Autobauer Wie die Krise die Autoindustrie verändert

Die Wirtschafts- und Finanzkrise wird das Gesicht der Autoindustrie verändern. Hinter verschlossenen Türen arbeiten Daimler, BMW, Volkswagen & Co. an streng geheimen Masterplänen, die weit über den Bau neuer Fahrzeuge hinausgehen. Um zu überleben, entdecken die Konzerne das Geschäft rund um die Mobilität. Ein Blick in die Zukunftslabors zeigt, wie und mit welchen Konzepten führende deutsche Hersteller den Aufstieg aus dem aktuellen Absatztal planen.

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Blick in die Zukunftslabors Quelle: AP

Ein unauffälliges zweistöckiges Gebäude, kein Klingelschild, kein versteckter Hinweis. Rund 40 Menschen arbeiten hier ständig. Mehrere Hundert weitere Ingenieure, Marktforscher und Produktionsexperten gehen Woche für Woche ein und aus – wozu, geht nur einen kleinen, eingeweihten Kreis etwas an.

Was im Münchner Norden vonstatten geht, darf alles, nur nicht auffallen. Denn hinter den unscheinbaren Mauern tüfteln Mitarbeiter wohl am Geheimsten, was der Münchner Autobauer BMW seit Jahren im Schilde führt. Das Projekt trägt als Namen das Kürzel „i“ und steht für nicht weniger als für ein völlig neues Fahrzeug- und Mobilitätskonzept. Die Beteiligten, so die Vorgabe, dürfen gezielt mit allem brechen, was BMW bisher entwarf – vom Fahrzeugdesign bis zum Antrieb, von der Produktion bis zur Vermarktung. Steht am Ende des Projekts ein Konzept, das sich mit keiner der Konzernmarken realisieren lässt, weder mit BMW, Mini oder Rolls-Royce, ist Konzernchef Norbert Reithofer sogar bereit, eine vierte Marke aufzubauen.

"Project i" gehört zur Kernstrategie bei BMW

Fest stehen für BMW aber zwei Dinge: Erstens soll „Project i“ eine ganze Familie extrem emissionsarmer Fahrzeuge hervorbringen, deren Herstellung zugleich zur umweltfreundlichsten ihrer Art auf der ganzen Welt gehört. Zweitens gehört „Project i“ zum Kern der Zukunftsstrategie von BMW. „Project i“ wird nicht gekürzt und nicht verschoben, auch wenn der Konzern noch so sparen muss.

Mit ihrer Geheimnistuerei stehen die Münchner nicht allein. Die Wirtschafts- und Finanzkrise lässt auch die anderen führenden deutschen Hersteller Ideen entwickeln, die geeignet sind, die PS-Branche in ihrer heutigen Form zu revolutionieren. Bei Volkswagen versucht eine Abteilung „Zukunftsforschung“, das Auto neu zu erfinden.

17 Mitarbeiter suchen nach Antworten auf die Fragen: Wie wird künftig in den Megacitys Auto gefahren? Welche Rolle spielt das Auto 2020 in der Mobilität überhaupt noch? Daimler entwickelt Mobilitätskonzepte für die „Generation Obama“, Menschen, die in diesen Tagen aufwachsen. Drohende Ölknappheit, strenge Umweltauflagen, sich wandelnde Kundenbedürfnisse und die wachsende Bedeutung der Schwellenländer, so die Erkenntnis der Automanager, zwingen zu bahnbrechenden neuen Ansätzen – vom emissionsfreien Fahrzeug über das rollende Büro bis zum Auto, das der Verbraucher per Handy mietet, auf dem Parkplatz mit dem Führerschein öffnet und die Fahrdauer minutengenau abrechnet.

Die Megatrends, denen die Hersteller in ihren Labors auf der Spur sind, lassen sich wie folgt umschreiben:

Die Konzerne müssen künftig mehr kleine Autos anbieten,der Spritverbrauch muss deutlich sinken,die Hersteller müssen unterschiedliche Antriebskonzepte im Angebot haben,die Konzerne werden es mit Kunden zu tun bekommen, die das Auto weniger als Statussymbol empfinden,die Autobauer müssen neue Dienstleistungen rund um das Auto entwickeln.

