Herrenlose Konten Der brisante Schatz der Schweizer Banken

In der Schweiz liegen Millionen Franken auf herrenlosen Konten, vielleicht Milliarden. Tausende Kontoinhaber sollen jetzt publiziert werden. Wem gehören die Vermögen? Und wie finden Erben sie wieder? Eine Spurensuche.

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Anwalt Moritz Hummel geht in der Schweiz auf Schatzsuche - nach herrenlosen Konten. Quelle: Tanja Demarmels für WirtschaftsWoche, proaurum-Pressebild

Als der Schweizer Banker eine Kiste voll mit Goldbarren in den Besprechungsraum schob, war Moritz Hummel baff. Der Freiburger Anwalt hatte nicht damit gerechnet, dass der höfliche Herr des Geldes gleich 50 glänzende Barren in einer Plastikbox präsentieren würde. Jeder ein stolzes Kilo schwer. Über Jahrzehnte hatte der ursprüngliche Besitzer die Barren in einem Safe bei einem großen Schweizer Geldhaus aufbewahrt. Nur verraten hatte er seinen gesetzlichen Erben davon kein Sterbenswörtchen. Und so lag das Gold auch über zehn Jahre nach seinem Tod noch in der Schweiz.

Gehoben hat den Schatz erst Hummel. Sein Mandant hatte Jahre nach dem Tod des Millionärs erfahren, dass in der Schweiz noch was zu holen sei. Wo, war unklar. Hummel ging auf Schatzsuche, schrieb 300 Banken an. Eine war die Großbank mit den Barren im Safe. Er stieß auf eine Goldader: Devisen, Aktien, Schecks. Wert: ein zweistelliger Millionenbetrag.

Die deutschen Milliardäre in der Schweiz
Sebastian VettelRegelmäßig listet das Schweizer Wirtschaftsmagazin "Bilanz" die reichsten Eidgenossen auf. Unter den Top 300 sind in schöner Regelmäßigkeit viele Schweizer mit ausländischem Pass. Jeder fünfte der Multimillionäre hat deutsche Wurzeln. So auch der jüngste deutscher Neueinsteiger in der Schweizer „Bilanz“-Reichenliste: Der vierfache Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel (27) kommt auf ein geschätztes Vermögen von 100 bis 150 Millionen Franken. Quelle: dpa
Hans-Peter WildDen größten Schnitt hat 2013 Hans-Peter Wild (73) gemacht, der Erfinder der Capri-Sonne: Für 2,3 Milliarden Euro schluckte der US-Riese Archer Daniels Midland (ADM) den Aromahersteller Wild Flavors, an dem Wild noch mit zwei Dritteln beteiligt war. Quelle: dpa
Georg BauNach amerikanischem Vorbild errichtete Heinz Georg Baus (80) 1960 den ersten deutschen Baumarkt. Seither klingeln die Kassen und das Unternehmen expandiert mit oft riesigen Baumärkten, inzwischen auch in seiner Wahlheimat Schweiz. Oft sind die Immobilien der Bauhaus-Filialen mit bis zu 29.000 Quadratmetern im Eigentum des medienscheuen Unternehmers. In der Bilanz-Rangliste wird Baus mit einem Vermögen zwischen 3,5 und vier Milliarden Franken geführt. Quelle: Pressebild
Familie Theo MüllerTheo Müller (74) ist alleiniger Inhaber der "Unternehmensgruppe Theo Müller". Begonnen hatte alles mit einer kleinen Dorfmolkerei, die 1896 in Bayern von Ludwig Müller gegründet wurde. Zwei Generationen später übernahm Theo Müller den Betrieb und baute ihn von vier Mitarbeitern bis zum heutigen Konzern aus. Das Gesamtvermögen der Familie wird auf zwei bis drei Milliarden Schweizer Franken geschätzt. Müllers Nahrungsmittelkonzern soll jedoch noch im auslaufenden Jahr mehr als fünf Milliarden Euro Verkaufserlöse schaffen. Quelle: dpa/dpaweb
Karl-Heinz KippDer Bau-Guru und deutsche Milliardär Karl-Heinz Kipp besitzt neben diversen Schweizer Nobelhotels wie dem Carlton in St. Moritz oder dem Eden Roc in Ascona einige Wolkenkratzer in New York. Aber auch der zweitgrößte Handelskonzern Europas, die Metro Group, ist Pächter von diversen Warenhäusern aus der Immobilienlandschaft des Tycoon. Das Vermögen seiner Familie wird auf vier bis fünf Milliarden Franken taxiert. Quelle: PR
Die Wella-ErbenImmo Ströher ist der Urenkel des Friseurmeisters und Gründers von Wella Franz Ströher. Er gilt als derjenige, der gegen den Strom schwimmt, da er sich durch den Abtritt des Wella-Konzerns an Procter & Gamble, sowie seine zahlreichen Investitionen in erneuerbare Energien, komplett aus der Haarpflege-Sparte zurückgezogen hat. Das Gesamtvermögen der Wella-Erben wird auf knapp unter fünf Milliarden Franken geschätzt. Quelle: dpa/dpaweb
Familie August von FinckDie Familie, bestehend aus August Baron von Finck mit seiner Gattin Francine Baronin von Finck sowie drei Söhnen und einer Tochter verwaltet ihr Vermögen durch diverse Beteiligungen und Immobilien. Sohn Luitpold Ferdinand von Finck ist Präsident im Verwaltungsrat der Mövenpick Hotels & Resorts. Das Gesamtvermögen der Familie wird auf fünf bis sechs Milliarden Schweizer Franken geschätzt. Quelle: dpa

