Viele Deutsche fürchten, dass die Politik der EZB ihr Erspartes aufzehrt. Was entgegnen Sie?
Zunächst einmal: Die reale Rendite auf Sparguthaben der Deutschen ist seit 2015 wieder positiv. Vorher war sie negativ. Das muss man betonen und den Deutschen die Politik der EZB besser erklären. Unsere Antwort auf die weltweite Finanzkrise war dieselbe wie in den USA. Wir haben gut daran getan, weil wir Schlimmeres für die Wirtschaft, wie die Deflation in den Dreißigerjahren, verhindern mussten. Wir haben dabei nicht im Interesse einiger Länder oder Banken gehandelt, sondern im Interesse aller Bürger Europas. Es war zudem wichtig, im Anschluss die Rettungsmechanismen für die Banken zu verschärfen und die Anteilseigner heranzuziehen.
Geldpolitik der EZB: Belastungen durch Niedrigzinsen
In Deutschland beliebte Sparformen wie Tages- und Festgeld werfen kaum noch etwas ab. Die niedrige Inflation gleiche die negativen Effekte der niedrigen Zinsen allerdings aus, betont EZB-Präsident Mario Draghi. Derzeit liege die Verzinsung minus Inflation höher als im Durchschnitt der 1990er Jahre. „Zu der Zeit hatten Sie höhere Zinsen auf dem Sparbuch, aber zugleich meist Inflation, die weit darüber lag und alles auffraß“, sagte Draghi jüngst in einem Interview. Im Mai lagen die Verbraucherpreise in Deutschland nach vorläufigen Berechnungen gerade einmal um 0,1 Prozent über dem Vorjahresniveau.
Stand: 07.06.2016
Finanzinstitute müssen Strafzinsen zahlen, wenn sie Geld bei der EZB parken. Für den durchschnittlichen Privatkunden sind Strafzinsen bislang kein Thema. Man werde „alles tun, um die privaten Sparer vor Negativzinsen zu schützen - in Teilen auch zu Lasten der eigenen Ertragslage“, sagte jüngst der Chef des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Georg Fahrenschon. Wenn die aktuelle Niedrigzinsphase aber lange andauere, würden die Sparkassen die Kunden letztlich nicht davor bewahren können. Zudem könnten Geldhäuser nach Angaben des Präsidenten des Bundesverbandes der deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), Uwe Fröhlich, gezwungen sein, an der Gebührenschraube zu drehen: „Jeder muss in seiner Bank überlegen, wie er über Konditionen-Gestaltung gegen die Ertragsverluste anarbeitet, die ohne Zweifel da sind.“
Lebensversicherern fällt es immer schwerer, die hohen Zusagen der Vergangenheit zu erwirtschaften. Die Folge: Die Verzinsung des Altersvorsorge-Klassikers sinkt seit geraumer Zeit. Auch Betriebsrenten leiden, Firmen müssen wegen der Zinsschmelze immer mehr Geld für die Pensionsverbindlichkeiten zurücklegen. Viele Unternehmen versprechen bei Neueinstellungen daher keine konkreten Leistungen mehr, sondern sagen lediglich zu, einen bestimmten Betrag pro Monat in Vorsorgekassen einzuzahlen. Das Zinsrisiko tragen die künftigen Pensionäre.
Das überzeugt längst nicht alle.
Die Geldpolitik der EZB ist keine Erfindung der vergangenen Jahre. Sie entspricht dem Mandat einer von der Politik unabhängigen Institution, das stark demjenigen der Deutschen Bundesbank ähnelt. Das Hauptanliegen der EZB ist die Preisstabilität. Die EZB muss sich sowohl gegen eine zu hohe Inflation wappnen als auch gegen die Risiken einer zu niedrigen Inflation – wie wir sie heute vorfinden. Das Inflationsziel wurde 2003 einvernehmlich bei nahe, aber unter zwei Prozent festgelegt. Das war lange vor der Krise und lange vor Mario Draghi. Und es war der damalige deutsche Chefökonom der EZB, Otmar Issing, der dieses Inflationsziel vorgeschlagen hatte. Es ist heute nicht zufällig Konsens aller großen Zentralbanken, der Federal Reserve, der Bank of England, der Bank of Japan. Auch wenn wir unkonventionelle Maßnahmen ergreifen, bleiben wir unserem Mandat treu.
Wo liegt die Grenze für negative Zinsen?
Eine der Grenzen liegt dort, wo sie an Privathaushalte oder die kleinen und mittelständischen Unternehmen weitergereicht würden. Bisher legt aber keine einzige europäische Bank die Negativzinsen auf Privatleute und Mittelständler um.
Noch nicht.
