Zwischenzeitlich hieß es sogar, JP-Morgan-Chef Jamie Dimon persönlich werde Italien retten, oder zumindest seine Banken. Der derzeit wohl einflussreichste Banker der Welt eilte auch tatsächlich nach Rom, ließ sich bei Gesprächen mit der Regierung fotografieren und schürte so die Hoffnung, die große JP Morgan würde sich womöglich um Italiens größte Krisenbank kümmern.
Schließlich sucht die Banca Monte dei Paschi di Siena seit Sommer private Investoren, die ihr frisches Kapital verschaffen. Vollends ausschließen will das in Italien derzeit zwar niemand, aber mittlerweile scheint es doch so, als ob der JP-Morgan-Traum geplatzt sei.
Beliebter ist in Rom stattdessen eine andere Geschichte: Dimon sei von seinem Duz-Freund Barack Obama geschickt worden, um Italiens Regierungschef Matteo Renzi aus der Patsche zu helfen. Der muss schließlich am 4. Dezember ein Referendum über eine Verfassungsänderung überstehen. Ein wenig Hoffnung für den Bankensektor würde den Wähler sicherlich beeindrucken. Doch nachdem Dimon den Ernst der Lage erkannt habe, habe er es bei dem Fototermin belassen.
Und so entscheiden am Donnerstag die Aktionäre der toskanischen Bank über einen deutlich weniger glamourösen Weg der Rettung: Sie sollen den Weg dafür frei machen, dass ausstehende nachrangige Anleihen in Aktien umgewandelt werden. So will sich das Institut gut fünf Milliarden Euro frisches Eigenkapital sichern. Europaweit schauen die Märkte auf diese Operation: Gelingt sie nicht, steht Italiens ohnehin schon kriselnder Bankensektor vor erneuten Turbulenzen. Und dass inmitten einer schwierigen politischen Phase: Das Referendum am 4. Dezember könnte laut Umfragen gegen den Willen des als Reformer angetretenen Renzi ausfallen. Zur Bankenkrise käme dann eine Regierungskrise. Die italienische Notenbank Banca d’Italia warnte angesichts dieser Gemengelage bereits vergangenen Freitag, es drohe „außerordentliche Volatilität“ an den Märkten.
Italiens Bankensektor schiebt Problemkredite von 360 Milliarden Euro vor sich her, 200 Milliarden davon sollen verloren sein. Und nirgends ist die Lage so bedrohlich wie bei der ältesten Bank der Welt, Monte dei Paschi, die noch immer die drittgrößte in der achtgrößten Volkswirtschaft der Welt ist. Fast 50 Milliarden Euro fauler Kredite (von 111 Milliarden Euro Gesamtkreditvolumen) soll sie in ihren Büchern haben, die nach einem beispiellosen Absturz an der Börse keine Milliarde Euro mehr wert sind.
In einer Mitteilung, die die Bank auf Anforderung der Finanzmarktaufsicht Consob auf ihrer Website platziert hat, heißt es: Es werde erwartet, dass Investoren von den in Frage kommenden Anleihen im Volumen von 4,3 Milliarden Euro per 21. November Papiere für 1,04 Milliarden Euro getauscht haben. Die Bank ist nach eigenen Angaben aus der vergangenen Woche darauf angewiesen, dass die Anleihegläubiger einwilligen, ihre Papiere in Aktien tauschen, damit die geplante Kapitalerhöhung durchgeführt werden kann.
Die Bank kündigte zudem eine mögliche Offerte für sehr nachrangige Anleihen, so genannte Fresh Bonds, für 23,2 Prozent ihres Nominalwertes an. Dem müssten die zuständigen Behörden allerdings noch zustimmen, erklärte die Bank. Für die Papiere wurden seit 2012 keine Kupons mehr bedient.
