Nach jahrelangen Verzögerungen hat der Strafprozess gegen die deutsche Symbolfigur der internationalen Finanzkrise begonnen: Georg Funke, früherer Vorstandschef der Immobilienbank Hypo Real Estate (HRE), steht seit Montag vor dem Landgericht München I. Die Staatsanwaltschaft warf Funke und dem mitangeklagten früheren HRE-Finanzchef Markus Fell zum Prozessauftakt vor, die Krise der Bankengruppe im Geschäftsbericht 2007 und im ersten Halbjahr 2008 verschleiert und geschönt zu haben – „eine unvertretbar und evident falsche Darstellung der Liquiditätslage der HRE“, wie es hieß.
Für Deutschlands Steuerzahler war die HRE der teuerste Schadenfall der Krise. Die Bankengruppe wurde mit direkten Kapitalspritzen des Bundes in Höhe von knapp zehn Milliarden Euro plus Staatsbürgschaften über weitere 124 Milliarden vor dem Kollaps gerettet. Eine Insolvenz der „systemrelevanten“ Bank hätte nach damaliger Einschätzung im Dominoeffekt weitere große Bankpleiten nach sich gezogen.
Funke macht seinerseits den damaligen SPD-Finanzminister Peer Steinbrück und die Umstände verantwortlich. Im September 2009 hatte der Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers zur Folge, dass die wechselseitige Kreditvergabe der Banken quasi über Nacht zum Erliegen kam – der HRE ging das Geld aus. „Das war die eigentliche Ursache“, sagte Funkes Verteidiger Wolfgang Kreuzer vor Beginn der Verhandlung. „Ganz entscheidend war am Ende Herr Steinbrück mit der sehr unbedachten Bemerkung, die Bank müsse abgewickelt werden.“
Deutsche Banken im Strudel der Finanzkrise
Die Landesbank hatte sich im Zuge der US-Hypothekenkrise verspekuliert und musste mit Notkrediten von zehn Milliarden Euro gestützt werden. Die EU-Kommission verordnete eine radikale Schrumpfkur mit Halbierung der Bilanzsumme. Für das vergangene Jahr konnte die BayernLB wieder einen Nettogewinn von 545 Millionen Euro vermelden – zehn Prozent mehr als im Vorjahr.
Die zweitgrößte deutsche Privatbank geriet nach der riskanten Übernahme der Dresdner Bank mitten in der Finanzkrise in Turbulenzen. Der Staat sprang ein. Die direkten Staatshilfen haben die Frankfurter vor einigen Jahren zurückgezahlt. Der Bund ist mit rund 15 Prozent aber weiterhin größter Einzelaktionär der Commerzbank.
Der Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate war im Jahr 2008 fast kollabiert und musste mit staatlichen Milliardenhilfen aufgefangen werden, um den Finanzplatz Deutschland nicht zu gefährden. Ein Jahr später wurde die Bank notverstaatlicht. Die Altlasten wurden 2010 in eine Abwicklungsanstalt ausgelagert, die weiter im Staatsbesitz ist. Die profitable Kernbank Deutsche Pfandbriefbank kam 2015 an die Börse, doch blieb der Bund Großaktionär.
Die Landesbank geriet 2008 in den Strudel der Finanzkrise und musste von den Ländern Hamburg und Schleswig-Holstein gerettet werden. Im Gegenzug für die Genehmigung milliardenschwerer Ländergarantien setzte die EU-Kommission den Verkauf des Instituts bis 2018 durch.
Die IKB Deutsche Industriebank war eines der ersten Opfer der Krise. Sie verspekulierte sich mit US-Hypotheken und wurde 2007 von der staatlichen Förderbank KfW, dem Bund und anderen Banken mit Milliarden gerettet. 2008 übernahm der US-Finanzinvestor Lone Star die Mehrheit an der IKB.
Die Eigner – das Land Baden-Württemberg, die Sparkassen im Südwesten und die Stadt Stuttgart – stützten das Institut 2009 mit einer milliardenschweren Kapitalspritze und Bürgschaften. Als Auflage für die Hilfen verordnete die EU der Bank eine Schrumpfkur und einen strengen Sparkurs. Inzwischen ist das Institut wieder auf Kurs.
Das Institut stand im Sommer 2007 wegen fragwürdiger Kreditgeschäfte in Milliardenhöhe am Rand des Abgrunds. Die Bank wurde an die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) notverkauft.
Die einst größte deutsche Landesbank ist mittlerweile Geschichte. Das Institut war durch Fehlspekulationen tief in die roten Zahlen gerutscht und musste von ihren Eigentümern – dem Land NRW und den Sparkassen – mit Milliarden gestützt werden. Im Gegenzug verlangten die EU-Wettbewerbshüter eine Zerschlagung. Mitte 2012 wurde der Düsseldorfer Konzern aufgespalten. Das Sparkassengeschäft übernahm die Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba).
