Georg Fahrenschon ist ein nimmermüder Kämpfer für die gute Sache. Der Präsident des Sparkassenverbands preist seine Institute als „Schutzschild der Sparer“, gar als „Stabilitätsanker“ für die Republik. Mit aller Kraft verteidigt er sie gegen angeblich böse Mächte. Gegen die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) etwa und gegen Aufseher, die einfach nicht kapieren wollen, dass Anlegergeld nirgendwo sicherer ist als bei den Sparkassen.
So malt sich Fahrenschon die Welt. Mit der Realität aber hat das nur begrenzt zu tun. Tatsächlich steht er einer höchst fragilen Gruppe vor, die auf Krisenfälle schlecht vorbereitet ist. Die drohen dank ihrer engen Verbindung zu den Landesbanken. Wenn eine von ihnen ausfällt, gefährdet das die Stabilität der gesamten Gruppe.
Das zeigen interne Dokumente der Bankenaufsicht, in die die WirtschaftsWoche Einblick hatte. Aussagekräftig ist dabei vor allem der Abwicklungsplan für die HSH Nordbank. In diesem skizzieren die Aufseher bis ins Detail, wie bei einer Schieflage mit der HSH Nordbank umzugehen ist, welche Funktionen erhaltenswert und welche verzichtbar sind, wer für Verluste einspringen muss. Auf jeder der gut 300 Seiten findet sich der Hinweis „Streng vertraulich“.
Für die Sparkassen sind die Erkenntnisse unerfreulich. Bei einem Ausfall der HSH sei „mit unmittelbaren und breiten Auswirkungen für Sparkassen in allen deutschen Verbänden und deren Kunden zu rechnen“, heißt es in dem Plan.
Das ist alles andere als ein theoretisches Szenario. Kein anderes deutsches Institut manövriert seit Jahren so nah am Abgrund. Während sich andere Banken nach 2008 von der Finanzkrise erholt haben, steckt die HSH in einer Dauerkrise. Sie hat vor allem Schiffe finanziert, das Geschäft der Reeder läuft unverändert schlecht, viele können ihre Kredite nicht mehr bedienen. Die maroden Darlehen hängen an der HSH wie ein tonnenschwerer Anker.
Um die Bank vor dem Untergang zu bewahren, haben die Eigentümer Hamburg und Schleswig-Holstein 2013 eine bestehende Garantie für Verluste auf bis zu zehn Milliarden Euro aufgestockt. Das rief die Wettbewerbshüter der EU-Kommission auf den Plan, die Staatshilfen genehmigen müssen.
Das fiel ihnen schwerer als bisher bekannt. Vor allem die EZB als oberste europäische Aufsicht hatte erhebliche Zweifel an der Zukunftsfähigkeit der HSH. Unter dem von einer Nordseeinsel abgeleiteten Codenamen Mellum spielten deutsche Aufseher im Herbst 2015 deshalb die Abwicklung der Bank durch. Sie telefonierten täglich miteinander, bereiteten Sicherungsschritte und die Ausgabe einer staatlich garantierten Anleihe konkret vor.
Letztlich blieben die Pläne aber in der Schublade. Die EU-Kommission zeigte sich gnädig und winkte die Rettung durch. Damit ist das Ende der HSH nur aufgeschoben. Die Eigentümer haben nun bis Februar 2018 Zeit, um die Bank zu verkaufen. Gelingt das nicht, wird die HSH abgewickelt.
Abwicklung trifft Sparkassenkunden
Für die Sparkassen und ihre Kunden wäre das ein dramatisches Szenario. Zwar sind nur die Institute in Schleswig-Holstein über ihren Verband mit fünf Prozent direkt an der HSH beteiligt. Doch Sparkassen aus ganz Deutschland haben Einlagen bei der Landesbank deponiert und ihre Anleihen gekauft. Ein Ausfall der HSH, so die Aufseher, würde zwar nicht die Stabilität des Finanzsystems gefährden. Jedoch seien „gerade auch Sparkassen in Süd- und Ostdeutschland durch Verlust ihrer Einlagen oder Verlust des Vertrauens ihrer Kunden stark betroffen“. Zumindest in Einzelfällen sei das Engagement der Sparkassen als „stark einzuschätzen“, heißt es in der Analyse.
