Frankfurt Ein dunkler Schatten über der Bankenstadt

In Deutschlands Finanzzentrum herrscht die Angst: Banker sorgen sich angesichts schwächelnder Banken um ihr Geld und ihre Jobs. Ernüchterung und Fluchtgedanken machen sich breit. Das Porträt einer verunsicherten Stadt.

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Die Skyline Frankfurts aus dem Turm des Frankfurter Doms fotografiert. Quelle: dpa

Frankfurt Alle sind sie da. Emmerich Müller vom Bankhaus Metzler, Wolfgang Kirsch, der Chef der DZ Bank, Elke König, die Präsidentin der Finanzaufsicht. Als sie durch die Sicherheitsschleuse in die Alte Oper treten, werden sie im Foyer von Martin Blessing, dem Vorstandsvorsitzenden der Commerzbank, persönlich begrüßt, ihm zur Seite stehen Peter Feldmann, der neue Oberbürgermeister, sowie der in sich ruhende Jürgen Fitschen, einer der zwei Chefs der Deutschen Bank.

Journalisten hoffen auf ein paar Zitate, Pressesprecher huschen vorbei, Politiker mustern das Treiben. Dann kommt Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) und klein von Statur. Seine Worte können die Weltmärkte bewegen, und so ist er umringt von Fernsehteams und unübersehbar der wichtigste Gast. Als Draghi in den Mozartsaal geht, folgt ihm die Menschentraube. Das Foyer leert sich.

Eine Woche lang haben Spitzenbanker, Aufseher und Politiker in Frankfurt über die Finanzwelt diskutiert, nun finden sie bei der Abschlussveranstaltung, dem European Banking Congress, alle zusammen. Die Finanzszene und die Stadt am Main vergewissern sich ihrer Bedeutung. Oberbürgermeister Feldmann formuliert es in seiner auf Englisch gehaltenen Eröffnungsrede so: „There is no us and them, or better: us and you. There is only us.“ Es gebe kein Wir und Sie, nur ein Wir.

Doch unter der Oberfläche, die an diesem Freitagmorgen Ende November so schön glitzert, herrscht Angst. Anspannung. Wer abseits der Blitzlichter mit Frankfurter Größen spricht, hört derzeit viel Ernüchterung. Viele Sorgen. Fluchtgedanken. Tausende Stellen sind bei der Commerzbank bedroht, und das ist erst der Anfang.

215 Kreditinstitute gibt es in der Stadt, und vielen droht ein dramatischer Abbau – bei Stellen, Produkten und mehr. Die Banken müssen ihre Kosten senken, schrumpfen, konsolidieren. Die Branche sei wie die Stahlindustrie vor 15 Jahren, sagt eine Managerin. Von Gewinn zu Gewinn eilen, das war einmal. Frankfurt, das ist eine verunsicherte Stadt.

Besuch bei Lutz Raettig in der Junghofstraße. Diese befindet sich im sehr überschaubaren Bankenviertel, das sich im Kern auf die hohen Türme und Büros rund um Mainzer Landstraße, Taunusanlage, Neue Mainzer Straße und Große Gallusstraße beschränkt. Der 69-Jährige gilt als „Mister Finanzplatz“, er sitzt dem Aufsichtsrat der deutschen Tochter von Morgan Stanley vor, ist Vizepräsident der Industrie- und Handelskammer, Stadtrat und Mitglied der CDU, er führt den Börsenrat der Frankfurter Wertpapierbörse, gehört dem Vorstand des Bankenverbandes an und den Freunden der Alten Oper.

Sein Haus im Westend ist neben demjenigen der Familie Metzler der Salon der Stadt. Mal lädt er 120, mal 12 Gäste ein, gerne nach Opernpremieren. Wenn einer weiß, wie es der Branche geht, dann Lutz Raettig. Spricht er, stellt er vorher erst mal klar, welchen seiner Hüte er auf hat, und das ist in diesem Fall der Hut des Präsidenten von Frankfurt Main Finance, einer Lobbyorganisation, der auch Stadt und Land angehören und die sich als Stimme des Finanzplatzes versteht.