Hunderte solcher vergessenen Millionen, wenn nicht Milliarden Franken liegen in der Schweiz. Es ist Geld, das nach dem Zweiten Weltkrieg keiner mehr abholen konnte, genauso wie Schwarzgeld, für das der Besitzer den Erben wohlweislich keine Spur hinterlassen hat. Einen Vorgeschmack auf das Ausmaß des Phänomens gab in den Neunzigerjahren die Volcker-Kommission, benannt nach dem ehemaligen Chef der US-Zentralbank Fed, Paul Volcker. Sie sollte offene Kontoverbindungen aus der Zeit um den Zweiten Weltkrieg aufspüren, bei denen die Bank den Kontakt zum Kunden – oft vom NS-Regime ermordete Juden – verloren hatte. Volcker fand mehr als 80 000 solcher Konten – mit teils „sehr hohen Beträgen“, wie der Kommissionsbericht vermerkte. Der Bericht gab einen Einblick, in welcher Dimension in der NS-Zeit Geld der Opfer zum Teil für immer verloren ging.

Bislang durften Banken solche herrenlose Konten weiterführen. Anfang des Jahres aber ist in der Schweiz ein Gesetz in Kraft getreten, wonach Banken noch 2015 die Daten von Kunden veröffentlichen müssen, die seit 1955 oder länger keinen Kontakt mehr zu ihrem Haus hatten. Nur die Namen von Prominenten oder Politikern dürfen geheim bleiben. Die Schweizerische Bankiervereinigung geht davon aus, dass Ende des Jahres „ein paar Hundert“ bis „wenige Tausend Konten“ veröffentlicht werden. Ein Jahr haben Betroffene und Erben nach der Publikation auf einer Internetplattform des Verbandes Zeit, Guthaben einzufordern. Meldet sich keiner, geht das Geld an den Staat.

