Banken Bankberater packen aus: "Ich habe Sie betrogen"

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Dieses System der Angst hat Folgen. Nach einer Mitarbeiterbefragung des Commerzbank-Betriebsrats aus dem Jahr 2006 hagelte es deprimierende Erfahrungsberichte, die im Intranet veröffentlicht wurden. „Seit Monaten kann ich in der Nacht zu Montag kaum schlafen. Pro Woche schlage ich mir meist noch ein bis zwei weitere Nächte um die Ohren.“ Ein Filialleiter schreibt, dass er „montagmorgens überwiegend in desillusionierte Gesichter“ schaut. „Auch Angst vor der Zukunft und Tränen gehören zur Tagesordnung.“ „Wache nachts auf und komme gar nicht mehr zur Ruhe.“ „Am Wochenende kann ich nicht abschalten, weil ich weiß, was mich in der nächsten Woche erwarten wird.“ „Es tut weh, MA (MA: Mitarbeiter, Anm. d. Red.) weinen zu sehen, weil sie sich angesichts der hohen Ziele in einer strukturschwachen Filialgegend als „Verlierer“ oder „Versager“ fühlen“, ist dort zu lesen.

Dass es sich hierbei nicht nur um eine kleine Zahl enttäuschter Commerzbanker handelt, wird gestützt durch eine Untersuchung der Krankenkasse DAK. Demnach halten 45 Prozent der befragten Vertriebsmitarbeiter im Kreditgewerbe, die an sie gestellten Zielvorgaben für unrealistisch. Auffällig ist auch, dass psychische Erkrankungen hier häufiger vorkommen als in anderen Branchen. In 12,4 Prozent aller Fälle melden sich Arbeitnehmer im Kreditgewerbe aus psychischen Gründen krank. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt der Fehlzeitenreport der Krankenkasse AOK. Demnach nahm die Anzahl der Tage, die Bankmitarbeiter in Deutschland wegen psychischer Erkrankungen fehlten, zwischen 1995 und 2006 um 43 Prozent zu, die Zahl der einzelnen Fälle gar um 70 Prozent.

Für die Kunden ist die Verwandlung der Berater in einfache Verkäufer eine Katastrophe. „Sie können sich nicht sicher sein, ob sie ein Produkt empfohlen bekommen, weil es wirklich gut ist oder weil es in dieser Woche noch verkauft werden muss“, sagt Dresdner-Bank-Beraterin Claudia S. „Ich habe Kunden über den Tisch gezogen und habe ihnen Produkte mit schlechten Konditionen verkauft“, sagt HVB-Mitarbeiter Gerhard W. Die Dresdner Bank wollte zu der Aussage keine Stellungnahme abgeben. Von der HVB heißt es: „Durch die Transparenz des Baufinanzierungsmarktes hat jeder Kunde die Möglichkeit eine Finanzierung abzuschließen, die seinen Vorstellungen hinsichtlich Produkt und Kondition entspricht.“

Ein Mitarbeiter einer großen Sparkasse berichtet, dass er regelmäßig Darlehen zum Hausbau nur unter der Bedingung gegeben hat, dass die künftigen Immobilienbesitzer auch eine Gebäudeversicherung abschließen. Die Versicherung brachte zusätzlichen Ertrag. Mitarbeiter der Commerzbank und der SEB Bank bekennen gegenüber der WirtschaftsWoche, dass sie Kunden dazu motivieren, ihre Wertpapiere gegen andere einzutauschen, sobald sie Gewinn gemacht haben, „auch wenn davon auszugehen ist, dass die Papiere noch gut laufen und der Verkauf nachteilig für den Kunden sein wird“, sagt SEB-Beraterin Marlene I.