„Es gab Übertreibungen“

Diese Stimme, sie klingt an diesem Tag angeraut. „It isn’t over yet“, sagt Raettig mit einem leichten Seufzer. Es sei noch nicht vorbei. Viele deutsche Banken seien gut durch die Krise gekommen, aber alle wüssten, dass sie noch Staatsanleihen unterschiedlicher Qualität in ihren Büchern hätten. Zudem sei das Geschäft schwerer, weil die Staaten viele neue Vorschriften erließen, die Banken zum Schutz gegen Verluste nun mehr Kapital zurücklegen müssten und es teurer sei, wenn eine Bank sich Geld leihe. „Die Branche wird durch erhebliche Veränderungen gehen.“

Raettig ist ein kleiner, kompakter Mann, der dem Frankfurter Dresscode folgt. Dunkler Anzug, eine etwas markantere Krawatte, in diesem Fall eine rote. Er schlägt die Beine übereinander, richtet sich in seinem Stuhl ein und findet klare Worte. „Viele sind darauf gefasst, dass das ein paar härtere Jahre werden.“ Raettig weiß, dass seine Branche nicht mit Mitleid rechnen kann. „Wir – die Banken – hatten allerdings auch viele gute Jahre. Es gab ein hohes Wachstum über weit mehr als zehn Jahre. Und natürlich gab es dabei Übertreibungen, wie wir heute alle wissen.“

Die Mechanik des Wandels ist leicht erklärt: Die Zinsen liegen nahe null, es ist heute schwer, Gewinne zu erzielen, indem man Geld teurer verleiht, als man es sich selbst leiht. Zudem halten sich die Kunden in der Geldanlage zurück. Beides wird auf Jahre hinaus so bleiben, glauben Experten. Zinsüberschuss und Provisionsüberschuss – die zwei Haupteinnahmequellen vieler Banken – werden also stagnieren. Wenn aber die Erträge stagnieren, müssen über kurz oder lang die Kosten sinken.

Eine Stellschraube sind die Kosten, die entstehen, wenn eine Bank sich Geld borgt, um den Konsum privater Kunden, Immobilien oder Unternehmen zu finanzieren. Günstig geht das derzeit bei der EZB, aber nur für Teile des Tagesgeschäfts. Deshalb müssen Banken weitere Geldgeber finden, doch davon gibt es nicht mehr viele: Versicherungen, Fonds oder Pensionskassen. Die verleihen nur noch sehr wenig, für kurze Zeit und zu höheren Zinsen als die EZB.

Bleiben die Kosten für Personal und Technik. Banken können Abteilungen zusammenlegen, Stellen abbauen oder Arbeit an Dritte vergeben. Sie können versuchen, Geschäftspartner wie die Börse im Preis zu drücken oder bei Dienstleistern wie Rechenzentren und Callcentern zu sparen. Die Commerzbank zieht bereits ausdrücklich die „Nutzung zusätzlicher lokaler Kostenvorteile“ ins Kalkül, wie es im Managersprech heißt. Im Klartext: Verlagerungen. Unter Umständen auch bis nach Asien, wie der Vorstand einräumt.

„Die Bankenindustrie befindet sich mitten im Umbruch. Wie die deutsche Finanzwirtschaft am Ende aussehen wird, wissen wir noch nicht“, sagt Lutz Raettig.

Die vielen Versicherungen, Finanzinvestoren und Fondsgesellschaften in der Stadt kämpfen ebenfalls. Union Investment etwa, einer der größten Fondsanbieter, will zehn Prozent seiner Stellen abbauen. An den Finanzhäusern hängt zudem das Schicksal der Sekundärindustrie, die ihr zuarbeitet: Anwaltskanzleien wie Freshfields Bruckhaus Deringer oder Hengeler Mueller.


„Die Bankenindustrie befindet sich im Umbruch“

Kommunikationsagenturen wie Hering Schuppener oder Brunswick Group. Personalberater wie Egon Zehnder oder Spencer Stuart. Unternehmensberater wie McKinsey oder Boston Consulting Group. Hotels wie das Steigenberger Frankfurter Hof oder die Villa Kennedy, die bis heute bestens von den Bankern leben, wird es auch treffen. Der Umbruch und seine Folgen reichen also weit über die 73.000 Beschäftigten und die etwa 37 Prozent an Gewerbesteuereinnahmen hinaus, die die Stadt der Finanzbranche zurechnet.