Seitdem die EZB Ende Juni eine Restrukturierung der Bank anmahnte und den Abbau der faulen Kredite bis 2018 um 30 Prozent forderte, arbeitet das neue Bank-Management an einem zweistufigen Plan: Einen Teil der faulen Kredite übernimmt der private Rettungsfonds Atlante, in den italienische Banken und Versicherungen eingezahlt haben. Zusätzlich sollen private Investoren frisches Kapital geben. Der Staat, der etwa vier Prozent der Anteile an Monte dei Paschi hält, darf sich laut europäischen Regeln aus dem Jahr 2014 an einer solchen Aktion nicht mehr beteiligen.
Viele riskante Banken
Die Sieneser Bank ist aber nur die Spitze des Eisbergs der italienischen Banken.
Das schwache Wirtschaftswachstum hat viele italienische Geldhäuser geschwächt. Anders als viele Krisenbanken anderer Länder haben sich Italiens Geldhäuser nicht so sehr mit fragwürdigen Produkten verzockt. Stattdessen hängt ihr Schicksal überdurchschnittlich häufig am Zustand der mittelständischen Wirtschaft. Geht es der schlecht, drohen unverhältnismäßig viele Kredite in den Bankbilanzen auszufallen. 20 Prozent der Kredite sollen notleidend sein. Das entspricht 360 Milliarden Euro. Tendenziell steigt der Anteil, je kleiner die Bank ist.
Die Lösung des Problems ist auch deswegen politisch heikel, weil überproportional viele Italiener mit den Banken verwoben sind. Entgegen der Regularien, wonach nur institutionelle Anleger Wandelanleihen von Banken kaufen sollten, engagierten sich in den vergangenen Jahren massiv Kleinsparer in dem Segment. Aus vielen Volks- und Regionalbanken ist der Kniff bekannt: Kredit bekam nur, wer gleichzeitig mit einem Teil des Geldes die Wandelobligationen kaufte oder Anteile. Für 200 Milliarden sind solche Obligationen verkauft worden, 31 Milliarden als nachrangige Anleihen. Den Großteil davon halten Privatanleger. Lässt man die Banken insolvent gehen, ist dieses Geld als erstes weg.
Bei der Veneto Banca und der Volksbank von Vicenza mussten Gläubiger schon Geld lassen, als Renzi streng nach europäischen Regeln die privaten Gläubiger zur Kasse bat. Es war der Moment, als die Stimmung in Italien zum ersten Mal gegen ihn schlug. Was ist ein Staat wert, der seinen Bürgern Geld bei der Bank nicht garantieren kann?
Hinzu kommt, dass nach Schätzungen aus Rom 30 Prozent der Anteile italienischer Banken im Besitz von Stiftungen sind, die damit das gesellschaftliche Leben vor Ort finanzieren. Kippt die Bank, kippt die Stiftung - und es leidet die Bevölkerung vor Ort.
Das zeigt sich jetzt schon im Toskana-Städtchen Siena. Dort verlor die Fondazione Monte dei Paschi di Siena wegen der Krise der gleichnamigen Bank in den vergangenen fünf Jahren sechs Milliarden Euro. Statt jährlich 150 Millionen Euro schütten sie dieses Jahr noch 2,5 Millionen Euro für Projekte in der Stadt aus. Der Rest der Bürger geht leer aus - und ist wütend.
Systemisches Risiko
Auch das systemische Risiko ist nicht zu unterschätzen: Rund ein Drittel der Anleihen italienischer Banken liegt bei anderen Banken. Die aber würde in Mitleidenschaft gezogen, sollte eine italienische Bank kippen – und das in einer Zeit, in der kaum eine europäische Bank die Kraft hat, allein mit den eigenen Problemen fertig zu werden.
In einem Palazzo unweit des Mailänder Doms sitzt ein Mann, der wie wenige das moderne Italien nach weltläufiger Wunschvorstellung darstellt, in einem sehr antiken Saal auf einem sehr modernen Sofa. Carlo Messina ist Vorstandschef der zweitgrößten italienischen Bank Intesa Sanpaolo, und ein Mann, der in mehrerer Hinsicht überrascht. Da wäre zum einen, dass er seit einigen Jahren recht beeindruckend zeigt, dass sich unter bestimmten Umständen auch in Italien eine Bank gut führen lässt. Intesa Sanpaolo jedenfalls gilt als einzige italienische Großbank, in die man sein Geld anlegen könnte. Beim letzten Stresstest der Europäischen Zentralbank etwa schnitt sie besser ab als alle deutschen Banken. Messina lässt das im Gespräch nur noch mal zur Sicherheit fallen, falls man es vergessen haben sollte.
