Wenn Siegfried Massat ans Rednerpult tritt und sich vorstellt, geht ein Raunen durchs Auditorium. Seine Zuhörer sind Banker. Der eine oder andere von ihnen hat selbst Überfälle erlebt oder Geschichten von betroffenen Kollegen gehört. Manches Opfer empfindet es als Unverschämtheit, wenn sich ein verurteilter Bankräuber wie Massat als Dozent vor Bankangestellte hinstellt. Andere dagegen sehen die Vorträge des 72-Jährigen als unterhaltsamen Kontrapunkt zu den oft drögen Programmen auf Finanzkongressen oder Sicherheitsmessen und feixen zu den abenteuerlichen Storys des ehemaligen Berufsverbrechers.
Nach Absitzen diverser Strafen hat Massat mit seiner Vergangenheit abgeschlossen. Heute arbeitet er mit Rainer Hannich zusammen, der lange Schutzbeauftragter einer Landesbank war und sich danach als Sicherheitsberater selbstständig gemacht hat. Hannich hat Massats erzählerisches Talent entdeckt und stellt sein Insiderwissen nun Bankern zur Verfügung.
Massat plaudert in rheinischem Singsang, bringt seine Geschichten von den Überfällen sympathisch-sachlich rüber. Vor Bankern tritt er im Anzug auf, sonst kleidet er sich modisch, aber leger, trägt Hemd oder Pulli, dazu eine helle Hose. Die Haare auf dem sonnengebräunten Schädel sind kurz getrimmt, ein schlangenförmiges Tattoo auf dem rechten Unterarm weist auf die Knastkarriere hin. Insgesamt hat er rund 30 Jahre hinter Gittern verbracht.
WirtschaftsWoche: Herr Massat, kann man von Banküberfällen reich werden?
Siegfried Massat: Manche vielleicht, ich nicht. Die Beute sah zwar immer nach viel Geld auf einen Schlag aus, aber dazwischen hatte ich Durststrecken und Fehlschläge. Wenn man davon leben muss, bleibt nicht viel übrig.
Warum haben Sie überhaupt Banken überfallen, wenn es nichts bringt?
Ich bin in die Kriminalität geraten durch meine Biografie – Heimkind, Jugendknast und so weiter. Dann habe ich nach anfänglichen Rückschlägen festgestellt, dass Überfälle etwas waren, was ich sehr gut konnte. Es war mein Job. Ich war Berufsverbrecher, der scheinbare Erfolg verschaffte mir Anerkennung in meinem Umfeld.
Wann haben Sie Ihr Talent für Überfälle entdeckt?
Meinen ersten richtigen Banküberfall habe ich mit Anfang 30 verübt, in den Siebzigerjahren. Davor bin ich in Banken eingebrochen, wenn niemand da war, und habe den Tresor aufgeschweißt. Das dauerte einmal ein ganzes Wochenende, in einer kleinen Volks- und Raiffeisenbank in der Nähe von Mönchengladbach. Ein Kumpel und ich haben schichtweise Brenner und Meißel bedient. Am Ende waren Scheine drin im Wert von 60 000 D-Mark, aber viele versengt von den Funken vom Aufschweißen.
Zu den Personen
"Der Wachhund", 61, arbeitete bis 2007 als sogenannter Zentraler Schutzbeauftragter einer deutschen Landesbank und machte sich danach als unabhängiger Sicherheitsberater für Banken und Sparkassen selbstständig.
"Der Panzerknacker", 72, Spitzname Siggi, verbrachte seine Jugend im Heim, raubte Banken und Juweliere aus und landete im Gefängnis, um am Ende zu den Guten überzulaufen. Heute referiert er auf Finanzkongressen und Sicherheitsmessen über seine Taten.
Was kam nach den Bankeinbrüchen?
Beim ersten Überfall sind wir vor Schreck wieder rückwärts raus aus der Filiale, weil so viele Kunden im Schalterraum standen. Das war ein Fehler, wie ich später gelernt habe. Denn für Bankräuber ist es gut, wenn viele Kunden im Raum sind.