Wie es den Topbankern der Stadt persönlich geht, was sie häufig weder Öffentlichkeit noch Kollegen anvertrauen, das erzählen sie Max Hollein. Der Direktor dreier Museen könnte problemlos die Leitung des Louvre übernehmen, doch er schätzt die Stadt am Main und ihren Bürgersinn. Mit seinem Erfolg und Charme hat er das Vertrauen vieler Banker gewonnen, manchem gilt er als der wichtigste Akteur der Frankfurter Gesellschaft, der nicht aus der Finanzszene kommt. Für die spektakuläre Erweiterung des Kunstmuseums Städel warb der 43-Jährige Spenden in Millionenhöhe ein. In den Unterstützerkreisen seiner Museen aktiv zu sein zählt unter Bankern zum guten Ton.

Hollein trägt stets Anzug und Krawatte, er versteht die Sprache der Finanzwelt und bleibt doch ein Außenseiter, der in Wien geboren wurde und in New York sein Handwerk lernte. Was ihm Topmanager zuletzt erzählten, hat Hollein erstaunt und erschreckt.

„Ich bin manchmal regelrecht mit existenzieller Angst konfrontiert“, erzählt er in seinem Büro im Städel. „Bei Menschen aus der Finanzwelt spüre ich mehr als bei allen anderen die Angst, dass alles schiefgehen könnte.“ Die Furcht vor einem Zerfall der Euro-Zone führe dazu, dass viele sich privat Immobilien oder ganze Wälder kauften. Erfahrene Banker, die im Job sonst peinlichst aufs Geld achteten und schon viele Deals clever verhandelt hätten, seien bereit, große Beträge für Kunstwerke auszugeben, deren Wert sie selbst gar nicht einschätzen könnten.

Hollein sitzt an einem großen Holztisch, leicht ratlos lässt er seine Hand auf die Platte fallen. Neben ihm liegt der Katalog zur aktuellen Ausstellung Goethe und das Geld im Goethe-Haus, hinter ihm an der Wand hängt ein großes Gemälde von A. R. Penck, das so mancher Gesprächspartner wohl gerne hätte.

Einige, erzählt Hollein, verfielen in wahre Endzeitszenarien. „Ich registriere ein extremes Sicherheitsdenken. Viele wollen sich für alle Fälle wappnen.“ Da werde dann schon einmal ein Ofen gekauft, in dem man alles verheizen könne. Nicht nur Öl oder Kohle. Wer weiß schon, was noch kommt. „Vielleicht liegt es daran, dass solche Menschen mehr von der Krise verstehen und dass sie die Wahrscheinlichkeit, dass alles kippen könnte, nicht auf 0,01 Prozent, sondern auf 10 Prozent schätzen“, versucht Hollein eine Erklärung. „Das macht sie dann nervöser als andere.“

Spitzenbanker haben natürlich auch mehr Geld, um das sie sich sorgen können. Bei Häppchen erzählt einer von ihnen beiläufig, er habe sich gerade in Berlin seine dritte Wohnung gekauft.

Frankfurt, Bankfurt, Mainhattan.

Jeden Morgen rollen Luxusautos in die Stadt, der Porsche Carrera aus Bad Homburg, der Range Rover aus Hofheim, der Mercedes aus Königstein.


„Die Leute haben Angst um ihre Arbeitsplätze“

Jeden Tag hantieren die Finanzjongleure mit großen Summen. „Sie boten uns 500 Millionen, aber unser Manager hat es abgelehnt, das Geld zu nehmen“, erzählt ein Anzugträger dem anderen beim Bäcker an der Ecke.