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So nötig wie zurzeit hatte die deutsche Autoindustrie eine Neubesinnung seit Jahrzehnten nicht. Die Traditionsmarke Opel steht am Abgrund. Daimler, Volkswagen und BMW waren im vergangenen Jahr zwar noch profitabel, mussten aber teilweise dramatische Gewinneinbrüche hinnehmen. 2009 werde „ein Darwin-Jahr“ für die Branche, prognostiziert Daimler-Chef Dieter Zetsche, jetzt falle die Entscheidung, „wer sich in der automobilen Evolution behauptet“. Vor „schmerzhaften Veränderungen“ warnt Volkswagen-Chef Martin Winterkorn.

Wie weit diese gehen können, skizzierte schon vor zehn Jahren der heutige Linde- und damalige BMW-Entwicklungschef Wolfgang Reitzle, indem er sich einen Autokonzern ausmalte, der selbst keine Fahrzeuge mehr baut. So weit will derzeit noch keiner gehen. Dennoch: „Die Krise bietet die Chance, unbesehen aller Eitelkeiten und Sentimentalitäten viele strukturelle Probleme in Entwicklung, Produktion und Vertrieb anzugehen“, sagt Gregor Matthies, Partner und Autoexperte bei der Unternehmensberatung Bain & Company.

Seit dem UN-Klimabericht im Jahr 2005 hat sich die einst so souveräne deutsche Leitindustrie von der Antreiberin zur Getriebenen verwandelt. Konsumenten beginnen zu hinterfragen, wie sie sich künftig fortbewegen wollen – und erwarten von den Autoherstellern ungeduldig Lösungen für drängende Probleme wie Klimaschutz und verstopfte Ballungsräume. „Wir müssen den Menschen Alternativen zu bisherigen Antriebs- und Fahrzeugkonzepten anbieten“, folgert Helmut Meysenburg, Leiter Markt- und Markenanalyse bei BMW.

Absatz der Geländewagen brach um 21 Prozent ein

Wie schnell die vermeintlich ewige Liebe zum Auto abkühlen kann, zeigt der tiefe Sturz der sportlichen, meist spritfressenden Geländewagen, der sogenannten SUV (Sports Utility Vehicle). Weltweit brach der Absatz der eben noch heißbegehrten Fahrzeuge im vergangenen Jahr um 21 Prozent ein, mehr als in jeder anderen Klasse. Die Dickschiffe, eben noch Statussymbol, sind vielfach zum Spott- und Hassobjekt geworden. „Bei allen meinen Bekannten, die einen SUV haben“, sagt ein hochrangiger Automobilmanager, „wird ständig der Lack zerkratzt.“ In Paris lassen SUV-Gegner sogar die Luft aus den Reifen – „Flachlegen“ heißt der neue Trendsport unter Jugendlichen. Im SUV-Geburtsland Amerika sind inzwischen Aufkleber mit dem Schriftzug „SUV saufen Terroristen-Öl“ beliebt.

„Das Imageproblem der SUV verweist auf einen Megatrend, der den Automarkt von morgen bestimmen wird“, sagt Marc Winterhoff, Autoexperte der Unternehmensberatung Arthur D. Little. Und der Trend hat einen Namen: Neo-Ökologie. Den entsprechenden Typ von Konsumenten nennen Marketingexperten „Greenovator“, so viel wie „Grüner Innovator“. „Der Greeno-vator ist quasi der Apple-Nutzer unter den Autofahrern“, sagt Berater Winterhoff. „Er ist ein Leistungsträger, intelligent, erfolgreich und einkommensstark, und er achtet sehr darauf, dass er sich gesellschaftlich verantwortungsbewusst verhält.“

Der Typ des Greenovators ist für die Autobauer in der gegenwärtigen Krise deshalb so wichtig, weil er die Anforderungen an die PS-Industrie in der Zukunft beschreibt. So kommt die Unternehmensberatung Arthur D. Little in der Studie „Zukunft der Mobilität“, die der WirtschaftsWoche exklusiv vorliegt, zu dem Ergebnis, dass der Greenovator in zehn Jahren die wichtigste Zielgruppe für die Autobauer sein wird.