Herr Hannich, wissen Sie als Sicherheitsexperte und natürlicher Gegner von Leutten wie Herrn Massat, warum das so ist?
Rainer Hannich: Für Banken als Unternehmen ist bei Überfällen das Wichtigste, Leben und Gesundheit von Kunden und Mitarbeitern zu schützen. Das sind auch die Vorgaben der Berufsgenossenschaften, über die die Mitarbeiter versichert sind. Das Personal hat strikte Anweisung, auf alle Forderungen der Täter einzugehen – vor allem, wenn Kunden dabei sind.
Und wenn gerade keine Kunden da sind?
Dann kann man schon mal leichter riskieren, den Alarm auszulösen, ohne dass es die Bankräuber merken. Viele Tresore oder Tresorräume lassen sich mit einer alternativen Kombination öffnen, die unbemerkt Alarm auslöst.
Herr Massat, wie ging es weiter nach Ihrem ersten, misslungenen Überfall?
Wir sind erwischt worden, wurden aber nicht verurteilt. Denn wir sind vor Vollendung von der Tat reuevoll zurückgetreten, wie Juristen sagen. Später habe ich mir dann neue Komplizen gesucht und weitergemacht.
Schüsse auf Menschen wurden vermieden
Wie haben Sie die Kunden und Mitarbeiter der Banken unter Kontrolle gebracht?
Wir haben sie bedroht. Meine Komplizen hatten meist Pistolen, aber ich trug eine Schrotflinte, der Lauf gekürzt, der Schaft abgesägt. Das ist eine ganz bösartige Waffe, und das sieht man ihr auch an. Die Wirkung auf Menschen ist schon allein beim Anblick verheerend. Allerdings haben wir während eines Überfalls niemals eine Waffe abfeuern müssen. Die Leute mussten sich hinlegen und die Angestellten das Geld aus der Kasse herausgeben.
Wie kamen Sie da ran?
Einer von uns sprang über den Bedienschalter, schnappte sich einen Bankangestellten und ging mit dem in den abgeschirmten Kassenraum. In den kam man meist nur durch eine Tür hinter der Schalterhalle.
Sie haben nie auf Menschen geschossen, warum?
Unsere Bande wollte das auf jeden Fall verhindern, weil der Fahndungsdruck auf uns sonst überhand genommen hätte. Wir haben also nicht allein aus Mitgefühl so gehandelt. Weil keiner zu Schaden gekommen ist, hat die Polizei nach einigen Tagen die Suche aufgegeben und sich auf noch drastischere Fälle konzentriert.
Herr Hannich, wie bereiten Sie die Banken und ihre Mitarbeiter auf solche oder ähnliche Überfälle vor?
Mindestens zwei Mal im Jahr gibt es Sicherheitsunterweisungen in den Filialen. Die sind bewusst abstrakt gehalten. Wir warnen davor, Widerstand zu leisten oder zu fliehen, weil das die Täter zwingt, von ihrer Waffe Gebrauch zu machen.
Veranstalten Sie auch Rollenspiele, um das Verhalten bei Überfällen realitätsnah zu trainieren?
Davon rate ich ab. Das habe ich bisher nur für Polizisten gemacht, die haben zum Beispiel in einer Bankfiliale eine Geiselnahme trainiert, am Wochenende und ohne Mitarbeiter oder Kunden. Eine Überdosis Realität würde die Angst der Angestellten erheblich steigern, einige würden um Versetzung weg aus der Filiale bitten.
Herr Massat, wie haben Sie sich nach den Überfällen davongemacht?
Entscheidend ist, dass ein schneller Fluchtwagen mit einem zuverlässigen Fahrer bereitsteht. Das Auto war geklaut, meist ein schneller Golf GTI oder G 60. Dann gab es noch ein Fahrzeug zum Wechseln, um die Spur zu verwischen. Das Zweitauto war ein Audi 100. Die Fahrzeuge haben wir auf einem belebten Parkplatz zum Beispiel vor einem Supermarkt abgestellt, wo sie tagsüber nicht auffielen.
