, eine Aussage des Leipziger BMW-Betriebsratschefs Jens Köhler zu kontern, der damals schon Zweifel an der Werkvertragspraxis in seinem Unternehmen hatte: „In den Verträgen ist alles akribisch festgehalten. Ob es in der Praxis wirklich von vorne bis hinten gelebt wird, da bin ich mir nicht so sicher.“

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