Investmentbank Das Sündenregister von Goldman Sachs

Die Investmentbank Goldman Sachs steht schon länger in der Kritik. Das öffentliche Kündigungsschreiben des Derivate-Manager Smith ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.

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Goldman Sachs ist mächtig im Gerede Quelle: REUTERS

Es ist ein außergewöhnlicher Vorgang. Da erhebt ein hochrangiger Manager einer großen Investmentbank in einer der renommiertesten Zeitungen der Welt Anklage gegen die Bank, die zwölf Jahre lang sein Arbeitgeber war. Der offene Brief mit dem Titel "Warum ich Goldman Sachs heute verlasse" ist eine Abrechnung auf hohem Niveau. Kein einfaches Austeilen, sondern ein wohlformuliertes Abschiedsschreiben.

Greg Smith beklagt den Verfall der Unternehmenskultur, es gehe nur noch um Profit, der Kunde werde abgezockt. Der Brandbief in der "New York Times" war nicht nur Gesprächsstoff an den Finanzplätzen der Welt, sie reduzierte Goldman Sachs' Börsenwert um mehr als zwei Milliarden Dollar und zwangen den Firmenchef zu einer Erklärung.

Goldman-Chefs sind enttäuscht

In einer E-Mail an die Mitarbeiter reagierte CEO Lloyd Blankfein auf die Vorwürfe. Er und COO Gary Cohn schrieben, wie enttäuscht sie von den Behauptungen seien. "In einer Firma unserer Größe ist es nicht schockierend, dass manche verstimmt sind. Doch sollte dies nicht stellvertretend sein für ein Unternehmen mit mehr als 30.000 Mitarbeitern. 'Die Worte die sie heute gelesen haben, müssen Ihnen angesichts ihrer täglichen Erfahrungen fremd vorkommen'", zitiert das "Handelsblatt" aus dem Schreiben. Sie verweisen auf die neueste Mitarbeiterbefragung, nach der 89 Prozent aussagen, dass Goldman Sachs seinen Kunden einen außergewöhnlichen Service biete. "Es ist bedauerlich, dass sie, die in einer schwierigen Zeit so hart gearbeitet haben, nun auf so etwas antworten müssen."

Doch es ist nicht so, dass das Finanzinstitut mit dem öffentlichen Kündigungsschreiben des Derivate-Experten Greg Smith nun ganz plötzlich in den Fokus rückt. Denn die Kritik an der Bank schwelt schon lange.

Zwölf Jahre arbeitete Greg Smith für Goldman Sachs. Nun kündigt er und wendet sich in einem Brief an die Öffentlichkeit und greift CEO Blankfein an. Titel: "Warum ich Goldman Sachs verlasse".

Greg Smith greift in seinem offenen Brief den Bankenboss Blankfein direkt an. Er und der Verwaltungsratschef Cohn seien verantwortlich für den Wandel, den das Institut in den vergangenen Jahren vollzogen habe. Smith sei sicher, dass der Verfall der Unternehmensmoral die größte Bedrohung für das langfristige Überleben des Finanzhauses sei.

Der Derivate-Experte wiederholt mit seinen Anschuldigungen auch Kritik, die in der Vergangenheit gegen Goldman und andere Investmentbanken erhoben wurde. So wurde das amerikanische Finanzhaus bereits im Rahmen seiner Führungsrolle nach der Finanzkrise gescholten. Zudem war es wenig hilfreich, dass Blankfein in einem Interview mit der britischen "Times" 2009 sagte, er erfülle doch nur Gottes Werk mit seiner Arbeit bei der Investmentbank. Das brachte Blankfein an der Wall Street den Beinamen "Dr. Evil" ein.

Jede Menge Vorwürfe

In der Kritik: Goldman-Sachs-Chef Lloyd Blankfein Quelle: REUTERS

2010 hatte Goldman Sachs Betrugsvorwürfe der Börsenaufsicht SEC in einem außergerichtlichen Vergleich mit einer Zahlung von 550 Millionen Dollar beigelegt. Goldman räumte damals ein, Kunden beim Vertrieb eines verlustträchtigen Hypothekenprodukts nicht ausreichend informiert zu haben. Tatsächlich soll die US-Investmentbank verbriefte Ramschhypotheken mit Hilfe des Hedgefondsmanagers John Paulson gebündelt und an ahnungslose Kunden verkauft haben. Dabei soll billigend in Kauf genommen worden sein, dass Paulson gleichzeitig auf den Wertverlust der CDO-Papiere spekulierte.

Anleger hatten in wenigen Monaten nach dem Verkaufsstart rund eine Milliarde Dollar verloren, zu ihnen gehörte auch die deutsche Mittelstandsbank IKB. In E-Mails von Goldman-Sachs-Mitarbeitern war von „den dummen Deutschen“ die Reden, denen man die wertlosen Ramschhypotheken andrehen konnte. Paulson, so die SEC, soll beim Crash eine Milliarde Dollar verdient, Goldman für der Produktverkauf Gebühren in Höhe von 15 Millionen Dollar eingestrichen haben. Kritiker monierten, dass die 550-Millionen-Dollar-Strafe für die Investmentbank, die im Quartal längst wieder Milliardenbeträge verdiente, viel zu mild gewesen sei.