Offensichtlich haben Sie die Überfälle intensiv vorbereitet.
Man muss das im Detail planen, für mich war es wie gesagt ein Beruf. Wenn wir weit genug weg waren von der Bank und die Polizei die Straßen nach uns absuchte, haben wir uns für viele Stunden versteckt, etwa in einem Gebüsch hinter einem Spielplatz, und die Beute gezählt.
Diese Banken haben die beste Kernkapitalquote
Crédit Agricole (Frankreich) – 9,0 Prozent
Kernkapitalquote nach Basel III, 1. Quartal 2014, Quellen: Bloomberg, Thomson Reuters
Deutsche Bank – 9,5 Prozent
Bank of America (USA) – 9,6 Prozent
JP Morgan (USA) – 9,6 Prozent
Barclays (Großbritannien) – 9,6 Prozent
BNP Paribas (Frankreich) – 10,6 Prozent
HSBC (Großbritannien) – 10,8 Prozent
UBS (Schweiz) – 13,2 Prozent
Dafür hatten Sie Nerven?
Man muss ja im Versteck etwas tun, um die Zeit totzuschlagen. Die Beute zu zählen ist gar nicht so ohne. Auch damals waren die Geldbündel schon mit Farbbömbchen gesichert. Wenn man die falsch anpackte, war das Geld wertlos. Außerdem wäre man aufgefallen mit Farbe an den Händen.
Wie konnten Sie das vermeiden?
Wir hatten Stulpenhandschuhe dabei und Plastiktüten. Dann wurde jeweils ein Bündel aus dem Beutel herausgeholt und in der Plastiktüte geöffnet. So wurde nur das Bündel verunreinigt, in dem die Farbpatrone versteckt war.
Wie viele Banken haben Sie überfallen?
Die Taten sind verjährt, aber ich lege trotzdem keine Liste auf den Tisch. Wegen Bankraub und bewaffneten Diebstahls wurde ich zuletzt 1994 zu siebeneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.
Wie hat man Sie erwischt?
Erwischt wurde ich wegen einer anderen Sache. Wir wollten einen Juwelier überfallen und dafür einen Laster klauen, um mit der Ladefläche rückwärts durchs Schaufenster zu stoßen. Gegenüber der Spedition, wo die Lkws parkten, war eine Tankstelle. Von dort hat wohl jemand die Polizei gerufen. Wir konnten zwar mit unserem eigenen Auto rechtzeitig entkommen, kehrten aber nach etwa einer Stunde zurück, um die Spuren zu beseitigen. Mein Kumpel hatte eine Flasche liegen gelassen, die er ohne Handschuhe angefasst hatte. Das ließ ihm keine Ruhe, weil er sich um die Fingerabdrücke sorgte. Allerdings hatten die Polizisten auf uns gewartet.
"Banküberfälle wird man nie ausschließen können."
Woher wusste die Polizei, dass Sie Bankräuber waren, nicht nur Autodiebe?
Das wussten die erst auch nicht. Aber wir sind dann mit dem Auto davongedüst, die haben uns erst nach einer halsbrecherischen Verfolgungsjagd quer durch Essen gekriegt. Die Polizisten waren zugegebenermaßen gute Fahrer, ihr Wagen hat unseren von der Straße in einen Zaun gerammt. Da wir Waffen hatten, wurde denen klar, dass sie es mit Schwerkriminellen zu tun hatten. Die Waffen haben die Polizei in Rage gebracht, damit hätten wir auf die schießen können. Wir wurden dann heftig verhört, auch geschlagen, es gab Geständnisse.
Waren Prügel durch die Polizei der Grund für das Geständnis?
Nein.
Warum wollten Sie von Banken auf Juweliere umsatteln?