Der Bank bescheren sie damit Einnahmen durch Ordergebühren und bringen sich selbst aus der Schusslinie. Von der Commerzbank heißt es hierzu, diese Behauptung „ist für uns nicht nachvollziehbar. Verkaufsempfehlungen werden nur aufgrund einer aktuellen Markteinschätzung und der Anlageziele des Kunden getroffen“. In einer schriftlichen Stellungnahme der SEB heißt es, „wir betrachten es als ein Zeichen von Kundenorientierung und aktiver Kundenansprache, Wertpapierkunden auch darauf hinzuweisen, Gewinne zu realisieren, insbesondere in diesen turbulenten Börsenphasen. Ob die Wertpapiere weiter gestiegen wären, ist reine Spekulation“.

„Viele Berater haben mit inneren Konflikten zu kämpfen“, sagt Gewerkschafter Foullong „sie stehen vor der Wahl, einem Kunden ein Produkt zu verkaufen, das er vielleicht gar nicht braucht, oder ihr Ziel nicht zu erreichen.“ Der Mitarbeiter einer ausländischen Großbank gibt zu, dass er Anlegern riskante geschlossene Fonds so schmackhaft gemacht hat, bis sie endlich unterschrieben. „Ich konnte wochenlang nicht schlafen. Der Kunde tat mir leid, aber ich hatte auch Angst, dass alles rauskommt“, sagt er. Als er seinem Chef davon erzählte, soll der ihm auf die Schulter geklopft und gesagt haben: „Mach dir keine Sorgen, es passiert schon nichts.“ Dergleichen kommt nicht nur bei den großen Banken vor, wie der Fall Dieter P.* zeigt.

Bei der Weberbank in Berlin, einem Institut, das vor allem reiche Privatkunden bedienen will, liegt der Kundenbesprechungsraum im Erdgeschoss am Hohenzollerndamm. Milchglasscheiben sorgen für Diskretion. Lichtspots an der Decke leuchten den Raum aus. An einem ovalen Tisch aus hellem Holz treffen sich die Wohlhabenden mit den Bankern. Die Kunden kennen ihre Berater meist lange Jahre, sie verbindet ein Vertrauensverhältnis. Doch das Vertrauen ist nicht immer gerechtfertigt. Vor allem bei älteren Kunden habe er das Vertrauen ausgenutzt, bekennt Weberbank-Berater Dieter P. „Ich habe einem fast 80 Jahre alten Mann eine individuelle Vermögensverwaltung verkauft“, sagt er, „obwohl das zweifelsohne nicht mehr das Richtige für ihn war.“

Bei einer individuellen Vermögensverwaltung muss der Kunde mindestens 500.000 Euro in ein Depot einzahlen, mit dem die Bank dann arbeitet. Sie investiert das Geld dann etwa in Aktien. Weil hier allerdings naturgemäß Schwankungen an den Märkten einkalkuliert werden müssen, sollte laut Dieter P. seriöserweise immer mit einer Laufzeit von mindestens fünf Jahren gerechnet werden. „Das kann man keinem alten Kunden ohne erkennbaren Erbhintergrund empfehlen“, sagt der Berater. „Trotzdem habe ich das gemacht. Die Erträge für eine separate Vertriebsaktion haben gewunken.“ Es könne „absolut angezeigt sein, einem fast 80 Jahre alten Mann eine Vermögensverwaltung zu empfehlen“, sagt Wolfgang Harth, Leiter des Privatkundengeschäfts der Weberbank in Berlin dazu.

Einer anderen Kundin, die sich in Finanzangelegenheiten nicht auskannte, hat Dieter P. empfohlen, einen beträchtlichen Teil ihres Vermögens in einen Lebensversicherungsfonds zu investieren. Das Geschäft war mit neun Prozent der Anlagesumme für die Bank hoch provisioniert – und das war für Dieter P. die einzige Motivation der Kundin das Produkt zu empfehlen. Harth sagt, dass einzig die Kundenbedürfnisse Grundlage der Beratung seien.