Der Verteidiger will für einen Freispruch kämpfen, mögliche Höchststrafe für seinen Mandanten sind drei Jahre Gefängnis. Ex-Finanzchef Fell steht zudem wegen mutmaßlicher Marktmanipulation vor Gericht. Der Prozess wird voraussichtlich mindestens ein halbes Jahr dauern, es wurden bereits Prozesstage bis in den Herbst terminiert. Die Ermittlungen hatten ein halbes Jahrzehnt gedauert, die Zulassung der Anklage weitere zweieinhalb Jahre.
Ex-Finanzminister Steinbrück ist nicht als Zeuge geladen. Denn ob die Abwicklung der HRE vermeidbar war, ist gar nicht Thema des Prozesses. In der Anklage geht es nur darum, ob Funke und Fell durch falsche Darstellung die Adressaten ihrer Geschäftsberichte täuschten.
Laut Staatsanwaltschaft war dem Bankvorstand die bedrohliche Lage früh klar. Demnach forderte die mit der Prüfung des Jahresabschlusses 2007 beauftragte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG im März 2008 einen „Liquiditäts-Katastrophenplan“. Im wenig später veröffentlichten Geschäftsbericht stellten Funke und Kollegen die Lage jedoch als „stabil“ dar.
Hintergründe zur HRE-Pleite
In der globalen Finanzkrise 2008/2009 war die Hypo Real Estate (HRE) der größte deutsche Schadenfall. Mit Hilfe einer dreistelligen Milliardenbürgschaft und der Notverstaatlichung im Jahr 2009 verhinderte der Bund einen Kollaps der Immobilienbank. Die HRE war als „systemrelevant“ eingestuft worden, ein Zusammenbruch hätte mutmaßlich einen Flächenbrand weiterer Bankpleiten nach sich gezogen.
In der Spitze haftete der Bund nach Angaben des Finanzministeriums im September 2010 mit Bürgschaften von 124 Milliarden Euro für die HRE, die nie fällig wurden. Die HRE zahlte dafür bis 2014 sogar 1,2 Milliarden Euro an Garantiegebühren. Doch einen Gewinn machte der Bund keineswegs. Die Bank wurde außerdem mit direkten Kapitalspritzen von 9,8 Milliarden Euro gestützt.
Wegen mangelnder Sanierbarkeit wurde die HRE schließlich zerschlagen – die eigens gegründete „Bad Bank“ FMS übernahm die faulen Wertpapiere, den überlebensfähigen Teil des Geschäfts führt die Deutsche Pfandbriefbank (pbb) weiter. Deren Großaktionär ist nach wie vor der Bund. Der pbb-Börsengang und die Rückzahlung einer stillen Einlage brachten der Staatskasse bisher 2,2 Milliarden Euro.
Die FMS aber sitzt auf einem riesigen Berg von Forderungen und Verbindlichkeiten – 183 Milliarden Euro waren es laut Finanzministerium noch im Juni 2016. Neben der FMS und der Pfandbriefbank führt auch die HRE Holding weiter ein Schattendasein als GmbH ohne operatives Geschäft. Doch laufen immer noch Rechtsstreitigkeiten mit ehemaligen Aktionären, die Schadenersatz fordern.
Ein entscheidender Faktor war eine Übernahme zum schlechtmöglichsten Zeitpunkt. Im Herbst 2007 – mehrere Monate nach den ersten Anzeichen der Finanzkrise – hatte die HRE für mehr als fünf Milliarden Euro die in Irland ansässige Pfandbriefbank Depfa gekauft. Die Depfa verlieh langfristig Geld an ihre Kunden, finanzierte dies jedoch mit kurzfristigen Krediten, die im Zuge der Krise immer schwieriger zu bekommen waren und immer teurer wurden.
2009 wurde die HRE notverstaatlicht und anschließend zerschlagen. Die dafür gegründete staatliche „Bad Bank“ FMS übernahm den schlechten Teil des Geschäfts. Die FMS sitzt immer noch auf einem Berg von Schulden und derzeit nicht einlösbaren Forderungen. Stand 30. Juni 2016 waren es laut Bundesfinanzministerium noch 183 Milliarden Euro. Die Abwicklung wird voraussichtlich noch Jahrzehnte dauern.
Funke war im Oktober 2008 in der deutschen Öffentlichkeit zum Buhmann geworden, weil er nach seinem Sturz Gehalt und Pensionsnachzahlungen in Millionenhöhe forderte. Der Ex-Banker ließ sich dann als Immobilienmakler auf Mallorca nieder, ist inzwischen jedoch nach Deutschland zurückgekehrt und wohnt in einem Münchner Vorort. Sechs weitere ehemalige HRE-Manager sind gegen die Zahlung von Geldauflagen bereits vergleichsweise glimpflich davongekommen.