Zoff um strengere Regeln für Autobauer Merkels Kampf gegen Brüssel

Gegen den Widerstand Deutschlands hat sich die EU für strengere Regeln bei Abgastests und Typgenehmigungen von Autos ausgesprochen. Dass Angela Merkel diese Schlappe hinnimmt, ist längst nicht ausgemacht.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel. Quelle: imago images

Knapp zwei Jahre nach dem Abgasskandal haben sich die EU-Staaten auf schärfere Regeln für Automobilhersteller geeinigt. Die Mehrheit der EU-Staaten stimmte am Montag für strengere Regeln bei Abgastests und Typgenehmigungen, stärkere Kontrollmöglichkeiten und harte Strafen bei Manipulationen. Ein neues Dieselgate wird damit wohl nicht vermieden. Schlimmer noch: In Brüssel besteht die Befürchtung, dass Deutschland den Deal nachträglich aufschnüren könnte – wie schon im Jahr 2013.

"Der einzige Weg, um das Vertrauen in die europäische Automobilindustrie wiederherzustellen und zu vertiefen, ist die Entwicklung von sauberen und sicherheitstechnischen Technologien", sagte Chris Cardona, Vorsitzender des Rates und Maltas Wirtschaftsminister nach der Abstimmung in Brüssel. "Zuverlässige Kontrollversuche für Autos werden so eingerichtet, dass Unregelmäßigkeiten bei den Emissionen, wie in der Vergangenheit geschehen, in Zukunft nicht wieder auftreten."

Die EU-Mitgliedsstaaten ziehen damit Konsequenzen aus dem Abgasskandal: Die Tests sollen strenger werden, bevor neue Pkw-Modelle auf den Markt kommen und sämtliche Kontrollen verstärkt werden. Zum einen sollen sich die Mitgliedsstaaten stärker untereinander kontrollieren. Zum anderen will die EU die nationalen Aufsichtsbehörden, wie das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), stärker überwachen. Andere Mitgliedsländer sollen die Entscheidungen von Zulassungsbehörden wie etwa des KBA künftig prüfen können. Mitgliedsstaaten müssen außerdem Autos, die bereits im Verkehr sind, auf ihre Abgaswerte testen.

Zentrale Punkte der Reform der Zulassung von Automodellen

Darüber hinaus soll die Überprüfung von Fahrzeugen verstärkt werden, die schon auf dem Markt sind. Eine europäische Typenzulassung, wie es die EU-Kommission in ihrem ursprünglichen Vorschlag gefordert hatte, wird es dagegen nicht geben. Ein System von Peer-Reviews soll eingeführt werden. Damit bleiben die Mitgliedsstaaten hinter der großen Reform zurück, die die EU-Kommission gefordert hatte. Das ist zumindest ein Teilerfolg für die Regierung um Kanzlerin Angela Merkel.

Einer, der nicht überall gut ankommt. „Deutlich unter dem Druck von Deutschland haben die Mitgliedsstaaten einem Paket von halbgaren Maßnahmen zugestimmt, die das Risiko bergen, dass die gesamte Reform zu einem Papiertiger wird“, kritisiert Europas oberste Verbraucherschützerin Monique Goyens, Direktorin von BEUC, dem europäischen Verbraucherschutzverband. Sie befürchtet sogar, dass es die Bundesregierung nicht dabei belässt und versuchen könnte, das Beschlossene aufzuweichen.

Vor dem Treffen am Montag hatten die Deutschen Hoffnung, mit der Unterstützung weiterer EU-Staaten, die Verabschiedung der neuen Regeln in Brüssel stoppen zu können. Neben Berlin lehnten im April unter anderem Spanien, Tschechien und Italien, die mit Seat, Skoda und Fiat und Werken weiterer Hersteller selbst über eine nennenswerte Autoindustrie verfügen, die Reform in zentralen Punkten ab. Doch letztendlich fehlte es an Zustimmung - und Durchsetzungskraft.

Kurz vor der Abstimmung noch hatte Berlin versucht, Verbündete für industriefreundlichere Regeln zu finden. In Brüssel ist die Rede davon, dass das Bundesverkehrsministerium im Vorfeld versucht hat, osteuropäische Staaten auf seine Seite zu ziehen. Die Telefonate haben aber offenbar nicht gefruchtet.

Selbst Deutschland sperrte sich nun nicht mehr offen gegen den Kompromissvorschlag der maltesischen EU-Ratspräsidentschaft - man enthielt sich. Auch in der Bundesregierung hatte es über das Thema EU-Abgastests Streit zwischen dem SPD-geführten Umweltministerium und dem Verkehrsressort unter CSU-Minister Alexander Dobrindt gegeben.

Bei der Abstimmung in Brüssel gab die Bundesregierung letztlich lediglich zu Protokoll gegeben, dass sie mit dem Text nicht einverstanden sei. Doch: Die Mitgliedsstaaten müssen noch mit dem Europäischen Parlament verhandeln, ehe die Reform endgültig beschlossen ist. Die Gespräche dürften im Juni nach den britischen Wahlen beginnen.

Angela Merkel, die Retterin der deutschen Industrie

In Brüssel ist die Angst groß, dass ein Szenario wie 2013 eintritt, als Bundeskanzlerin Angela Merkel höchstpersönlich einen mit dem Europäischen Parlament bereits fertig ausverhandelten Deal zu CO2-Beschränkungen aushebelte. Sie intervenierte beim damaligen Ratsvorsitzeden, dem irischen Premier Enda Kenny, der die Abstimmung hinauszögerte. Besonders bei kleinen Ländern sorgte für Ärger, dass sich die Kanzlerin mit Änderungswünschen damals durchsetzte.