So haben deutsche Banken beim Stresstest 2016 abgeschnitten
Die Europäische Bankenaufsicht (EBA) hat 51 große Banken aus 15 europäischen Ländern unter die Lupe genommen. Sie prüfte mit der Europäischen Zentralbank eine ganze Reihe von Kennzahlen und testeten wie sich diese in verschiedenen Szenarien bis 2018 entwickeln dürften.
Zum einen spielte die EBA durch, wie es den Banken gehen wird, falls die Vorhersagen der Europäischen Kommission zur Konjunktur in den nächsten Jahren eintreten (Basisszenario). Zum anderen testeten sie die Institute auch im Szenario einer sehr viel schlechteren wirtschaftlichen Entwicklung (Adverses Szenario).
So haben die neun geprüften deutschen Banken abgeschnitten:
Kernkapitalquote (2015): 11,99 %
Kernkapitalquote nach Basisszenario (2018): 12,41 %
Kernkapitalquote nach adversem Szenario (2018): 8,34 %
Differenz 2015 vs adv. Szenario 2018 (in Basispunkten): -365
Kernkapitalquote (2015): 12,13 %
Kernkapitalquote nach Basisszenario (2018): 13,13 %
Kernkapitalquote nach adversem Szenario (2018): 7,42 %
Differenz 2015 vs adv. Szenario 2018 (in Basispunkten): -471
Kernkapitalquote (2015): 13,50 %
Kernkapitalquote nach Basisszenario (2018): 14,17 %
Kernkapitalquote nach adversem Szenario (2018): 9,53 %
Differenz 2015 vs adv. Szenario 2018 (in Basispunkten): -397
Kernkapitalquote (2015): 11,11 %
Kernkapitalquote nach Basisszenario (2018): 12,08 %
Kernkapitalquote nach adversem Szenario (2018): 7,80 %
Differenz 2015 vs adv. Szenario 2018 (in Basispunkten): -332
Kernkapitalquote (2015): 15,98 %
Kernkapitalquote nach Basisszenario (2018): 15,58 %
Kernkapitalquote nach adversem Szenario (2018): 9,40 %
Differenz 2015 vs adv. Szenario 2018 (in Basispunkten): -658
Kernkapitalquote (2015): 13,11 %
Kernkapitalquote nach Basisszenario (2018): 14,42 %
Kernkapitalquote nach adversem Szenario (2018): 10,10 %
Differenz 2015 vs adv. Szenario 2018 (in Basispunkten): -301
Kernkapitalquote (2015): 12,09 %
Kernkapitalquote nach Basisszenario (2018): 13,16 %
Kernkapitalquote nach adversem Szenario (2018): 8,62 %
Differenz 2015 vs adv. Szenario 2018 (in Basispunkten): -347
Kernkapitalquote (2015): 42,54 %
Kernkapitalquote nach Basisszenario (2018): 39,44 %
Kernkapitalquote nach adversem Szenario (2018): 35,40 %
Differenz 2015 vs adv. Szenario 2018 (in Basispunkten): -714
Kernkapitalquote (2015): 11,67 %
Kernkapitalquote nach Basisszenario (2018): 12,90 %
Kernkapitalquote nach adversem Szenario (2018): 9,55 %
Differenz 2015 vs adv. Szenario 2018 (in Basispunkten): -211
Als er in Mailand anfing, glich seine Bank dem Land: mühsam aus zwei Teilen, einem Mailänder und einem Turiner, zusammengefügt. Ohne klares Geschäftsmodell, das eigene Geld hatte man wohl auch nicht immer ganz sinnvoll verwendet. Heute ist daraus eine florierende Bank geworden, die ihr Geschäftsmodell geändert und etwa ein wachsendes Geschäft im Bereich der privaten Vermögensverwaltung betreibt und gut dasteht. „Wir haben“, sagt Messina, „aus einem Zins-Margen-Geschäft ein Gebührengeschäft machen.“
Mit einer klassischen Bank hat das eher am Rande zu tun, dafür gilt es als zukunftsträchtig. Messina hat im Kleinen geschafft, was Italien im Großen bevorsteht. Er hat sich und seine Bank neu erfunden.
