WirtschaftsWoche Online: Herr Brooks, vor einem Jahr haben Sie den Absturz des Euro auf einen Dollar prognostiziert. Das ist bisher nicht passiert.
Herr Robin Brooks: Es ist immer schwierig, Wechselkurse auf den Monat genau zu prognostizieren. Klar ist: Der Trend des Euro geht seit gut einem Jahr nach unten. Unsere Langfristprognose sieht den Euro gar bei 90 US-Cent.
Das wären mehr als 20 Cent weniger als heute.
Der Euro ist stärker, als wir erwarten haben. Der Grund ist einfach: Die EZB hat die Märkte enttäuscht.
Enttäuscht? Die EZB hat den Leitzins auf null gesenkt, negative Einlagenzinsen eingeführt und kauft monatlich Anleihen für 80 Milliarden Euro.
In Europa liegt die Kerninflation bei 0,8 Prozent. Das ist weit entfernt von den zwei Prozent, die von der EZB angestrebt werden. Und das, obwohl der Euro bereits stark abgewertet hat. Anfang 2014 stand der Euro bei rund 1,40 Dollar. Kurzum: Das eigentliche Momentum der Inflation ist sehr schwach. Und die Inflation bekommt man nicht angeheizt, indem man den Zins um 0,1 Prozentpunkte senkt.
Zur Person
Robin Brooks ist seit Mai 2010 Chef-Devisenstratege bei der Investmentbank Goldman Sachs in New York. Zuvor arbeitete er unter anderem für den Internationalen Währungsfonds in Washington.
Was schlagen Sie vor?
Wenn der Euro auf dem derzeitigen Niveau verharrt, ist die Inflationsvorhersage der EZB komplett unrealistisch. Für die angestrebte Inflation bräuchte Europa eine schwächere Währung. Die gibt es nur, wenn massiv Anleihen aufgekauft werden. Wir gehen davon aus, dass die EZB das machen wird; sie wird am Ende nachladen müssen.
Kommt Mitte Juni die nächste Zinsanhebung der Fed?
Die Aussagen sind widersprüchlich. Das ist aber verständlich. Die Fed steckt in der Zwickmühle. Wenn sie einen klaren Kurs kommuniziert, sich stets optimistisch äußert und von mehreren Zinserhöhungen spricht, dann kann es sein, dass der Markt den Dollar hochdrückt auf ein Niveau, das nicht gewollt ist. Die Fed müsste dann bremsen. Ob im Juni oder später: Wir gehen von einer Normalisierung des Zinsniveaus aus.
Das heißt?
Der Leitzins wird bis zum dritten Quartal 2019 von aktuell 0,4 auf 3,4 Prozent hochgehen. Ein Leitzinsanstieg um drei Prozentpunkte würde bedeuten, dass der Dollar um etwa 15 Prozent aufwerten sollte.
Auch mit einem US-Präsidenten Donald Trump?
Es ist schwer abzuschätzen, welche Auswirkungen die Wahlen auf den Dollar haben. Das müssen wir abwarten. Einen Absturz des Dollar nach der Wahl am 8. November halte ich aber für unrealistisch.
Realistisch aber ist: Ein Präsident Trump könnte die Fed-Spitze umbauen.
Die Amtszeit von Fed-Chefin Janet Yellen endet im Februar 2018. Und da sind die Aussagen relativ klar. Die Republikaner würden wohl die Position mit einem Kandidaten besetzen, der die Geldpolitik weiter strafft und kein Problem mit hohen Leitzinsen hätte.
"Die Angst vor einem Währungskrieg ist übertrieben."
Halten die USA still, wenn Europäer und Japaner ihre Währungen massiv abwerten?
Die Angst vor einem Währungskrieg ist übertrieben. Der Dollar hat seit anderthalb Jahren um mehr als 20 Prozent zugelegt, aber der US-Wirtschaft geht es trotzdem gut. Das Wachstum im zweiten Quartal liegt bei knapp drei Prozent, die Arbeitslosenquote unter fünf Prozent. Die Inflation bewegt sich bis Jahresende in Richtung zwei Prozent. Kurzum: Die US-Wirtschaft ist fit und wird auch eine weitere Dollar-Aufwertung verkraften. Als Währungsstratege würde ich auch die Bank of Japan ermutigen, ähnlich wie die EZB nachzuladen.
Sie rufen nach Helikoptergeld – obwohl die exzessive Geldpolitik in Japan nicht funktioniert.
Einspruch! Die Einschätzung, dass die Geldpolitik in Japan nicht funktioniert, ist Quatsch. Sie funktioniert absolut. Die Kerninflation ist von minus 0,5 Prozent 2012 inzwischen auf plus 1,0 Prozent gestiegen. Das ist in einer Zeit passiert, in der der Ölpreis stark gefallen ist und die Inflation gebremst hat.
Geldpolitik der EZB: Belastungen durch Niedrigzinsen
In Deutschland beliebte Sparformen wie Tages- und Festgeld werfen kaum noch etwas ab. Die niedrige Inflation gleiche die negativen Effekte der niedrigen Zinsen allerdings aus, betont EZB-Präsident Mario Draghi. Derzeit liege die Verzinsung minus Inflation höher als im Durchschnitt der 1990er Jahre. „Zu der Zeit hatten Sie höhere Zinsen auf dem Sparbuch, aber zugleich meist Inflation, die weit darüber lag und alles auffraß“, sagte Draghi jüngst in einem Interview. Im Mai lagen die Verbraucherpreise in Deutschland nach vorläufigen Berechnungen gerade einmal um 0,1 Prozent über dem Vorjahresniveau.