Die Goldjungs an den Schaltstellen der Wirtschaft
Paul AchleitnerDer einstige Finanzvorstand der Allianz-Versicherung ist nun Aufsichtsratschef der Deutschen Bank. Zuvor war Achleitner Deutschland-Chef der US-Investmentbank Goldman Sachs. Quelle: REUTERS
Christopher FlowersNach dem Harvard-Abschluss stieg Flowers bereits mit 21 Jahren bei der Investmentbank Goldman Sachs ein und leitete dort ab 1986 die Beratung für Übernahmen in der Finanzindustrie. Dann gründete er seine eigene Investmentfirma und erwarb sich einen Ruf als harter Sanierer. 2008 stieg er auch bei der Pleitebank Hypo Real Estate (HRE) ein und verlor nach der Übernahme durch den Steuerzahler nahezu sein gesamtes Geld. Achleitner und Flowers kennen sich. Gemeinsam versuchten beide billig an einen großen Teil von AIG zu kommen, als der US-Skandalversicherer in der Finanzkrise im September 2008 kurz vor der Pleite stand. Der damalige AIG-Chef Bob Willumstad empfand das Angebot als so unangemessen niedrig, dass er Achleitner und Flowers hinauswarf und seinen Sicherheitsdienst instruierte: „Lasst diese Typen nicht wieder ins Gebäude“. Quelle: REUTERS
Dorothee BlessingDie Frau von Commerzbank-Chef Martin Blessing ist Managing Director bei Goldman Sachs in Frankfurt und arbeitet mit einer kurzen Unterbrechung seit 1991 bei der US-Investmentbank. Ihr Mann Martin Blessing hat als Commerzbank-Chef beste Verbindungen zur deutschen Politik. Das Bild zeigt sie mit Dr. Frank-Dieter Freiling, Director International Affairs beim ZDF. Quelle: Presse
Mario DraghiMit seiner Ernennung zum Chef der Europäischen Zentralbank hat der Italiener Mario Draghi den Höhepunkt seiner Karriere erreicht. Draghi hat eine lange Laufbahn als Geldverwalter hinter sich. Von 2006 bis 2001 war er Chef der italienischen Notenbank Banca d'Italia. Auch bei Goldman Sachs brachte er es weit: Von 2002 bis 2005 war er Vizepräsident bei Goldman Sachs in London. Er war damit Partner und hielt Aktien der Bank. Quelle: dpa
Mario MontiDer italienische Premierminister Mario Monti kann auf eine lange Karriere als Wirtschaftswissenschaftler zurückblicken. Von 1989 bis 1994 war er unter anderen Rektor der renommierten Wirtschaftsuniversität Bocconi in Mailand. Zudem war Monti zwischen 1995 und 2004 erst EU-Binnenmarktkommissar und dann Wettbewerbskommissar. Bevor er 2011 zum Ministerpräsidenten berufen wurde, war er aber auch internationaler Berater von Goldman Sachs. Quelle: dpa
Jon CorzineCorzine ist eine der schillerndsten Figuren, die in den USA zwischen Wall Street und Politik hin- und herpendeln. Über die Jahre arbeitete er sich bis zum Chefposten bei Goldman Sachs hoch. Mitte der 90er-Jahre führte er den Wall-Street-Primus gemeinsam mit Hank Paulson. Jedoch kam es nach heftigen Verlusten im Handelsgeschäft 1999 zum Zerwürfnis der beiden, Corzine wechselte in die Politik. Mit Erfolg: Zunächst war er Senator für New Jersey, später führte er diesen Bundesstaat als Gouverneur. Im März 2010 übernahm Corzine die Führung des Wertpapierhändlers MF Global, der später Pleite ging. Quelle: dapd
Henry „Hank“ Paulson Auch Rubins Nachfolger Hank Paulson war von 1999 bis 2006 Chef von Goldman Sachs, bevor er Finanzminister unter US-Präsident George W. Bush wurde. Um dem Vorwurf zu entgehen, dass er Goldman Sachs in seiner neuen Position unangemessene Vorteile verschaffen würde, verkaufte er alle seine Goldman-Aktien für rund 500 Millionen Dollar und unterzeichnete freiwillig eine sechsseitige Ehrenerklärung, die es ihm verbot, während seiner Amtszeit irgendeinen Kontakt mit Goldman Sachs zu haben. Das Versprechen musste er schon zwei Jahre später brechen: 2008 war Paulson als Finanzminister direkt verantwortlich für die Rettung seines früheren Arbeitgebers Goldman Sachs und anderer Banken mit dem Geld der US-Steuerzahler. Quelle: AP

Kriminelle Machenschaften ignoriert

Die US-amerikanische Finanzmarkt-Regulierungsbehörde FINRA verdonnerte Goldman Sachs nur wenige Monate später dazu, knapp 21 Millionen Dollar an die Geschädigten der 2005 zusammengebrochenen Bayou Group zu zahlen. Die Bank hatte für Bayou einen Großteil der Geschäfte abgewickelt. Goldman habe die Anzeichen für kriminelle Machenschaften bei dem Partner ignoriert, hieß es im Vorwurf der Geschädigten. Es war das erste Mal, dass eine Bank für ihre Rolle als Mittelsmann in einem Schneeball-System zur Rechenschaft gezogen wurde.