Erhebliche Verluste wären die Folge. Und neben professionellen Anlegern wären auch einige Privatkunden betroffen. Denn die Sparkassen haben die Anleihen von Landesbanken auch an sie verkauft. „Sollten diese ausfallen, wäre das für die Sparkassen dramatisch, weil sie die Anleihen als absolut sichere Produkte angepriesen haben“, sagt ein langjähriger Sparkassenvorstand.
Sollte ein Verkauf der HSH scheitern und es zur Abwicklung kommen, ließen sich diese Verluste kaum verhindern. Denn das geltende Gesetz sieht vor, dass bei der Schieflage einer Bank zuerst deren Gläubiger einspringen müssen, bevor sich der Staat als Retter beteiligt. Bei der HSH könnten so Verluste bis zu elf Milliarden Euro „absorbiert werden“, haben die Aufseher ausgerechnet.
Das Abwicklungsgesetz greift jedoch erst, wenn alle alternativen Rettungswege gescheitert sind. Für die Sparkassen ist das brandgefährlich. Denn die HSH ist ein Mitglied ihres Haftungsverbunds, der deshalb zunächst in Anspruch genommen werden müsste. Als Erstes müsste der eigens für Notfälle eingerichtete Sicherungsfonds der Landesbanken herhalten. In dem lagen Ende 2016 nur rund 960 Millionen Euro.
Das dürfte zu wenig sein, um die HSH zu stabilisieren. Deshalb müsste im nächsten Schritt geprüft werden, wie die Sicherungssysteme der Sparkassen selbst herangezogen werden. Details sind offenbar unklar. „Ein konkreter Handlungsplan lag nicht vor“, heißt es in einem Vermerk der Aufseher aus dem Herbst 2015. Ein Sprecher des Sparkassenverbands sagt dazu, dass bei der HSH „kein Haftungsfall vorliege“.
Offenbar hegen die Aufseher zumindest Zweifel daran, dass das Engagement der Sparkassen für die HSH ausreichen würde. „Die Leistungsfähigkeit des Institutssicherungssystems der S-Finanzgruppe“, so heißt es in einem weiteren Vermerk aus dem Herbst 2015, könne „nicht eindeutig beschieden werden“. Zwar habe die BaFin die Beteiligung der Sparkassen geprüft. Aber: „Eine überzeugende Lösung konnte nicht gefunden werden.“
Test der Sparkassen-Einlagensicherung
Sollte der Verkauf der HSH scheitern, würde das Szenario aus 2015 abermals akut. Die Sparkassen müssten prüfen, ob sie sich an einer Stabilisierung der HSH beteiligen können und wollen. Das brächte sie in eine Zwickmühle. Hilfe für die HSH würde teuer, ein Verzicht hätte aber mindestens ebenso gravierende Folgen. Denn: „Durch die Anwendung jeglicher Abwicklungsinstrumente würde eine Nicht-Leistungsfähigkeit der Institutssicherung der Landesbanken bzw. der Sparkassen evident“, haben die Aufseher in ihrem Plan festgehalten.
Damit stünde das Vertrauen in die gesamte Sparkassen-Gruppe auf dem Spiel. Deren Mitglieder haben sich dazu verpflichtet, bei Schieflagen füreinander einzuspringen. Sie müssen deshalb deutlich weniger in Stützungsfonds einzahlen als die privaten Banken. Die europäischen Aufseher beäugen die Regel schon lange kritisch, haben sie bisher aber nicht im Kern angetastet. Sollte die HSH fallen, dürfte der Haftungsverbund der Sparkassen am Ende sein.
Für die Landesbanken hätte dieser Befund umgehend konkrete Folgen. Denn die Mitgliedschaft im Haftungsverbund verschafft ihnen eine bessere Bonität. Die Ratingagentur Moody’s würde die HSH Nordbank sofort zwei Stufen schlechter bewerten, wenn die Unterstützung des Verbunds wegfiele.