Zehn goldene Regeln für die Selbstanzeige

Die Eidgenössische Finanzverwaltung hat in den kommenden 15 Jahren 600 Millionen Franken für die Staatskasse eingeplant. Die Summe basiert auf Annahmen der Bankiervereinigung. Und die, die Mutmaßung darf erlaubt sein, schätzt konservativ. Um welche Summe es wirklich gehen könnte, lassen Zahlen des Bankenombudsmanns ahnen. Er hilft Kunden seit 2001 bei der Suche nach verschollenen Vermögen. Bis 2014 hat er 357 Konten mit 52,5 Millionen Franken vermittelt, im Schnitt 147 059 Franken pro Konto. Wären mit dieser Summe nur 30 000 Konten noch offen, würden über 4,4 Milliarden Franken in der Schweiz liegen, die niemand abgeholt ab. Ein Insider, der vor allem kleinere Häuser kennt, sagt: „Schon kleine Banken in der Schweiz haben 600 bis 1000 nachrichtenlose Konten.“ Angesichts von mehr als 300 Banken wären Hunderttausende solcher Konten realistisch; hochgerechnet müsste so ein mindestens mittlerer zweistelliger Milliardenbetrag zusammenkommen.

Von weißem zu schwarzem Geld

Die Branche stapelt lieber tief, das Thema ist politisch brisant. „Hat die Bank den Kontakt zum Kunden verloren, kann der Kunde Einkünfte nicht versteuern – die Bank verwaltet in dem Moment Schwarzgeld“, sagt Thierry Boitelle von der Schweizer Kanzlei Bonnard Lawson. Seitdem die Regierung darauf poche, dass Banken nur noch „weißes Geld“ verwalten, sei das ein Problem.

Lange waren in der Schweiz anonyme Nummern- und Pseudonymkonten üblich. Das zog viel Geld an. Doch wo viel ist, bleibt auch viel liegen. Es gibt Gründe, warum jemand die Informationen zu seinem Konto mit ins Grab nimmt: Diktatoren, die Milliarden beiseite geschafft haben, werden hingerichtet. Millionenschwere Unternehmer fürchten Probleme mit dem Finanzamt. Um wie viel Geld es mitunter geht, verdeutlicht Anwalt Boitelle: Im Schnitt waren auf nachrichtenlosen Konten, mit denen er zu tun hatte, mehr als eine Million Franken.

Das Schweigen der Banken

Frank Arretz, Anwalt von der Kanzlei Schalast & Partner, hat internationale Erbfälle aufgearbeitet. Er sagt: „In den Unterlagen stößt man oft durch Zufall auf Dokumente, die in die Schweiz führen.“ Einmal habe jemand eine Wohnung in Süddeutschland geerbt. Im Ordner für den Immobilienkredit habe er einen alten Brief von einer Schweizer Bank gefunden. Von dort kam das Eigenkapital. Arretz fragte bei der Bank in der Schweiz nach – und stieß so auf ein stattliches Vermögen. Aus Erfahrung weiß er: In der Schweiz seien pro Konto „ein paar Hunderttausend Franken“ nicht selten.

Das Interesse der Banken, nach verschollenen Kunden zu suchen, hält sich in Grenzen. Schließlich ziehen vor allem Erben das Geld meist ab. Doch Banken müssen, das ist Vorschrift, Kunden auftreiben. Sie haben daher eigene Abteilungen, die auch mit unterdrückter Nummer und unter einem Vorwand bei Nachbarn anrufen. Aufwand und Kosten für die Suche sollen sich an der Höhe der Vermögenswerte ausrichten. Wer viel hat, wird gründlicher gesucht. Banken beauftragen deswegen immer wieder Anwälte oder Erbenermittler, Kunden oder ihre Erben zu finden.

So lernte Wilhelm Matthias Hansen, Anwalt in Konstanz, das Millionengeheimnis um vergessene Konten kennen. Als Grenzstädter ist er in Deutschland und der Schweiz zugelassen. Seine Kanzlei bekommt „jede Woche fünf Anfragen“ von Schweizer Banken. Er soll überwiegend für kleinere Banken verloren gegangene Kunden auftreiben. Seine Kanzlei hat schon mehr als 100 Mandate bearbeitet. Meist seien wenige 1000 bis 100 000 Franken auf den Konten, sagt der Anwalt. Ab und an ging es auch um Vermögen im Millionenbereich. Einmal sollte er den Besitzer von Goldbarren suchen. Wert: 800 000 Euro.