Stand: 07.06.2016
Finanzinstitute müssen Strafzinsen zahlen, wenn sie Geld bei der EZB parken. Für den durchschnittlichen Privatkunden sind Strafzinsen bislang kein Thema. Man werde „alles tun, um die privaten Sparer vor Negativzinsen zu schützen - in Teilen auch zu Lasten der eigenen Ertragslage“, sagte jüngst der Chef des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Georg Fahrenschon. Wenn die aktuelle Niedrigzinsphase aber lange andauere, würden die Sparkassen die Kunden letztlich nicht davor bewahren können. Zudem könnten Geldhäuser nach Angaben des Präsidenten des Bundesverbandes der deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), Uwe Fröhlich, gezwungen sein, an der Gebührenschraube zu drehen: „Jeder muss in seiner Bank überlegen, wie er über Konditionen-Gestaltung gegen die Ertragsverluste anarbeitet, die ohne Zweifel da sind.“
Lebensversicherern fällt es immer schwerer, die hohen Zusagen der Vergangenheit zu erwirtschaften. Die Folge: Die Verzinsung des Altersvorsorge-Klassikers sinkt seit geraumer Zeit. Auch Betriebsrenten leiden, Firmen müssen wegen der Zinsschmelze immer mehr Geld für die Pensionsverbindlichkeiten zurücklegen. Viele Unternehmen versprechen bei Neueinstellungen daher keine konkreten Leistungen mehr, sondern sagen lediglich zu, einen bestimmten Betrag pro Monat in Vorsorgekassen einzuzahlen. Das Zinsrisiko tragen die künftigen Pensionäre.
Jüngst wertete der Yen auf zeitweise 106 Yen pro Dollar auf.
Inzwischen sind wir wieder bei 109 bis 110 Yen pro Dollar. Das sind normale Bewegungen, aber keine Trendwende. Vor allem sind diese Bewegungen kein Grund, an der Geldpolitik zu zweifeln. Gerade jetzt ist die Bank of Japan gefragt.
Nicht nachladen, sondern die Gemüter beruhigen muss die chinesische Führung. Fürchten Sie, dass China die Finanzmärkte erneut nach unten reißt?
Die Situation in China ist kompliziert. Der Markt ist Anfang des Jahres davon ausgegangen, dass sehr große Kapitalabflüsse stattfinden. Es wurde befürchtet, dass die Währungsreserven auf null zugehen und dass der Renminbi stark abwerten wird – wie in einer klassischen Währungskrise in einem Entwicklungsland. Diese Hypothese war falsch. Die Kapitalabflüsse sind das Ergebnis einer Panik in China gewesen. Ich war vor Kurzem dort, habe gelernt, dass sich die Leute dort in Finanzfragen über zwei Sachen unterhalten: über die Börse Shanghai und über den offiziellen Wechselkurs, der von der Regierung festgelegt wird. Wenn der Renminbi abgewertet wird, bekommt ein Großteil der Bürger Angst und tauscht sein Geld in Dollar.
Geldpolitik der EZB: Entlastungen durch Niedrigzinsen
Verbraucher sparen bei Darlehen, ob für den neuen Fernseher oder für die eigenen vier Wände. Hausbauer können sich zu historisch günstigen Konditionen Geld leihen. Nach Angaben des Bankenverbandes BdB sind Hypothekendarlehen mit zehn Jahren Zinsbindung derzeit zu Effektivzinsen von durchschnittlich etwa 1,4 Prozent zu haben. 2007 lagen sie noch bei mehr als fünf Prozent.
Billiger ist es auch geworden, das eigene Konto zu überziehen. Vor fünf Jahren lagen die Dispozinsen nach Angaben der Finanzberatung FMH im Schnitt noch bei 11,26 Prozent. Mittlerweile sind es demnach durchschnittlich 9,51 Prozent.
Seit Jahren ist günstiges Notenbankgeld der zentrale Treibstoff für die Börsen. Aktionäre können von steigenden Kursen profitieren. Zuletzt wagten sich die eher börsenscheuen Deutschen wieder stärker an den Aktienmarkt. Knapp 9,01 Millionen Menschen besaßen nach Angaben des Deutschen Aktieninstituts im vergangenen Jahr Aktien und/oder Anteile an Aktienfonds - das ist der höchste Stand seit 2012.
Mit der Ausgabe von Anleihen finanziert die öffentliche Hand - neben Steuereinkünften - einen Großteil ihrer Ausgaben. Am Montag fiel die sogenannte Umlaufrendite, die ein durchschnittliches Maß für die „Verzinsung“ von Staatspapieren mit einer Laufzeit von drei bis 30 Jahren ist, in Deutschland erstmals seit der Gründung der Bundesrepublik in den negativen Bereich. Der Bund „verdient“ in einer solchen Situation somit an seiner eigenen Schuldenaufnahme, anstatt den Gläubigern - den Käufern der Anleihen - einen Zins zu zahlen.
Stand: 7. Juni 2016
Also muss die Regierung diese Zweifel beseitigen?
Richtig. In Zeiten, in denen der Wechselkurs wenig schwankt, gehen die Kapitalabflüsse in Richtung null. Somit ist es für die Regierung einfach, das Volumen der Abflüsse zu regeln. Sie müssen nur den Wechselkurs stabil halten. Der Renminbi wird vielleicht moderat abwerten, aber sicher nicht um 15 bis 20 Prozent, wie einige Ökonomen prognostizieren.
Welche Währung neben dem Dollar wird aufwerten?
Das Pfund ist unterbewertet. Sollten die Briten für einen Verbleib in der Europäischen Union stimmen, dann dürfte das Pfund um etwa zehn Prozent gegen Euro und Dollar zulegen.