Das ging leichter. Die Banken haben immer mehr aufgerüstet und die Kassenbestände abgespeckt, das sprach sich schnell herum im Milieu. Vor manchen Filialen waren Warnhinweise, auch in osteuropäischen Sprachen: Hier nur wenig Bargeld.
Zahl der Hochverdiener bei Banken nach EU-Land
Anzahl gesamt: 2.714
davon Investmentbanker: 2.188
(mehr als eine Mio. Jahresgehalt 2012)
Quelle: European Banking Authority
Anzahl gesamt: 212
davon Investmentbanker: 100
(mehr als eine Mio. Jahresgehalt 2012)
Anzahl gesamt: 177
davon Investmentbanker: 117
(mehr als eine Mio. Jahresgehalt 2012)
Anzahl gesamt: 109
davon Investmentbanker: 47
(mehr als eine Mio. Jahresgehalt 2012)
Anzahl gesamt: 100
davon Investmentbanker: 37
(mehr als eine Mio. Jahresgehalt 2012)
Herr Hannich, was waren die Gründe für diese Aufrüstung der Bankfilialen?
Der erste Wendepunkt waren die Banküberfälle durch RAF-Terroristen in den Siebzigerjahren. Da hat in den Vorstandsetagen ein Umdenken eingesetzt. Ob aus politischen Gründen, also um Terroristen abzuwehren, darüber kann ich nur spekulieren. Die Zahl der Raubüberfälle hatte ein Niveau erreicht dass sich der Gesetzgeber veranlasst sah, mehr für die Sicherheit von Bankfilialen zu tun.
Was haben die Banken konkret gegen Überfälle unternommen?
Das Bargeld wurde schneller abtransportiert, die Tresorräume mit Zeitschlössern versehen, sodass die Türen erst nach Minuten aufgingen – zu lang für einen schnellen Überfall. Kassenbestände wurden massiv verringert, Alarmanlagen verbessert und – damals völlig neu – Kameras zur Aufzeichnung von Überfällen installiert. Damit war auch eine Abschreckung verbunden.
Auch die Verbrechen des NSU-Terror-Trios zeigen, dass Banküberfälle nach wie vor passieren. Haben Bankfilialen immer noch ein Sicherheitsproblem?
Banküberfälle wird man nie ausschließen können. Gelegentlich gehen Filialen nicht sorgsam mit den Sicherheitsvorschriften um, was Täter erkennen und ausnutzen.
Die Taten von Herrn Massat liegen lange zurück. Welchen Nutzen ziehen Sicherheitsprofis heute aus seinen Berichten?
Jedes Tatgeschehen ist anders. Aber aus den Schilderungen kann man schließen, welche Sicherheitsvorkehrungen abschreckend oder risikomindernd wirken. Auch Polizisten setzen sich mit ehemaligen Straftätern zusammen, um aus deren Denken, Handeln und Fühlen Erkenntnisse für künftige Fälle zu gewinnen. Eines kann man ganz sicher attestieren: Bankraub lohnt nicht – zu wenig Beute, hohe Aufklärungsquoten und massive Strafen für die Täter.
Herr Massat, haben Sie es eigentlich auch mal mit legaler Arbeit versucht?
Ja, ich habe Trinkhallen in meinem Wohnort aufgemacht, die meine Familie und mich redlich ernährt haben. Aber wenn es dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis tanzen. Ich habe den Anfragen von meinen Kollegen nicht lange standgehalten, und schon war ich wieder im Geschäft.
Sie haben anfangs angedeutet, dass von der Beute nicht viel übrig geblieben ist. Wovon leben Sie heute, von Vorträgen?
Ich wünschte, das könnte ich. Nein, ich habe 142 Euro Rente im Monat, für die Zeit, in der ich Rentenbeiträge gezahlt habe. Die Arbeit im Gefängnis wird leider nicht auf die Rente angerechnet. Wenn das so wäre, hätte ich eine bessere Rente. Dazu kommt die staatliche Grundsicherung, also Hartz IV. Ich klage nicht, es ist eine Situation, für die ich selbst verantwortlich bin.