Die einfachen Fälle löst Hansen durch einen Blick ins Telefonbuch. In die schwierigen jedoch muss er Hirnschmalz stecken. Ein Kunde etwa hatte seinen Wohnsitz in Andorra. In dem Kleinstaat zwischen Spanien und Frankreich gab es nur zehn Anwälte. Hansen rief alle an – einer kannte den Kunden. Ein andermal war der Bank bekannt, dass der Verschollene Apotheker gewesen sei. Also rief Hansen alle Apotheker in seiner Stadt an – einer konnte helfen.

Suche nach dem Grabstein

Hansen hat auch schon einen Privatdetektiv engagiert. Er wusste, dass der Kunde der Bank in München verstorben war. Das für das Nachlassgericht wichtige Sterbedatum aber kannte er nicht. Also sollte der Detektiv alle Friedhöfe nach dem Grab absuchen. Das Datum steht auf dem Grabstein, hoffte Hansen. Der Detektiv entdeckte das Grab auch. Zum Ziel kam Hansen dennoch nicht. „Wir sind am Ende am Datenschutz gescheitert“, sagt Hansen, „es ist völlig verrückt, wie schwierig es manchmal ist, in Deutschland an Daten und Unterlagen zu kommen.“

Für die einfache Suche kassiert Hansen pauschal 100 Euro. Muss er länger ermitteln, rechnet er nach Streitwert ab. Bei einem Vermögen von einer Million Franken wären das bis zu 10 000 Franken für den Anwalt, also ein Prozent. Kosten für die Suche nach Kunden gehen – selbstredend – vom Vermögen des Kunden ab.

Welche Strafen Steuertricksern drohen

Besonders teuer sind Erbenermittler. So sucht die Hoerner Bank aus Heilbronn im Auftrag von Banken nach verschollenen Kunden. Man einige sich mit Erben auf ein Honorar, heißt es auf der Internetseite der Bank. Das liege – je nach Schwierigkeitsgrad der Suche – in deutschen Nachlassfällen bei 20 bis 25 Prozent und in ausländischen bei 33 Prozent der Erbschaft. Zuzüglich Mehrwertsteuer, versteht sich. Schließlich nähme die Bank „das Risiko einer jahrelangen Bearbeitung“ auf sich, erklärt Thomas Meyer, der die internationale Erbenermittlung leitet. Bei einer Erbschaft von einer Million Franken, rechnet er vor, zwacke Hoerner 20 Prozent oder 200 000 Franken ab. „Die Kosten hängen auch von der Höhe des Nachlasses ab“, sagt er. Findet sein Team niemanden, geht die Bank leer aus.

Spezialisierte Erbsucher

In der Praxis fühlen sich viele von Erbenermittlern unter Druck gesetzt. So ist es üblich, dass die zunächst einen Brief schicken – ohne zu verraten, wo Geld liegt. So wie die Schweizer Sogeni, ein auf Erbensuche spezialisiertes Unternehmen. Nachforschungen hätten ergeben, steht da, dass der Empfänger des Briefes der Begünstigte eines Nachlasses sei. Der Anspruch stamme aus einem Guthaben, das im Rahmen einer seit Jahren abgeschlossenen Erbschaft unberücksichtigt geblieben sei. Sogeni brauche noch Dokumente, der Erbe solle zudem das Honorar anerkennen. Die Bank, die das Guthaben verwalte, sollte es auszahlen. So wollte Sogeni von allen Erben zusammen ein Millionenhonorar abgreifen. Beauftragt hatte sie eine Schweizer Bank. Sogeni wollte nicht mit der Redaktion sprechen.