Abends treffen sich viele Führungskräfte, zumeist Männer, im kleinen Kreis. Beim Essen im Opéra in der Alten Oper, im Kubu gegenüber oder in der Villa Merton. Bei der Ausstellungseröffnung in der Schirn. Bei Diskussionen im Hessischen Kreis. Oder bei Vorträgen im Siesmayer Club. So wird die Frankfurter Gesellschaft für Handel, Industrie und Wissenschaft informell genannt – ein Club, der im edlen Ambiente der großbürgerlichen Villa Bonn tagt und kürzlich Schlagzeilen machte, weil sich nicht genug Mitglieder fanden, die die Gesellschaft auch für Frauen öffnen wollten.

Was die Menschen abseits dieser Zirkel umtreibt, erfährt Birgit Braitsch. Die 51-Jährige, deren Sprachfärbung die Herkunft aus Stuttgart verrät, leitet bei der Gewerkschaft ver.di den Fachbereich Finanzindustrie in Frankfurt. Zum Imageverlust komme bei den einfachen Bankmitarbeitern heute eine Sorge, erzählt sie. „Die Leute haben Angst. Angst um ihre Arbeitsplätze.“

Bis 2016 will die Commerzbank rund 1,8 Milliarden Euro sparen, 4,5 Milliarden Euro bis 2015 die Deutsche Bank. Noch ist aber offen, wo genau. „Es gibt nichts Schlimmeres, als zu wissen, es kommt etwas, ohne zu wissen, was“, sagt die Gewerkschafterin.

Traditionell arbeiten in den Zentralen viele Arbeitnehmer mit außertariflichen Verträgen, die sich stark mit ihrer Bank identifizieren und sich bis jetzt ruhig zeigen. „So ganz allmählich bröselt das“, beobachtet Braitsch. Allein in den zwei großen Häusern läuft alles wohl auf den Abbau mehrerer Tausend Stellen hinaus, viele davon in den Zentralen, denn dort lässt sich noch rationalisieren – indem man Stellen streicht oder auslagert.

Längst nähmen Banken dabei „sehenden Auges in Kauf, dass die Löhne und die Arbeitsbedingungen bei den Dienstleistern nicht dem Tarifstandard entsprechen“, sagt Braitsch. „Den Beschäftigten dort geht es finanziell richtig schlecht“, sagt sie mit Nachdruck, „manche kriegen nur sechs bis sieben Euro brutto die Stunde.“

Bräche der Finanzsektor zusammen, wäre es, als wenn der Strom ausfiele

In der Alten Oper geht der Tag zu Ende, zum Abschluss kommt Wolfgang Schäuble. Die Frankfurter Banker bringen dem Bundesfinanzminister spürbar Respekt entgegen. Sie hören ihm aufmerksam zu, auch weil sie wissen, dass er ihnen das Leben sehr schwer machen kann, wenn er will.

„Citius, altius, fortius, schneller, höher, weiter – das hat sich im Finanzsektor ein Stück weit widerlegt“, konstatiert Schäuble. Der 70-Jährige redet über schärfere Bußgeldvorschriften für Manager, über eine bessere Aufsicht – und darüber, dass Banken sich stärker auf ihre Aufgabe für die Gesamtwirtschaft besinnen sollen.

An dieser Stelle, es ist ruhig geworden im Saal, wechselt Schäuble den Ton, spricht weniger eindringlich, eher nachdenklich. »„Wenn der Finanzsektor zusammenbräche, wäre das so schlimm, wie wenn der Strom ausfällt“, sagt er mit leiser Stimme. „Aber es bleibt eine dienende Funktion – und ist kein Selbstzweck.“

Im einsetzenden Applaus tritt Martin Blessing nach vorne. Statt die Treppe zu nehmen, will er mit Schwung die Bühne entern, um sein Schlusswort zu sprechen, doch beim Sprung bleibt er an der Kante hängen. Der Chef der Commerzbank stolpert mehrere Schritte, fällt dem Boden entgegen und kann sich nur mit Mühe fangen. „Das war jetzt ein typischer Fall von Übertreibung. Zu viel Dynamik, Herr Blessing!“, ruft Schäuble ihm hinterher. Gelächter. „Wie so oft haben wir im Finanzsektor das Thema gerade noch so im Griff“, antwortet Blessing schlagfertig. Noch mehr Gelächter.

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