Bankier David de Rothschild "Das ist der Todeskuss"

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Familientradition der Bank

David de Rothschild

Sie sind der Ur-Ur-Ur-Enkel von Mayer Amschel Rothschild, dem Begründer der Bank. Besitzen Sie etwas, das Sie mit ihm verbindet?

Unsere neue Zentrale in London beherbergt das Archiv der Familie Rothschild – das vermutlich beste seiner Art. Reist ein Banker nach China oder Brasilien, zeigt ihm das Archiv zum Beispiel, wann der erste Rothschild dorthin gereist ist. Das Archiv wird auch große Teile zu einer Ausstellung beitragen, die im Sommer dieses Jahres in der Bibliothèque Nationale de France eröffnet – eine Retrospektive über James de Rothschild, den Begründer der französischen Linie.

Wie wichtig ist die Familientradition für die Bank?

Wir kümmern uns primär um unsere Kunden und denken nicht groß über die Vergangenheit oder die Geschichte der Familie nach. Aber die Firma gehört uns, wir sind Teil der Firma, und sie trägt unseren Namen. Wenn jemand sagt, dass Rothschild Mist gebaut hat – dann ist das, als ob Sie plötzlich nackt durchs Brandenburger Tor gehen: beschämend. Das ist allen bei Rothschild bewusst.

Rothschild wirbt wie viele Privatbanken mit seiner Tradition. Warum aber sollten die Kunden Ihnen vertrauen? Sal. Oppenheim trat auch als Traditionsbank auf. Doch hinter der schönen Fassade lag vieles im Argen, am Ende wurde das Institut von der Deutschen Bank geschluckt.

Unsere Kunden sollten uns nicht blind vertrauen, sich jedenfalls nicht allein auf unseren Namen verlassen. Warum sollten sie uns stattdessen vertrauen? Erstens weil wir sehr gute Mitarbeiter haben, die sich zudem anständig verhalten. Ich habe häufig gesagt: Dieser Junge ist brillant, es wäre toll, ihn an Bord zu haben, aber er passt nicht zu unserer Kultur, wir können ihn nicht engagieren. Zweitens weil wir als weltweit größte in Familienbesitz befindliche Investmentbank global präsent sind. Drittens können Kunden bei wichtigen Fragen das Topmanagement oder mich treffen und sich selbst eine Meinung bilden. Und viertens können sie uns vertrauen, weil interne Kontrollen für uns wichtig sind, gerade auch für die Familie. Über mehr als 200 Jahre hinweg war sie nie so selbstgefällig, dass sie Leute befördert hätte, die der Aufgabe nicht gewachsen waren.

Von außen sind Struktur und Zahlen Ihres Hauses nur schwer zu durchschauen. Ist das Absicht, um den Mythos zu pflegen?

Es ist wahr, dass wir nicht besonders transparent sind. Das ist das Ergebnis der vielen Schritte, durch die unser französisches und unser britisches Haus wieder miteinander verschmolzen sind. Ich betrachte die Struktur von heute aber nicht als das letzte Wort.

In Europa wird über Inflation, soziale Unruhen und ein Auseinanderbrechen der Währungsunion diskutiert. Ihre Familie ist seit mehr als 200 Jahren im Geschäft, sie hat viele Krisen erlebt – und überlebt. Wie sehen Sie die aktuelle Lage?

Wir waren schon Bürger Europas, lange bevor Europa als Einheit überhaupt existierte. Was diese Krise von früheren unterscheidet, ist, dass wir zum ersten Mal seit Jahrzehnten spüren, dass Staaten zerbrechliche Gebilde sind. Ich glaube aber nicht, dass die Euro-Zone zerfallen wird, denn das wäre eine Tragödie für alle Beteiligten. Starke Staaten bekämen starke Währungen, was nur ihren Exporten schaden würde. Schwache Staaten hätten mit hohen Zinsen und ihren hohen Schulden zu kämpfen. Könnten sie diese nicht bezahlen, würde es die Banken treffen – die wiederum kaum ein Staat mehr retten könnte. All das ist Wirtschaft und Politik bewusst. Man wird eine Lösung finden. Man muss eine Lösung finden.

Welchen Preis wird Europa dafür zahlen?

Eine Rezession in diesem Jahr ist nicht auszuschließen, ich glaube aber nicht daran. Wahrscheinlicher ist eine längere Phase mit niedrigen Wachstumsraten. Die Banken vergeben weniger Kredite, die Staaten geben weniger aus, die Bürger zahlen mehr Steuern. Die Arbeitslosigkeit dürfte steigen, junge Menschen werden länger brauchen, um einen Job zu finden. Um jenen, die leiden, zu helfen, sollten jene, denen es besser geht, Einschnitte akzeptieren – in einem Akt der Solidarität. Ich denke, das ist unvermeidlich. Untergehen wird die Welt aber nicht.

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