Diese Prominenten haben ein Konto in der Schweiz
Logo der Schweizer HSBC-Bank Quelle: REUTERS
Unter den Kunden der Schweizer HSBC-Tochter befindet sich laut den Recherchen auch Gennadi Timtschenko. Er ist ein russisch-finnischer Oligarch im Ölhandel und ein Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Timtschenko wohnt in Genf. Sein Vermögen soll sich auf rund 14 Milliarden US-Dollar belaufen und er steht laut „Süddeutscher Zeitung“ auf der US-Sanktionsliste. Quelle: Handelsblatt Online
Der italienische Sport- und Industriemanager wurde bekannt als Teamchef des Formel-1-Rennstalls von Renault. Mehr als 73 Millionen Dollar soll Briatore bei der HSBC geparkt haben. In den enthüllten Dokumenten taucht sein Name im Zusammenhang mit neun Kundenkonten auf. Unter anderem gehöre ihm ein Nummernkonto, das 2005 geschlossen wurde, heißt es in den Berichten. Bei mindestens sechs Konten sei er als Inhaber aufgeführt – damit steht er in Verbindung mit 38 Bankkonten. Quelle: dpa
Der Banker war Inhaber der griechischen Proton Bank. Lavrentis Lavrentiadis (rechts) saß bereits in Haft wegen Verdachts auf Mord und Geldwäsche. Sein Name steht in Zusammenhang mit sieben HSBC-Kundenkonten, davon zwei Nummernkonten. Quelle: Handelsblatt Online
Der US-amerikanischer Schauspieler Christian Slater hat bereits an der Seite von Tom Cruise und Brad Pitt gearbeitet. 1996 ist er mit Jon Travolta im Action-Film „Broken Arrow“ zu sehen. Er ist vorbestraft wegen Körperverletzung und Alkohol am Steuer. Der Schauspieler wird in Verbindung gebracht mit einem HSBC-Konto namens „Captain Kirk”. Es wurde 1996 eröffnet und bereits ein Jahr später wieder geschlossen. Die enthüllten Dokumente geben allerdings keinen Aufschluss über Slaters genaue Rolle in Verbindung mit dem Konto. Quelle: Handelsblatt Online
Der spanische Formel-1-Pilot Fernando Alonso ist seit 2002 Kunde der HSBC. Er hat vier Jahre in der Schweiz gelebt. Seiner Kundendatei lassen sich vier Bankkonten zuordnen, die in den Jahren 2006 und 2007 insgesamt 42,3 Millionen Dollar Wert waren. Sein Manager erklärt, dass Alonso in mehreren Ländern steuerlich registriert sei – aber überall immer korrekte Angaben mache. Auch Kollege Heikki Kovalainen zählt zu den Kunden der HSBC. Quelle: REUTERS
Li Xiaolin ist eine chinesische Geschäftsfrau und Vorsitzende der China Power Investment Corporation. Die Multimillionärin ist die Tochter des chinesischen Ex-Premiers Li Peng und ist seit 2001 Kundin bei der Schweizer HSBC-Tochter. Mit ihrem Mann unterhielt sie 2006/2007 fünf Bankkonten mit einem Wert von insgesamt 2,48 Millionen Dollar. Die Konten liefen unter dem Namen der „Metralco Overseas S.A.“, einer in Panama registrierten Firma. Die Firma wurde 2012 aufgelöst. Quelle: Handelsblatt Online

Will ein Erbe das Honorar nicht zahlen, machen Erbenermittler auch mal Druck. So warnte ein Institut vor drohender Steuerhinterziehung, wenn der Erbe die Provisionsvereinbarung nicht bald unterzeichne. Erst dann könne er beweisen, dass er keine Kenntnis von dem Geld hatte. Ständig kamen Briefe, Anrufe, Warnungen. Psychokrieg um das Geld des Toten.