Ob BMW, VW oder Daimler – hinter verschlossenen Türen haben die Chefstrategen begonnen, ihre Konzerne in diese Richtung zu drehen. Alexander Mankows-ky, Zukunftsforscher bei Daimler, erklärt sich seine künftige Zielgruppe, die „Generation Obama“, etwa so: Sie sei eine „regelrechte Jugendbewegung wie die 68er“, offen für neue Trends und auf der Suche nach Authentizität, sensibel für soziale und ökologische Themen.

Was den deutschen Herstellern weniger schmecken dürfte: Der Großteil der künftigen Autofahrer wird weniger Lust auf viel PS verspüren. „Das althergebrachte Statusargument starker Motor verliert an Bedeutung“, ahnt Daimler-Zukunftsforscher Mankowsky. „Dagegen gewinnen klassische Werte wie Komfort, Sicherheit und Qualität wieder an Bedeutung.“

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Zwar stehen deutsche Automarken durchaus schon für solche Werte. Doch eine geringere Motorleistung könnte auch » zulasten der Rendite gehen. „Die starken Varianten einer Modellreihe werfen einen ungleich höheren Gewinn ab als die schwächeren“, sagt Bain-Autoexperte Matthies. Oft kostet die Produktion stärkerer Triebwerke nur wenige Hundert Euro mehr, die Kunden zahlen dafür traditionell aber einige Tausender extra.

Richtig ausgetrieben wird den Autofahrern künftig der Spaß an starken Autos durch den Staat und den Kraftstoffpreis. Auch wenn Öl derzeit mit gut 40 Dollar je Barrel wieder billig ist: „Kein Experte sieht mittelfristig einen Ölpreis unter 150 Dollar“, sagt Berater Winterhoff.

Noch stärker beeinflussen nach Ansicht von BMW-Trendexperten staatliche Regulierungen die Autokäufer. In der Europäischen Union drohen Autoherstellern Strafzahlungen in Milliardenhöhe, wenn sie bis 2012 Kohlendioxid-Grenzwerte mit ihren Fahrzeugflotten nicht einhalten. Hinzu kommen nationale Kfz-Steuern in den EU-Ländern, die Spritfresser mit saftigen Steuern belegen.

Unternehmen schreiben Verbrauchsobergrenzen für den Fuhrpark vor

Die Konsequenzen werden schon jetzt, in der Wirtschaftskrise, sichtbar. „Wir sehen immer mehr Unternehmen, die strikte Verbrauchsobergrenzen für den gesamten Fuhrpark vorschreiben“, sagt Philipp Waldmann, Vertriebsdirektor beim Flottendienstleister Fleet Logistics in Mainz. „Da fallen dann die großen Modelle von BMW, Daimler und Audi von einem Tag auf den anderen praktisch raus.“ BMW-Marktforscher Meysenburg glaubt zwar nicht, dass dies das Ende großer Fahrzeuge einläutet. „Es wird auch weiter eine Nachfrage nach großen Reiselimousinen geben. Es steht aber die Effizienz stärker im Vordergrund als früher.“

Nur sparsamer zu werden wird aber nicht reichen, um nach der Krise erfolgreich zu sein. „Die Menschen wollen ihre Zeit im Auto produktiver verbringen“, sagt BMW-Mann Meysenburg. Ein wichtiger Trend seien deshalb sogenannte Infotainmentsysteme, die den Fahrer nicht ablenken, ihm aber trotzdem erlauben, im Stau die eine oder andere Büroarbeit zu erledigen. Auch bei Materialien, Anmutung und Innenraumgestaltung sind Innovationen in Vorbereitung. Ein Beispiel könnte der neue BMW 5er Gran Turismo sein. Eine fünf Meter lange Kreuzung aus Coupé, Kombi und Van, mit der die Münchner ab diesem Herbst auf Kundenfang gehen wollen.