Dieter P. sieht das anders. Er erklärt, dazu aufgefordert worden zu sein, gerade hoch provisionierte Produkte zu verkaufen. Zudem werde dafür gesorgt, dass jeder Berater sehen kann, wo er im internen Vertriebsranking steht. „Es werden Listen mit allen Einzelabschlüssen bei der Teamassistenz geführt. Die sind für alle Teammitglieder jederzeit einsehbar“, sagt er. Weberbank-Vorstand Klaus Siegers dagegen erklärt, die Listen könnten nicht von allen Teammitgliedern eingesehen werden, sie dienten vielmehr der Teamleitung zur Ertragskontrolle. „Innerhalb eines Teams sind Teilaspekte (ca. 30% der Geschäfte) von den anderen Teammitgliedern einsehbar“, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme.

Im ersten Gespräch mit einem Kunden horcht Dieter P., so berichtet er, ganz genau nach, wie gut der sich auskennt. Die informierten und selbstbewussten Kunden seien unbeliebt und würden im Kollegenkreis als „Patienten“ bezeichnet. Harth bestreitet das.

Dass sich am Umgang mit den Kunden durch die seit Anfang des Jahres geltende Finanzmarktrichtlinie MiFID etwas ändert, glaubt Dieter P. nicht. Eigentlich sollte sie die Rechte der Verbraucher stärken, sie schreibt vor, dass Berater ihre Provisionen offenlegen. Doch zum einen würden die Gebühren nur im Kleingedruckten aufgeführt. Zum anderen schütze auch die Richtlinie den Kunden nicht davor, dass ihm ein günstigeres oder für ihn geeigneteres Produkt vorenthalten wird.

Grund genug für ein schlechtes Gewissen? „Ein schlechtes Gewissen kann ich mir nicht leisten“, sagt Dieter P. Der Ertrag der Bank soll jährlich gesteigert werden. „Dafür bezahlt mich die Bank.“

Genau das ist das Grundproblem. Die Berater werden von den Banken bezahlt, sollen aber eigentlich im Sinne der Kunden handeln. Damit sich die Kunden der Loyalität des Beraters sicher sein könnten, müssten sie ihn bezahlen. Die Quirin Bank in Berlin verlangt von Kunden daher eine Pauschale und zahlt ihnen als Gegenleistung die Provisionen aus, die sie von den Produktanbietern bekommt. Das Modell konnte sich aber bisher nicht durchsetzen. „Durch den Preiskampf der Banken hat sich in der Bevölkerung die Vorstellung durchgesetzt, dass bei den Banken vieles umsonst ist“, sagt Ex-Banker Schade.

So wird aus einer Beratertruppe eine Drückerkolonne: „Wenn ein Kunde unzufrieden mit mir ist, halte ich das eher aus, als wenn mein Chef unzufrieden ist“, sagt Weberbanker Dieter P. „Denn der Kunde sitzt nur ein- bis zweimal im Jahr vor mir. Außerdem kann ich ihm meistens etwas vormachen. Vor meinem Chef muss ich mich einmal die Woche rechtfertigen. Abwechselnd alleine beim Vertriebsleistungsgespräch und mit meinen Kollegen bei der Teambesprechung. Vor ihm kann ich mich nicht herausreden.“ Die Weberbank bestreitet, dass es diese Vertriebsleistungsgespräche gibt. Stattdessen würde in den Mitarbeitergesprächen über aktuelle Marktentwicklungen gesprochen. Dabei ginge es darum, gemeinsam zu erörtern, welche Anlageprodukte „für welche Kunden angesichts der jeweils aktuellen Lage opportun sind“, heißt es.

Was für die Kunden opportun ist – die Muße, sich darüber Gedanken zu machen, hat SEB-Beraterin Karina B. nicht. Ihr graut am Mittwoch schon wieder vor dem Ende der Woche. Denn ob sie ihr Verkaufsziel in der Sparte Vorsorge noch schafft, ist ungewiss. Wenn der Kunde, der jetzt vor ihr sitzt, nicht unterschreibt – dann erst recht. Dann, so fürchtet sie, wird sie sich anhören müssen, dass sie ein „Low-Performer“ ist. Und dass sich ihr Arbeitgeber so eine Angestellte nicht leisten kann.

* Name von der Redaktion geändert

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