Die Banken und der Zweite Weltkrieg

Das Phänomen besitzerloser Konten beschäftigt Schweizer Banken schon seit Jahren: Hunderte Menschen, darunter viele Juden, haben zur Zeit des Dritten Reiches ihr Vermögen in die sichere Schweiz gebracht. Das in Franken getauschte Fluchtgeld wurde nie durch eine Währungsreform entwertet. Die Schweiz hat den Franken bis heute, die Reichsmark hingegen ist längst perdu. Nach dem Krieg entbrannte eine heftige Debatte darüber, wie Banken mit dem Geld umgehen sollten. Viele Kunden würden ihr Geld schließlich nie wieder abholen. Erben wussten oft gar nichts von den Konten ihrer Vorfahren und wenn, fehlten ihnen nach dem Krieg meist die nötigen Dokumente, um ihren Anspruch zu belegen.

Mehrfach „untersuchten“ die Banken unter der „Aufsicht“ der Bankiervereinigung, wie viel Geld von Opfern sie noch verwalten. Ausfindig machten sie anfangs weniger als eine Million Franken. 1962 verlangte die Regierung von Finanzinstitutionen, Vermögen von Ausländern offenzulegen, die Opfer von Verfolgung gewesen sein könnten. Die Institute förderten 739 Konten mit 6,2 Millionen Franken zutage. Angesichts der spärlichen Ausbeute riss die Kritik an den Banken nicht ab. 33 Jahre später, 1995, leitete der Bankverband eine nicht auf Konten von Opfern beschränkte Untersuchung ein. Banken fanden 775 Konten ausländischer Inhaber mit 38,7 Millionen Franken.

Großer Aufwand der Volcker-Kommission

Das konnte nicht alles sein, die Stimmung schaukelte sich hoch. Der Jüdische Weltkongress forderte eine unabhängige Untersuchung zum Schicksal der Konten von Holocaust-Opfern. 1996 einigte man sich auf die besagte Volcker-Kommission. Sie sollte auch untersuchen, wie Banken mit dem Geld umgegangen sind. Häufig hatte man ihnen vorgeworfen, es nicht sorgsam verwaltet zu haben.

Der Aufwand war immens: 650 forensische Revisoren arbeiteten am Projekt. Jahrelang prüfte das Komitee alle verfügbaren Unterlagen der 254 im Jahr 1945 existenten Banken – 82 Prozent des damaligen Banksystems. Doch: Einige, darunter Kantonalbanken, beschränkten oder verweigerten den Zugang zu Akten. Hatten sie was zu verbergen?

Schweizer Bankkonten Vermittlung

Aufgespürt wurden 4,1 Millionen Kontoverbindungen. Darin fanden Banken über 80 000 nachrichtenlose Konten, die im Zweiten Weltkrieg eröffnet und bis dato offen waren – darunter 5570 Konten von Ausländern. Dort waren noch 74 Millionen Franken geparkt. Den Großteil davon zahlte ein Schiedsgericht der Volcker-Kommission an Erben aus.

Nazigelder

Durchleuchtet wurde bei der Gelegenheit auch, ob sich durch Nazis geraubtes Geld auf einzelnen Konten befindet. Namenslisten wurden abgeglichen: War der Kontoinhaber eine Nazigröße oder mit dem Regime verbunden? 140 Konten wurden so markiert.

In einem Fall fanden Mitarbeiter etwa Geld eines „namhaften Händlers von Nazibeutekunst“, der mit gestohlenen Bildern gehehlt hatte. Sie waren laut Abschlussbericht des Schiedsgerichtes „Millionen von Dollar“ wert gewesen. Das Konto war während des Kriegs eröffnet worden. Bankdokumente zeigten, dass damals „signifikante Summen“ geparkt waren. Zu spät: Bis auf 2000 Franken war alles geräumt.