„Es gibt erstaunlich viele Ähnlichkeiten mit 2013“, sagt Julia Poliscanova von der Nichtregierungsorganisation Transport & Environment. „Wieder stehen Bundestagswahlen bevor, und wieder hat die CDU ein Interesse daran, sich als Verteidiger der deutschen Automobilindustrie zu profilieren.“

Was die neuen Abgas-Tests bedeuten
WLTP Quelle: obs
Was ändert sich genau unter diesem WLTP-Zyklus?Viele Details: So dauert der Labortest zehn Minuten länger und kommt nur noch auf 13 Prozent Stillzeit. Die gesamte Zykluslänge simuliert mit 23,25 Kilometern eine mehr als doppelt so lange Strecke wie der NEFZ. Die Maximalgeschwindigkeit liegt bei 131 Stundenkilometern statt bisher 120 Stundenkilometern. Außerdem werden Sonderausstattungen für Gewicht, Aerodynamik und Bordnetzbedarf berücksichtigt. Quelle: dpa
Wie werden denn auf der Straße Emissionen gemessen? Gemessen wird mit Hilfe eines portablen Messsystems namens PEMS („Portable Emission Measurement System“). Es wird an der Rückseite des Autos am Auspuff montiert und kann so ortsungebunden die Abgase einfangen. Quelle: dpa
Wie verlässlich sind diese Messungen? Die Messung am fahrenden Auto bringt gewisse Messungenauigkeiten mit sich. Denen trage aber die Gesetzgebung mit Konformitätsfaktoren Rechnung, heißt es bei Bosch. Zu Beginn dürfen die Emissionen noch das 2,1-Fache des Grenzwerts betragen. Von Januar 2020 ist nur noch die Messtechniktoleranz von 50 Prozent des Grenzwerts vorgesehen. Quelle: dpa
Sind dank RDE Unterschiede zwischen Labor und Realität Vergangenheit? Zumindest nähert man sich an: De facto würden Abweichungen von Abgaswerten zwischen Labor und Straße definitiv ausgeschlossen, heißt es beim VDA. Allerdings, warnt man beim ADAC, könne es auch hier im alltäglichen Betrieb zu Abweichungen kommen, da auch im RDE-Messverfahren nicht jede Fahrweise eines jeden Autofahrers abgedeckt werde. Quelle: dpa
Wie sieht es mit den neuen Labortests aus? Ziel der neuen Testmethoden im Labor ist es, realitätsnähere Kraftstoffverbräuche darzustellen. Erste Studien prognostizieren laut ADAC, dass durch die neuen Methoden die bisherige Lücke zwischen Messungen im Labor und auf der Straße halbiert werden könnte. Das genaue Ausmaß der Verbesserung ist derzeit jedoch schwer einzuschätzen, weil die neuen Vorgaben noch nicht gelten. Allerdings werden die Verbraucher sich auch darauf einstellen müssen, dass die Test zu höheren Normverbrauchswerten führen. Quelle: dpa
Muss ich mein Auto jetzt umrüsten? Nein: Die neuen Tests gelten nur für neue Fahrzeugmodelle. Autos, die bereits im Verkehr sind, sind davon nicht betroffen. Quelle: dpa

Auf den letzten Metern könnte die Bundesregierung dann versuchen, was ihr bisher nicht gelungen ist. Sie möchte beispielsweise die Zielmarke von 50.000 Pkw bei der Überwachung streichen. Anfang Mai hatte sie dies in einem Positionspapier in die Brüsseler Debatte eingebracht.

Die Bundesregierung könnte ebenfalls ein Interesse daran haben, die Strafzahlungen zu streichen, die bisher vorgesehen sind, falls Automobilhersteller sich nicht an die Regeln halten. Im aktuellen Text ist von 30.000 Euro pro Fahrzeug die Rede, eine Summe, die auch das Europäische Parlament fordert. Ein besonderer Dorn im Auge der deutschen Autobauer. Die empfindlichen Geldstrafen würden den bislang zahnlosen Tiger EU-Komission im Kampf gegen Abschaltsysteme und die unerlaubten Drecksschleudern auf Europas Straßen zumindest etwas bewaffnen.

Die deutschen Automobilbauer halten dies für viel zu hoch. „Das würde einen Hersteller wie Volkswagen ruinieren“, heißt es dazu aus der Branche.

Der deutsche Wirtschaftsstaatssekretär Matthias Machnig forderte in Brüssel noch einmal eine Reihe von Änderungen, darunter die Einrichtung einer Clearingstelle für Streitfälle zwischen Mitgliedsländern sowie eine genauere Definition einer illegalen Abschalteinrichtung.

"Die Bundesregierung rät eindringlich zu einer weiteren Präzisierung des Vorschlages, um das Verfahren der Typgenehmigung und der Marktüberwachung künftig klar, präzise und anwendbar zu gestalten", sagte Machnig im EU-Rat. Sollte dies in der Vertretung der Mitgliedsländer nicht berücksichtigt werden, so hoffe die Bundesregierung auf die weiteren Verhandlungen mit dem EU-Parlament. „Der Deal ist noch keinesfalls beschlossen“, befürchtet Expertin Poliscanova.

Mit Material von dpa und Reuters.

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