Die Commerzbank ist erneut wegen umstrittener Cum-Ex-Geschäfte mit Dividenden-Steuererstattungen ins Visier der Justiz geraten. Am Dienstag durchsuchten Ermittler Büros der Bank und Wohnungen von Beschuldigten in Frankfurt und Hanau. Eine Sprecherin der Commerzbank betonte am Freitag, vollumfänglich mit der Staatsanwaltschaft zu kooperieren. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt erklärte, durch falsche Steuerbescheinigungen für die Jahre 2006 bis 2010 sei mutmaßlich ein Steuerschaden von rund 40 Millionen Euro entstanden. Über die Razzia hatte zuerst der Branchendienst Juve berichtet.
Schneller schlau: Cum-ex-Geschäfte
Bei den auch „Dividendenstripping“ genannten Geschäften geht es um den raschen Kauf und Verkauf von Aktien rund um den Dividendenstichtag, um Kapitalertragssteuern mehrfach vom Fiskus erstattet zu bekommen. Am Tag vor der Dividendenzahlung ist diese im Aktienkurs mit eingepreist. An der Börse spricht man von einem Kurs „cum Dividende“.
Am Tag nach der Ausschüttung, in der Regel einen Tag nach Hauptversammlung, die die Dividendenzahlung beschließt, ziehen die Börsenbetreiber die Dividende vom Kurs ab, das heißt die Aktie wird „ex Dividende“ gehandelt. Von Banken bekamen die Aktienkäufer und -verkäufer eine Bestätigung, die Kapitalertragsteuer abgeführt zu haben, was sie beim Fiskus mehrfach steuerlich geltend machten - obwohl sie so nicht gezahlt hatten.
Ein Beispiel: Die Banken verkaufen die Aktien leer an einem „cum“-Tag, müssen sie aber wegen der Börsenregelungen erst nach zwei Tagen an den Käufer liefern. Sie beschaffen sich die Papiere also nach dem Dividendenstichtag zum „ex“-Preis – also ohne Dividende – von einem Dritten und liefern diese Aktien an den Käufer. Dabei parallel abgeschlossene Kurssicherungsgeschäfte, die Risiken ausschließen, sichern den Gewinn aus der Transaktion.
Papiere werden rund um den Dividendenstichtag – meist der Tag der Hauptversammlung – schnell hintereinander ge- und wieder verkauft. Leerverkäufer verdienen, wenn der Aktienkurs bis zum Liefertermin gefallen ist und sie so die Aktien billiger kaufen können, als sie sie verkauft haben.
Generell wird auf die gezahlte Dividende Kapitalertragssteuer fällig. Im geschilderten Konstrukt ließen sich sowohl der Käufer als auch der jeweilige Dritte, von dem sich die Banken die Aktien beschafft hatten, die Kapitalertragsteuer vom Finanzamt erstatten. Die Finanzämter zahlten so mehr Steuern zurück, als sie zuvor eingenommen hatten.
Im Wesentlichen nutzten Banken und Profianleger wie Fonds oder Börsenhändler den Steuertrick mittels Dividendenstripping.
Für Privatanleger sind Cum-ex-Geschäfte zu aufwendig, zumal es sich bei kleinen Anlagesummen kaum rechnet. Sie hätten nur geringe bis keine Chancen gehabt, an solchen Deals zu verdienen.
Banken und Investoren nutzten bestimmte Eigenheiten der Abwicklungssysteme an den Börsen, aber auch steuerrechtliche Besonderheiten – und das offensichtlich über Jahre hinweg und mit Wissen von Bund, Ländern und Finanzbehörden. So erklärte der Bundesfinanzhof das Dividendenstripping bereits in einem Urteil aus dem Jahr 1999 für grundsätzlich rechtens. Geschlossen wurde das Schlupfloch aber erst 2012 durch eine Neuregelung der Nachweispflichten.
Im Visier der Ermittler sind insgesamt fünf - zum Teil ehemalige - Verantwortliche des Kreditinstituts im Alter zwischen 51 und 63 Jahren, außerdem weitere, bislang unbekannte Personen, die für die Planung und Umsetzung der Cum-Ex-Geschäfte in den Jahren 2006 bis 2010 mitverantwortlich gewesen sein sollen. Gegenstand der Ermittlungen sei der Vorwurf der schweren Steuerhinterziehung. Die Namen des betroffenen Instituts und der Beschuldigten nannte die Staatsanwaltschaft wie üblich nicht.
Bei den Cum-Ex-Geschäften verschoben die Beteiligten um den Dividendenstichtag herum untereinander Aktien mit (lateinisch: "cum") und ohne ("ex") Dividendenanspruch. Dadurch entstand der Eindruck, die Papiere hätten zum gleichen Zeitpunkt mehrere Besitzer. Die Beteiligten beantragten dann mehrfach die Erstattung der vom Emittenten der Aktien vorab einbehaltenen Kapitalertragsteuer. Der Schaden für den Fiskus wird auf bis zu zwölf Milliarden Euro geschätzt. In Deutschland laufen zahlreiche Gerichtsverfahren gegen Beteiligte.
Härtere Gangart
Die Commerzbank hatte die Cum-Ex-Geschäfte der Dresdner Bank zum Anlass genommen, um auch ihr eigenes Verhalten unter die Lupe zu nehmen. Seit Ende 2015 überprüft sie alle zwischen 2003 und 2011 getätigten Aktiengeschäfte und stieß auch auf eigene Cum-Ex-Geschäfte. Die Zwischenergebnisse der Untersuchung seien proaktiv den Behörden zur Verfügung gestellt worden, erklärte die Banksprecherin. Ein Abschlussbericht liege noch nicht vor.
In den vergangenen Monaten hatten die Behörden bundesweit ihre Ermittlungen wegen Cum-Ex-Geschäften intensiviert. Erst Anfang Oktober erhob die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt Medienberichten zufolge Anklage gegen einen der mutmaßlichen Erfinder des Steuertricks und mehrere frühere Aktienhändler der HypoVereinsbank (HVB). Damit könnte es zum ersten Strafprozess in Deutschland wegen dieser Aktien-Deals kommen, sofern das Landgericht Wiesbaden die Anklage zulässt. Letztlich dürfte der Fall vor dem Bundesgerichtshof oder sogar dem Bundesverfassungsgericht landen, schätzen Beobachter. Denn die Steuertricks waren erst 2012 vom Bundestag gestoppt worden. Ob bis dato die Geschäfte tatsächlich illegal waren oder ob damit legal ein Steuerschlupfloch ausgenutzt wurde, ist noch nicht höchstrichterlich geklärt.