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Auf einem anderen Konto lag Geld eines Hitler-Unterstützers. Er sei für die Deportation von 107 000 Juden verantwortlich gewesen. Sein Konto bestand seit 1928. Doch seine Bank konnte keine Unterlagen präsentieren, die Licht in die Transaktionen zwischen 1933 und 1945 gebracht hätten. Das Gericht konnte nicht beweisen, dass das Geld geraubt worden ist – und zahlte das Guthaben an Erben aus. Die geringe Naziausbeute ist auch auf eins zurückzuführen: „Ich glaube nicht, dass eine Naziprominenz ein Konto in der Schweiz unter dem eigenen Namen eröffnet hätte – ich wundere mich deswegen nicht, dass wir keine prominente Kontoverbindung enthüllt haben“, sagt Hans Michael Riemer, der Präsident des Schiedsgerichtes der Volcker-Kommission war.

Hinzu kommt: Für 2,8 Millionen weitere Konten, die eröffnet worden waren, gab es keine Unterlagen mehr. Unter den 1945 bestehenden Banken hatte es bis zu der Untersuchung über 100 Zusammenschlüsse gegeben. Bei Übernahmen wurden Akten oft vernichtet.

Die Zeit drängt

Schweizer Banken müssen Unterlagen zwar nur zehn Jahre aufbewahren. Doch Akten zu kontaktlosen Konten sollen länger in der Bank bleiben. Von keiner Schweizer Bank ist bekannt, dass sie dieses Gesetz offen bricht. Allerdings erschweren sie derzeit das Auffinden betroffener Kunden. Mehrere Banken seien dazu übergegangen, erzählt ein Insider, elektronisch erfasste Akten zu solchen Konten auszudrucken. Anschließend würden die Akten auf dem Computer gelöscht. So aber kann man sie nicht mehr per Klick durchsuchen. Geld und Kunde wieder zusammenzubringen wird schwieriger.

Viel Geld ist bereits verschwunden: Zum einen haben sich schamlose Banker bedient. Die Bergier-Kommission, die mit Historikern bestückt war und eine weitere umfangreiche Untersuchung angestellt hat, hat dazu in Akten der Groß-, Kantonal- und Privatbanken Beweise gefunden. Ein verschollener Kunde kann sich halt nicht wehren.

Zum anderen wurden Hunderte Konten geschlossen, Banken behielten das Geld einfach. Die Kommission schreibt dazu im Buch „Nachrichtenlose Vermögen bei Schweizer Banken“, dass es in den Dreißiger- und Vierzigerjahren weder Gesetze noch interne Richtlinien gab, wie mit solchen Vermögen umzugehen sei. Folge: „Die Kündigung von Sparheften mit anschließender Verjährung der Rückzahlungspflicht war (...) zulässig und unproblematisch.“ Fehlte der Kontakt zu Kunden, wurden Konten über die Zeitung gekündigt. Publizierte Guthaben verjährten nach zehn Jahren.

Manch eine Bank will aufräumen und sich von nachrichtenlosen – schwarz verwalteten – Kunden trennen. Ralph Wyss, Partner bei Deloitte Forensic Services in der Schweiz, beobachtet derzeit, dass mehrere Investoren versuchen, nachrichtenlose Kundenbestände zu kaufen, um sie zu verwalten. Das ist attraktiv. Alte Verträge gelten weiter, oft sind hohe Gebühren für die Kontoführung vereinbart. Hat der Kunde erlaubt, das Depot aktiv zu verwalten, können Banker Aktien handeln und Gebühren für ihre Bank generieren. „Ein Kunde, der nie wieder anruft, ist mit der Dienstleistung immer zufrieden“, resümiert Wyss.

An einer gigantischen Geldsammelstelle geht das neue Gesetz allerdings vorbei: Versicherer. Im Schnitt holen jedes Jahr mehr als 400 Kunden über zwei Millionen Franken nicht ab. Der Anspruch auf das Geld verjährt für Lebensversicherte nach nur zwei Jahren. Ihr Vermögen fließt dann in einen Fonds – und wird auch an die restlichen Versicherten verteilt.

Anwälte wie Hummel aus Freiburg können also noch auf viele Goldadern stoßen.

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