Dabei hatte Sewings Vorgänger Rainer Neske einen großen Umbau immer für überflüssig erklärt und stattdessen auf allmähliche Anpassungen gesetzt. Dass bis zuletzt keine einzige Filiale Verluste machte, bestärkt viele Beschäftigte in der Meinung, dass sie Opfer einer Misere sind, die die wesentlich besser bezahlten Investmentbanker ausgelöst haben.
Doch die Führung hat die harten Schritte für unvermeidlich erklärt. „Ein Großkonzern wie die Deutsche Bank lässt sich nur schwer allmählich bewegen. Wir brauchten eine deutliche Kurskorrektur, mit der wir sozusagen einen neuen Nordstern definiert haben“, sagt Alexander Ilgen, der das Wendemanöver im Privatkunden-Geschäft als Finanzchef der Sparte maßgeblich steuert. „Wir müssen sicherstellen, dass das Geschäft stark bleibt und auch in den kommenden Jahren positiv zum Ergebnis beiträgt.“ Das muss geschehen, obwohl mehr Regulierung und mehr Nachfrage nach digitalen Angeboten die Kosten treiben und niedrige Zinsen auf die Erträge drücken.
Mittlerweile ist das „Horizon“ betitelte Umbauprojekt weitgehend abgearbeitet, bis auf elf Filialen sind alle geschlossen, die auf der Liste standen, die Stellen sind abgebaut. „Wir haben bisher alle Ziele wie vorgesehen erreicht“, sagt Ilgen, dem es wichtig ist, dass es bei der ganzen Operation nicht nur um Einsparungen, sondern auch um Wachstum geht. „Obwohl es weniger Filialen gibt, haben wir die Zahl der Kontaktpunkte mit dem Kunden erhöht und werden die Intensität der Beratung steigern“, sagt er. Möglich machen soll das vor allem der Ausbau der digitalen Angebote, in den die Bank 750 Millionen Euro investiert.
Sparkasse in Zeiten von Minizins und Digitalisierung
Immer mehr Kunden wickeln immer mehr Bankgeschäfte digital ab: Vom heimischen Computer aus, mit der App auf dem Smartphone, online per Videoberatung. Flächendeckende Filialnetze, wie sie Sparkassen und Volksbanken unterhalten, werden zum Kostenfaktor. „Der Kunde geht nicht mehr in die Geschäftsstelle“, konstatierte vor einigen Wochen der bayerische Sparkassenpräsident Ulrich Netzer. Inzwischen komme ein Kunde im Schnitt nur einmal pro Jahr in eine Filiale, nehme aber 108 Mal jährlich online Kontakt auf. Bundesweit leisten sich die aktuell 409 Sparkassen laut nach Angaben des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV) 14 451 (Vorjahr: knapp 14 900) Filialen – inklusive Selbstbedienungspunkten. Der Verband rechnet mit einer weiteren Ausdünnung des engmaschigen Netzes. Die Sparkassen in Bayern beispielsweise haben bereits angekündigt, in diesem Jahr bis zu 220 ihrer 2200 Geschäftsstellen zu schließen.
Ganz aufgeben wollen die Institute ihre Präsenz in der Fläche nicht. „Wir werden die Filialen am Ende immer unter zwei Überschriften prüfen: Der Kunde erwartet noch mehr Beratung, Beratungs-Know-how. Die reine Abwicklung gehört immer stärker der Vergangenheit an“, sagte DSGV-Präsident Georg Fahrenschon im März. „Wir sehen einen klaren Trend unsere Filialen in Sachen Beratung noch stärker aufzuladen und zugleich den digitalen Kanal auszubauen.“
Sparkassen verdienten lange gut daran, für Kredite mehr Geld zu kassieren als sie ihren Kunden an Zinsen fürs Sparen zahlten. Doch die Differenz aus den beiden Positionen, der Zinsüberschuss, wird tendenziell kleiner, weil die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins auf Null gesenkt hat. Sorge bereitet vielen Instituten zudem, dass immer mehr Kunden Gelder kurzfristig parken - während bei Krediten möglichst lange Laufzeiten gefragt sind. Steigen die Zinsen wieder, könnten Kunden ihre Einlagen rasch abziehen.
In der gesamten Branche wird an der Gebührenschraube gedreht. „Die Zeit von weiten Angeboten kostenloser Kontoführung ist aus meiner Sicht vorbei“, sagte Fahrenschon im März. „Wir werden Leistungen bepreisen müssen - und zwar verursachergerecht.“ Auch die genossenschaftlichen Sparda-Banken stimmten auf Preissteigerungen „auf breiter Front“ ein - etwa Gebühren für Überweisungen in Papierform oder die Girocard. Die Noch-Deutsche-Bank-Tochter Postbank arbeitet derzeit an einem neuen Preismodell. Postbank-Chef Frank Strauß sagte der „Welt am Sonntag“, ob das Girokonto kostenlos bleibe, könne er noch nicht sagen. Die Commerzbank will ab 1. Juni von Kunden des bislang kostenlosen Girokontos, die Papierbelege einreichen, eine Gebühr von 1,50 Euro pro Überweisung verlangen.
Noch scheut sich die Branche davor, die Parkgebühr, die ihnen die EZB aufgebrummt hat, an Privatkunden weiterzureichen. Sparkassen-Präsident Fahrenschon mag nicht einmal den Begriff „Strafzins“ in den Mund nehmen. Der ehemalige bayerische Finanzminister betont: „Entscheidend ist, dass wir alles in unserer Macht stehende tun werden, um diesen verheerenden Effekt der Niedrigzinspolitik nicht beim privaten Sparer ankommen zu lassen.“ Auch die Volks- und Raiffeisen zeigen sich bislang eisern: „Wir werden versuchen, das Thema Negativzinsen unseren Privatkunden nicht zuzumuten“, sagt der Präsident des Dachverbandes BVR, Uwe Fröhlich.