Im Januar 2011 kamen Vorwürfe im Zusammenhang mit dem geplanten Facebook-Börsengang auf. Goldman hatte eine halbe Milliarde Dollar in Facebook investiert und daneben einen Fonds aufgelegt, mit dem Kunden in den Internet-Konzern investieren konnten. Goldman nannte diese Praxis branchenüblich und gab an, Kunden, die sich an Facebook beteiligt haben, über die Goldman-Beteiligung informiert zu haben. Auch dass Goldman Aktien möglicherweise wieder abstoßen und den Kurs so belasten könnte. Ein gutes Geschäft wird es für die Bank in jedem Fall: Goldman dürfte als Berater des Börsengangs einen zweistelligen Millionenbetrag als Honorar kassieren.

In der Schuldenkrise ins Zwielicht geraten

Auch in der Schuldenkrise war Goldman ins Zwielicht geraten. Das Bankhaus hatte Griechenland geholfen, die Haushaltszahlen zu schönen, indem Schulden in die Zukunft transferiert wurden. Auf diese Weise konnten die chronisch verschuldeten Griechen ihr Defizit geringfügig schrumpfen lassen.

Im März 2011 erhob die SEC Klage gegen ein ehemaliges Mitglied des Verwaltungsrats von Goldman Sachs, Rajat Gupta. Der Vorwurf lautete, Gupta habe Galleon-Chef Raj Rajaratnam mit Insidertipps versorgt, die Letzteren zum Kauf von Goldman-Optionen und Aktien bewogen. Gupta bestreitet den Vorwurf. Im Oktober 2011 wurde Rajaratnam zu elf Jahren Haft wegen Insiderhandels verurteilt.

Einbrechende Gewinne statt üppige Boni, Entlassungen statt Partys - die goldenen Zeiten sind vorbei.
von Cornelius Welp, Yvonne Esterházy, Angela Hennersdorf

Im August 2011 bekam es Goldman Sachs erneut mit der US-Börsenaufsicht SEC zu tun. Die Behörde untersucht, ob Goldman-Banker bei Geschäften mit dem libyschen Staatsfonds LIA gegen Anti-Korruptionsgesetze verstoßen haben. Hintergrund ist ein Investment des Staatsfonds aus dem Jahr 2007, das Goldman Sachs abgewickelt hatte. Die Investmentbank legte im Auftrag der Libyer Ölgelder in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar in Aktien- und Währungsoptionen an - darunter Papiere des Versicherers Allianz.
Im Zuge der Finanzkrise ging der größte Teil des Vermögens aber verloren. Laut dem Bericht bot Goldman Sachs über Umwege dem Chef des Staatsfonds daraufhin zur Entschädigung 50 Millionen Dollar an. Das Geld sei zwar nicht geflossen, nährt aber nun den Verdacht, dass es sich dabei um versuchte Bestechung handelte. Diese ist ebenso strafbar wie Korruption.

Negatives Beispiel Deutsche Bank

Die zweifelhafte Rolle von Goldman Sachs während der Immobilien- und späteren Finanzkrise beschäftigt die Gerichte weiter. Der amerikanische Senat veröffentlichte im April 2011 seinen Untersuchungsbericht zu den Ursachen der Finanzkrise und stellte dabei nur zwei Investmentbanken als besonders üble Beispiele heraus: Goldman Sachs und die Deutsche Bank.

Etliche Klagen geschädigter Anleger laufen noch, darunter Sammelklagen von Aktionären, vom US-Versicherungsriesen Allstate sowie ein Klage der US-Aufsichtsbehörde FHFA (Federal Housing Finance Agency). Sie wirft Goldman und 16 weiteren Banken vor, den US-Immobilien-Finanzierern Fannie Mae und Freddie Mac Milliarden-Verluste mit faulen Hypotheken beschert haben. Die Banken hätten wissentlich Ramschhypotheken gebündelt und mit Top-Bonitätsnoten versehen. Fannie und Freddie gehörten zu den größten Investoren, rutschten an den Rand einer Pleite und mussten schließlich verstaatlicht werden.

Goldman-CEO Lloyd Blankfein hatte sich stets bemüht, all diese Vorfälle als Einzelfälle, branchenübliches Verhalten oder unvorhersehbare, unglückliche Marktentwicklung abzutun. Schon lange wird gemunkelt, ob ein Imagewechsel nur mit einem neuen Gesicht an der Spitze möglich sei.

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