Bevorzugung ist Geschichte
Vor allem aber dürfte ein weiteres Privileg der Gruppe endlich fallen. Bisher gelten Anleihen von Landesbanken innerhalb der öffentlich-rechtlichen Finanzgruppe als vollkommen risikolos. Das heißt: Wenn Sparkassen die Papiere kaufen, müssen sie diese nicht mit Eigenkapital unterlegen.
In ihrem Plan gehen die Aufseher davon aus, dass es mit dieser Bevorzugung vorbei wäre. Die Folgen skizzieren sie als erheblich. Sollte das Privileg fallen, würde „bei den angeschlossenen Mitgliedern des Verbunds ein erheblicher Rekapitalisierungsbedarf ausgelöst werden“, schreiben sie.
Um das zu vermeiden, muss ein Käufer für die HSH her. Seit vergangenem Montag läuft die offizielle Suche, per Zeitungsanzeige werben die Eigentümer für „eine der führenden Geschäftsbanken“ und „kompetente Partnerin“ in norddeutschen Regionen. Es soll eine ganze Reihe von Interessenten geben. Doch Insider sind skeptisch, dass diese wirklich attraktive Angebote abgeben werden.
Denn wirklich aufgeräumt hat die HSH in den vergangenen Jahren nicht. So hat sie zwar kürzlich Problemkredite in Höhe von vier Milliarden Euro in eine Abwicklungseinheit ausgelagert. Das war jedoch deutlich weniger als ursprünglich geplant: Eigentlich wollte sich die Bank von Engagements über 15 Milliarden Euro trennen. Das war den Ländern als Eigentümer zu viel. Die Problemkredite sind deshalb bei der Bank geblieben und dürften Käufer abschrecken. Beteiligte gehen davon aus, dass sich die Bank allenfalls in Teilen verkaufen lässt.
Letzte Hoffnung Nord/LB
Letztlich läuft damit alles auf eine Lösung innerhalb der öffentlich-rechtlichen Banken hinaus. Und damit auf die in Hannover ansässige Nord/LB. Trotz aller Dementis soll diese für eine Übernahme bereitstehen, sagen Sparkassenvertreter. Angesichts der sonst schlimmen Folgen für die ganze Gruppe bleibt ihr wohl auch wenig übrig.
Damit würde sich das Risiko allerdings nur verlagern. Die Sorge, dass sich die Nord/LB mit der Übernahme verheben könnte, ist bei den Sparkassen mit Händen zu greifen. Schließlich hat sie gerade erst die gestrauchelte Bremer Landesbank komplett übernommen, zudem hat sie ähnlich wie die HSH noch Milliarden von Schiffskrediten in den Büchern. Mittelfristig könnte es deshalb dennoch zu einem Haftungsfall kommen. „Das ist in diesem Jahr eines der wichtigsten Themen“, sagt ein Sparkassenmanager.
Deshalb wollen die Institute in Niedersachsen vorsorgen. Über ihren Verband halten sie gut 26 Prozent an der Landesbank. In Sparkassenkreisen heißt es, dass die Beteiligung auf null sinken soll, wenn die Nord/LB bei der HSH zugreift. Offiziell erklärt der niedersächsische Verband, dass er „am Ende ausschließlich das Wohl der Nord/LB und ihrer Träger im Auge behalten werde“.
Realistisch ist der vollständige Ausstieg nicht. Denn Niedersachsen müsste den Sparkassen dann rund 1,9 Milliarden Euro überweisen. Den Steuerzahlern des Landes dürfte das kaum zu vermitteln sein. „Reines Geschacher“, urteilt ein Sparkassenvorstand. Die Bankenaufseher der EZB dürften die Übernahme jedenfalls kritisch sehen. Sie wollen eine weitere Konzentration von maroden Schiffskrediten vermeiden.
Sicher scheint deshalb nur, dass am Ende die Steuerzahler den größten Teil der HSH-Rechnung übernehmen müssen. Die Prognosen bewegen sich zwischen 16 und 20 Milliarden Euro. Der größte Teil wird bald fällig: Die von den HSH-Eigentümern Hamburg und Schleswig-Holstein gewährte Garantie über zehn Milliarden Euro könnte schon in diesem Jahr verbraucht sein.