Jahrestag Lehman-Pleite "Banken warfen alle Regeln der Kreditvergabe über Bord“

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300.000 Dollar für eine Bruchbude

Was lief dann schief?   

Die Standards, die Kredite für einen Ankauf durch Fannie Mae oder Freddie Mac erfüllen mussten, waren über Jahrzehnte sehr hoch. Ab den 1990er-Jahren wurden sie  aus den beschriebenen politischen Gründen permanent gelockert. Die  Kredite wurden immer riskanter – und mit ihnen  die MBS, deren Erträge ja direkt von den zugrunde liegenden Krediten abhingen.

Wann kippte das Ganze?

Spätestens, als die Banken vor Ort beziehungsweise  deren  Mitarbeiter in den Kreditabteilungen für die Menge an abgeschlossenen Kreditverträgen bezahlt wurden – und nicht mehr auf Basis der Kreditqualität. Sie warfen bei der Vergabe von Hypothekenkrediten alle traditionellen Grundsätze über Bord. Sie konnten das tun, weil die öffentlichen Förderbanken immer laxere Anforderungen an die Kredite stellten.

Und dann kamen die Investmentbanken ins Spiel?

Ja. Ab Ende der 1990er-Jahre entdeckten die Investmentbanken, welche Gewinnchancen die MBS-Konstruktionen bargen. Sie bündelten die Kredite, machten daraus Wertpapiere, verbrieften sie also und verkauften sie weiter - und das massenhaft. Im Immobilienboom ab dem Jahr 2003 zählte nur noch Masse statt Klasse. Beleihungsgrenzen, die im traditionellen Bankmodell bei 60 Prozent des Objektwertes lagen, spielten plötzlich keine Rolle mehr. Kreditnehmern war es auf dem  Höhepunkt des Immobilienbooms sogar möglich, deutlich mehr Fremdkapital per Hypothekenkredit aufzunehmen, als für den Erwerb oder den Bau einer Immobilie benötigt wurde oder  als die Objekte wert waren.

Also die berühmten 300.000 Dollar für eine Bruchbude.

Genau. Die Banken vor Ort konnten die Kredite und das Risiko ja weiterreichen, und so fielen alle Hemmungen. Sie vergaben sehr riskante Kredite, die in normalen Zeiten nicht einmal die erste Hürde der internen Kreditprüfung überstanden hätten. Die wurden weitergereicht, und am Ende der Kette standen Investoren und Banken wie Lehman.

Im Film „The Big Short“ , der nach dem Bestseller von Michael Lewis mit Christian Bale und Brad Pitt gedreht wurde, wird erfolgreich auf einen Zusammenbruch dieses Systems gewettet. Die Signale sind offensichtlich. So kann sich eine Bardame gleich mehrere Immobilien leisten. Ist das realistisch?

Das mag man zunächst nicht glauben, ist aber in sehr ähnlicher Form in den USA vorgekommen. Es gab Kreditformen, die es  Leuten mit sehr geringem Einkommen ermöglichten,  teure Immobilien zu kaufen.  Sie bekamen sehr viele Jahre laufende Kredite ohne jegliche Tilgungsverpflichtung bis zur Fälligkeit.

Warum machten die Banken das?

Weil sie davon ausgingen, dass der Immobilienboom noch Jahre anhalten würde und die Objekte am Ende viel teurer verkauft werden könnten, falls der Schuldner seinen Kredit nicht mehr bedienen kann. Die  Hypothekenkredite hatten sehr niedrige Einstiegszinssätze  und danach eine variable Verzinsung für zum Beispiel 28 Jahre. Solche Kredite konnten aufgrund der zunächst sehr geringen monatlichen Belastung von fast jedermann aufgenommen werden. Gleichzeitig bargen sie das enorme Risiko, dass die Leitzinsen durch die Notenbank angehoben würden und die späteren Zinszahlungen für die Hypothekenkredite dann deutlich über den ursprünglichen  Lockzinssätzen  liegen. Das führt gerade bei Kreditnehmern mit nur geringem Einkommen  zur sofortigen Zahlungsunfähigkeit. Auch das beschreibt der Film: tausende von privaten Hypothekenschuldnern gehen pleite, als die Notenbank den Leitzins über einen relativ kurzen Zeitraum mehr als verdoppelt.

War die Krise vorhersehbar? 

Sagen wir es so: Der US-Immobilienboom hat  ein Vorbild, nämlich die Krise der amerikanischen Sparkassen zum Ende der 1980er-Jahre. Auf deren Höhepunkt fuhren die Vorstände kleiner Ortsbanken auffällig große Rolls-Royce. Im aktuellen Film können sich kleine Kreditvermittler vor Ort am Ende große Yachten und vollkommen unverhältnismäßige Luxusurlaube leisten. Wer auf solche Zeichen achtet, wird die Vorboten der nächsten Finanzkrise möglicherweise erkennen.

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