Jetzt muss alles raus, und das ganz schnell. Um halb zehn hat die Filiale der Volksbank im nördlichen Frankfurter Vorort Harheim wie immer geöffnet, aber die Packer verrichten schon fleißig ihr Werk. Vor dem Eingang steht der Lieferwagen der „Tresorprofis“, auf einer Leiter schraubt ein Arbeiter das Firmenschild ab, seine Kollegen schleppen Kisten mit Unterlagen aus dem Gebäude. Ein Rentner fährt mit dem Fahrrad vor, ein anderer kommt im beigen Opel Omega, sie machen Abschiedsbesuche, gehen an den Schalter, heben Bargeld ab. Die beiden Berater kennen sie mit Namen. „Letzter Tag, schlimm, schlimm“ murmelt einer, während um ihn herum all das verschwindet, was über Jahrzehnte unverändert geblieben ist.
Frankfurt ist Deutschlands Bankenmetropole. Aber einer der großen Trends des Gewerbes lässt sich besonders schön im dörflichen Vorort Harheim besichtigen: Es gibt hier nun keine Filiale mehr, was bleibt, ist ein Geldautomat der Postbank.
Seit Jahren rechnen Berater und Analysten vor, dass deutsche Banken sich zu viele Zweigstellen leisten, die viel kosten und wenig einbringen, nicht mehr zeitgemäß sind, und Investitionen in die Digitalisierung blockieren. Trotzdem ist die Zahl der Standorte zwar stetig, aber nur maßvoll gesunken. Nun aber kann es gar nicht schnell genug gehen.
Die Banken fliehen aus der Fläche, schließen deutschlandweit Hunderte Filialen. Die HypoVereinsbank hat knapp die Hälfte dichtgemacht, die Deutsche Bank verabschiedet sich von bis zu 200 Filialen, die Commerzbank hält vorerst an ihrem Netz fest, hat aber in den vergangenen Jahren schon 500 Zweigstellen geschlossen. Volks- und Raiffeisenbanken – die wie die Sparkassen gut ein Drittel der bundesweit 35.000 Bankfilialen betreiben – wollen in den nächsten drei Jahren bis zu 2500 Zweigstellen wegfallen lassen.
Wo man auch hinschaut, ist der Prozess in vollem Gange: Die Sparkasse Koblenz schließt 10 von 48 Filialen, die Kreissparkasse Herzogtum Lauenburg sieben, die Sparkasse Hanauerland hat Anfang August 6 von 17 Standorten aufgegeben; die Sparkasse Märkisch-Oderland verabschiedet sich von 6 Filialen, die Sparkasse Wetzlar von 17, die Volksbank Kaufbeuren-Ostallgäu von fünf, die Volksbank an der Niers von sieben, die Volksbank Münsingen von 13. Und so weiter und so fort.
Es spricht ja auch alles dafür, zumindest auf den ersten Blick. Die niedrigen Zinsen drücken die Erträge im Geschäft mit Krediten und Einlagen, die Regulierer belasten mit Beratungsprotokollen und anderen Vorgaben das Geschäft. Der Kostendruck ist enorm. Selbst Bankenaufseher empfehlen den Abschied von Filialen, um die Erträge zu stabilisieren.
Schließlich hat sich auch das Kundenverhalten geändert: Viele besuchen die Filiale nur, um Geld am Automaten abzuheben. 65 Prozent nutzen das Internet für Bankgeschäfte, mehr als die Hälfte aller Kunden erscheint nicht öfter als einmal im Jahr zum Gespräch. Und der Trend setzt sich fort, demnächst soll auch noch das Smartphone zum Geldsteuerer werden.
Trotzdem ist der Filial-Kahlschlag eine gefährliche Gratwanderung. Denn auch wenn die Zahl der Internetkunden steigt, sind deutsche Bankkunden bei neuen Techniken skeptisch. Nur 19 Prozent erledigen Geschäfte mobil, in kaum einem anderen Land sind es weniger. Gerade bei komplexen Themen bleibt persönlicher Kontakt unverzichtbar. „Selbst junge Kunden wollen die Option haben, sich persönlich beraten zu lassen“, sagt Martin Zielke, Privatkundenvorstand der Commerzbank.
Das macht den Umbau des Kundengeschäfts zur echten Herausforderung: Es reicht nicht, einfach nur Filialen zu schließen und darauf zu hoffen, dass die Kunden schon dabeibleiben. Denn der Filial-Kahlschlag an sich überfordert viele Kunden. Wie schaffen es Banken also, gleichzeitig die Kosten im Griff und Kunden im Geschäft zu halten?