„Wie viele es letztlich werden, ist völlig unabsehbar“, sagt ein mit den Rechtsfällen eng vertrauter Insider. Für Unsicherheit sorgen vor allem die Zivilklagen in den USA zu den Manipulationen bei Libor und Devisenkursen, bisher gibt es dazu kaum Entscheidungen. Sogar die Aufseher sind besorgt. Schon bei der Kapitalerhöhung von 8,5 Milliarden Euro im vergangenen Juni fragten sie sich, ob die für alle Strafzahlungen ausreichen werde. Sie sind nicht akut alarmiert, aber sie beobachten die Bank sehr wachsam.
Jede neue Buße wirft zudem jene Fragen auf, die Jain seit drei Jahren immer wieder beantworten muss. Was er wusste. Was er mit Absicht nicht wusste. Was er hätte wissen müssen.
Jain ist in Deutschland fremd geblieben
Die Hauptversammlung am 21. Mai wird zur grotesken Abschiedsveranstaltung. Jain hält seine Rede auf Englisch, eine Synchronstimme aus dem Nichts übersetzt seine Worte auf Deutsch in den Saal, der Vorstandsvorsitzende bewegt die Lippen, während ein anderer zu hören ist. Das wirkt wie ein schlechter, wie ein falscher Film. Und zeigt, wie groß die Distanz, wie fremd Jain in Deutschland geblieben ist.
Den Rest der Veranstaltung, die harte Kritik der Aktionäre, Achleitners ernüchternde Aussage, dass die Bilanz des Führungduos „durchwachsen“ sei, erträgt Jain äußerlich ungerührt. Das Ergebnis der Abstimmung ist ein Desaster. Nur 61 Prozent der Aktionäre votieren für die Entlastung des Vorstands. So etwas hat es noch nie gegeben.
Die Deutsche-Bank-Doppelspitze in Zitaten
Am 1. Juni 2012 übernahmen Anshu Jain und Jürgen Fitschen die Deutsche-Bank-Führung. Ein Rückblick in Zitaten:
„Schöne Broschüren, wo alles richtig beschrieben ist, werden uns nicht einen Millimeter voranbringen.“
„Die Deutsche Bank ist nicht gefährlich.“
„Anshu sagte mir einmal, dass er mit mir mehr spricht als mit seiner Frau. Das ist langfristig natürlich gar nicht gut für die Ehe.“
„Das ist tatsächlich vergleichbar mit einer Ehe. Man muss viel einbringen, aber man hat auch gemeinsame Werte.“
„Ich bin etwas heiser, ich musste öfter telefonieren.“
„Zuallererst Kapital, daneben Kosten, Kompetenzen, Kunden und Kultur.“
„Ein kultureller Wandel ist zwingend erforderlich.“
„Wer bei uns arbeitet und diese Werte nicht respektiert, der sollte besser gehen, das haben wir jedem gesagt.“
„Heute können wir sagen, dass der Hungermarsch vorbei ist.“
„Wir stellen uns der Kritik. Das bedeutet nicht, dass wir jedem nachgeben, der meint, die Bank an den Pranger stellen zu können.“
„Wir haben gewisse Fehler gemacht. Ich übernehme dafür die Verantwortung.“
„Keine deutsche Bank ist so global wie wir, keine globale Bank ist so deutsch wie wir.“
„Wir wollen nicht nur als eine anständige Bank wahrgenommen werden, sondern wir wollen auch eine anständige Bank sein.“
„Es ist ein Fakt, dass man den Banken das Vertrauen entzogen hat.“
Jains Maske fällt am Abend, da zeigt der stets so disziplinierte Banker, wie es in ihm aussieht. Traditionell findet im Anschluss an das Aktionärstreffen eine Art Belohnungsfeier für beteiligte Mitarbeiter statt, der komplette Vorstand und der Aufsichtsrat sind da, doch die Stimmung ist niedergeschlagen. Deutschbanker berichten, dass Jain völlig resigniert wirkte und erklärte, nicht zum Problem für die Bank werden zu wollen. „Hätte es ihm da einer nahegelegt, er hätte sofort hingeworfen“, sagt ein Teilnehmer.
Es ist für ihn eine bittere Enttäuschung. 20 Jahre hat Jain in Diensten der Bank gestanden, er hat ihr in den Hochzeiten bis zu zwei Drittel der Erträge beschert, die Bank hat auch ihn unermesslich reich gemacht. Und doch bleibt ihm der letzte Triumph versagt. Jain wollte beweisen, dass er nicht nur ein exzellenter Händler, sondern auch ein Bankchef für alle ist, auch für die Postbanker – in sein Büro hat er sogar ein Trikot mit Postbank-Schriftzug gehängt.
Doch zum echten Neuanfang, zum Bruch mit der Vergangenheit, hat die Kraft gefehlt. Jain hat vor allem seine Getreuen befördert, sie waren ihm schon vor der Finanzkrise gefolgt und sollten nun auf einmal den Wandel zum Besseren verkörpern.
In London heißt es, dass Jain sich zuletzt immer mehr abgekapselt habe, in Sitzungen habe er gelangweilt gewirkt. Noch am Wochenende vor der Hauptversammlung nahm er in London an einer Konferenz über indische Literatur teil. „Er wird in Indien eine Position in der Politik oder Wirtschaft übernehmen“, vermutet ein Investmentbanker.