Einigkeit herrscht bei den Herstellern, dass sie mehr kleine Autos anbieten müssen. BMW, Daimler und Audi stutzen bereits die SUV. Nach dem riesigen Audi-Geländewagen Q7, der sich immer schlechter verkauft, soll nun der kleinere Q5 und ab 2010 der noch kleinere Q3 Kunden einfangen. BMW wird nach dem X5 und X3 zum Jahresende einen Baby-SUV namens X1 anbieten. Die Verkleinerung sei nötig, um Sprit zu machen, erklärt Christoph Stürmer, Autoexperte bei der Beratung IHS-Global-Insight. Wenn sparsamere Antriebe zur Verfügung stehen, dürften die Autos nach Stürmers Einschätzung wieder größer werden.

Car-Sharing: Daimler steigt in Quelle: dpa

Das wird aber wohl noch einige Jahre dauern. Wenn voraussichtlich Ende 2012 das neue Mercedes Werk im ungarischen Kecskemet die Produktion der Mercedes A- und B-Klasse-Nachfolger beginnt, wird der Anteil kleinerer Autos im Mercedes-Portfolio deutlich gewachsen sein. Allein in der Kompaktklasse soll sich die Zahl der Baureihen verdoppeln und der Absatz von rund 250.000 Fahrzeugen 2008 auf etwa 450.000 Autos pro Jahr steigen.

Nachdem der Stadtwagen Smart dem Daimler-Konzern über Jahre Milliardenverluste bescherte, zählt der Zweisitzer nun zu den Fahrzeugen, die nach der Krise die neue schöne Autozukunft einläuten helfen sollen. Konzernchef Zetsche und seine Entwickler legen bereits die Eckdaten für die nächste Generation des Smart fest, der in vier bis fünf Jahren auf den Markt kommt (internes Kürzel: 452). Schon geistert eine Neuauflage des Viersitzers, der mangels Erfolg nach nur drei Jahren aufgegeben wurden, durch den Konzern.

Smart war das richtige Auto, aber zur falschen zeit

Heute sagt ein ehemaliger Smart-Manager: „Es war genau das richtige Auto, aber zur falschen Zeit.“ Der neue Smart 452 soll deshalb von vorne-herein so konzipiert sein, dass er zur Modellfamilie ausgebaut werden kann. Sogar eine Erweiterung des Werks im französischen Hambach will in Stuttgart inzwischen niemand mehr ausschließen.

Noch ein bisschen weiter in die Zukunft reicht das Projekt BlueZero, an dem die Daimler-Ingenieure mit Hochdruck arbeiten. Hinter BlueZero verbirgt sich eine Generation extrem abgasarmer bis abgasfreier Fahrzeuge. „Premium ohne Öko wird in Zukunft nicht mehr funktionieren“, glaubt Global-Insight-Experte Stürmer. „Man könnte sagen, Öko ist das neue Premium.“

Das deckt sich mit den Ergebnissen einer Studie, die Bain & Company kürzlich unter Autokäufern durchgeführt hat. Dabei stellten sie fest, dass gerade die Kunden von BMW, Daimler und Audi von ihrer Marke ein Elektrofahrzeug erwarten. „Für die Kundenloyalität wird es extrem wichtig sein, ein Elektrofahrzeug für den urbanen Bereich im Angebot zu haben“, urteilt Bain-Berater Matthies. „Wer nichts anzubieten hat, muss damit rechnen, dass der Kunde gleich ganz zur Konkurrenz wechselt.“

Auch bei Volkswagen steht ein kleines Auto im Mittelpunkt der Zukunftsstrategie: der Kleinwagen Up, der 2011 als Lupo auf den Markt kommen wird. In einigen Jahren soll es eine ganze Lupo-Familie mit unterschiedlichsten Karosserien geben. So soll in westlichen Ballungsräumen der Lupo elektrisch unterwegs sein, in Entwicklungsländern mit einem Drei-Zylinder-Benzinmotor als Billigauto.

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