Meiner Meinung nach wird das nie der Fall sein. Schauen Sie in die Schweiz oder in die skandinavischen Länder. Dort sind die Zinsen negativ, ohne dass die Endkunden dies zu spüren bekommen. Und wie gesagt: Negativzinsen sind nur ein Instrument in einem Orchester der Möglichkeiten. Wichtig ist, dass wir mehrere Instrumente spielen.
Das Ziel der EZB, die Inflation in der Euro-Zone zu erhöhen, wurde bisher verfehlt. Was ist der Grund dafür?
Die Inflation hängt von vielen Faktoren ab, nicht zuletzt vom Ölpreis. Unsere jüngste Prognose geht für 2016 von 0,2 Prozent für die Euro-Zone aus, von 1,3 Prozent für 2017 und von 1,6 Prozent für 2018. Wir bewegen uns also auf die zwei Prozent zu.
Trotzdem kann man Ihre Politik des Quantitative Easing (QE) bisher kaum als Erfolg bezeichnen.
QE ist erfolgreich! Man muss nur Geduld haben. Unsere Geldpolitik ist nachhaltig, und ohne QE wäre die Inflation noch niedriger. Die Schätzungen der Zentralbanken – auch der Bundesbank – stimmen überein: Unsere Politik trägt jedes Jahr mindestens einen Viertelprozentpunkt zur Inflation bei. Je nach Model stimuliert sie das Wachstum um 0,4 bis 1 Prozent. Allerdings sind Wolfgang Schäuble, Mario Draghi und ich uns einig: Die Geldpolitik kann nicht „the only game in town“ sein.
Geldpolitik der EZB: Entlastungen durch Niedrigzinsen
Verbraucher sparen bei Darlehen, ob für den neuen Fernseher oder für die eigenen vier Wände. Hausbauer können sich zu historisch günstigen Konditionen Geld leihen. Nach Angaben des Bankenverbandes BdB sind Hypothekendarlehen mit zehn Jahren Zinsbindung derzeit zu Effektivzinsen von durchschnittlich etwa 1,4 Prozent zu haben. 2007 lagen sie noch bei mehr als fünf Prozent.
Billiger ist es auch geworden, das eigene Konto zu überziehen. Vor fünf Jahren lagen die Dispozinsen nach Angaben der Finanzberatung FMH im Schnitt noch bei 11,26 Prozent. Mittlerweile sind es demnach durchschnittlich 9,51 Prozent.
Seit Jahren ist günstiges Notenbankgeld der zentrale Treibstoff für die Börsen. Aktionäre können von steigenden Kursen profitieren. Zuletzt wagten sich die eher börsenscheuen Deutschen wieder stärker an den Aktienmarkt. Knapp 9,01 Millionen Menschen besaßen nach Angaben des Deutschen Aktieninstituts im vergangenen Jahr Aktien und/oder Anteile an Aktienfonds - das ist der höchste Stand seit 2012.
Mit der Ausgabe von Anleihen finanziert die öffentliche Hand - neben Steuereinkünften - einen Großteil ihrer Ausgaben. Am Montag fiel die sogenannte Umlaufrendite, die ein durchschnittliches Maß für die „Verzinsung“ von Staatspapieren mit einer Laufzeit von drei bis 30 Jahren ist, in Deutschland erstmals seit der Gründung der Bundesrepublik in den negativen Bereich. Der Bund „verdient“ in einer solchen Situation somit an seiner eigenen Schuldenaufnahme, anstatt den Gläubigern - den Käufern der Anleihen - einen Zins zu zahlen.
Stand: 7. Juni 2016
Werden Sie bei QE nochmal nachlegen?
Priorität hat, die im März beschlossenen Maßnahmen konsequent umzusetzen. Wir haben vergangene Woche unsere Entschlossenheit betont, monatlich 80 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen und das TLTRO II-Programm beizubehalten.
Wenn die Inflation 2018 tatsächlich 1,6 Prozent erreicht, wird die EZB die expansive Geldpolitk beenden? Oder ist dann der Druck der Politik nicht so massiv, dass die EZB die Zinsen nicht erhöhen kann?
Sie fragen mich im Juli 2016 nach der Geldpolitik 2018? Ich versichere ihnen: Wir werden unserem Mandat treu bleiben. Wir haben gesagt, dass wir die Niedrigzinsen bis März 2017 beibehalten – und falls nötig darüber hinaus. Schauen Sie, was in den USA passiert ist: Dort hat die Fed lange vor uns unkonventionelle Maßnahmen ergriffen. Schritt für Schritt nimmt sie diese nun zurück. Die Fed zeigt, dass ein Ausstieg funktioniert. So weit sind wir aber noch nicht.