„Wir haben eindeutig zu viele Banken“
Leider, aus der Sicht des gesamten Landes, ist Messina aber eine Ausnahme. Oder, um es mit Messina zu sagen: „Wir haben eindeutig zu viele Banken.“ Und die meisten haben ein schlechtes oder gar kein Geschäftsmodell. Während Messinas Institut sich schon früh aus zwei halbstarken Banken formierte, scheuten viele italienische Banken genau davor zurück. Jetzt, in der Krise, fallen Zusammenschlüsse noch schwerer.
Aber auch das größte Institut des Landes, Unicredit, krankt. Die Mailänder Bank ist mit Niederlassungen in 17 Ländern und 143.000 Beschäftigten ein Gigant. Das Institut, das erst 1998 aus der Fusion mehrerer norditalienischer Sparkassen und Regionalbanken entstand, dürfte dennoch in der jetzigen Form nicht überlebensfähig sein. Wie andere italienische Banken auch ächzt das Geldhaus unter notleidenden Krediten, der Aktienkurs ist in diesem Jahr um mehr als 60 Prozent eingebrochen. Eine Kapitalerhöhung wäre dringend notwendig. Was übrigens auch ein Problem für die kleineren Krisenbanken im Land ist: In Italiens Finanzsektor gibt es so viel Bedarf an frischem Kapital, dass der kaum ausreichend gedeckt werden dürfte.
Der neue Unicredit-Chef Jean-Pierre Mustier hat bereits ein umfassendes Restrukturierungsprogramm angekündigt – aber einen wirklichen Plan, woher frisches Kapital kommen soll, hat er auch noch nicht verraten. So stellt sich die Frage, ob die Bank auf Dauer eigenständig bleiben kann. Anfang 2007 prüfte UniCredit bereits eine Fusion mit Mustiers altem Arbeitgeber, der französischen Société Génerale.
Hoffnung auf eine Kehrtwende in Brüssel und Berlin
Für die italienische Regierung ist das ganze eine Hängepartie. Zwar sagen Menschen wie Messina: „Der Abbau der notleidenden Kredite über den Rettungsfonds wird funktionieren.“ Allerdings sagt er auch noch zwei andere Dinge: Selber möchte er mit seiner Bank nach der einen Milliarde Euro für den Rettungsfonds, wo er zuletzt noch einmal 150 Millionen Euro nachschoss, für keine italienische Bank mehr etwas ausgeben. Und: Ausländische Investoren zu finden, sei wohl tatsächlich schwierig.
In Rom hoffen sie nun: Wenn sich im Falle Monte dei Paschis zeiget, wie schwierig eine Kapitalauffrischung durch Private sei, könne man in Europa politisch womöglich doch noch Staatshilfe durchsetzen. Schließlich habe niemand in Brüssel oder Berlin Interesse an einem destabilisierten Italien.
Besonders beliebt ist in Rom derzeit ein Gerücht, wonach die deutsche Regierung ihr Wohlwollen signalisiert habe. Schließlich wolle sie sich selbst das Hintertürchen offenhalten, sollten im deutschen Wahljahr 2017 einmal deutsche Banken wackeln.
Und Monte dei Paschi? Ein hochrangiger Mailänder Banker sagt: „Eigentlich ist es ein Jammer. Wenn man die Bank einmal von ihren Altlasten befreit, hätte sie gute Chancen. Das Geschäftsmodell stimmt, seit einem Jahr auch die operativen Zahlen.“
Aber es müsste sich eben jemand trauen. Und das wird durch eine andere Zahl nicht gerade leichter: Wer als Aktionär Ende 2005 100 Euro in die Aktie steckte, hat heute noch 40 Cent.
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Die italienische Tragödie: Beginnt das Endspiel um den Euro?
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