Die Sparkasse Oberhausen - ein mittelgroßes Institut - schreckte Mitte März mit der Ankündigung auf, sie schließe Strafzinsen für reiche Privatkunden nicht mehr grundsätzlich aus. Betroffen wären aber nur Kunden, die Geldbeträge im siebenstelligen Bereich anlegen wollen, erklärte ein Sprecher. Denkbar seien in solchen Fällen künftig Verträge, die Strafzinsen erlaubten. Der Sprecher betonte: „Da wird kein privater Sparkunde in absehbarer Zeit betroffen.“ Bereits im Herbst 2014 hatte die Deutsche Skatbank in Thüringen für Aufsehen gesorgt, weil sie EZB-Strafzinsen an ihre Kunden weitergibt - allerdings bis heute nur dann, wenn die Einlagen eines Kunden bei dem genossenschaftlichen Institut drei Millionen Euro überschreiten.
Ein Trost: Völlig freie Hand haben die Institute beim Thema Gebühren nicht - gerade in einem so umkämpften Markt wie Deutschland. „Wer zu stark an der Gebührenschraube dreht, wird angesichts des starken Wettbewerbs allerdings Kunden verlieren“, erklärt Frank-Christian Pauli vom Verbraucherzentrale Bundesverband. Für zusätzliche Konkurrenz sorgen junge FinTechs, die online auf Kundenfang gehen. Die niedrigen Zinsen haben auf der anderen Seite auch Vorteile für Verbraucher: Kredite, etwa für die Baufinanzierung oder den Autokauf, sind aktuell extrem günstig zu haben.
Lukrative Dienste soll aus dem vielen Geld vor allem Markus Pertlwieser bauen, der als Chief Digital Officer so etwas wie das Zukunftsgesicht der Bank geworden ist. Sein Wirken ist jedoch intern umstritten. Seine Gegner werfen ihm vor, dass er alle Projekte an sich ziehe und zu wenig mit den Managern aus dem Kundengeschäft zusammenarbeite. Die Digital-Offensive stocke deshalb beträchtlich.
In Pertlwiesers Büro lassen sich Geistesblitze nicht nur auf der großen Wandtafel, sondern auch auf dem Arbeitstisch mit Filzstiften festhalten. Der Manager referiert fast ohne Atempause über künstliche Intelligenz, neuronale Netze, die Blockchain-Technologie, große Internetkonzerne als Konkurrenten von morgen und innovative Fintechs als Partner. Der digitale Wandel sei keine Bedrohung, sagt er, sondern eine Chance. Könne er die Deutsche Bank doch zur „digitalen Hausbank“ der Kunden machen.
Zur Erklärung seines Anspruchs verweist er auf einige Projekte, mit denen die Bank sich über ihre bisherigen Grenzen hinaus bewegt hat. So können Kunden Einlagen über den Deutsche-Bank-Zugang bei anderen Instituten anlegen und einen digitalen Überblick über Konten und Kreditkarten bei allen Anbietern bekommen. In den vergangenen zwei Jahren habe die Bank viel auf den Weg gebracht. Dass einige Projekte wie ein digitaler Berater (Robo-Advisor) im ersten Anlauf nicht geklappt haben, sei nicht zuletzt der veränderten Arbeitsweise geschuldet. „Wir probieren Dinge aus“, sagt Pertlwieser. Am Ende würden alle profitieren, wenn digitale Angebote mit der Filiale zusammenwachsen. „Die Berater sollen mit Freude und Zuversicht auf die Kunden zugehen“, sagt Pertlwieser.
So weit die Theorie. In der Praxis hakt es an vielen Stellen noch gewaltig. So meinen Insider zwar, dass die Bank durchaus sinnvolle Initiativen gestartet habe, von diesen aber wenig in den Filialen angekommen sei. Pertlwieser verweist auf „umfangreiche Qualifizierungsmaßnahmen“. Dass er sich nun aber mit Sewing um die Integration der Postbank kümmern soll, gilt intern vielen weniger als Auszeichnung, denn als schrittweise Abberufung vom wichtigen Zukunftsjob.
Zu lange, so ein Vorwurf, habe sein Digitalteam, losgelöst vom Tagesgeschäft, vor sich hin gewerkelt. Tatsächlich sind Grabenkämpfe an der Tagesordnung, selbst der unterhalb von Sewing für die deutschen Privatkunden zuständige und an sich optimistische Asoka Wöhrmann soll deshalb frustriert sein. „Statt an einem Strang zu ziehen, arbeiten viele immer noch gegeneinander“, sagt ein Insider.
In Sossenheim zumindest soll alles besser werden. Hier hat die Deutsche Bank im vergangenen Jahr eine Digital Factory eröffnet, auf vier Stockwerken arbeiten 400 Beschäftigte an allen digitalen Zukunftsthemen, an Apps, am Internetauftritt, an mobilen Bezahlsystemen. Die meisten hier tragen T-Shirt und Jeans, an den Wänden hängen Schaubilder und bunte Notizzettel, an einer klebt ein Bild des Raumschiffes Enterprise, verbunden mit dem ausgedruckten Vorsatz „Wir liefern in Warp-Geschwindigkeit“.
Dabei würde es schon reichen, wenn es überhaupt mal wieder vorwärtsgeht.